Γραικύλος schrieb am 19.09.2025 um 00:17 Uhr (Zitieren)
Calpurnius Flaccus, Deklamationen 19:
(Calpurnius Flaccus: Deklamationen. Hrsg. v. Stefan Knoch. Berlin/Boston 2024, S. 76 f.)
(1) wegen der Seuche
(2) Aufgrund der Verstoßung unterliegt der Sohn nicht mehr der patria potestas und ist frei in seinen Entscheidungen.
Re: Abdicatus immolandus
Aurora schrieb am 19.09.2025 um 07:07 Uhr (Zitieren)
1. Herkunft solcher Opferideen
Griechische Welt:
In der klassischen Zeit gibt es Berichte, dass in Krisen (Seuchen, Kriege) Menschenopfer gefordert oder durchgeführt wurden. Besonders bekannt sind die Pharmakoi-Rituale: Bei Pest oder Hungersnot wurde ein „Sündenbock“ – oft ein Verbrecher oder sozial Ausgestoßener – symbolisch (manchmal auch tatsächlich) getötet oder verbannt, um die Gemeinschaft zu reinigen.
Beispiele: In Athen und anderen Poleis gab es im Mai (Thargelien-Fest) die Ausstoßung von pharmakoi.
Römische Welt:
Menschenopfer waren bei den Römern offiziell tabu, aber in äußerster Notlage doch bezeugt.
216 v. Chr. nach der Niederlage bei Cannae wurden zwei Griechen und zwei Gallier im Forum Boarium lebendig begraben (Liv. 22,57,6).
Auch 362 v. Chr. berichtet Livius von Menschenopfern.
Solche Opfer waren aber seltene „Notmaßnahmen“ und galten als extrem.
Religiöse Logik:
Die Idee war, dass die Götter durch ein „besonderes Opfer“ besänftigt werden mussten. Je außergewöhnlicher oder passender zum Orakelspruch die Opferperson war, desto größer erschien die Wirksamkeit. Ein „vaterloser“ Mensch passte, weil er symbolisch außerhalb der normalen Ordnung stand – wie ein pharmakos.
2. Zeitrahmen
Frühgriechische Zeit (archaisch, ca. 7.–5. Jh. v. Chr.): Pharmakoi sind schon hier bezeugt.
Klassisches Griechenland: Praxis hielt sich noch, teils symbolisch, teils real.
Römische Republik (bis 3.–2. Jh. v. Chr.): seltene Menschenopfer in Krisen. Spätestens unter Augustus (1. Jh. v. Chr.) wurden Menschenopfer ausdrücklich verboten.
3. Dein Beispiel („abdicatus“)
Die Szene erinnert stark an römische Exempla-Erzählungen, bei denen in einer Pest ein ungewöhnliches Opfer verlangt wird, und jemand sich freiwillig anbietet – aber die soziale oder rechtliche Stellung (verstoßen, enterbt, unehelich) wirft ein Problem auf. Solche Konstellationen sind in der Literatur oft moralisch-didaktisch gedacht und nicht unbedingt historische Praxis.
Griechische Welt
Pharmakoi-Rituale
Hipponax (6. Jh. v. Chr.) erwähnt den pharmakos in seinen Spottgedichten (Fragmente 5–10 West).
Scholien zu Aristophanes und Hipponax berichten, dass während Seuchen oder Hungersnöten zwei Menschen (meist Randfiguren) symbolisch geschlagen, verspottet und manchmal wirklich getötet wurden.
Pausanias 7,24,5 beschreibt, dass Menschen in Leukas vom Felsen gestürzt wurden als „Reinigung“ der Stadt.
Mythische Beispiele
Euripides, „Herakliden“ 498ff.: Ein Orakel verlangt die Opferung eines Mädchens (Makaria, Tochter des Herakles), um Athen zu retten.
Euripides, „Iphigenie in Aulis“: Agamemnon soll seine Tochter Iphigenie opfern, um günstigen Wind für die Fahrt nach Troja zu bekommen.
Plutarch, Theseus 36: berichtet über Opferungen, die Athen von Kreta aus auferlegt wurden.
Römische Welt
Livius, Ab urbe condita 22,57,6 (216 v. Chr.)
Nach der Niederlage bei Cannae werden auf Anweisung der Sibyllinischen Bücher zwei Griechen und zwei Gallier im Forum Boarium lebendig begraben.
Livius 8,10 (362 v. Chr.)
Auch hier erwähnt er Menschenopfer, allerdings eher als außergewöhnliche Handlung, die später verpönt wurde.
