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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
M. Claudius verteidigt Platons Ideenlehre (393 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 29.05.2011 um 13:46 Uhr (Zitieren)
ÜBER DIE UNSTERBLICHKEIT DER SEELE

[...] Die Natur hier bei uns auf Erden ist in beständiger Bewegung, und ihre Gebärde ist heute nicht wie gestern und ehegestern. Alles wandelt und wogt. Doch die verschiedenen Spezies in allen 3 Reichen bleiben unbeweglich, und stehen wie Fixsterne in diesem wogenden Meer. Ulysses’ und Tobias’ Hündlein wedelten schon mit dem Schwanze; der Kürbis rankte schon vor Ninive, und das Gold ist und bleibt 19mal schwerer als das Wasser. Weil die Natur, wie man spricht, keinen Sprung tut, so muß sie freilich durch allerhand Verwandlungen zum Ziel gehen, und läßt, auf dem Wege dahin, verschiedene Gestalten sehen; aber wenn die Spezies, die sie im Sinne hat, vollendet ist, so geht sie nicht weiter. Sich selbst gelassen geht sie nicht darüber hinaus, und bleibt, wenn sie nicht gestört wird, nicht diesseits stehen. Ist die Spezies vollendet, so macht sie Feierabend, und sorgt nur für ihre Erhaltung; und wenn sie die Individua derselben nicht erhalten kann, so substituiert sie, auf die wundervolle Art und Weise, immer andre Individua, um so der Spezies eine Art von Ewigkeit zu verschaffen.
Es gibt zwar berühmte Gelehrte, die anders meinen und der Natur einen andern Plan ausgedacht haben. Ihnen sind die Spezies nur Ruhepunkte und Stufen, wo die Natur sich, sozusagen, besinnt und ausruht, um von da weiter, und immer vom Geringern zum Bessern und Vollkommnern vorwärts zu gehen; so daß z. E. aus einer Auster ein Krokodil, aus einer Mücke ein Kolibri etc., und aus den vollkommensten Tieren endlich gar Mensch und Engel werden könnten.
Diese Meinung ist artig gnug erfunden; nur das erste und Hauptsächliste dagegen ist, daß sie nicht wahr ist. Aus den Hühnereiern kommen nimmer Fasanen, sondern immer wieder Hühner hervor. Das ist die Beobachtung neuer und alter Zeiten [...]. Auch Noah muß die alte Meinung gehabt haben; er hätte sonst viel Mühe und Raum sparen können.
Die Natur schreitet so wenig von einer Spezies zu einer andern und vollkommnern fort, daß sie auch, wie gesagt, dieselbe Spezies nicht ändert und vollkommner macht. Die aufeinander folgenden Individua derselben sind und bleiben sich gleich, an Gestalt, Proportion, Talent und allen Eigenschaften und Neigungen, Sitten und Weisen. Die Herbstspinne spann schon bei den Römern ihr Gewebe in der wundersamen mathematischen Form mit Peripherien, Radien und Centro, und Aelianus bemerkt schon, daß sie bei diesem Kunstwerk den Euklides nicht nötig habe; er erzählt weiter von ihr, sie sitze in dem Centro ihres Gewebes und laure dem Raub auf, grade wie wir sie nach tausend und mehr Jahren noch sitzen sehen. Die wunderliche Sitte des Kuckucks ist bekannt, er legt nämlich sein Ei in das Nest eines andern Vogels und fliegt denn davon, und läßt den andern Vogel sein Ei ausbrüten und den jungen Kuckuck großfüttern; dies ist aber nicht etwa eine Erfindung der spätern Jahrhunderte unter den Kuckucks, sondern sie haben es schon immer so gemacht, wie eben der Aelianus erzählt. Die Krähen hassen schon die Eule im Plinius, und kreischen schon das Regenwetter her im Virgil; die Schwalben kommen schon im Homer zu den Menschen ins Haus; die Ameise ist schon fleißig im Sirach, und der Pfau trägt noch die funkelnden Edelgesteine, damit ihn die Juno zu des uralten Inachus Zeiten ausstaffierte. So ist es immer gewesen und so wird es bleiben, und sicherlich war, in der langen Reihe von Elefanten, die von Anfang bis zum Ende durch die Natur hintereinander hergehen, der, der mit dem Rücken am Chaos steht, wie der, der seinen Rüssel in die Trümmer des Jüngsten Tages ausstrecken wird.
Sonach wären die Spezies vielmehr als Modelle anzusehen, die der Natur im Anfang von höherer Hand aufgegeben sind, sie unverändert durchzuführen. Sie läßt es auch an ihr nicht fehlen, und exekutiert diese Modelle immerhin mit dem größten Fleiß und der größten Genauigkeit. Ja, sie ist auf die unverletzte Erhaltung derselben so eifersüchtig, daß sie den Versuchen sie zu ändern und zu wirren ihren Segen versagt; denn es ist bekannt, daß die Maulesel und überhaupt alle Bastarde nicht weiter generieren können.
Wenn die Resultate von den verschiedenen Bewegungen der gebärenden Natur immer einerlei und dieselben sind; so sind es natürlich die Bewegungen selbst auch. Und, mit einem Wort, in der ganzen Natur, so herrlich und bewundernswürdig ihre Operationen sind, ist alles unbeweglich und niet- und nagelfest. Alles in ihr ist einem Gesetz der Notwendigkeit unterworfen, davon sie nicht abgeht und ohne eine fremde Hand nicht abgehen kann. [...]

[Quelle: Matthias Claudius, Sämtliche Werke. München 1976, S. 279-281]

Vom Standpunkt der Evolutionstheorie aus sind die Zeiträume, in denen er denkt, nicht lang genug.
Re: M. Claudius verteidigt Platons Ideenlehre
ανδρέας schrieb am 29.05.2011 um 15:02 Uhr (Zitieren)
Und, mit einem Wort, in der ganzen Natur, so herrlich und bewundernswürdig ihre Operationen sind, ist alles unbeweglich und niet- und nagelfest.


ein frommer Wunsch ... "lass uns einfältig werden und vor dir hier auf Erden wie Kinder froh und glücklich sein" .

Sein Zeithorizont konnte auch kaum dem heutigen entsprechen.
Re: M. Claudius verteidigt Platons Ideenlehre
Γραικίσκος schrieb am 29.05.2011 um 15:04 Uhr (Zitieren)
Sein Zeithorizont waren wohl die fünfeinhalbtausend Jahre, die sich aus der biblischen Geschichte ergeben.
 
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