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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Sind wir tot? (959 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 07.01.2011 um 14:07 Uhr (Zitieren)
Ein Thema, auf das ich durch eine Anfrage im Lateinforum gekommen bin (und ich bin schon gespannt, wie wir den Bogen zur Antike schlagen werden!):

Wenn man von einem Zustand X nicht weiß, wie es ist, sich in ihm zu befinden, dann kann man logischerweise nicht ausschließen, daß man sich jetzt bereits im Zustand X befindet.
Wenn man nun für X Totsein einsetzt, dann bedeutet dies, daß wir nicht wissen, ob wir nicht tot sind.

Dieser Einfall liegt dem Roman "UBIK" des bekannten SF-Autoren Philip K. Dick zugrunde. In diesem Roman stellt der Protagonist nach und nach fest, daß er genau dies seit einiger Zeit ist: tot.

Wie's scheint, ist das Unterscheiden von dem, was wir für für die lebendige, wahre Realität halten, beim Tod genauso schwierig wie bei seinem Bruder, dem Schlaf.
(Ha! da haben wir ihn schon fast, den Bezug zur Antike.)
Re: Sind wir tot?
Πέγασος schrieb am 07.01.2011 um 18:02 Uhr (Zitieren)
Der Idee ist nicht abwegig. Wir sind nichts als Gedanken im "Hirn" von Dürrenmatt.

Die Kurve zur Antike schaffe ich nicht... ;-)
Re: Sind wir tot?
ανδρέας schrieb am 07.01.2011 um 18:31 Uhr (Zitieren)

Neulich hatte ich genau den Fall in der Firma:
Ein behandelnder Psychiater holte in Begleitung zweier Sanitäter und 4 Polizisten einen "Praktikanten" (Sozialstunden: Arbeit statt Strafe) ab. Seinen Zustand X (nicht "tot", aber schizophren; Gefahr für sich und andere) wollte er allerdings bei der "Ingewahrsamnahme" partout nicht einsehen. Sein Gehirn wollte die Aussagen der anderen nicht als Eichinstrument für seinen eigenen Zustand anerkennen. Mittlerweile sieht er das anders - zu seinem Glück. Wenn der Ankerpunkt fehlt hat man keinen Bezug und m.E. ist dann quasi alles möglich.
Re: Sind wir tot?
Ὑληβάτης schrieb am 07.01.2011 um 18:40 Uhr (Zitieren)
Aber sag niemandem, dass Du evtl. tot bist - denn dafür haben die Phychologen einen Namen, der mir allerdings gerade entfallen ist.
Aber nein, der Gedanke ist ganz interessant. Ist er aber falsifizierbar?
Wenn ich meinen Zustand (denkt, bewegt sich, erinnert sich) als "lebendig" definiere und alle anderen das auch tun und auch an mir diesen Zustand beobachten ... oh nein, Du willst auf das Qualia-Problem hinaus, oder?

Dagegen kommt man nicht an! Da muss man sich an die Sophisten halten! Wir können nicht darüber reden und sollten essen oder Musik machen. Hühnchenbeine mit Jazz? ;-)
Re: Sind wir tot?
ανδρέας schrieb am 07.01.2011 um 19:08 Uhr (Zitieren)

Sind wir bei Descartes: absolute Gewissheit?
Ich denke, also bin ich ...
Archimedes: gib mir einen Punkt der absolut feststeht und ich kann die Welt aushebeln ... (so ungefähr) ...

Ἐγγὺς μὲν ἡ σὴ περὶ πάντων λήθη, ἐγγὺς δὲ ἡ πάντων περὶ σοῦ λήθη. (Marc Aurel , VII,21)

Nichts bleibt … da dürfte man sicher sein können

Re: Sind wir tot?
Πέγασος schrieb am 08.01.2011 um 07:10 Uhr (Zitieren)
Mein Eintrag oben bezog sich auf:
Friedrich Dürrenmatt: DAS HIRN, aus: Turmbau, Zürich 1990.

Ich glaube, dieses Stück aus seinem Spätwerk ist eher unbekannt. Um so erstaunter war ich, dieses sogar im Internt zu finden:
http://www.euse.de/lost/hirn/
Re: Sind wir tot?
ανδρέας schrieb am 08.01.2011 um 23:15 Uhr (Zitieren)
...hat es (Anm. das Hirn: Vergleich mit dem Urknall und der danach erfolgenden Entwicklung als Gedankengebäude), zwar ein immenses Gedankengebäude errichtet, aber findet in ihm kein echtes Gegenüber, es ist nicht abgetrennt von seinem Denken, sondern seinem Denken immanent, nur der Spiegel seines Denkens, und so versucht es denn ein von ihm losgelöstes Gegenüber zu denken.


