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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Kritische Wiedergabe einer berühmten Tacitus-Passage (119 Aufrufe)
Γραικύλος schrieb am 14.11.2025 um 17:24 Uhr (Zitieren)
Tacitus, Annalen XV 44:
[...] Sed non ope humana, non largitionibus principis aut deum placamamentis decedebat infamia, quin iussum incendium crederetur. ergo abolendo rumori Nero subdidit reos et quaesitissimis poenis affecit, quos per flagitia invisos vulgus Chrestianos appellabat. auctor nominis eius Christus Tiberio imperitante per procuratorem Pontium Pilatum supplicio affectus erat; repressaque in praesens exitiabilis superstitio rursum erumpebat, non modo per Iudaeam, originem eius mali, sed per urbem etiam, quo cuncta undique atrocia aut pudenda confluent celebranturque. igitur primum correpti qui fatebantur, deinde indicio eorum multitudo ingens haud proinde in crimine incendii quam odio humani generis convicti sunt (1). et pereuntibus addita ludibria, ut ferarum tergis contecti laniatu canum interirent aut crucibus affixi flammandique, ubi defecisset dies, in usum nocturini luminis urerentur. hortos suos ei spectaculo Nero obtulerat et circense ludicrum edebat, habitu aurigae permixtus plebe vel curriculo insistens. unde quamquam adversus sontes et novissima exempla meritos miseratio oriebatur, tamquam non utilitate publica, sed in saevitiam unius absumerentur.

[...] Aber nicht durch menschliche Hilfeleistung, nicht durch die Spenden des Kaisers oder die Maßnahmen zur Beschwichtigung der Götter ließ sich das böse Gerücht unterdrücken, man glaubte vielmehr fest daran: befohlen worden sei der Brand. Daher schob Nero, um dem Gerede ein Ende zu machen, andere als Schuldige vor und belegte die mit den ausgesuchtesten Strafen, *die, wegen ihrer Schandtaten verhaßt, vom Volk Chrestianer (2) genannt wurden (3). Der Mann, von dem sich dieser Name herleitet, Christus, war unter der Herrschaft des Tiberius (4) auf Veranlassung des Prokurators (5) Pontius Pilatus hingerichtet worden; und für den Augenblick unterdrückt, brach der unheilvolle Aberglaube wieder hervor, nicht nur in Judäa, dem Ursprungsland dieses Übels, sondern auch in Rom, wo aus der ganzen Welt alle Greuel und Scheußlichkeiten zusammenströmen und gefeiert werden.* (6) So verhaftete man zunächst diejenigen, die ein Geständnis ablegten (7), dann wurde auf ihre Anzeige hin eine ungeheuere Menge nicht so sehr des Verbrechens der Brandstiftung als einer haßerfüllten Einstellung gegenüber dem Menschengeschlecht schuldig gesprochen. Und als sie in den Tod gingen, trieb man noch seinen Spott mit ihnen in der Weise, daß sie, in die Felle wilder Tiere gehüllt, von Hunden zerfleischt umkamen oder, ans Kreuz geschlagen und zum Feuertod bestimmt, sobald sich der Tag neigte, als nächtliche Beleuchtung verbrannt wurden. Seinen Park hatte Nero für dieses Schauspiel zur Verfügung gestellt und gab zugleich ein Circusspiel, bei dem er sich in der Tracht eines Wagenlenkers unters Volk mischte oder sich auf einen Rennwagen stellte. Daraus entwickelte sich Mitgefühl, wenngleich gegenüber Schuldigen, die die härtesten Strafen verdient hätten: denn man glaubte, nicht dem öffentlichen Interesse, sondern der Grausamkeit eines einzelnen würden sie geopfert. (8)

