α β γ δ ε ζ η θ ι κ λ μ ν ξ ο π ρ ς σ τ υ φ χ ψ ω Α Β Γ Δ Ε Ζ Η Θ Ι Κ Λ Μ Ν Ξ Ο Π Ρ C Σ Τ Υ Φ Χ Ψ Ω Ἷ Schließen Bewegen ?
Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Vor und nach dem Höhlengleichnis (851 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 28.05.2011 um 14:43 Uhr (Zitieren)
βουλοίμην κ' ἐπάρουρος ἐὼν θητευέμεν ἄλλῳ
ἀνδρὶ παρ' ἀκλήρῳ, ᾧ μὴ βίοτος πολὺς εἴη,
ἢ πᾶσιν νεκύεσσι καταφθιμένοισιν ἀνάσσειν.

(Homer, Odyssee XI 489-491)

Das sagt Achilleus in der Unterwelt zu Odysseus.

Und das macht die Revolution des Denkens in Platons Höhlengleichnis aus: Wir hier jetzt leben in der Unterwelt! Das andere aber, das ist das wahre Leben!
Wenn der sterbende Sokrates (in Platons Bericht) seine Freunde auffordert, nach seinem Tode in seinem Namen dem Asklepios, dem Gott der Heilkunst, ein Dankopfer zu bringen (für seinen Tod!), dann weist dies in dieselbe Richtung.
Welch eine Revolution der Denkungsart!
(Die Christen haben sie dann später gerne übernommen.)
Re: Vor und nach dem Höhlengleichnis
ανδρέας schrieb am 28.05.2011 um 15:45 Uhr (Zitieren)

Wenn ich das richtig verstanden habe: Achill will lieber für andere arbeiten ,die kümmerlich leben, als eine ganze Schar von vermoderten Toten beherrschen.

So richtig begeistert ist er vom jenseitigen Dasein aber nicht ...
Re: Vor und nach dem Höhlengleichnis
Γραικίσκος schrieb am 28.05.2011 um 15:49 Uhr (Zitieren)
Nein, er ist nicht begeistert von dieser Schattenexistenz - im Vergleich zum (ober)irdischen Leben.
Für Sokrates-Platon ist aber gerade unser (ober)irdisches Leben die Schattenexistenz.
Eine Wende um 180°!
Re: Vor und nach dem Höhlengleichnis
ανδρέας schrieb am 28.05.2011 um 16:09 Uhr (Zitieren)

Aber Sokrates/Platon interpretierten es sicher nicht im christl. Sinne: das Diesseits ist eine Qual und man wird im Paradiese entlohnt.
Die bezogen sich doch auf die Erkenntnis der Wirklichkeit, oder?
Re: Vor und nach dem Höhlengleichnis
Γραικίσκος schrieb am 28.05.2011 um 16:19 Uhr (Zitieren)
Für den Weisen, ja. Nietzsche erzählt die Geschichte dieser Idee:
Wie die „wahre Welt“ endlich zur Fabel wurde

Geschichte eines Irrtums

1. Die wahre Welt, erreichbar für den Weisen, den Frommen, den Tugendhaften, - er lebt in ihr, er ist sie.
(Älteste Form der Idee, relativ klug, simpel, überzeugend. Umschreibung des Satzes „ich, Plato, bin die Wahrheit“.)

2. Die wahre Welt, unerreichbar für jetzt, aber versprochen für den Weisen, den Frommen, den Tugendhaften („für den Sünder, der Buße tut“).
(Fortschritt der Idee: sie wird feiner, verfänglicher, unfaßlicher, - sie wird Weib, sie wird christlich ...)

3. Die wahre Welt, unerreichbar, unbeweisbar, unversprechbar, aber schon als gedacht ein Trost, eine Verpflichtung, ein Imperativ.
(Die alte Sonne im Grunde, aber durch Nebel und Skepsis hindurch; die Idee sublim geworden, bleich, nordisch, königsbergisch .)

4. Die wahre Welt - unerreichbar? Jedenfalls unerreicht. Und als unerreicht auch unbekannt. Folglich auch nicht tröstend, erlösend, verpflichtend: wozu könnte uns etwas Unbekanntes verpflichten? ...
(Grauer Morgen. Erstes Gähnen der Vernunft. Hahnenschrei des Positivismus .)

5. Die „wahre“ Welt - eine Idee, die zu nichts mehr nütz ist, nicht einmal mehr verpflichtend, - eine unnütz, eine überflüssig gewordene Idee, folglich eine widerlegte Idee: schaffen wir sie ab!
(Heller Tag; Frühstück; Rückkehr des bon sens und der Heiterkeit; Schamröte Platos; Teufelslärm aller freien Geister.)

6. Die wahre Welt haben wir abgeschafft: welche Welt blieb übrig? die scheinbare vielleicht? ... Aber nein! mit der wahren Welt haben wir auch die scheinbare abgeschafft!
(Mittag; Augenblick des kürzesten Schattens; Ende des längsten Irrtums; Höhepunkt der Menschheit; INCIPIT ZARATHUSTRA .)