Das ist m.E. Solipsismus. Der ist nicht wirklich beweisbar oder widerlegbar. Man kann sich vorstellen, alles sei nur Vorstellung der eigenen Gedanken, aber eben nur eingebildet, nicht real.

Dann wäre man wirklich "tot", nämlich ganz allein.
Re: Sind wir tot?
Εὐφροσύνη schrieb am 08.01.2011 um 23:33 Uhr (Zitieren)
Das ist wohl auch im Film ein beliebtes Thema. Mir fallen da die Matrix-Triologie und "Öffne die Augen" ein. In beiden glauben die Protagonisten in einer Welt zu leben, von der sie gegen Ende feststellen, dass diese nur Einbildung ist.
Re: Sind wir tot?
Εὐφροσύνη schrieb am 08.01.2011 um 23:39 Uhr (Zitieren)
Ein Gespräch mit einem Freund neulich lief auch auf das Thema "Ist die Welt nur eine Einbildung von mir?" hinaus. Er war der Meinung. Ich aber protestierte, da das ja meine Existenz widerlegen würde, und derer bin ich mir sicher. Bleibt zwar die Möglichkeit, dass er meiner Einbildung entspring, aber da wären wir ja wieder am Anfang, und somit bei einem Paradoxon.
Nein, Γραικίσκος, du bist ebenso lebendig wie ich und die anderen, da sonst nur einer von uns allen existieren könnte.
Re: Sind wir tot?
ανδρέας schrieb am 09.01.2011 um 12:38 Uhr (Zitieren)

Es bliebe auch die spekulative Möglichkeit, dass der Freund allein existiert und du nur sein vorgestellter Widerpart bist, um sich nicht allein zu fühlen und der eigenen Existenz zu versichern - oder umgekehrt. Dann wäre der Freund eingebildet und wohl nur ein Spiegelbild deiner eigenen Verunsicherung. Dann wäre alles ein Konstrukt der Selbstbeschäftigung. Es läuft immer darauf hinaus, ob die eigene Vorstellung einen objektiven Fixpunkt hat, an dem sie die Existenz abgleichen kann. Aber auch dieser Fixpunkt könnte nur der eigenen Imaginationskraft entsprungen sein ... .
Wie will man das beweisen oder widerlegen?
Re: Sind wir tot?
Γραικίσκος schrieb am 09.01.2011 um 13:12 Uhr (Zitieren)
Darf ich auf meine ursprüngliche Frage zurückkommen, weil ich nicht sehe, daß sie irgendwo beantwortet worden wäre?
Wie können wir wissen, ob wir nicht tot sind, wenn wir nicht wissen, wie es ist, tot zu sein?

Diese Frage hat m.E. wenig bis gar nichts mit dem Solipsismusproblem zu tun. In dem Roman, auf den ich mich beziehe, gibt es sehr wohl die ganz normale Anzahl von Menschen - manche leben, manche sind tot. Es ist nur so, daß der Protagonist des Romans sich anfangs in einem fundamentalen Irrtum darüber befindet, zu welcher dieser beiden Gruppen er gehört.
Das Verstörende an dem Roman besteht darin, daß dem Protagonisten schrittweise Zweifel kommen anhand von Erlebnissen, die viele von uns haben, deren Bedeutung sie aber beiseiteschieben.
Übrigens muß der Tod keineswegs ein statischer Zustand sein. In dem Roman ist er ein dynamischer Prozeß. Die allerersten, verstörenden Erlebnisse, die viele von uns kennen, sind erst der Anfang. Es kommt noch schlimmer. Viel schlimmer.
Re: Sind wir tot?
ανδρέας schrieb am 09.01.2011 um 13:29 Uhr (Zitieren)
Ich setze voraus, dass es keine verstorbenen Seelen gibt, die als Geister fortexistieren (kenne den Roman nicht. Läuft es darauf hinaus?)

Wenn man tot ist, weiß man nichts mehr und empfindet nichts. Solange man sich also fragt, ob man tot ist, ist man es nicht. Was würde Schrödingers Katze dazu sagen?
Re: Sind wir tot?
Γραικίσκος schrieb am 09.01.2011 um 13:34 Uhr (Zitieren)
Wenn man tot ist, weiß man nichts mehr und empfindet nichts.

