Calpurnius Flaccus, Deklamationen 43:

Raptor excaecatus / Der geblendete Vergewaltiger

Talionis sit actio. Raptarum lex. Quidam rapuit et in raptu a puella excaecatus est. Producta ad magistratus mortem optavit. Raptor exigit talionem.

Es ist eine Klage auf Wiedervergeltung gegeben. Es gelte das Gesetz über vergewaltigte Frauen. (1) Jemand beging eine Vergewaltigung und wurde dabei von dem Mädchen geblendet. Vor die Obrigkeit geführt, wählte das Mädchen den Tod. Der Vergewaltiger fordert Wiedervergeltung.

[Für den Vergewaltiger]
1. Du hättest meine Strafe anordnen, nicht sie vollstrecken und nicht Richter und Henker in einer Person sein sollen.

2. Jeder von uns hat sein eigenes Gesetz: du als Vergewaltigte das, welches meinen Kopf, ich als Geblendeter das, welches deine Augen fordert.

3. Denn du, mein Mädchen, was hast du erlitten? Du hast deine Unschuld verloren – in deinem Alter ein normaler Verlust, um nicht zu sagen Wunsch [Sollemne in his <annis> damnum, ut non dixerim votum]. Mir aber wurde schon vor meinem Tod das Augenlicht entrissen.

4. O ihr Augen, in die ich mich zuerst verliebt habe (2)! Ein verdientes Schicksal hat euch gestraft, so dass ihr, die ihr mich zugrunde gerichtet habt, mit mir zugrunde geht.

(Calpurnius Flaccus: Deklamationen. Hrsg. v. Stefan Knoch. Berlin/Boston 2024, S. 132 f.)

(1) Der Vergewaltigten steht die Tötung des Vergewaltigers oder eine Heirat ohne Anspruch auf Mitgift zu.
(2) die des Mädchens, die es ihm offenbar angetan hatten