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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Das Talionsprinzip (1921 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 23.08.2011 um 12:11 Uhr (Zitieren)
Im Codex Hammurapi heißt es u.a.:
§ 209.210: Wenn ein Bürger eine Bürgertochter erschlagen hat [...] wenn diese Frau stirbt, so tötet man seine Tochter.
§ 229.230: Wenn ein Baumeister einem Bürger ein Haus gebaut hat, aber sein Werk nicht fest (genug) ausgeführt hat, das Haus, das er gebaut hat, eingestürzt ist und er (dadurch) den Hauseigentümer ums Leben bringt, so wird dieser Baumeister getötet. Wenn er den Sohn des Hauseigentümers (dadurch) ums Leben bringt, so tötet man den Sohn des Baumeisters.

Das Prinzip der Vergeltung hat ja eine gewisse Plausibilität für sich (wegen der Adäquatheit von Tat und Strafe); aber in dieser Form drängen sich mir drei Einwände auf:
1. Hier wird nicht zwischen Absicht und Fahrlässigkeit unterschieden.
2. In diesen Bestimmungen werden Angehörige ins Spiel gebracht:
2.1 Was ist, wenn der Täter keine entsprechenden Angehörigen hat?
2.2 Durch das strafweise Töten von Angehörigen wird der Schuld-Aspekt gegenüber dem Wert-Aspekt völlig vernachlässigt. (Das mag auch die Erklärung für 1 sein, obwohl sich das auf den eigentlichen Täter bezieht.)
Wie kommt man auf ein solches Prinzip? Ist dies reine Abschreckung? Aber dann müßte die Strafe doppelt so hoch sein wie der zugefügte Verlust. Nein, es handelt sich schon um ein Verständnis von Gerechtigkeit - aber um welches? Unabhängig von Schuld?
Re: Das Talionsprinzip
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 23.08.2011 um 14:14 Uhr (Zitieren)
Mit Verlaub, es will mir scheinen, Du beläßt es nicht bei den Feststellungen, sondern legst Maßstäbe an ein Rechtssystem, das dieses anscheinend nicht gekannt hat. Damit werden Deine "Einwände" aus meiner Sicht zu einer (historisch) nicht gerechtfertigten Kritik.

"1. Hier wird nicht zwischen Absicht und Fahrlässigkeit unterschieden."
Nein, entscheidend ist nach der untersuchten Rechtsauffassung offenbar nur das Ergebnis einer Tat.
"2.1 Was ist, wenn der Täter keine entsprechenden Angehörigen hat?"
Vielleicht gibt es dazu anderenorts Bestimmungen?
"2.2 Durch das strafweise Töten von Angehörigen wird der Schuld-Aspekt gegenüber dem Wert-Aspekt völlig vernachlässigt."
Wie oben gesagt, diesen Aspekt kennt das Rechtssystem offenbar nicht - das Faktum, daß ein Mensch durch das Tun eines anderen sein Leben hat lassen müssen, ist (nach dem hier vorgelegten Text) einzig maßgebend.
Es handelt sich, da stimme ich Dir zu, um ein Verständnis von (austeilender) Gerechtigkeit, das die Frage der persönlichen Schuld, bzw. ihrer Verlagerung) jedoch nicht in den Vordergrund stellt, sondern den Schadensausgleich aus der Vermögenssache - und dazu gehört ja noch nach römischem Rechtsbrauch jeder Angehörige der 'familia' - herzustellen sucht.
Re: Das Talionsprinzip
Γραικίσκος schrieb am 23.08.2011 um 14:37 Uhr (Zitieren)
Nein, nein, ich bewerte nicht - ich versuche vor allem zu verstehen. Da ich das als Mensch meiner Zeit tue und klarerweise tun muß, bin ich zunächst befremdet von diesem Rechtsdenken - das schon.

Regelungen für spezielle Fälle, in denen eine exakte Vergeltung - Sohn gegen Sohn, Tochter gegen Tochter - nicht möglich ist, gibt es m.W. im Hammurabi-Kodex nicht.
Es handelt sich anscheinend um eine recht schlichte [Andeutung einer Bewertung!] Vorstellung von Gleichwertigkeit, die keinen Ersatzwert kennt: ein Sohn oder 100000 Babylon-Taler o.ä.
Re: Das Talionsprinzip
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 23.08.2011 um 14:51 Uhr (Zitieren)
Ich wollte Dir auch nicht unrecht tun, und daß man bei Fremdem, gar prima facie Unverständlichem erst einmal stutzt und fragt/nachbohrt, ist völlig legitim.