Wenn man das weiß, ist alles klar. Aber woher will man das wissen?
Nein, der tote Protagonist geht seinen normalen Geschäften nach.

Übrigens beruht letztlich auch Sartres "Bei geschlossenen Türen" auf dieser Idee. Die drei Protagonisten (zwei Frauen, ein Mann), die sich in dem Hotelzimmer befinden, merken erst nach und nach, daß sie tot sind, und zwar in der Hölle. Und das sind, nach dem berühmten Zitat aus diesem Drama, bekanntlich die anderen.
Re: Sind wir tot?
ανδρέας schrieb am 09.01.2011 um 13:42 Uhr (Zitieren)

Mathematisch: tot = o ; lebend = 1
daraus folgt: tot oder lebend = o *1
Diese Gleichung ist nicht lösbar, da man nicht mit 0 multiplizieren kann.
Wenn doch, wären wir immer tot.
Sind wir aber nicht, solange die Mathematik gilt.
Re: Sind wir tot?
ανδρέας schrieb am 09.01.2011 um 13:53 Uhr (Zitieren)

... aber das sagt ja nichts über die objektiv richtige Selbstwahrnehmung aus.

Also welchen Fixpunkt kann man haben, um sich als lebend zu erkennen?
Keinen, wenn man annimmt, dass es zwei Gruppen geben kann (Lebende und Tote), die miteinander nicht interagieren können.
M.E. ist die Frage abhängig von allein dieser Voraussetzung. Da diese Voraussetzung keine beweisbare Grundlage hat, ist die Frage irreal.
Re: Sind wir tot?
Γραικίσκος schrieb am 09.01.2011 um 14:05 Uhr (Zitieren)
Du machst m.E. zu viele unbewiesene bzw. unbeweisbare Annahmen.
Setze in Deine mathematische Überlegungen einmal "träumend" für "tot" ein und "wach" für "lebend". Mathematisch ergäbe sich dann dasselbe. Dennoch wüßten wir nicht, in welchem der beiden Zustände wir uns befinden.
Unterscheiden kann man beides allenfalls im Moment des Aufwachens ... der aber nichts darüber besagt, ob der Traum, aus dem wir aufwachen, nicht nur "a dream within a dream" (Poe) war.

Philosophen, die sich mit solchen Fragen befassen, behaupten in der Tat oft, daß die Frage sinnlos sei, wenn es keine Kriterien zur Unterscheidung beider Zustände gebe.
Ich bin durch diese Auskunft nicht sehr beruhigt. Aber das ist vermutlich 'Geschmackssache'.
Re: Sind wir tot?
ανδρέας schrieb am 09.01.2011 um 14:42 Uhr (Zitieren)

Ich finde die Frage interessant, halte es aber für unmöglich, sie zu beantworten.

Also lebe ich in seliger Illusion fort - oder auch nicht. Wenn nicht mal mehr der Tod sicher ist ... denn woher wissen denn die Toten, dass sie nicht doch lebendig sind? Hauptsache: ich bin!
Bin ich?
Re: Sind wir tot?
Γραικίσκος schrieb am 09.01.2011 um 14:58 Uhr (Zitieren)
Ich bin! Bin ich?

Der Gedanke des Descartes, wenigstens die eigene Existenz sei sicher, ist in der folgenden Diskussion arg zerrupft worden. Das Hauptproblem besteht darin, daß man nicht sagen kann, wer dieses Ich ist.
"Ich bin Klaus Meier" ist gewiß keine gewisse Aussage, sondern eine ganz normale, empirische und damit irrtumsanfällige Aussage. (Man denke nur an die Möglichkeit einer Kindsvertauschung nach der Geburt.) Auch alle anderen Versuche, dieses Ich näher zu bestimmen, stehen vor dem Problem, nicht gewiß, sondern irrtumsanfällig zu sein.
Die Bedeutung des Wortes "Ich" gehört zu den schwierigsten Fragen in der Philosophie. Wir benutzen es zur Bezeichnung einer individuellen Person, also wie einen Eigennamen - aber einen Eigennamen, der für alle Personen gleich ist!?
Es ist fraglich, ob "Ich" überhaupt zu den Worten gehört, die eine Sache bezeichnen, was ja nicht alle Worte bzw. Wortarten tun.
Re: Sind wir tot?
Γραικίσκος schrieb am 09.01.2011 um 15:11 Uhr (Zitieren)
Wilhelm Busch:
Sokrates, der alte Greis,
Sprach einmal in tiefen Sorgen:
"Ach, wieviel ist doch verborgen,
Was man immer noch nicht weiß."
Und so ist es. Doch indessen,
Eines weiß man doch hienieden,
Nämlich wenn man unzufrieden."
Re: Sind wir tot?
Ὑληβάτης schrieb am 09.01.2011 um 16:25 Uhr (Zitieren)
da man nicht mit 0 multiplizieren kann.
Mein Rechner bekommt immer 0 raus! ;-)

