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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Bonobos bauen keine Kathedralen (1098 Aufrufe)
Πέγασος schrieb am 03.01.2011 um 07:15 Uhr (Zitieren)
Das Thema Tiere und Ethik gab es hier schon öfter. Habe gerade eine - wie ich finde - recht scharf geführte Diskussion zu diesem Thema gefunden:

Der Philosoph Klaus Peter Rippe von der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe stellt die gängige Praxis der Tierversuche radikal in Frage: Ihm zufolge gibt es zwischen Mensch und Tier ethisch betrachtet keinen grundlegenden Unterschied.
Der Mediziner Wolf Singer vom Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt am Main hält Laborexpe­rimente mit Tieren dagegen für gerechtfertigt – ja für unverzichtbar.

...

"Und genau hier liegt das Dilemma: Wir forschen an Tieren, weil sie uns ähnlich sind. Aber um mit ihnen zu forschen, müssen wir sie ganz verschieden von uns betrachten. Da sie uns jedoch ähnlich sind, müssten wir sie eigentlich gleichwertig behandeln!"



Vielleicht ist das auch für Euch interessant. Der ganze Artikel ist als PDF-Datei frei abrufbar, der Link ist unter dem Textausschnitt:
http://www.gehirn-und-geist.de/artikel/1052993
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
Γραικίσκος schrieb am 03.01.2011 um 15:23 Uhr (Zitieren)
Ich habe den Artikel durchgelesen und fand ihn äußerst anregend, empfehle ihn daher weiter. Einige Argumente sind mir neu.
Aber sollen wir die Diskussion hier noch einmal aufnehmen?
Daß jemand durch eine Diskussion seinen Standpunkt ändert, ist wohl sehr selten, oder?
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
Γραικίσκος schrieb am 03.01.2011 um 15:31 Uhr (Zitieren)
Die Zeitschrift "Gehirn & Geist" ist mir schon öfters begegnet. Sie ist offenbar sehr lesenswert.
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
Ὑληβάτης schrieb am 03.01.2011 um 16:06 Uhr (Zitieren)
Gerade neulich habe ich mich gefragt, warum man diskutiert, wenn niemand durch eine Diskussion seinen Standpunkt ändert. In der Trilogie "Per Anhalter durch die Galaxis" wird als herausragend nervige Angewohnheit der Menschen (= Erdenbewohner) beschrieben, dass sie sagen, was gerade der Fall ist, oder so. Konkret: Die Protagonisten Arthur Dent und Ford Prefect sind in einem dunklen Raum und Arthur (der Mensch) sagt: "Es ist dunkel."

Ich habe hier schon mal meine Einstellung geändert, als ich beschlossen habe, Fleisch nur noch an Wochenenden zu mir zu nehmen.
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
Πέγασος schrieb am 03.01.2011 um 19:43 Uhr (Zitieren)
Mir ging es auch nicht darum, hier die Diskussion nocheinmal aufzunehmen.
Der Austausch an Argumenten glich eher einem Schlagabtausch, vor allem von Singers Seite ... Ich hatte diesen Artikel morgens gegen 4 angefangen zu lesen und war mit schlagartig hellwach: Was mir gefiehl, war vor allem die Konsequenz mit der Rippe das Thema weiterdenkt.

Mit meinen Kindern habe ich öfter Diskussionen, wie wir als Familie und als Gesellschaft heutzutage mit Tieren umgehen. Inzwischen halten wir es ähnlich wie Ὑληβάτης: bei uns gibt es Fleisch nur an Sonn- und Feiertagen, die Weihnachtsgans musste vom Biobauern sein ... es geht tatsächlich um Einstellungs- und letztendlich um Verhaltensänderung.
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
ανδρέας schrieb am 03.01.2011 um 21:08 Uhr (Zitieren)
Die Frage nach vegetarischer (veganischer) Lebensweise ist für mich nebensächlich (der Konsum von Fleisch ist objektiv im Maße westlicher Zivilisationen sicher blödsinnig und reine Verschwendung – man braucht 7-8 mal so viel pflanzliche Nahrung, um so viel Nährstoffe über Fleisch zu produzieren, wie man es auch gleich in pflanzlicher Form hätte zu sich nehmen können).

