Ein Totengespräch zwischen Homer und Lukian (231 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 22.08.2025 um 23:50 Uhr (Zitieren)
Homer: Nenne mir, Fremder, den Namen, den Papa dir einst gegeben.
Lukian: Ich fasse es nicht! Das ist doch ... wahrhaftig, Homer, den sie den Lehrer Griechenlands nennen! Gleich habe ich dich erkannt an deinem wallenden Haar, dem starken Bart und vor allem den blinden Augen. Gerne will ich mit dir sprechen, doch tu mir die Liebe, es nicht in Hexametern zu machen. Ein Lyriker war ich nie. Sprichst du nicht auch Prosa?
Homer: Versuchen will ich es. Obwohl ich nach 48.000 Versen schon so weit war, selbst beim Einkaufen in Hexametern zu sprechen. – Es freut mich, daß du mich erkannt hast, haben doch nicht wenige Menschen, Törichte!, behauptet, daß es mich gar nicht gegeben habe. Blind bin ich übrigens nicht, nur sehr stark kurzsichtig; da hat die Überlieferung, wie sie es meist tut, übertrieben. – Doch sag mir an, immer noch weiß ich deinen Namen nicht.
Lukian: Lukian ist mein Name, gebürtig aus der schönen Stadt Samosata in Asien. Gelebt habe ich Jahrhunderte nach deiner Zeit, auch wenn weder ich noch sonst jemand wissen, wann genau deine Zeit war. Schriftsteller war ich wie du, wenngleich in anderem Stil. Doch die Götter, die du erfunden – ich nehme an, du hast sie erfunden -, über die habe auch ich viel geschrieben. – Was mich aber über die Maßen erstaunt, mein Bester, ist der Umstand, daß ich dich hier als Schatten im finsteren Hades als treffe. Sicher war ich mir, daß Radamanthys, der Richter der Toten, wenn überhaupt einen Sterblichen, dich in die elysischen Gefilde versetzt hat.
Homer: Ach, sprich nicht davon! Mein Gerichtsverfahren war ein Desaster. Vorgeworfen wurde mir, ich hätte die Götter herabgesetzt, indem ich sie als Ehebrecher, Knabenschänder und Kriegslüsterne dargestellt hätte. So soll ich dem Glauben der Menschen an sie geschadet haben. Dabei wollte ich doch ...
Lukian: Das ist ja ein hübsches Zusammentreffen! Mich hat man in den Hades geschickt, weil ich die Götter lächerlich gemacht haben soll. Nicht wie böse, aber doch ganz so wie ziemlich alberne Menschen. Ich sehe es noch vor mir, wie Radamanthys mir mit flammenden Augen meine „Göttergespräche“ unter die Nase gehalten und ausgerufen hat, für mich sei der Hades noch zu schade.
Homer: Wir konnten beide nicht daran glauben, daß die Götter einfach nur edel und verehrungswürdig sind. Gehört habe ich jedoch durch Neuankömmlinge, es sei lange nach mir eine Sekte entstanden, welche die Zahl der Götter rigoros auf einen einzigen reduziert und diesen als lauter Liebe gepriesen hat. Dann müssen ja friedliche Zeiten entstanden sein auf der sich weithin erstreckenden Erde.
Lukian: Oh, diese Sekte kenne ich. Auch über die konnte ich nichts als spotten. Aber ich will dir etwas sagen: Siehst du die riesige Masse von Schatten dort unten im Tal?
Homer: Nein.
Lukian: Ach, ich vergaß, du bist ja blind, nein kurzsichtig. So sage ich es dir denn: Das sind die Schatten dieser Sekte, die sich Christen nennen. Das mit Liebe und Frieden haben sie nicht hinbekommen.
Homer: Dank sei den Göttern! Die Welt ist nicht so, wie manche sie gerne hätten. Und wie die Welt, so die Götter. - Wissen möchte ich wohl gerne, wer es denn eigentlich ins Elysium geschafft hat.
Lukian: Diejenigen, so denke ich, die allezeit davonkommen, weil sie genug Geld haben, um den Richter zu bestechen.