Wenn man von einem Zustand X nicht weiß, wie es ist, sich in ihm zu befinden, dann kann man logischerweise nicht ausschließen, daß man sich jetzt bereits im Zustand X befindet.
Wenn man nun für X Totsein einsetzt, dann bedeutet dies, daß wir nicht wissen, ob wir nicht tot sind.

Dieser Einfall liegt dem Roman "UBIK" des bekannten SF-Autoren Philip K. Dick zugrunde. In diesem Roman stellt der Protagonist nach und nach fest, daß er genau dies seit einiger Zeit ist: tot.


Darf ich mal ganz schlicht fragen, was es im Roman heißt "tot zu sein"? Vielleicht entsteht das Problem an dieser Stelle. Was tut ein Protagonist, der "tot" ist?

Wenn ich von einem Zustand X weiß, wie es ist, sich in ihm zu befinden, muss ich mich logischerweise schon in ihm befunden haben.
Wenn ich das, was ich gerade empfinde als "lebendig" definieren, mit allen, was dazugehört, essen, rasieren, müde sein, Regen sehen, die Sonne grüßen ... könnte ich dann überhaupt "tot" sein - es hat sich ja seit Jahren nichts geändert.

Kann ich das Problem auch sorum denken?
Re: Sind wir tot?
ανδρέας schrieb am 09.01.2011 um 17:28 Uhr (Zitieren)
Wenn ich von einem Zustand X weiß, wie es ist, sich in ihm zu befinden, muss ich mich logischerweise schon in ihm befunden haben


Nicht unbedingt, denke ich.

Es reicht doch, Zustände beobachtet zu haben, um sich durch Analogien eine Vorstellung davon zu machen oder sie theoretisch zu berechnen.
Man kann ja nicht jede Erfahrung selbst gemacht haben und weiß dennoch, dass man sich davor in acht nehmen muss. Ich muss mir nicht erst das Bein brechen, um zu wissen, dass dies kein guter Zustand ist, in dem sich der Körper dann befindet. Trotz dieser mangelnden Eigenerlebnisse weiß ich ja, dass mein Bein gesund ist. Wäre es anders, wären wir sicher bald wirklich tot ...

Re: Sind wir tot?
Γραικίσκος schrieb am 09.01.2011 um 17:36 Uhr (Zitieren)
Was heißt es, tot zu sein?
Was es bei Sartre heißt, ist bekannt, ja?
Im Roman UBIK verhält es sich (zunächst) im Prinzip ähnlich:
Menschen sind den biologischen Tod gestorben, ohne sich daran zu erinnern. Ihr Leben scheint auf den ersten Blick ganz gewöhnlich zu verlaufen ... bis sie nach und nach merken, daß 'etwas nicht stimmt'. Bei Sartre: Sie kommen aus dem Zimmer nicht mehr heraus. Bei Dick: Glen Runciter stellt beim Rasieren vor dem Spiegel (was könnte normaler sein?) fest, daß am Spiegel ein Zettel mit der Aufschrift "UBIK" klebt (was könnte unnormaler sein?). Er hat keine Ahnung, was dieses Wort bedeutet und wie der Zettel dorthinkommt. Nach und nach werden diese Erlebnisse immer unheimlicher.

Ich möchte niemandem den 'Spaß' (oder den Horror) nehmen, diesen Roman zu lesen, und deshalb werde ich nicht mehr verraten.