Mir stellt sich die grundsätzliche Frage:
Ist es nicht gefährlich, die Grenze zwischen Tier und Mensch einzuebnen? Nehmen wir uns dann nicht die ethische Selbstbetrachtung als Grundlage besonderer Wertschätzung im Sinne der „Menschenwürde“? Wurden nicht zu allen Zeiten die „anderen“, gegen die gerade Krieg geführt wurde, ethisch herabgewürdigt? Stufen wir die Tiere herauf, ist dies m.E. mit der eigenen Herabstufung gleichzusetzen.
Dann werden manche denken, sie brauchten keine Moral, weil sie die anderen Lebewesen ja auch nicht haben (ich halte den einzelnen Menschen für intelligent, als Masse ist er dumm). Es ist ja schon schwer genug, alle davon zu überzeugen, dass ethnische Unterschiede keine Diskriminierung und Unterdrückung rechtfertigen.

Haben wir keine Sonderstellung gegenüber den Tieren durch die Ethik, die nur die Menschen besitzen, brauchen wir uns auch gar nicht zu rechtfertigen, weder gegenüber uns selbst, noch gegenüber der unterlegenen Kreatur.

Haben wir diese Sonderstellung jedoch, dann ist es uns im Rahmen dieser Ethik auch erlaubt abzuwägen, welches Recht höher zu bewerten ist. Das ist m.E. der Fall und macht es eben auch schwierig, weil wir immer wieder neu und im Zusammenhang urteilen müssen, wenn es um den Umgang mit Tieren geht.
Das ist sicher in der Gesamtbewertung besser, vor allem für die Tiere, denke ich.
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
Γραικίσκος schrieb am 03.01.2011 um 21:18 Uhr (Zitieren)
Ich verstehe überhaupt nicht, lieber ανδρέας, ich verstehe ganz elementar nicht, mit welcher Selbstverständlichkeit Du den Richter in eigener Sache zu spielen bereit bist. Das verstößt dermaßen gegen mein Rechtsgefühl ...
Gott oder meinetwegen Aliens mögen entscheiden, welches Leben auf der Erde das höchstwertige ist ...
Wenn wir Stephen Jay Goulds Argumente übernehmen, dann ist es nicht einmal gute Biologie, die Evolution und den Menschen als ihr Produkt im Sinne einer Höherentwicklung zu deuten.
Wir haben mehr Macht, wir haben die Deutungshoheit, das ist alles.
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
ανδρέας schrieb am 03.01.2011 um 22:13 Uhr (Zitieren)
Ich habe mit schon gedacht, das diese Sicht provoziert. Und es stimmt: der Mensch ist Richter in eigener Sache. Das liegt aber daran, dass es sonst niemanden gibt, der diese Aufgabe wahrnehmen kann. Da können wir ja versuchen, Gott oder die Aliens als neutrale Richter anzurufen – es wird (wohl) keiner antworten. Daher sollten wir uns diese Aufgabe auch bewusst machen und nicht glauben, dass die Problematik sich ändert, wenn wir die eigene Position umdeuten. Dabei spielt es keine Rolle, ob man diese Position als „Krone der Schöpfung“ überhöht. Der Mensch ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt den Tieren überlegen. Rein praktisch übernimmt der Mensch doch die Verantwortung auch für Tiere nur dann, wenn er es vor sich selbst als ethisch rechtfertigt. Dabei sind dann diverse Argumente, ob aus religiöser oder anderer Sicht möglich. Aber letztlich gibt es nur einen, der das Urteil trifft und das ist der Mensch. Mehr habe ich dazu gar nicht sagen wollen. Der Mensch ist der einzige, der wissen kann, welche Verantwortung er – auch für Tiere -trägt. DAS sollte man nicht einebnen.
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
Πέγασος schrieb am 04.01.2011 um 07:27 Uhr (Zitieren)
Jetzt haben wir doch eine Diskussion!

@ ανδρέας
Musste der Mensch nicht erst Verantwortung für die Tiere übernehmen, weil er sich zu sehr in deren Belange einmischt: Ihren Lebensraum wegnimmt, sie als "Nutzsache" betrachtet aus der sich Gewinn erwirtschaften lässt...?

