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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Antike Götter, mißverstanden? (774 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 01.08.2011 um 12:37 Uhr (Zitieren)
Friedrich Hölderlin
Hyperions Schicksalslied

Ihr wandelt droben im Licht
Auf weichem Boden, selige Genien!
Glänzende Götterlüfte
Rühren euch leicht,
Wie die Finger der Künstlerin
Heilige Saiten.

Schicksallos, wie der schlafende
Säugling, atmen die Himmlischen;
Keusch bewahrt
In bescheidener Knospe,
Blühet ewig
Ihnen der Geist,
Und die Seligen Augen
Blicken in stiller
Ewiger Klarheit.

Doch uns ist gegeben,
Auf keiner Stätte zu ruhn,
Es schwinden, es fallen
Die leidenden Menschen
Blindlings von einer
Stunde zur andern,
Wie Wasser von Klippe
Zu Klippe geworfen,
Jahr lang ins Ungewisse hinab.

Mir ist klar, daß Hölderlin hier die beiden ersten Strophen braucht, um vor dieser Folie das unruhige, dem Schicksal unterworfene Leben von uns Menschen umso stärker hervortreten zu lassen.
Aber wo mag er dieses Bild vom 'schicksallosen' Leben der Götter hergenommen haben? Den Zeus, der seinen sein Leben bedrohenden Vater kastriert und in die Unterwelt stürzt, kann er doch damit nicht gemeint haben. Den Hephaistos, dem seine hübsche Gattin ein ums andere Mal Hörner aufsetzt, ebensowenig.
Auf der anderen Seite ist Hölderlin doch zu gebildet gewesen, um das nicht zu wissen.
Re: Antike Götter, mißverstanden?
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 01.08.2011 um 14:20 Uhr (Zitieren)
Mir scheint von Bedeutung, daß Hölderlin von den 'Genien' spricht, die "von _Götter_lüften sanft berührt" werden, und daß mit den "Himmlischen" immer noch jene gemeint sind, nicht die Götter in toto.
Natürlich ist es nicht ganz klar, wen Hölderlin exakt im Blick hat, aber ich halte es für sehr gut denkbar, daß es die Δαίμωνες, möglicherweise aber auch die Μοῖραι sind, welche als die das Schicksal der Menschen und Götter bestimmenden Mächte selbst ja "schicksallos" sind.
Re: Antike Götter, mißverstanden?
Γραικίσκος schrieb am 01.08.2011 um 14:28 Uhr (Zitieren)
Daß die Μοῖραι schicksallos sind, weil sie das Schicksal schicken, erscheint mir undialektisch gedacht. (Hölderlin war mit Hegel befreundet!)
Ist nicht eben dies ihr Schicksal? Sind sie nicht 'Gefangene' ihres Wesens?
(Ich bin mir nicht sicher.)

Ich habe es immer so aufgefaßt, daß der Unterschied zwischen den Göttlichen und uns darin besteht, daß nur wir sterblich sind.
Doch Hölderlin scheint weit davon entfernt, sich auf diesen Unterschied zu beschränken.
Re: Antike Götter, mißverstanden?
Hylebates schrieb am 01.08.2011 um 15:26 Uhr (Zitieren)
Wichtig ist doch, zu fragen, was Hölderlin eigentlich mit "schicksallos" meint. Eher jedenfalls, als das eigene Konzept von ihm bestätigt oder missachtet zu sehen.
Zwei Dinge bieten sich an:
1. "Schicksallos, wie der schlafende / Säugling" - der Vergleich könnte das Gemeinte erhellen. Zudem:
"Blühet ewig / Ihnen der Geist, / Und die Seligen Augen / Blicken in stiller / Ewiger Klarheit."
Der "schlafende Säugling" ist doch jemand (entschuldigt den lärmenden Phrasenalarm) "im Hier und Jetzt", der sich nicht um Zukunft oder Vergangenheit kümmert / kümmern muss. Wenn den Himmlischen alles Mögliche "ewig" "blüht", könnte das darauf hinweisen, dass sie entweder keinem wirklichen Wechsel unterworfen sind, so wie weder Aphrodite noch Hephaistos vom Ehebruck wirklich "betroffen" sind, in dem Sinne, dass sich daraus keine tiefgreifenden Folgen für den Götterhimmel ergeben. Oder dass Zukunft und Vergangenheit immer in ihrem Bewusstsein sind - sodass ihnen kein Schicksal "zustößt". (s. "Augen blicken in ewiger Klarheit")
2. Der angesprochene Vergleich zu den Menschen. "Schicksallos" könnte das "nicht-Hinabgeworfen-Sein" sein.
Re: Antike Götter, mißverstanden?
Γραικίσκος schrieb am 01.08.2011 um 15:35 Uhr (Zitieren)
2 ist klar; ich beziehe es aber darauf, daß es mit uns halt bergab geht, d.h. daß wir auf den Tod zugehen, daß unser Leben ein langes Sterben ist.

1 halte ich für - sagen wir: - 'unhomerisch'. Die Götter agieren voller Leidenschaft und können vom Schicksal grausam überrascht werden (so wie Zeus vom Schicksal seines Sohnes Sarpedon). Die Götter leben nicht wie schlafende Säuglinge. Was ist dies für ein seltsames Bild, bezogen z.B. auf Zeus!
Es erscheint mir wie ein Konstrukt Hölderlins.
Re: Antike Götter, mißverstanden?
Hylebates schrieb am 01.08.2011 um 15:51 Uhr (Zitieren)
Hölderlin darf unhomerisch sein. Er darf auch unsophokleisch sein. Nur unhölderlinisch - das wird er nicht schaffen.

Es ist doch wichtig, danach zu fragen, was Hölderlin wohl für eine Sicht hat und hier zum Ausdruck bringt; nicht, ob und wie Homer bestätigt wird oder nicht. Das würde Hölderlin Gewalt antun.

Zu fragen ist also tatsächlich: "Was für ein seltsames Bild, bezogen auf "die Himmlischen", vermittelt Hölderlin hier?" Ob nun Zeus - sei es Homers Zeus oder überhaupt ein griechischer Zeus - gemeint ist ... das muss letztendlich fraglich bleiben, oder?

Letztlich ist interessant, warum DU bei diesem Gedicht
1. an die homerischen Götter,
2. an Zeus denkst.
Punkt 1 mag mit dem Titel beantwortet werden können.
 
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