(1) „coniuncti sunt“, möglicherweise als „convicti sunt“ zu lesen
(2) Hier ist in der Handschrift das ursprüngliche „e“ nachträglich in ein „i“ geändert worden, vom Abschreiber selber oder später.
(3) Hierbei kann es sich nur um eine innerjüdische Sekte handeln, die Jesus als den Messias ansah. Ein Christentum als eigene Religion, unterscheidbar von der jüdischen, gibt es erst seit Paulus.
(4) Römischer Kaiser 14-37 u.Z.
(5) Dieser Titel ist auffallend, nämlich falsch. Römische Ritter, die eine kleine Provinz verwalteten, trugen vor Kaiser Claudius den Titel „praefectus“, und so wird Pilatus auch auf einer Inschrift in Caesarea in Judäa genannt. Tacitus ist sonst bei Titelangaben sehr präzise.
(6) Bei der mit *...* markierten Passage handelt es sich möglicherweise um eine spätere Einfügung (Interpolation) in den Text, auch wenn ihre Sprache von Philologen als taciteisch beurteilt wird. Diese Verbindung von Brand Roms, unterstellter Schuld der Christen und Verfolgung findet sich so bei keinem anderen Autor der Antike, weder bei heidnischen noch christlichen, vor dem 5. Jhdt., bei Sulpicius Severus, der sich dabei auf Tacitus beruft. Alle anderen Autoren erwähnen den Brand Roms, einige eine Christenverfolgung unter Nero, aber niemand, mit Ausnahme dieser Textpassage, stellt zwischen beidem eine Verbindung her.
(7) Die normale Reihenfolge wäre eine andere: 1. Verhaftung, 2. Geständnis; vielleicht bezog sich das Geständnis darauf, Christ zu sein.
(8) Dieser gesamte Abschnitt ist nur in einer einzigen Handschrift überliefert.

Vgl.
Anthony A. Barrett: Rom brennt! Nero und das Ende einer Epoche. Darmstadt 2021, S. 158-191
Re: Kritische Wiedergabe einer berühmten Tacitus-Passage
Γραικύλος schrieb am 14.11.2025 um 17:27 Uhr (Zitieren)
Daß Nero den Christen die Schuld am Brand Roms gegeben und sie deshalb verfolgt habe, hält Barrett für mit höchster Wahrscheinlichkeit falsch.
Re: Kritische Wiedergabe einer berühmten Tacitus-Passage
Udo schrieb am 14.11.2025 um 17:47 Uhr (Zitieren)
@Graeculus:
Wie kommst bzw. stößt du auf die Texte, die du hier präsentierst? Was sind deine Überlegungen
und Auswahlktiterien dazu?
Wieviel Stunden am Tag liest du im Schnitt?
Re: Kritische Wiedergabe einer berühmten Tacitus-Passage
Γραικύλος schrieb am 14.11.2025 um 17:52 Uhr (Zitieren)
Es ist, so Barrett, äußerst unwahrscheinlich, daß all die antiken Autoren, speziell die frühchristlichen, sich diesen Vorwurf gegen Nerro hätten entgehen lassen, wenn sie davon gewußt hätten. Daß sie anscheinend diese Angabe des Tacitus nicht einmal kennen, ist ein starkes Argument dafür, daß es sich bei der betreffenden Passage um eine spätere Interpolation handelt.
Re: Kritische Wiedergabe einer berühmten Tacitus-Passage
Γραικύλος schrieb am 14.11.2025 um 17:55 Uhr (Zitieren)
An Udo:
Ich lese viel ... und schreibe obendrein.
Beim Lesen läuft dann ein automatisches Sub-Programm: Ist das fürs Forum geeignet?

Aktuell war es die Lektüre von Barretts "Rom brennt!"
Re: Kritische Wiedergabe einer berühmten Tacitus-Passage
Γραικύλος schrieb am 14.11.2025 um 18:21 Uhr (Zitieren)
Nerro --> Nero
Re: Kritische Wiedergabe einer berühmten Tacitus-Passage
Aurora schrieb am 15.11.2025 um 07:23 Uhr (Zitieren)
Ich lese viel ... und schreibe obendrein.

Und was machst du zur Entspannung?
Du musst ein geistiger Schwerstarbeiter sein.
Donnerwetter!
Wenn geistige Arbeit angeblich auch vor Alzheimer schützt,
bist du bestens gefeit davor.

Meine Frage:
Mi wieviel Stunden Schlaf kommst du aus?
Wie/Womit schaltest du ab?
Re: Kritische Wiedergabe einer berühmten Tacitus-Passage
Γραικύλος schrieb am 15.11.2025 um 14:45 Uhr (Zitieren)
Mache Dir da keine falschen Vorstellungen. Ich bin Rentner und habe viel Zeit zur Disposition. Auf keinen Fall lasse ich den Schlaf zu kurz kommen.

Das einzige, was wirklich extrem ungewöhnlich ist bei mir, ist der Umfang meiner Bibliothek. Ein Leben lang habe ich Bücher gesammelt; und bei denjenigen antiken Texten, die von Bibliotheken und Bibliomanen handeln, ist mein Herz dabei.
 
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