Die Tiere kämen ohne Menschen wohl besser zurecht.
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
ανδρέας schrieb am 04.01.2011 um 18:28 Uhr (Zitieren)
ja, liebe Πέγασος,

die Tiere kämen ohne Menschen sicher besser zurecht. Mein Standpunkt ist lediglich der, dass nunmal der Mensch auf der Bildfläche erschienen ist und das Problem nicht verschwindet, wenn man die Stellung in der Welt umdeutet. Die Menschen werden es aus Eigeninteresse ohnehin nicht akzeptieren, dem Tier gleichgestellt zu werden.
In kurzen Worten: frage nicht, ob du zuständig bist, nehme die Verantwortung war, weil nur du es kannst und prüfe, was sinnvoll und ethisch vertretbar ist. Die Aufgabe nimmt dem Menschen ohnehin keiner ab. Versuche dich in die Position des Tieres zu versetzen und den Kompromiss zu finden, der der Notwendigkeit gehorcht, also möglichst wenig Schaden und Leid verursacht und die Interessen der Menschen genügend berücksichtigt. Da wird es manche Tiere sicher wenig gerecht zugehen. Andere - niedliche Tiere - sind da im Vorteil. Für Plankton setzt sich kaum einer ein, das kennt keiner so richtig. Das Robbenbaby dagegen möchten alle knuddeln. Das Verständnis für Ökosysteme ist wichtiger als die selektive Sympathie für einzelne Tierarten. Ich möchte ausdrücklich sagen, dass ich Tiere nicht verachte. Ich habe nur einen praktischen Standpunkt und sehe, wie die Menschheit sich im Einsatz gegen "Pelze" u.a. oder in der Frage, ob wir über den Tieren stehen, Zeit vergeudet. Und ich will niemanden angreifen.
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
Γραικίσκος schrieb am 04.01.2011 um 18:39 Uhr (Zitieren)
Es gibt vier Typen von Umweltethik:
- die anthropozentrische (gut ist, was dem Menschen nützt, schlecht, was ihm schadet)
- die pathozentrische (gut ist, was Leiden vermindert, schlecht, was Leiden vermehrt - bezogen auf alle leidensfähigen Wesen)
- die biozentrische (gut ist, was Leben schützt, ganz allgemein)
- die holistische (gut ist, was die gesamte - belebte wie unbelebte - Natur schützt)

Kannst Du Dich da einordnen?
Ich für meine Person neige zur pathozentrischen Position.

P.S.: Ich glaube, die Absicht, niemanden hier anzugreifen, können wir allen Teilnehmern dieses Forums unterstellen. Das macht das Gespräch hier so angenehm.
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
Γραικίσκος schrieb am 04.01.2011 um 18:50 Uhr (Zitieren)
Es gibt in Indien eine Religionsgemeinschaft, die Bishnoi, die nicht nur die Tötung von Tieren, sondern auch von Bäumen ablehnen. Pflanzen essen sie nur, wenn sie ihre natürliche Lebensgrenze erreicht haben.
Sie haben sogar Märtyrer in der Verteidigung von Bäumen hervorgebracht, und gegen Jäger in ihrem Territorium gehen sie ziemlich aggressiv vor.
Tiere leben bei ihnen unter den Menschen [von Raubtieren weiß ich nichts], und das Wasser filtern sie, um Kleinstlebewesen zu schützen.
Ökonomisch sind sie sehr erfolgreich, und ich habe einmal gehört, daß man von Satelliten aus ihr Siedlungsgebiet gut erkennen kann, weil es eine grüne Oase inmitten der Wüste ist.

Sehr spannend; aber es wirft auch einige Fragen auf, nicht wahr?
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
ανδρέας schrieb am 04.01.2011 um 18:54 Uhr (Zitieren)
Gute Kategorisierung, lieber Γραικίσκος .

Ich ordne mich da wohl der holistischen Sichtweise zu. Ich wollte auch nur klarstellen, dass ich die Sichtweise anderer durchaus verstehe. M.M. nach ist es zwingend an uns, im Sinne Humboldts komplexe Zusammenhänge zu verstehen und danach praktisch zu handeln - das kann nur der Mensch.
Deshalb sind wir verantwortlich, unabhängig davon, ob wir einzelne Tiere/Tierarten mögen oder nicht oder uns überhaupt fragen, ob wir über ihnen stehen.
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
Πέγασος schrieb am 04.01.2011 um 20:16 Uhr (Zitieren)
Mich beschäftigt die Frage, inwieweit der Mensch eine Sonderstellung einnehmen soll, inwieweit es eine "Höherentwicklung" des Menschen geben soll ... vielleicht insofern, dass es ein paar Menschen wie uns einfällt, sich über so etwas Gedanken machen zu können?

Stufen wir die Tiere herauf, ist dies m.E. mit der eigenen Herabstufung gleichzusetzen.


Ich sehe keine Stufen, jedenfalls keine ethischen.
Ich sehe nur Unterschiede in körperlichen und geistigen Fähigkeiten, und auch das meist nur graduell.