Plutarch, „Quaestiones Romanae“ 83
Diskutiert das Vergraben lebender Menschen als römische Notopfer.
Cicero, De divinatione 1,119
Bestätigt, dass in Rom in seltensten Fällen Menschen geopfert wurden, wenn es die Sibyllinischen Bücher verlangten.
Plinius der Ältere, Naturalis historia 30,12
Erwähnt, dass Menschenopfer in Rom unter Augustus endgültig verboten wurden.
Re: Abdicatus immolandus
βροχή schrieb am 19.09.2025 um 07:34 Uhr (Zitieren)
Kinder waren bevorzugte Opfer. Wenn ein elternloses Kind geopfert wird, erspart das den Verlustschmerz der Eltern. Auch wurden geraubte Kinder geopfert.
Bekannte Kinderopfer:
Halloween, jährlich musste eine Familie des Dorfes ein Kind dem Teufel ausliefern, wer das schon gemacht hatte, stellte eine Rübenlaterne raus.
Kinder wurden in Fundamente bedeutender Gebäude eingemauert, später Tiere.
Re: Abdicatus immolandus
βροχή schrieb am 19.09.2025 um 07:44 Uhr (Zitieren)
βροχή schrieb am 19.09.2025 um 07:59 Uhr (Zitieren)
Sry tippo
über
Re: Abdicatus immolandus
Γραικύλος schrieb am 19.09.2025 um 11:15 Uhr (Zitieren)
Heute springt man auf das Thema Menschenopfer an. Für Calpurnius Flaccus war anscheinend nicht dies interessant, sondern der extreme Vater-Sohn-Konflikt. Die Probleme der patria potestas - dieses Thema beschäftigt ihn häufiger.
Re: Abdicatus immolandus
βροχή schrieb am 19.09.2025 um 12:15 Uhr (Zitieren)
Das ist schon klar, das Opferthema benutzt er fiktiv, um den Konflikt des Vaters anzuschärfen.
Re: Abdicatus immolandus
Γραικύλος schrieb am 19.09.2025 um 13:53 Uhr (Zitieren)
Fiktiv. Es ist nicht immer klar, aber vermutlich sind die meisten der von ihm dargestellten Fälle fiktiv.
1. Archäologische Funde
Chichén Itzá (Yucatán):
Im „Heiligen Cenote“ (einem großen Kalksteinbrunnen) fand man zahlreiche Menschenknochen, darunter auch die Skelette von Kindern. Die Opfer wurden in den Cenote geworfen, oft mit kostbaren Beigaben wie Gold, Jade oder Keramik.
Copán (Honduras), Palenque, Tikal (Guatemala):
Auch hier Belege für rituelle Tötungen von Kindern in Verbindung mit Bauopfern oder bei Krisen (z. B. Dürre).
2. Gründe für Kinderopfer
Fruchtbarkeit und Regen:
Kinder galten als „rein“ und wurden besonders den Regengöttern (Chaac) geopfert, um Regen und gute Ernten zu erbitten.
Krisenbewältigung:
In Zeiten von Hungersnöten, Dürren oder Katastrophen wurden besonders wertvolle Opfer dargebracht – dazu zählten auch Kinder.
Bauopfer:
Bei der Errichtung bedeutender Bauwerke wurden manchmal Kinder getötet, um den Bau „sakral zu verankern“.
3. Vergleich mit den Azteken
Bei den Azteken sind Kinderopfer sehr deutlich belegt (z. B. im Codex Florentinus): kleine Kinder wurden für den Regengott Tlaloc geopfert, Tränen galten als gutes Omen für Regen.
Bei den Maya ist die Quellenlage dünner, aber archäologische Funde bestätigen, dass Kinderopfer vorkamen, wenn auch seltener und meist in besonderen Kontexten (z. B. Cenote von Chichén Itzá).
4. Quellenlage
Archäologisch: Knochenfunde in Cenoten (besonders in Chichén Itzá), Ausgrabungen in Copán und Palenque.
Schriftlich: Maya-Inschriften erwähnen zwar rituelle Tötungen, aber selten explizit Kinder. Berichte spanischer Chronisten (z. B. Diego de Landa im 16. Jh.) nennen Kinderopfer beim Chaac-Kult.
Fazit:
Kinderopfer waren bei den Maya kein Massenphänomen, aber sie kamen vor – vor allem als Regenopfer (Chaac), in Krisenzeiten oder als Bauopfer. Archäologische Funde (v. a. aus Chichén Itzá) bestätigen das eindeutig.