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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Rapta tacens (182 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 15.09.2025 um 10:43 Uhr (Zitieren)
Calpurnius Flaccus, Deklamationen 16:
Rapta tacens / Das vergewaltigte Mädchen, das nichts sagte

Lex raptarum. Rapta producta ad magistratus tacuit et flevit. Magistratus de raptore supplicium sumpsit. Puella se interemit. Reus est magristratus, quod causa mortis fuerit.

Es gelte das Gesetz über vergewaltigte Frauen. (1) Vor die Obrigkeit geführt, sagte ein vergewaltigtes Mädchen nichts und weinte nur. Der Beamte ließ den Vergewaltiger hinrichten. Das Mädchen brachte sich um. Der Beamte ist angeklagt, den Selbstmord verursacht zu haben.

[Gegen den Beamten]
1. Ich beschuldige den Angeklagten nur eines einzigen Mordes, obwohl er zwei auf einen Schlag getötet hat.

2. Die Zuflucht zum Mitleid ist diesem Angeklagten versperrt, denn was könnte er sich von Tränen erhoffen? (2)

3. Der Jüngling war auch von edler Gestalt, wie ihn sich jeder als Sohn oder Schwiegersohn nur hätte wünschen können. Weil er die Heirat mit dem Mädchen begehrte, ja schon lange begehrte und bereits zu erhoffen begonnen hatte, verlor er, wie ein Liebhaber nun mal ist, die Geduld und – wie soll ich sagen: er vergewaltigte es oder vollzog die Ehe an ihm? Das Mädchen tat das einzige, was es tun konnte: Es brachte keine Klage vor.

4. Wer wäre nicht erschaudert, wer hätte nicht mit dir, mein Mädchen, geweint?

5. Mag er nun auch sagen: „Ich habe so entschieden, und es war rechtens.“ Spricht so ein Bürger oder ein König? (3) Er war nicht Herr seines eigenen Prozesses, sondern Diener eines fremden. (4)

6. „Sie sagte nichts“, sagt er. O welch bemerkenswert nichtssagende Aussage! Jeder weiß, dass Tränen aus einer einzigen Quelle, der des Mitleids, strömen [Omnes sciunt lacrimas ex uno misericordiae fonte manare] – in der Liebe sogar ganz besonders, denn mit denselben Augen, mit denen man liebt, weint man auch.

7. Arm ist jener dran, den du ohne jeglichen Ankläger bestraft, noch ärmer jene, die du scheinbar gerächt hast.

8. Wer, bitteschön, wird dich freisprechen können, wenn du weinst, oder beweinen können, wenn du verurteilt wirst?

(Calpurnius Flaccus: Deklamationen. Hrsg. v. Stefan Knoch. Berlin/Boston 2024, S. 70 f.)

(1) „Eine vergewaltigte Frau soll den Tod des Vergewaltigers oder ihre mitgiftlose Hochzeit mit ihm fordern können.“
(2) Auch dem Mädchen haben ja seine Tränen nicht geholfen.
(3) der König hier als Synonym für einen Tyrannen
(4) Der Beamte hätte in diesem Fall nur als ausführendes Organ der Entscheidung des Mädchens fungieren dürfen, d.h. mit der Hinrichtung des Vergewaltigers hat er seine Kompetenzen überschritten.


 
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