Wie die praktische Ausgestaltung einer Causa erfolgte, in denen der Buchstabe des Gesetzes nicht anwendbar war (neben Deiner Frage 2.1. könnte man ja ohne weiteres konstruieren, daß ein Hauseinsturz mehr Todesopfer fordert als der Baumeister Familienangehörige hat), dürfte, wenn schon nichts im Cod. Hamm. dazu zu finden ist, nur durch die Nachforschung nach konkreten Fällen/Entscheidungen zu lösen sein.
Vielleicht ist auch dies ein Grund dafür, daß im Laufe der Historie der "Wert" eines Menschenlebens im Gelde festgelegt wurde; so sieht bspw. das islamische Jus die ersatzweise Zahlung eines Sühnegeldes (an Stelle der Tötung des Schuldigen) vor. Wie es im griechischen, römischen, mosaischen Recht aussieht, weiß ich (muß es zu meiner Schande gestehen) leider nicht.
Re: Das Talionsprinzip
Γραικίσκος schrieb am 23.08.2011 um 14:59 Uhr (Zitieren)
Ein Standardwerk zum Thema:

Uwe Wesel:
Geschichte des Rechts.
Von den Frühformen bis zur Gegenwart
München 2. Auflage 2001
C. H. Beck


Ich schaue später einmal zu unserer Frage dort nach; jetzt tue ich etwas anderes.
Re: Das Talionsprinzip
Γραικίσκος schrieb am 23.08.2011 um 15:11 Uhr (Zitieren)
Nun habe ich mich doch festgelesen.
Folgendes kann ich feststellen:
- Die Forschung staunt darüber, daß aus der Zeit, die auf die Publikation des Codex folgte, zwar Tausende von Prozeßurkunden erhalten sind, sich aber keine einzige auf diesen Codex beruft.
- Das ältere sumerische Recht kannte bereits Bußen als Schadensausgleich. Die strikte Bindung an die Gleichwertigkeit (Sohn um Sohn etc.) war also damals eine neue, verschärfende Regelung.
- Viele Details sind nicht zu klären; dies gilt auch für die hinter dem Codex stehenden Entstehungsbedingungen. Zitat: "In Europa findet man allerdings bei zunehmender Stärkung der Zentralgewalt eine stetige Abnahme von Grausamkeiten. In Mesopotamien scheint es umgekehrt gewesen zu sein. Niemand hat das bisher plausibel erklärt." (a.a.O., S. 90)
Re: Das Talionsprinzip
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 23.08.2011 um 16:57 Uhr (Zitieren)
Tja, das macht das Ganze auch nicht unbedingt einfacher zu verstehen ...
Danke aber für die Auskünfte.

Als kleine Gegengabe hier der Hinweis auf die "Bemessungstabelle" des AT:
http://www.bibel-online.net/text/luther_1912/3_mose/27/ Vss. 1-8
Re: Das Talionsprinzip
ανδρέας schrieb am 23.08.2011 um 20:27 Uhr (Zitieren)
WER vollstreckt eigentlich die Strafe (wer ist "man")? Die geschädigte Sippe? Oder gab es "unabhängige" Scharfrichter? Vermutlich hätte es ohnehin eine Art der "Blutrache" gegeben, die es ja in einigen Teilen der Welt noch gibt. Da hatte der Richter wohl eher eine Vermittlungsfunktion, damit das unweigerliche Vergeltungsprinzip in halbwegs kontrollierten Bahnen verlief. Andernfalls hätte es eine unendliche Reihe von Rache - und Gegenracheakten zur Folge gehabt. Das Gewaltmonopol, wie wir es heute kennen, war damals wohl noch nicht durchsetzbar, denke ich.
Vielleicht hatten die damaligen Herrscher auch keine andere praktische Möglichkeit, als durch dieses Prinzip die ständige Austragung von Fehden zu unterbinden. Bei dem damaligen Rechtsverständnis hätten die Geschädigten wohl gar keine Ruhe mehr gegeben.
Das politische Ziel dieses Rechtssystems war vermutlich ausschließlich darauf gerichtet, die größer werdende Gesellschaft zusammen zu halten. Kleine Gruppen regeln das ggf. noch "unter sich" (in manchen Dörfern regelt man das auf dem Fussballplatz). Übrigens braucht man für "Schadensersatz" eine funktionierende Tauschwirtschaft (idealerweise Geld), für die allgemeine Wertgrundlagen vorhanden sind. So weit war man vielleicht noch nicht.
Re: Das Talionsprinzip
Γραικίσκος schrieb am 23.08.2011 um 20:53 Uhr (Zitieren)
Die Babylonier hatten durchaus Richter und führten Prozesse - das belegen ja die "zu Tausenden" erhaltenen Prozeßurkunden.
Und die älteren Sumerer kannten ja schon den Ersatzwert (gleich, ob das nun Münzen oder Schafe sind). Warum verschärft Hammurabi dieses Prinzip?
 
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