Homer: Du bist wahrlich ein Spötter, mein Freund. Aber du befolgst – und sicher auch beim Schreiben – eine Regel, die ich hier kürzlich von jemandem vernommen habe, der sich Billi Weilder oder so ähnlich nannte und als Filmregisseur bezeichnete – was immer das sein mag. Er sagte, die heiligste Regel der Künstler sei: Du sollst nicht langweilen! Und sowas können wir gerade hier im Hades wahrlich brauchen. Magst du mir von deinen Geschichten etwas vortragen?
(Wolfgang Weimer)
Re: Ein Totengespräch zwischen Homer und Lukian
Γραικύλος schrieb am 23.08.2025 um 01:00 Uhr (Zitieren)
der Umstand, daß ich dich hier als Schatten im finsteren Hades als treffe --> der Umstand, daß ich dich hier als Schatten im finsteren Hades treffe
Lukian war Autor in einem Übersetzungkurs Gr-Dt.
in meinem 1. Studiensemester.
Ich fand den Kurs furchtbar, es war eine einzige,
zermürbende Vokabelnachschlagerei.
Der Dozent wirkte zudem unmotiviert.
Wir lasen reihum,jeder konnte ausrechnen, wann er drankam
und wielange es seine Ruhe hatte. Kein Kurs für Erwachsene, fast schlimme als in der Schule.
Grammatik wurde nur oberflächlich behandelt.
Ich fand es eine Zumutung, sich mit diesem Autor
im 1. Semester rumschlagen zu müssen,
so interessant er sein mag.
Ich vermute, der Kurs sollte abschrecken.
Damals gab es viele Lehramtsstudenten.
Es wurde auf Masse gelesen und kaum über das Gelesene gesprochen.
Ich habe Griechisch auch deswegen wieder aufgegeben.
Ich hätte den Kurs nach der 2. öden Sitzung verlassen sollen. Zeitverschwendung pur!
Herkunft der christl. Höllenvisionen:
1. Alttestamentliche und jüdische Wurzeln
Im Alten Testament gibt es ursprünglich keine „Hölle“ im christlichen Sinn, sondern den Scheol – ein schattenhaftes Totenreich, in das alle Toten kommen, unabhängig von Schuld oder Unschuld.
Erst in spätexilischer und zwischentestamentlicher Zeit (3.–1. Jh. v. Chr.) entwickeln sich im Judentum Vorstellungen von einer gerechten Vergeltung nach dem Tod.
Unter persischem Einfluss (Zarathustrismus) kommt die Idee von einer letzten Weltgerichtsszene und einer Zweiteilung von Lohn (Paradies) und Strafe (Feuer, Pein).
In apokalyptischen Schriften wie dem Henochbuch oder in den Qumrantexten finden sich sehr plastische Höllenschilderungen.
2. Griechisch-hellenistische Einflüsse
Die Griechen kannten den Hades (Unterwelt) mit verschiedenen Bereichen:
die Insel der Seligen für Gerechte,
den Tartaros als Strafort für die Gottlosen.
Diese Dualität von „Ort der Strafe“ vs. „Ort der Belohnung“ prägte jüdisch-hellenistische Juden und später auch die Christen.
3. Das Neue Testament
Jesus spricht von der Gehenna (ursprünglich ein Tal bei Jerusalem, wo Abfälle verbrannt wurden und wo in alter Zeit auch Kinderopfer stattgefunden haben sollen). Das Bild des „Feuers der Gehenna“ wurde zum Symbol für Gottes endzeitliches Gericht.
In Gleichnissen (z. B. vom reichen Mann und armen Lazarus, Lk 16) wird schon die Vorstellung einer qualvollen Trennung von Gott und einer jenseitigen Strafe entworfen.
Aber: Im NT ist „Hölle“ weniger ein „unterirdischer Ort“, sondern eher der endgültige Ausschluss aus der Gemeinschaft mit Gott.
4. Frühchristliche und kirchliche Entwicklung
Kirchenväter wie Tertullian oder Augustinus haben die Bilder aus Bibel, Judentum und Antike ausgeschmückt:
Augustinus betonte die Ewigkeit der Strafen.
Bilder von Feuer, Pein und Teufeln setzten sich mehr und mehr durch.