Als ich meine Tochter darauf ansprach, rümpfte sie die Nase und brachte mir ein Gedicht von Erich Kästner:

Die Entwicklung der Menschheit

Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt,
behaart und mit böser Visage.
Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt
und die Welt asphaltiert und aufgestockt,
bis zur dreißigsten Etage.

Da saßen sie nun, den Flöhen entflohn,
in zentralgeheizten Räumen.
Da sitzen sie nun am Telefon.
Und es herrscht noch genau derselbe Ton
wie seinerzeit auf den Bäumen.

Sie hören weit. Sie sehen fern.
Sie sind mit dem Weltall in Fühlung.
Sie putzen die Zähne. Sie atmen modern.
Die Erde ist ein gebildeter Stern
mit sehr viel Wasserspülung.

Sie schießen die Briefschaften durch ein Rohr.
Sie jagen und züchten Mikroben.
Sie versehn die Natur mit allem Komfort.
Sie fliegen steil in den Himmel empor
und bleiben zwei Wochen oben.

Was ihre Verdauung übrigläßt,
das verarbeiten sie zu Watte.
Sie spalten Atome. Sie heilen Inzest.
Und sie stellen durch Stiluntersuchungen fest,
daß Cäsar Plattfüße hatte.

So haben sie mit dem Kopf und dem Mund
Den Fortschritt der Menschheit geschaffen.
Doch davon mal abgesehen und
bei Lichte betrachtet sind sie im Grund
noch immer die alten Affen.
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
ανδρέας schrieb am 04.01.2011 um 21:07 Uhr (Zitieren)
Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt


Und wer hat sie gelockt? –wer ist „man“?
Das waren Umstände und Möglichkeiten, auf die der Mensch, wie kein anderes Lebewesen reagieren konnte.
Das Gedicht ist wirklich hübsch!

Ethik ist doch reine Wertung! Was ist richtig und falsch? Was soll ich tun? ( Kants berühmte 4 Fragen). Ethik fragt nach verantwortbarer Praxis.
Es geht also immer um sittliche Entscheidung.
Das können nur wir Menschen. Wenn nötig, wird man immer erst den Menschen retten und das Tier opfern. Jeder Richter wird nicht akzeptieren, wenn man das Leben eines Menschen unter das eines Tieres gestellt und den Menschen riskiert hat. Für mich gibt es eine ethische Abstufung.
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
Γραικίσκος schrieb am 04.01.2011 um 22:48 Uhr (Zitieren)
Über das (allzu)menschliche Gefühl, etwas Höheres zu sein als die Tiere, spottet so mancher Dichter. Das Gedicht von E. Kästner ist schön und kannte ich noch nicht. Hier ist ein anderes:
Sie stritten sich beim Wein herum,
Was das nun wieder wäre;
Das mit dem Darwin wär gar zu dumm
Und wider die menschliche Ehre.

Sie tranken manchen Humpen aus,
Sie stolperten aus den Türen,
Sie grunzten vernehmlich und kamen zu Haus
Gekrochen auf allen vieren.

(Wilhelm Busch)
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
Γραικίσκος schrieb am 04.01.2011 um 22:48 Uhr (Zitieren)
Sie stritten sich beim Wein herum,
Was das nun wieder wäre;
Das mit dem Darwin wär gar zu dumm
Und wider die menschliche Ehre.

Sie tranken manchen Humpen aus,
Sie stolperten aus den Türen,
Sie grunzten vernehmlich und kamen zu Haus
Gekrochen auf allen vieren.
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
Γραικίσκος schrieb am 04.01.2011 um 22:51 Uhr (Zitieren)
Das mit der sittlichen Entscheidung, zu der "wir" Menschen fähig sind, ist vielleicht auch nicht immer so toll. Gestern habe ich fünf Jugendliche in der S-Bahn getroffen ... ("Eh, was willst du, du Opfer?")
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
Γραικίσκος schrieb am 04.01.2011 um 22:57 Uhr (Zitieren)
Überhaupt muß man die ethische Einstellung nicht als Auszeichnung des Menschen ansehen:
es gibt keine schuld, keine sünde, nicht gut, nicht böse, keinen gott, keine möglichkeit, nur den schein für den schein leben zu können. wozu der mensch als ethische fehlkonstruktion mit ethischer einstellung behaftet sein kann? ein scherz. es ist gräßlich, daß die hoffnung wie ein böses geschwür bis zur letzten sekunde wuchert. die dinge bleiben wie sie sind. idealismus ist unangebracht.

