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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Müssen Tyrannen bezahlen? (538 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 31.07.2011 um 17:49 Uhr (Zitieren)
neque frustra praestantissimus sapientiae firmare solitus est, si recludantur tyrannorum mentes, posse aspici laniatus et ictus, quando ut corpora verberibus, ita saevitia libidine malis consultis animus dilaceretur.

So schreibt es Tacitus Annales VI 6.

Er drückt damit - auf das Beispiel des Tiberius bezogen - aus, daß Tyrannen für ihre Tyrannei mit einer wunden und gepeinigten Seele bezahlen müssen.

Der praestantissimus sapientiae ist Platon, Gorgias 524e f.:
Kommen sie [die Toten] nun vor den Richter, und zwar die aus Asien vor den Rhadamanthys, so stellt Rhadamanthys sie vor sich hin und beschaut eines jeden Seele, ohne zu wissen, wessen sie ist, sondern oft, wenn er einen großen König vor sich hat oder andere Könige oder Fürsten, findet er nichts Gesundes an der Seele, sondern durchgepeitscht [διαμεμαστιγωμένην] findet er sie und voller Schwielen [οὐλῶν μεστήν] von Meineid und Ungerechtigkeit und wie eben jedem seine Handlungsweise sich von der Seele eingeprägt hat, und findet alles verrenkt [σκολιά] von Lügen und Hochmut und nichts Gerades daran, weil sie ohne Wahrheit aufgewachsen ist, sondern vor aller Gewalttätigkeit und Weichlichkeit, Übermut und Unmäßigkeit im Handeln zeigt sich auch die Seele voll Mißverhältnis und Häßlichkeit [ἀσυμμετρίας τε καὶ αἰσχρότητος].

Meine Frage lautet nun, ob Tacitus Platon hier nicht falsch aufgefaßt hat, insofern Platon der Seele der Tyrannen eher eine (un)ästhetische Qualität zuspricht, statt zu behaupten, Tyrannen müßten schon zu Lebzeiten für ihr Tun büßen. Bei Platon, so mein Eindruck, erfolgt die Strafe ja erst durch Rhadamanthys, also im Jenseits.

Das Thema beschäftigt mich im Zusammenhang mit der Frage nach irdischer Gerechtigkeit.
Bestraft eine böse Tat sich selbst in der Psyche des Täters?
Re: Müssen Tyrannen bezahlen?
διψαλέος schrieb am 31.07.2011 um 18:16 Uhr (Zitieren)
Ich sage mal soviel dazu:
Ich glaube nicht an eine jenseitige Gerechtigkeit.
Re: Müssen Tyrannen bezahlen?
ανδρέας schrieb am 31.07.2011 um 18:23 Uhr (Zitieren)

Besonders Tacitus, aber auch Cassius Dio und Sueton stellen Tiberius negativ dar - schon zu Lebzeiten durch üble körperliche Ausstrahlung, die auf seinen schlechten Charakter hinweisen soll. Wieso sollte Tacitus den Gedanken Platos übernommen haben? "Bösewichter" werden oft als häßlich dargestellt.

Oft haben Menschen bei Unglücken, an denen sie keinerlei Schuld tragen ein schlechtes Gewissen, weil sie zufällig überlebt haben, während andere starben. Das scheint psychisch normal zu sein. Täter zeigen dagegen wohl oft keinerlei Reue oder schlechtes Gewissen. Da scheint die Psyche eines Täters von vornherein krank zu sein. Vielleicht wünscht sich der Betrachter einfach, dass ein Täter von Seelenpein gequält werde - als ausgleichende Gerechtigkeit. Ich fürchte, das ist sehr oft nur eine Rachevorstellung des ohnmächtigen Publikums.

Re: Müssen Tyrannen bezahlen?
Γραικίσκος schrieb am 31.07.2011 um 18:32 Uhr (Zitieren)
Wieso sollte Tacitus den Gedanken Platos übernommen haben?

Er gibt den Gedanken ja als denjenigen Platons, des praestantissimus sapientiae, aus.

Gerade habe ich einen Artikel in der heutigen FAS über "das abgrundtief Böse" gelesen: Serienmörder sind oft keine unglücklichen Menschen, sondern emotional völlig kalt - auch wenn sie Emotionen perfekt spielen können.