Das Mittelalter übernahm und popularisierte diese Vorstellungen:
Predigten, Mysterienspiele, Kunst und Literatur (z. B. Dantes Göttliche Komödie) prägten das kollektive Bild von der Hölle als einem Ort voller Qualen, Teufel und Flammen.
Auch die Vorstellung vom Fegefeuer entstand (v. a. ab 12. Jh.), als Zwischenstadium zwischen Himmel und Hölle.
5. Zusammenfassung
Die christliche Höllenvorstellung ist also eine Synthese aus:
Israelitischer Scheol-Tradition (neutraler Tod),
apokalyptisch-jüdischen Gerichtsvorstellungen (Strafe/Belohnung),
griechisch-römischen Unterweltbildern,
theologischer Ausgestaltung durch Kirchenväter und
mittelalterlicher Fantasie und Volksfrömmigkeit.
PS:
Himmelsvorstellungen:
1. Altes Testament (bis ca. 500 v. Chr.)
„Garten Eden“ (Gen 2–3) = Urbild des verlorenen Paradieses.
Scheol bleibt der Ort der Toten, keine klare Himmelsvorstellung.
2. Persischer Einfluss (ab 500 v. Chr.)
Zarathustrismus: Paradies als „Garten Gottes“ für die Gerechten nach dem Endgericht.
Idee von himmlischem Lohn und seliger Gemeinschaft.
3. Jüdische Apokalyptik (3.–1. Jh. v. Chr.)
Henochbuch, 4. Esra, 2. Baruch: Gerechte wohnen im „Paradiesgarten“.
Oft als himmlischer Ort mit Licht, Herrlichkeit, Bäumen und ewiger Ruhe beschrieben.
4. Griechisch-römische Einflüsse
„Elysium“ bzw. „Inseln der Seligen“ im Hades: Ort für edle und gerechte Seelen.
Bild eines seligen Lebens nach dem Tod, oft als Gärten oder sonnige Gefilde dargestellt.
5. Neues Testament (1. Jh. n. Chr.)
Jesus zum Schächer am Kreuz: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,43).
Paulus (2 Kor 12,2–4): Vision der Entrückung ins „dritte Paradies“.
Offenbarung des Johannes: Himmlisches Jerusalem mit Licht, Edelsteinen, Lebensbaum, Gott als ewiges Licht.
6. Kirchenväter (2.–5. Jh. n. Chr.)
Paradies = selige Gemeinschaft mit Gott und den Heiligen.
Irenäus: Endzeitliche Wiederherstellung des Paradieses.
Augustinus: „Visio Dei“ = das Schauen Gottes ist die höchste Freude.
7. Mittelalter (ab 6. Jh. n. Chr.)
Reiche Visionen in Mystik und Kunst: himmlische Stadt, Chöre der Engel, ewige Glückseligkeit.
Dante (14. Jh.): Paradiso – detaillierte Beschreibung von Himmelssphären, Licht und Musik.
Zusammenfassung:
Paradies = im Christentum nicht nur „Ort der Belohnung“, sondern v. a. die unmittelbare Gemeinschaft mit Gott.
Starke Mischung aus Eden-Tradition, apokalyptischem Judentum, griechischem Elysium und christlicher Theologie.
👉 Soll ich dir – passend zur Hölle – auch eine Gegenüberstell
Re: Ein Totengespräch zwischen Homer und Lukian
βροχή schrieb am 23.08.2025 um 13:13 Uhr (Zitieren)
Ein bisschen unlogisch? Wenn Lukian von den Göttern zum Hades verurteilt wurde, wieso glaubt er, Homer hätte sie erfunden? Wenn es die Götter nicht schon vor Homer gab, müsste der sie erschaffen und außerdem seinen Geschöpfen Macht über sich selbst und über andere verliehen haben?
Re: Ein Totengespräch zwischen Homer und Lukian
Γραικύλος schrieb am 23.08.2025 um 15:14 Uhr (Zitieren)
Das Urteil wird ja von Radamanthys gesprochen. Ob wer dahintersteht, lasse ich bewußt offen.
Re: Ein Totengespräch zwischen Homer und Lukian
βροχή schrieb am 23.08.2025 um 16:39 Uhr (Zitieren)
achso, Kreter als Vorläufer der Griechen. Homer erfand nicht die Götter als solche, sondern vermehrte sie nur um ein paar weitere.