(Konrad Bayer)
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
Πέγασος schrieb am 05.01.2011 um 07:20 Uhr (Zitieren)
Über Buschs Gedicht musste ich herzlich lachen, da werden Erinnerungsbilder lebendig...
Und Konrad Bayer hat bei grellem Lichte betrachtet nicht unrecht, aber wenn man sich dessen Ansicht zu eigen machte, erschiene das Leben schnell hoffnungslos.

@ Γραικίσκος
Ich hoffe, die S-Bahn-Gorillas sind nicht noch handgreiflich geworden. Verbalattacken sind schon schlimm genug; es gab in den letzten Monaten immer wieder Übergriffe... (Mit der Bezeichnung "S-Bahn-Gorilla" möchte ich keinen echten Gorilla beleidigen!)

Der Firnis der Zivilisation erscheint auch mir oft genug reichlich dünn zu sein:

Man entziehe den Menschen die Grundlagen ihres organisierten, zivilisierten Lebens - Nahrung, Obdach, Trinkwasser, minimale persönliche Sicherheit - und innerhalb von Stunden fallen wir in den Hobbes’schen Naturzustand zurück, den Krieg aller gegen alle.
Timothy Garton Ash: Jahrhundertwende. Weltpolitische Betrachtungen 2000 - 2010-11-19


Oder wie schon Brecht treffend bemerkte: Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral...
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
Γραικίσκος schrieb am 05.01.2011 um 10:52 Uhr (Zitieren)
Oh, diese S-Bahn-Gorillas haben nicht mit mir so gesprochen - so sprachen sie untereinander. Was ethisch interessant war, war ihre Beziehung untereinander. Andere Menschen kamen für sie, ethisch gesehen, gar nicht vor, vermute ich. Hätte ich sie 'provoziert', hätten sie mich zusammengeschlagen, gar keine Frage. Für 'uns' taucht ja das ethische Problem erst auf, wenn sie einen anderen zusammenschlagen - mit dem bekannten Ergebnis, daß die meisten sich lieber nicht 'einmischen'.
Junge Elstern bilden Banden, bevor sie sich monogam an einen Partner bzw. eine Partnerin binden. Diese Elsternbanden sind interessant zu beobachten. Daran haben mich diese S-Bahn-Gorillas erinnert. Ständig spielen sie miteinander, provozieren einander, rivalisieren miteinander, halten nach außen zusammen, erproben ihre Kräfte und stellen irgendeinen Blödsinn an.
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
Γραικίσκος schrieb am 05.01.2011 um 10:53 Uhr (Zitieren)
Der Firnis der Zivilisation ist dünn, ja.
Und Konrad Bayer hat sich umgebracht.
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
Ὑληβάτης schrieb am 05.01.2011 um 11:09 Uhr (Zitieren)
Jugendliche, Elstern und Gorillas!
Ich habe mal eine Gruppe Jugendlicher aus der Ferne beobachtet. Das war erst am Bahnhof und dann in der S-Bahn. Die haben untereinander nicht rivalisiert, haben sich aber wie ein ganz normales Rudel Hunde verhalten. Der eine war wohl das Alphatier. Er hat den Ton angegeben bei der Richtung, in der die gelangweilten Schritte gingen, in die alle mit halboffenen Mündern zu gucken hatten, er hat auch ein kleineres Mitglied des Rudels so lange gegen den Arm geschlagen, bis es den engeren Kreis kurzfristig verlassen musste. Wohl um seinen Alphatierstatus zu bekräftigen und anerkennen zu lassen. Mein Gedanke dabei war auch nur: "Andere Rudeltiere verhalten sich nicht anders."
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
Γραικίσκος schrieb am 05.01.2011 um 13:38 Uhr (Zitieren)
Die haben untereinander nicht rivalisiert

er hat auch ein kleineres Mitglied des Rudels so lange gegen den Arm geschlagen, bis es den engeren Kreis kurzfristig verlassen musste. Wohl um seinen Alphatierstatus zu bekräftigen und anerkennen zu lassen.

?