Eine biographische Anmerkung: Philip K. Dick hat solche Erlebnisse am eigenen Leib erfahren, ohne daß jemals eine Psychose bei ihm hätte diagnostiziert werden können. Nach seinem Tode tauchte die Vermutung auf, er habe an einer Schläfenlappen-Epilepsie gelitten, was sich u.a. darin ausdrückt, daß man Phantasievorstellungen (also: was für uns 'normale' Menschen Phantasievorstellungen sind) als Wahrnehmungen von Realität erlebt.
Aber da PKD bereits tot war, konnte dies nur eine Vermutung sein & bleiben. Die Naturwissenschaftsgläubigen werden sie gläubig willkommen heißen. Ich denke: Was besagt das schon? Es ist eine Deutung aus einer bestimmten Perspektive, nämlich der des 'normalen Denkens'.
Im Grunde ist es der gleiche Diskurs, wie er früher über bewußtseinsverändernde Drogen geführt wurde: Erzeugen sie Halluzinationen oder erweitern sie die Wahrnehmung auf sonst unzugängliche Bereiche der Realität?
Re: Sind wir tot?
Γραικίσκος schrieb am 09.01.2011 um 17:44 Uhr (Zitieren)
Wir können nicht den Standpunkt des 'Blicks von Nirgendwo' (Thomas Nagel) einnehmen - wir können immer nur von einem bestimmten Standpunkt aus die Dinge einschätzen. Und wir können uns bewußt machen, daß andere Standpunkte möglich sind. Wir können sie sogar - spielerisch oder ernsthaft - einnehmen, d.h. zu ihnen wechseln, kurzzeitig oder dauerhaft.
Und einer dieser möglichen Standpunkte ist der, daß wir bereits tot sind, ohne es zu wissen.

Er ergibt zumindest, wie ich meine, eine spannende Literatur.

Nietzsche zufolge beginnt die (griechische) Philosophie mit Thales, und zwar deshalb, weil er der Ansicht war, daß alles in Wahrheit Wasser sei.
Was macht daraus einen philosophischen Standpunkt? Laut Nietzsche die These: Es ist alles anders, als es zu sein scheint.
Man nehme als Beispiel Platons Höhlengleichnis: Wir glauben, in der Realität zu leben, in der wirklichen welt; in Wahrheit aber ...
Re: Sind wir tot?
Γραικίσκος schrieb am 09.01.2011 um 17:46 Uhr (Zitieren)
Nun werde ich mich mit einem Freund treffen. Hoffen wir, daß der Wein real ist.
Re: Sind wir tot?
ανδρέας schrieb am 09.01.2011 um 17:57 Uhr (Zitieren)
Guten Appetit Γραικίσκος!

Nach meiner Auffassung läuft die Frage auf Wittgenstein heraus – ich bitte um Entschuldigung!

Man kann einem Wort keine allgemeingültige philosophische Definition geben. Man muss ein Wort aus der jeweiligen Anwendung erschließen. Es gibt verschiedene Sprachwelten, in denen sich der Sinn des Wortes ändern kann. „Alle Erklärung muss fort, und nur Beschreibung an ihre Stelle treten.“ Was ist ein „Kamel“? nenne ich meine Frau so, gibt es Ärger. Tut dies ein Araber, ist seine Dame sicher geschmeichelt. Das „Wesen“ des Kamels ist damit nicht erfassbar. Das Kamel wiederum lässt sich mit anderen Tieren vergleichen und damit einordnen. Die Deskription ist dabei im Zusammenhang erforderlich. „Tot“ ist man im Vergleich zu anderen, die nicht „tot“ sind. Woher weiß ich, dass ich gerade schwimme und nicht gehe oder liege – aus Erfahrung und Vergleich und der Definition für die jeweilige Tätigkeit? Das Problem entsteht doch nur, weil der Begriff „tot“ umgedeutet wurde! Nach meiner Definition von „tot“ kann man nichts mehr wahrnehmen, also lebt man, solange man sich noch Fragen stellt.
Re: Sind wir tot?
Ὑληβάτης schrieb am 09.01.2011 um 18:10 Uhr (Zitieren)
Das Problem entsteht doch nur, weil der Begriff „tot“ umgedeutet wurde! Nach meiner Definition von „tot“ kann man nichts mehr wahrnehmen, also lebt man, solange man sich noch Fragen stellt.
Gedacht hätte ich das auch. Und Sartres Huis Clos habe ich bisher eher für eine Allegorie (oder so) gehalten, als für die Beschreibung eines tatsächlichen Zustands.