1. Indogermanische Wurzeln
Zeus: belegt in Linear B als di-we (Knossos, Pylos). Sprachlich = vedisch Dyaus Pitar, lat. Iuppiter („Himmelsvater“).
Hera: vermutlich indogermanische Himmels-/Fruchtbarkeitsgöttin; Name unsicherer Herkunft.
Poseidon: Linear B po-se-da-o, möglicherweise ursprünglich „Herr der Erde/Fluten“.
Athene: Name schon in Linear B (a-ta-na po-ti-ni-ja = „Herrin Athene“).
2. Vorgriechisch / Ägäisch (minoisch-mykenisch)
Starke Göttinnenverehrung: in Linear B häufig po-ti-ni-ja = „Herrin“ (eine weibliche Gottheit).
Natur- und Tierkulte (Stier, Doppelaxt, Schlangen) → Einflüsse sichtbar in Hera, Artemis, Demeter.
Poseidon war bei den Mykenern wohl ein Hauptgott, evtl. sogar wichtiger als Zeus.
3. Orientalische Einflüsse (über Handel und Kolonisation)
Aphrodite: stark geprägt von phönizisch-kanaanäischen Göttinnen (Astarte/Ishtar).
Ares: Parallelen zu kriegerischen syrisch-hethitischen Gottheiten wie Resheph.
Hephaistos: Schmiedegott mit Vorbildern in anatolischen Religionen (Hethiter).
Kulturelle Kontakte (8.–7. Jh. v. Chr., sog. „Orientalisierende Epoche“) lieferten Homer Material.
4. Literarische Bearbeitung bei Homer
Die „Familie des Olymps“ (mit Zeus als Vater, Hera als Gattin usw.) ist dichterische Konstruktion.
Anthropomorphismus („Götter handeln wie Menschen“) ist Homers Gestaltung – nicht zwingend religiöse Realität.
Über den Göttern steht Moira (Schicksal) → typisch griechische Sicht, nicht orientalisch.
Belege:
Linear-B-Tafeln (13. Jh. v. Chr., Pylos, Knossos).
Homer (Ilias, Odyssee, 8. Jh. v. Chr.).
Archäologische Funde aus Kreta, Mykene.
Vergleichende Religionswissenschaft (Indogermanistik, Orientalistik).
Kurz gesagt: Sicher ist, dass viele homerische Götter mykenische Namen tragen (archäologisch belegt), andere aus dem Osten beeinflusst sind (Aphrodite, Ares), und Homer selbst daraus die literarische Götterfamilie gestaltet.
Re: Ein Totengespräch zwischen Homer und Lukian
Patroklos schrieb am 23.08.2025 um 18:28 Uhr (Zitieren)
Homer und ich.
Mein Tod durch einen Gott, ursächlich, kann natürlich als Ehre erachtet werden. Auch die bekannte, pompöse Bestattung war mir höchst erfreulich.
Homer und Lukian traf ich im Hades allerdings nicht an. Mir war, wenn das nicht zu arrogant klingt, etwas besseres als diese Trübnis zuteil.
Re: Ein Totengespräch zwischen Homer und Lukian
βροχή schrieb am 23.08.2025 um 21:01 Uhr (Zitieren)
... glücklicherweise wurde dir die Wiedergeburt zuteil, sonst müssten wir dich heute arg vermissen
Re: Ein Totengespräch zwischen Homer und Lukian
Patroklos schrieb am 23.08.2025 um 21:51 Uhr (Zitieren)
Ein Ende des Ortes, von woher freudvolle Grüße zu entsenden sind, ist nicht absehbar. Eine Tochter wäre nur zu gern gesichtet worden. Es ist hier eher eine herrenheroische Gesellschaft.
Re: Ein Totengespräch zwischen Homer und Lukian
βροχή schrieb am 23.08.2025 um 23:02 Uhr (Zitieren)
Herrje ... ein Herrenzimmer im Jenseits? Jeder Tag beginnt mit einem Herrengedeck? Von den Damen getrennt liegen die Herren auf dem Friedhof der Herrenhuther.
Mit
Re: Ein Totengespräch zwischen Homer und Lukian
βροχή schrieb am 23.08.2025 um 23:03 Uhr (Zitieren)