Etwas in dieser Art konnte auch ich beobachten. Und ob es nun Gorillas, Elstern oder Hunde sind - Menschen haben mehr mit (den anderen) Tieren gemeinsam, als sie es gerne hätten.
Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn ich sie Gorillas oder Hunde genannt hätte!
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
ανδρέας schrieb am 05.01.2011 um 19:46 Uhr (Zitieren)
Man sollte den Menschen m.E. nicht danach bewerten, was er gelernt hat (S-Bahn-"Gorillas"), sondern danach, was er hätte lernen können (Potenzial). Wir Menschen können unser Verhalten reflektieren und uns ggf. sogar ändern. Andernfalls wäre z.B. das Ziel des Strafvollzugs, nämlich Resozialisation, völlig überflüssig.

Strenggläubige Hindus lehnen jegliches Töten von Tieren ab und vertreten dennoch ein Kastensystem, dass mit unserer modernen Auffassung nicht vereinbar ist.

Menschen, die sich Rechte zubilligen, müssen auch auch Pflichten wahrnehmen (obwohl viele dies oft nicht tun). Tiere können bewusst keine Pflichten wahrnehmen.
Daher steht der Mensch m.E. über dem Tier.

Und ich habe wirklich nichts gegen Tiere - weder Wut, noch Angst, und ich mochte meinen Hund sehr gern !!!
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
Σάπφω schrieb am 05.01.2011 um 21:18 Uhr (Zitieren)
Auszug aus dem „Per Anhalter durch die Galaxis“:
„Es ist eine bedeutende und allgemein verbreitete Tatsache, dass die Dinge nicht immer das sind, was sie zu seien scheinen. Zum Beispiel waren die Menschen auf den Planeten Erde immer der Meinung, sie seinen intelligenter als die Delphine, weil sie so vieles zustande gebracht hatten - das Rad, New York, Kriege und so weiter, während die Delphine doch nichts weiter taten, als im Wasser herumzutoben und sich's wohlsein zu lassen. Aber umgekehrt waren die Delphine der Meinung, sie seine intelligenter als die Menschen, und zwar aus genau den gleichen Gründen.“
Sorry, wenn das grade nicht ganz passt, aber ich finde, es musste mal zitiert werden, da es irgendwie dazugehört^^
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
ανδρέας schrieb am 05.01.2011 um 22:00 Uhr (Zitieren)

Πιθήκων ὁ κάλλιστος αἰσχρὸς ἀνθρώπων γένει συμβάλλειν. …
Χαλεπὰ τὰ καλά.
(Plato zu Glaukon)





Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
Γραικίσκος schrieb am 05.01.2011 um 22:07 Uhr (Zitieren)
Das ist doch Heraklit, Fragment B 82, oder?
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
ανδρέας schrieb am 05.01.2011 um 22:17 Uhr (Zitieren)

Politeia 4, 435
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
ανδρέας schrieb am 05.01.2011 um 22:31 Uhr (Zitieren)

andere Quelle:
Part of collection: 82
Author: Platon
Book: Hipp._Mai.
Page: 289
Line: A
Page of edition: 61
B 82: Platon, Hipp. Mai. 289 A
(Mansfeld 61)
πιθήκων ὁ κάλλιστος αἰσχρὸς ἀνθρώπων γένει συμβάλλειν.
Der schönste Affe ist häßlich, wird er mit dem Menschen verglichen.

http://users.uoa.gr/~nektar/history/1antiquity/fragmenta_praesocratica.htm
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
Γραικίσκος schrieb am 05.01.2011 um 22:56 Uhr (Zitieren)
Tja, es steht wortwörtlich in meiner Heraklit-Ausgabe. Daß es von Platon überliefert ist, steht dem nicht unbedingt entgegen. Aber aus irgendeinem Grunde müßte die Forschung dann zu der Ansicht gekommen sein, daß Platon hier Heraklit zitiert.
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
Πέγασος schrieb am 06.01.2011 um 07:51 Uhr (Zitieren)
Man sollte den Menschen m.E. nicht danach bewerten, was er gelernt hat (S-Bahn-"Gorillas"), sondern danach, was er hätte lernen können (Potenzial).


Das kann ich nicht nachvollziehen, lieber ανδρέας. Denn dieses Potential ist rein hypothetisch, ich sehe am anderen Menschen nur Verhalten (Gelerntes, manches auch angeboren). Und angenommen, es bestünde die Möglichkeit, die Potentiale jedes Kindes zu "messen" (und dazu gibt es für den kognitiven Bereich in der Säuglingsforschung bereits Ansätze!) bleibt doch entscheidend, was die Umwelt (Eltern, Erzieher...) daraus macht, bzw. welchen Weg derjenige später selber für sich wählt (ich unterstelle hier mal, dass es einen freien Willen gibt).