Bei diesem hier
Es reicht doch, Zustände beobachtet zu haben, um sich durch Analogien eine Vorstellung davon zu machen oder sie theoretisch zu berechnen.
muss ich nach dem, was ich in der letzten Zeit hier gelesen habe heftigst widersprechen. Beobachten ist nicht fühlen/wissen! Ich kann ja auch nicht beobachten, wie es sich anfühlt, Schwarzenegger zu sein. Juckt sein Bein? Wie fühlen sich seine Darmbewegungen an? etc.

Ich muss, bevor ich die nächste stümperhafte Frage ins Cybernichts stelle, um danach in die Sauna abzudampfen, an Franz K. erinnern, der eines Morgens verhaftet war, ohne sich einer Schuld bewusst zu sein. "Verhaftet" hätte Kafka schreiben sollen, denn K. ist nicht im landläufigen Sinne verhaftet. Ist er also wirklich verhaftet?

Ans Cybernichts: Wenn ich nicht weiß, wie es sich anfühlt, eine Banane zu sein, kann ich dann davon ausgehen, dass ich evtl. eine Banane bin? Die Kabbalah des Kabbalah Center tut wohl solche Dinge, wie sich in Tomaten hineinzufühlen. Sie könnten uns Auskunft geben; vielleicht.
Re: Sind wir tot?
ανδρέας schrieb am 09.01.2011 um 21:07 Uhr (Zitieren)
Im Grunde gibt es Materie gar nicht. Jedenfalls nicht im geläufigen Sinne. Es gibt nur ein Beziehungsgefüge, ständigen Wandel, Lebendigkeit. Wir tun uns schwer, uns dies vorzustellen. Primär existiert nur Zusammenhang, das Verbindende ohne materielle Grundlage. Wir könnten es auch Geist nennen. Etwas, was wir nur spontan erleben und nicht greifen können. Materie und Energie treten erst sekundär in Erscheinung – gewissermaßen als geronnener, erstarrter Geist. .... zweiwertige Ja-oder-Nein-Logik ist eben nicht die Logik der Natur. Die Quantenphysik beschreibt die Natur viel besser, denn in der Quantenwelt herrscht die mehrwertige Logik, also nicht nur Ja und Nein, sondern auch Sowohl/Als-auch, ein Dazwischen. Eben das Nicht-Greifbare, das Unentschiedene. Daran müssen wir uns gewöhnen.


aus:Hans-Peter Dürr, Quantenphysiker, PM 5/7

http://www.pm-magazin.de/de/heftartikel/ganzer_artikel.asp?artikelid=1944

Für diese Sicht ist unser Gehirn nicht gemacht ...
Re: Sind wir tot?
Πέγασος schrieb am 10.01.2011 um 11:46 Uhr (Zitieren)
Oh, Hans-Peter Dürr hat interessante Ansichten!

Glauben Sie an ein Jenseits? Gibt es eine Existenz nach dem Tode?

Das ist eine sehr interessante Frage. Was wir Diesseits nennen, ist ja eigentlich die Schlacke, die Materie, also das, was greifbar ist. Das Jenseits ist alles Übrige, die umfassende Wirklichkeit, das viel Größere. Das, worin das Diesseits eingebettet ist. Insofern ist auch unser gegenwärtiges Leben bereits vom Jenseits umfangen. Wenn ich mir also vorstelle, dass ich während meines diesseitigen Lebens nicht nur meine eigene kleine Festplatte beschrieben habe, sondern immer auch etwas in diesen geistigen Quantenfeldern abgespeichert habe, gewissermaßen im großen Internet der Wirklichkeit, dann geht dies ja mit meinem körperlichen Tod nicht verloren. In jedem Gespräch, das ich mit Menschen führe, werde ich zugleich Teil eines größeren geistigen Ganzen. In dem Maße, wie ich immer auch ein Du war, bin ich, wie alles andere auch, unsterblich.


Das klingt für mich fast so, als ob nach Dürr zwischen Leben und Tod gar kein so großer Unterschied besteht!

Von daher finde ich die Frage: "Wie können wir wissen, ob wir nicht tot sind, wenn wir nicht wissen, wie es ist, tot zu sein?" sehr berechtigt.
Mir ist aber nicht klar, was damit gemeint sein könnte:
Das Verstörende an dem Roman besteht darin, daß dem Protagonisten schrittweise Zweifel kommen anhand von Erlebnissen, die viele von uns haben, deren Bedeutung sie aber beiseiteschieben.

