Kritische Wiedergabe einer berühmten Tacitus-Passage (119 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 14.11.2025 um 17:24 Uhr (Zitieren)
Tacitus, Annalen XV 44:
(1) „coniuncti sunt“, möglicherweise als „convicti sunt“ zu lesen
(2) Hier ist in der Handschrift das ursprüngliche „e“ nachträglich in ein „i“ geändert worden, vom Abschreiber selber oder später.
(3) Hierbei kann es sich nur um eine innerjüdische Sekte handeln, die Jesus als den Messias ansah. Ein Christentum als eigene Religion, unterscheidbar von der jüdischen, gibt es erst seit Paulus.
(4) Römischer Kaiser 14-37 u.Z.
(5) Dieser Titel ist auffallend, nämlich falsch. Römische Ritter, die eine kleine Provinz verwalteten, trugen vor Kaiser Claudius den Titel „praefectus“, und so wird Pilatus auch auf einer Inschrift in Caesarea in Judäa genannt. Tacitus ist sonst bei Titelangaben sehr präzise.
(6) Bei der mit *...* markierten Passage handelt es sich möglicherweise um eine spätere Einfügung (Interpolation) in den Text, auch wenn ihre Sprache von Philologen als taciteisch beurteilt wird. Diese Verbindung von Brand Roms, unterstellter Schuld der Christen und Verfolgung findet sich so bei keinem anderen Autor der Antike, weder bei heidnischen noch christlichen, vor dem 5. Jhdt., bei Sulpicius Severus, der sich dabei auf Tacitus beruft. Alle anderen Autoren erwähnen den Brand Roms, einige eine Christenverfolgung unter Nero, aber niemand, mit Ausnahme dieser Textpassage, stellt zwischen beidem eine Verbindung her.
(7) Die normale Reihenfolge wäre eine andere: 1. Verhaftung, 2. Geständnis; vielleicht bezog sich das Geständnis darauf, Christ zu sein.
(8) Dieser gesamte Abschnitt ist nur in einer einzigen Handschrift überliefert.
Vgl.
Anthony A. Barrett: Rom brennt! Nero und das Ende einer Epoche. Darmstadt 2021, S. 158-191
Re: Kritische Wiedergabe einer berühmten Tacitus-Passage
Γραικύλος schrieb am 14.11.2025 um 17:27 Uhr (Zitieren)
Daß Nero den Christen die Schuld am Brand Roms gegeben und sie deshalb verfolgt habe, hält Barrett für mit höchster Wahrscheinlichkeit falsch.
Re: Kritische Wiedergabe einer berühmten Tacitus-Passage
@Graeculus:
Wie kommst bzw. stößt du auf die Texte, die du hier präsentierst? Was sind deine Überlegungen
und Auswahlktiterien dazu?
Wieviel Stunden am Tag liest du im Schnitt?
Re: Kritische Wiedergabe einer berühmten Tacitus-Passage
Γραικύλος schrieb am 14.11.2025 um 17:52 Uhr (Zitieren)
Es ist, so Barrett, äußerst unwahrscheinlich, daß all die antiken Autoren, speziell die frühchristlichen, sich diesen Vorwurf gegen Nerro hätten entgehen lassen, wenn sie davon gewußt hätten. Daß sie anscheinend diese Angabe des Tacitus nicht einmal kennen, ist ein starkes Argument dafür, daß es sich bei der betreffenden Passage um eine spätere Interpolation handelt.
Re: Kritische Wiedergabe einer berühmten Tacitus-Passage
Γραικύλος schrieb am 14.11.2025 um 17:55 Uhr (Zitieren)
An Udo:
Ich lese viel ... und schreibe obendrein.
Beim Lesen läuft dann ein automatisches Sub-Programm: Ist das fürs Forum geeignet?
Aktuell war es die Lektüre von Barretts "Rom brennt!"
Re: Kritische Wiedergabe einer berühmten Tacitus-Passage
Γραικύλος schrieb am 14.11.2025 um 18:21 Uhr (Zitieren)
Nerro --> Nero
Re: Kritische Wiedergabe einer berühmten Tacitus-Passage
Aurora schrieb am 15.11.2025 um 07:23 Uhr (Zitieren)
Und was machst du zur Entspannung?
Du musst ein geistiger Schwerstarbeiter sein.
Donnerwetter!
Wenn geistige Arbeit angeblich auch vor Alzheimer schützt,
bist du bestens gefeit davor.
Meine Frage:
Mi wieviel Stunden Schlaf kommst du aus?
Wie/Womit schaltest du ab?
Re: Kritische Wiedergabe einer berühmten Tacitus-Passage
Γραικύλος schrieb am 15.11.2025 um 14:45 Uhr (Zitieren)
Mache Dir da keine falschen Vorstellungen. Ich bin Rentner und habe viel Zeit zur Disposition. Auf keinen Fall lasse ich den Schlaf zu kurz kommen.
Das einzige, was wirklich extrem ungewöhnlich ist bei mir, ist der Umfang meiner Bibliothek. Ein Leben lang habe ich Bücher gesammelt; und bei denjenigen antiken Texten, die von Bibliotheken und Bibliomanen handeln, ist mein Herz dabei.