(Götzendämmerung)

Erkennt Ihr die verschiedenen, von ihm polemisch angedeuteten Stufen wieder?
Re: Vor und nach dem Höhlengleichnis
ανδρέας schrieb am 28.05.2011 um 16:56 Uhr (Zitieren)
Ich fasse es so auf (unwissenschaftlich):

1. Griechenland/antike Philosophie
2.Christentum
3. Aufklärung
4. Säkularismus
5. Nihilismus
6. Gegenwart/Moderne
Re: Vor und nach dem Höhlengleichnis
Γραικίσκος schrieb am 28.05.2011 um 17:02 Uhr (Zitieren)
3: Aufklärung, ja - "königsbergisch" --> Kant!
4: Der "Hahnenschrei des Positivismus": Auguste Comte u.a.
5. Nihilismus ... der frühe Nietzsche: "Morgenröte", "Die fröhliche Wissenschaft".
6. "INCIPIT ZARATHUSTRA": die letzte Nietzsche bekannte, von ihm geprägte Einstellung: der späte Nietzsche und seines "Also sprach Zarathustra".

Fazit: Wir haben nur eine Welt, und die müssen [?] wir lieben!
Re: Vor und nach dem Höhlengleichnis
ανδρέας schrieb am 28.05.2011 um 17:14 Uhr (Zitieren)

Vielleicht ja auch nicht schlecht: entlastet von der Suche nach Wahrheiten könnte der Mensch sich auf seine gegebene Welt konzentrieren, um sie zumindest vorläufig zu verstehen und ein bisschen besser auf sie aufzupassen. Vorerst haben wir ja keine andere. Man liebt, was man braucht. Oder ist es umgekehrt?
Re: Vor und nach dem Höhlengleichnis
Γραικίσκος schrieb am 28.05.2011 um 17:23 Uhr (Zitieren)
Im Zusammenhang mit dem Optimismus-Pessimismus-Projekt gehe ich dieser Frage gerade nach (und stelle hin und wieder Lesefrüchte hier ein). Akut befasse ich mich wieder einmal mit der Frage, wie es in der Antike zu diesem Umsturz kommen konnte.
Nietzsches Versuch, diese Umwertung zurückzunehmen, kommt später dran.
Re: Vor und nach dem Höhlengleichnis
ανδρέας schrieb am 28.05.2011 um 17:41 Uhr (Zitieren)

Das wird sicher spannend. Es war ohnehin ein spannender Nachmittag, heute. Leider kann ich mich mit der Dionysos-Passage in dem anderen Beitrag nicht auseinandersetzen - wir sind eingeladen und werden Bacchus ein Trinkopfer darbringen. (praktische Arbeit soll man ja auch nicht vernachlässigen).
Schönen Abend.
Re: Vor und nach dem Höhlengleichnis
Γραικίσκος schrieb am 28.05.2011 um 18:00 Uhr (Zitieren)
Dir (Euch) ebenfalls! Zu meinem Trankopfer komme ich später ...
Re: Vor und nach dem Höhlengleichnis
Γραικίσκος schrieb am 29.05.2011 um 22:24 Uhr (Zitieren)
Der Nietzsche-Text ist, so polemisch er auch sein mag, sehr grundlegend für mein Thema. Eine Idee entsteht im antiken Griechenland, und allmählich verblaßt sie. Meinte Nietzsche. Aber noch heute, über 100 Jahre nach Nietzsches Tod, wird man nur wenige Menschen finden, welche dem Ist-Zustand der Welt keinen davon differenten Soll-Zustand gegenüberstellen, d.h. welche sagen, die Welt sei so, wie sie ist, in Ordnung.
"Wir müssen auch noch die Griechen überwinden", meinte Nietzsche seinerzeit. Das wird aber nicht so leicht.
Re: Vor und nach dem Höhlengleichnis
ανδρέας schrieb am 29.05.2011 um 22:36 Uhr (Zitieren)

Nietzsche, dieser Egomane, war recht überzeugt von sich. Hat er die obige Reihe fortgesetzt? Der Tag geht ja nicht nur bis zur Mittagszeit. Oder konnte sich N. einfach nicht vorstellen, dass OHNE IHN die Welt sich weiter dreht und man Gedanken weiterentwickelt? Es würde zu ihm passen, denke ich.
Re: Vor und nach dem Höhlengleichnis
Γραικίσκος schrieb am 29.05.2011 um 22:46 Uhr (Zitieren)
Nein, weitergeführt hat er diese Reihe nicht. Mit ihm kam das Entscheidende. Ein Egomane halt.
 
Antwort
Titel:
Name:
E-Mail:
Eintrag:
Spamschutz - klicken Sie auf folgendes Bild: Akropolis (Athen)

Aktivieren Sie JavaScript, falls Sie kein Bild auswählen können.