Re: Sind wir tot?
Πέγασος schrieb am 10.01.2011 um 11:48 Uhr (Zitieren)
... Was für Erlebnisse sollen das sein?
Re: Sind wir tot?
Ὑληβάτης schrieb am 10.01.2011 um 15:45 Uhr (Zitieren)
Insofern ist auch unser gegenwärtiges Leben bereits vom Jenseits umfangen.
O vanitas vanitatum! Media vita ...
Re: Sind wir tot?
Γραικίσκος schrieb am 10.01.2011 um 16:59 Uhr (Zitieren)
Was für Erlebnisse sollen das sein?

Alles, was unerklärbar, rätselhaft ist. Wie z.B. ein Zettel mit dem Wort "UBIK" am Spiegel.
Sowas kommt bei mir sehr häufig vor. Beispiel heute: Eine Kollegin und ich versuchen seit Monaten immer wieder, einen bestimmten Schüler (nennen wir ihn Fridolin Fröhlich) der Jahrgangsstufe, für die wir zuständig sind, im Schul-PC aus der Liste eines bestimmten Erdkunde-Kurses zu löschen, weil Fridolin diesen Kurs gar nicht besucht.
Und immer wieder taucht er in dieser Liste auf.
Andere Schüler können wir problemlos löschen, aber nicht Fridolin Fröhlich. Niemals.

Im PKD-Universum könnte dies ein erster Hinweis darauf sein, daß ich tot bin und Fridolin Fröhlich aus der Welt der Lebenden heraus versucht, Kontakt mit mir aufzunehmen.
Ein normaler Mensch hingegen schiebt solche Phänomene einfach beiseite. Wird schon irgendeine Erklärung haben.
Re: Sind wir tot?
Ὑληβάτης schrieb am 10.01.2011 um 17:14 Uhr (Zitieren)
Und was heißt "tot sein" im Roman? Wahrscheinlich nicht "irgendwo als Leiche im Verfallsstadium rumliegen", oder?
Re: Sind wir tot?
ανδρέας schrieb am 10.01.2011 um 18:50 Uhr (Zitieren)

Kennt ihr den Film "The sixth sense" mit Bruce Willis ?

Ein Kinderpsychologe wird erschossen, erkennt dies aber erst nach und nach, während er einen neunjährigen Jungen psyxhologisch betreut, der "Tote sehen kann". Ähnlicher Plot: "The Others"
mit Nicole Kidman.

Allerdings gelten die Protagonisten eindeutig als tot. Interessant ist der Perspektivwechsel, der dem Zuschauer erst bewußt werden muss.
Re: Sind wir tot?
ανδρέας schrieb am 10.01.2011 um 19:06 Uhr (Zitieren)
@Γραικίσκος

Andere Schüler können wir problemlos löschen, aber nicht Fridolin Fröhlich. Niemals.


Da gibt es 2 Möglichkeiten:

1. Er lebt im Limbus fort und will euch ärgern.
2. Der Name ist schreibgeschützt.

Was ist wahrscheinlicher?



Re: Sind wir tot?
Πέγασος schrieb am 10.01.2011 um 21:10 Uhr (Zitieren)
Ein normaler Mensch hingegen schiebt solche Phänomene einfach beiseite. Wird schon irgendeine Erklärung haben.


Aber das muss er doch!
Wenn ich bei jeder Ungereimtheit meine Existenz als lebendes Wesen bezweifelte und Botschaften aus einer "Anderswelt" witterte, wäre ich ein Fall für die Psychiatrie, oder?
Re: Sind wir tot?
Γραικίσκος schrieb am 10.01.2011 um 21:21 Uhr (Zitieren)
Wie gesagt, PKD hat solche Erfahrungen gemacht; u.a. hat er einmal über mehrere Tage hinweg ein riesiges metallenes Gesicht am Himmel gesehen.
(--> "Die drei Stigmata des Palmer Eldritch")
Zweimal ist im ein Wesen erschienen, von dem er nicht wußte, ob es Gott war, der Teufel, Dionysos, Shiva oder ...
(--> Die "Valis-Trilogie"; "Auf der Suche nach Valis")