Es ist wohl nichts mit der irdischen Gerechtigkeit (abgesehen von der eher zufälligen, wie sie menschliche Gerichte ausüben), ... und mit der jenseitigen ist es eh nichts.
Re: Müssen Tyrannen bezahlen?
ανδρέας schrieb am 31.07.2011 um 18:40 Uhr (Zitieren)

Allgemein funktioniert das menschliche Gewissen m.E. recht gut. In Extremfällen dagegen hat es wohl keine Relevanz. Man denke an den Anschlag in Norwegen, 9/11, Jack The Ripper u.a. . Das widerspricht zwar der Wahrnehmung von Gerechtigkeit, aber die ist ja auch als Ideal eher ein Konstrukt.
Re: Müssen Tyrannen bezahlen?
Γραικίσκος schrieb am 31.07.2011 um 18:45 Uhr (Zitieren)
Daß ein Mensch wie Stalin ein ganzes großes Volk über Jahrzehnte tyrannisieren und schließlich in hohem Alter eines natürlichen Todes sterben kann, empört Dich das nicht?

Chruschtschow hat später berichtet, Stalin habe 1952 in seiner Gegenwart vor sich hingesprochen: "Ich bin am Ende. Ich traue niemandem mehr, nicht einmal mir selber."
Das hat mich auf den Gedanken gebracht, den ich hier vorgestellte habe.
Re: Müssen Tyrannen bezahlen?
Γραικίσκος schrieb am 31.07.2011 um 18:50 Uhr (Zitieren)
www.cassiopaea.org/cass/sanity_1.PdF

(Hervey Cleckley: The Mask of Sanity)
Re: Müssen Tyrannen bezahlen?
ανδρέας schrieb am 31.07.2011 um 19:26 Uhr (Zitieren)

Stalin hatte einen Schlaganfall. Da seine Diener nicht wagten, ohne Erlaubnis herein zu kommen, fand man ihn erst nach Stunden am späten morgen, da sich ein Wächter ein Herz fasste. Er muss eine Weile Qualen erlebt haben - aber nichts im Verhältnis zu dem, was er anderen antat. Stalin und andere können das gar nicht sühnen, was sie gemacht haben. Der Mensch will sich Gerechtigkeit zwar vorstellen, aber es gibt sie nicht. Allenfalls gläubige Menschen mögen sich diese jenseitige ausgleichende Gerechtigkeit vorstellen und ausmalen.
Re: Müssen Tyrannen bezahlen?
Γραικίσκος schrieb am 31.07.2011 um 19:38 Uhr (Zitieren)
Die paar Stunden, die er da - halbbewußt vermutlich - in Schmerzen und Angst zugebracht hat, die kann man nicht als ausgleichende Gerechtigkeit werten.

Dann gibt es wohl keine Gerechtigkeit.

Das wirft die Frage auf, warum man dann selber gerecht sein sollte, oder?
Ich habe gar nichts dagegen, doch ich wüßte gerne einen Grund.
Die Angst vor Gerichten ist doch immer nur die Angst, eventuell erwischt zu werden.
Re: Müssen Tyrannen bezahlen?
ανδρέας schrieb am 31.07.2011 um 20:04 Uhr (Zitieren)

Vgl. ζῷον πολιτικόν - das Lebewesen in der Polisgemeinschaft nach Aristoteles. Und man erwartet Gerechtigkeit von anderen und weiß, dass man sie auch geben muss. Je näher man sich sozial steht, desto wichtiger ist es - normaler Weise. Auf BBC kam ein Beitrag über die Bereitschaft für andere zu leiden. Man musste seine Arme in kaltes Wasser halten. Je länger man durchhielt, desto höher der Gewinn für einen anderen! Die Korrelation zwischen Durchhaltevermögen und Verwandtschaftsgrad war eindeutig, geradezu erschreckend klar. Da wundert es einen nicht, wenn sich Leute wenig für leidende Menschen aus Somalia interessieren. Das ist auch ungerecht.
Re: Müssen Tyrannen bezahlen?
Γραικίσκος schrieb am 31.07.2011 um 22:36 Uhr (Zitieren)
Sind nicht die Verwandten in aller Regel auch diejenigen, die mir helfen? Anscheinend geht es hier entweder um das Prinzip der Wechselseitigkeit oder um das der Förderung meiner Gene ("Gen-Egoismus").
 
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