Worauf will ich hinaus: Wir wissen nicht, was aus einem Neugeborenen Menschen in 30 Jahren geworden sein wird; und wir wissen auch nicht, was z.B. aus mir oder Dir hätte werden können, wenn wir unter anderen Umständen aufgewachsen wären. Und darüber zu spekulieren ist müßig...


Wie also soll ich einen Menschen nach dessen Potential bewerten?




Im Übrigen glaubt bestimmt keiner von uns, dass Du irgendetwas gegen Tiere hast.
Du hast eben eine ganz andere Sicht auf die Dinge (soll ich sagen: eine andere Weltsicht?) Das ist auch völlig in Ordnung; wenn alle hier ins gleiche Horn bließen, wäre es doch langweilig!


Wenn ich Deine Argumente richtig verstanden habe, siehest Du den Menschen durch seinen Intellekt und den sich daraus ergebenden Fähigkeiten als den Tieren in ethischer Hinsicht überlegen an und bewertest Menschenleben höher als das von Tieren. Gleichzeitig sagst Du, muss der Mensch deshalb für die Tiere Verantwortung übernehmen soll... (korrigier mich, wenn ich was falsch verstanden habe)

Ich meine, dass die (meisten) Menschen dazu nicht fähig sind, vor allem, so lange ein Tier als Sache betrachtet wird und nicht als ein lebendiges Gegenüber. Ich sehe hier Parallelen zwischen einem Hund in einer Familie und einem Sklaven, der in einem reichen römischen Haushalt als Hauslehrer angestellt ist; beide werden geschätzt, obwohl sie rechtlich "Sachen" sind. Ganz anders ist es mit den armen Hühnern und Kühen in der Massentierhaltung, die gleichen eher Sklaven in den Silberbergwerken...

Ein Mensch, der sich den Tieren (und Sklaven) überlegen sieht - diese sind rechtlich nur Sachen - kann diese Zustände für sich rechtfertigen. Wenn ich die Tiere als ethisch gleichwertig betrachte, erscheint es mir unerträglich, Tiere nicht halbwegs ihren natürlichen Lebensbedürfnissen entsprechend unterzubringen; sie kommen mir dann vor, wie die Sklaven in den Silberbergwerken.

Vielleicht hätte vor 2000 Jahren unsere Diskussion ähnlich geführt werden können in Hinblick auf die Sklaven.
Es ist eine Frage der Perspektive, von daher finde ich den Hinweis von Σάπφω ganz passend hier.
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
Βοηθὸς Ἑλληνικός schrieb am 06.01.2011 um 11:51 Uhr (Zitieren)
Γραικίσκος schrieb am 05.01.2011 um 22:56 Uhr:
Tja, es steht wortwörtlich in meiner Heraklit-Ausgabe. Daß es von Platon überliefert ist, steht dem nicht unbedingt entgegen. Aber aus irgendeinem Grunde müßte die Forschung dann zu der Ansicht gekommen sein, daß Platon hier Heraklit zitiert.


Hallo Γραικίσκος,

πιθήκων ὁ κάλλιστος αἰσχρὸς ἀνθρώπων γένει συμβάλλειν

Ja das ist Heraklit Fragmentum B 82.

In der von Andreas gegebenen Platon-Quelle Hippias maior 289a läßt Platon Sokrates Heraklit tatsächlich zitieren:
[289α]Σωκράτης
εἶεν: μανθάνω, ὦ Ἱππία, ὡς ἄρα χρὴ ἀντιλέγειν πρὸς τὸν ταῦτα ἐρωτῶντα τάδε: ὦ ἄνθρωπε, ἀγνοεῖς ὅτι τὸ τοῦ Ἡρακλείτου εὖ ἔχει, ὡς ἄρα “πιθήκων ὁ κάλλιστος αἰσχρὸς ἀνθρώπων γένει συμβάλλειν,” καὶ χυτρῶν ἡ καλλίστη αἰσχρὰ παρθένων γένει συμβάλλειν, ὥς φησιν Ἱππίας ὁ σοφός. οὐχ οὕτως, ὦ Ἱππία


Gruß.


Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
Πέγασος schrieb am 06.01.2011 um 16:55 Uhr (Zitieren)
Dieser Thread ließt sich wirklich seltsam: Da reist ein Bonobo, der leider keine Kathedralen bauen kann, aber auf der Suche nach seiner Stellung zum menschlichen Geschlecht ist, per Anhalter durch die Galaxis, um schließlich bei Platon und Heraklit anzukommen. So was! ;-)
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
Γραικίσκος schrieb am 06.01.2011 um 17:01 Uhr (Zitieren)
Oh, solche mäandrierenden Gedankengänge kommen hier doch häufiger vor. So ist das Gespräch, wenn man sich etwas lockerer unterhält, oder?
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
Γραικίσκος schrieb am 06.01.2011 um 17:02 Uhr (Zitieren)
Ich meine sogar, man kann den roten Faden (unsere Einstellung zu Tieren) noch recht gut verfolgen.
Aber fast immer landen wir irgendwann ... bei der Antike.
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
ανδρέας schrieb am 06.01.2011 um 20:23 Uhr (Zitieren)
@Γραικίσκος ,

diese Diskussion hat mir eine Erkenntnis über mich selbst gebracht:
ich bin wohl ein hoffnungsloser Anthropozentrist (Protagoras, Mensch als Maß der Dinge usw.):
Der Mensch ist auf die Natur angewiesen. Die Natur zu schützen ist erforderlich, um die menschlichen Lebensgrundlagen zu sichern.
Aber auch von materiellen Belangen abgesehen braucht der Mensch die Natur, um gut und glücklich leben zu können (der holistische Ansatz ist damit eingeschlossen).
Dagegen Physiozentrismus:
Im Gegensatz dazu meinen dazu die meisten hier, dass nicht der Mensch das primäre Ziel ethischer Reflexion sein soll, sondern alle Lebewesen der Natur (der der Mensch auch angehört). Danach gibt es objektive Werte, die in der Natur festgeschrieben sind und auch ohne den Menschen Handlungsnormen existieren, die die Menschen zu befolgen haben.

Die Dinge sind für mich so, wie sie mir erscheinen und für Dich so, wie sie Dir erscheinen …

Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
Πέγασος schrieb am 07.01.2011 um 06:06 Uhr (Zitieren)
@Γραικίσκος
Meine überhaupt nicht ernst gemeinte Zusammenfassung sollte keinerlei Kritik sein, ganz im Gegenteil: Ich freue mich sehr, wenn wir in der Antike ankommen!
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
Γραικίσκος schrieb am 07.01.2011 um 11:59 Uhr (Zitieren)
Andreas als Skeptiker - man erlebt Überraschungen.
Von diesem Satz
Die Dinge sind für mich so, wie sie mir erscheinen und für Dich so, wie sie Dir erscheinen …

habe ich den Verdacht, daß er paradox ist, d.h. daß die Aussage "alle Aussagen sind subjektiv gültig" objektiv gültig sein soll. Oder ist diese Deine Aussage auch selbstbezüglich gültig.

An Pegasus:
Deine Äußerung habe ich nicht als Kritik aufgefaßt (und wenn doch, wäre es auch nicht schlimm gewesen).
Re: Bonobos bauen keine Kathedralen
ανδρέας schrieb am 07.01.2011 um 18:22 Uhr (Zitieren)
daß die Aussage "alle Aussagen sind subjektiv gültig" objektiv gültig sein soll


Ich brauche jedenfalls keine absoluten Wahrheiten und eiche "Werte" an ihrem Sinn und ihrem Zweck für den Menschen (teleologisch). Da stellt sich die Frage nach dem "Eichinstrument". Das haben weder Philosophen, noch Theologen bislang allgemeingültig gefunden. Allenfalls glauben die Ideologen, dieses geschafft zu haben. Und da bin ich immer skeptisch. Werte wandeln sich. Ankerpunkt sind allerdings die "Menschenrechte". Und auch hier kann man kaum sicher sein, sie vollzählig erkannt zu haben (die Unabhängigkeitserklärung klammerte die Farbigen ja noch aus).
Kurzum: was objektiv ist, entscheidet immer noch der Mensch und der ist fehlbar. Daher bin ich gerade NICHT der Meinung, dass alle subjektiven Aussagen auch objektiv gültig sein sollen. Manches bleibt eben strittig. Ich verdamme also Leute, die meinem Anspruch an Werte nicht "genügen" nicht. Lieber in einem Zustand leben, der nicht dem Ideal entspricht, als die Freiheit über Gebühr einschränken. Dabei muss man natürlich sich selbst behaupten und Grenzen setzen, aber solange keiner den Stein der Weisen entdeckt hat möge jeder "nach seiner Facon glücklich werden".
 
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