Man sollte nicht vergessen, daß es außer dem Verdrängen und dem Psychotisch-Werden mindestens noch eine dritte Möglichkeit gibt: Literatur daraus zu machen. Oder eine andere Form von Kunst.
Ich vermute, was ihn davor bewahrt hat, psychotisch zu werden, was es ihm vielmehr ermöglicht hat, seine Erfahrungen in Kunst zu verwandeln, waren sein Humor und seine Skepsis.
Mir hat einmal ein Psychiater gesagt: "Eines tut ein Psychotiker niemals: an dem zweifeln, was er erfährt. Es ist ihm immer völlig ernst."
Re: Sind wir tot?
Γραικίσκος schrieb am 10.01.2011 um 21:22 Uhr (Zitieren)
Zweimal ist ihm ...
Re: Sind wir tot?
Πέγασος schrieb am 10.01.2011 um 21:27 Uhr (Zitieren)
Richtig, ein echtes Wahngebilde ist gegen Zweifel immun.
Etwas Kreatives aus derlei "Erscheinungen" zu machen ist sicher der interessanteste Weg damit umzugehen.
Re: Sind wir tot?
Γραικίσκος schrieb am 10.01.2011 um 21:32 Uhr (Zitieren)
Ich habe mir die Äußerung dieses Psychiaters so übersetzt: Skepsis hält psychisch gesund.
Wobei wir es leicht haben. Schwerer ist's, wenn man ein riesiges metallenes Gesicht am Himmel sieht.
Re: Sind wir tot?
Γραικίσκος schrieb am 10.01.2011 um 21:34 Uhr (Zitieren)
Da gibt es 2 Möglichkeiten:

1. Er lebt im Limbus fort und will euch ärgern.
2. Der Name ist schreibgeschützt.

Was ist wahrscheinlicher?

Das verstehe ich nicht. Unter all den hunderten von Namen, die eine fleißige Sekretärin nach und nach einspeichert, erweist sich ein beliebiger, völlig unscheinbarer Name plötzlich (nicht immer schon) als schreibgeschützt?
Re: Sind wir tot?
Πέγασος schrieb am 10.01.2011 um 21:40 Uhr (Zitieren)
Skepsis ist angebracht ... aber wenn Philosophen "seltsame" Fragen stellen, wundert sich keiner darüber ... ;-)
Re: Sind wir tot?
Γραικίσκος schrieb am 10.01.2011 um 21:46 Uhr (Zitieren)
Es gibt die Anekdote, nach der Ludwig Wittgenstein sich mit einem Freund in einem Café lebhaft darüber auseinandergesetzt hat, ob der vor ihnen stehende Stuhl wirklich existiere.
Der Kellner muß wohl recht merkwürdig dreingeschaut haben; jedenfalls sagte Wittgenstein ihm: "Wir sind nicht verrückt. Wir philosophieren nur."
Re: Sind wir tot?
Πέγασος schrieb am 10.01.2011 um 21:49 Uhr (Zitieren)
:-D Das gefällt mir!
Re: Sind wir tot?
ανδρέας schrieb am 10.01.2011 um 22:14 Uhr (Zitieren)
erweist sich ein beliebiger, völlig unscheinbarer Name plötzlich (nicht immer schon) als schreibgeschützt?


... man merkt es ja erst, wenn man den Namen löschen will. Wer weiß schon, welche Seite diese Sekretärin als Vorlage genutzt und ggf. vorher kopiert und dann überschrieben hat? Da kann auch eine Stelle - aus welchen Gründen auch immer - mal schreibgeschützt gewesen sein.

Wie heißt es bei Sherlock Holmes: hat man alle Möglichkeiten ausgeschlossen, die nicht zutreffen, muss diejenige, die übrig bleibt die richtige sein. Wer kennt schon die Vergangenheit einer kopierten Excel-Datei?
Re: Sind wir tot?
Ὑληβάτης schrieb am 10.01.2011 um 22:18 Uhr (Zitieren)
Das Nichtwissen über solche Vorgänge ist, Γραικίσκος , das darf ich mit einem leichten Lächeln sagen, der Beginn der Philosophie. ;-)
Re: Sind wir tot?
Πέγασος schrieb am 13.01.2011 um 08:40 Uhr (Zitieren)
Eigentlich war ich auf der Suche nach einem Artikel zur Frage von ανδρέας über Mystiker und Wahrsager...
Dabei fand ich diesen hier von Oliver Sacks: "Im Strom des Bewusstseins". Sacks ist Neurologe und vertritt natürlich einen naturwissenschaftlichen Ansatz, dennoch bleibt immer der Mensch im Blickpunkt seiner Schilderungen, deshalb finde ich das sehr lesenswert im Zusammenhang mit den oben diskutierten "seltsamen Erscheinungen".

http://www.gehirn-und-geist.de/artikel/838180
 
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