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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Der Beginn der Judenverfolgungen in der Antike (585 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 11.09.2011 um 18:17 Uhr (Zitieren)
Durch Sabbat, Speisevorschriften und Beschneidung war also der Rahmen geschaffen, der dem späteren Judentum das Überdauern in der Geschichte erleichterte. Die religiösen Gesetze unterschieden Israel von den Völkern und wurden zu Garanten seiner Existenz. In der späteren rabbinischen Entwicklung führte das dann zur Auffassung der Tora als Zeichen und Gabe der Erwählung. Die Verbindung des geschichtstheologischen Ansatzes im Selbstverständnis Israels, daß Israel am Ende der Zeiten so wie die Welt wiederhergestellt werden wird, mit der vom Erwählungsbewußtsein her bestimmten Gesetzespraxis hatte die Auffassung zur Folge, daß Israel einerseits in dieser Welt bis zum Ende durchzuhalten hat und daß andererseits das den Bestand garantierende Leben nach dem Gesetz die Sinngebung der jüdischen Existenz impliziert. Israel erfüllt somit seinen Sendungsauftrag, wenn es in der Umgebung der „weltlichen Völker“ in diesen nicht aufgeht. Der Bestand Israels trotz der Zerstreuung mit ihren Widerwärtigkeiten ist gleichsam identisch mit der Sinngebung der Sendung Israels, weil die jeweiligen weltpolitischen Ereignisse, indem sie Israels Bestand zwischen Gericht und Gnade Gottes bedingen, zur endzeitlichen Erfüllung der heilsgeschichtlich verstandenen weltpolitischen Ereignisse und somit zu der Sendung Israels hinführen. Weil die Weltgeschichte und Israel dasselbe eschatologische Ziel haben, genügt bis zur endzeitlichen Erfüllung Israels die äußere Existenz.
Somit hatte das Leben in der Diaspora , die als Gola, d.h. als Exil, verstanden wurde, eine tiefgreifende Veränderung im jüdischen Selbstverständnis zur Folge. Das Volk lebte als jüdische Gemeinde mitten unter anderen Völkern und wußte von seinem Erwählungs- und Sendungsbewußtsein her, daß es bei aller äußeren Solidarität mit diesen doch nicht ganz in ihnen aufgehen dürfe. Die Juden waren daher schon in der Antike negativen Deutungen ihres Selbstverständnisses durch Angehörige der anderen Völker ausgesetzt. Die Treue Israels zu seinem Bundesgott wurde von den anderen als Untreue ihren eigenen Göttern gegenüber verstanden. Als Menschen unterschieden sich die Juden nicht von den Angehörigen der anderen Völker in ihrer jeweiligen Umgebung, als Juden aber mußten sie – schon um ihrer Existenz willen – ein Selbstverständnis entfalten, das sie von den anderen unterschied. Der Wunsch der Juden, Juden zu bleiben und nicht zu werden „wie die anderen Völker“, rief den Widerspruch derer auf den Plan, die sich durch den Inhalt des jüdischen Selbstverständnisses in ihrem eigenen Selbstverständnis herausgefordert oder zumindest in Frage gestellt fühlten. So entstand schon in der Antike der Antijudaismus als Korrelat zum Erwählungsbewußtsein Israels. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele schon in den späten Büchern des Alten Testaments. Besonders deutlich ist in dieser Hinsicht Esther 3,1-9: Alle Beamten des Persischen Reiches leisteten gemäß einem königlichen Befehl die Proskynese vor dem obersten Beamten des Reiches, namens Haman. Nur der Jude Mordechai leistete unter Hinweis auf sein Judentum nicht diese Ehrenbezeugung vor Haman, da sie nach seiner Überzeugung nur Gott allein zukomme. Darauf heißt es in Est 3,5 f: „Als nun Haman merkte, daß Mordechai die Knie nicht beugte und sich vor ihm nicht bis zur Erde verneigte, wurde Haman mit Zorn erfüllt. Es schien in seinen Augen zu wenig, an Mordechai allein Hand anzulegen. Man hatte ihm nämlich das Volk des Mordechai genannt. Da suchte Haman alle Juden im ganzen Reich des Achaschwerosch zusammen mit Mordechai zu verderben.“ Dann heißt es in Est 3,8 f: „Da sprach Haman zu König Achaschwerosch: ‚Es gibt ein Volk, das zerstreut und abgesondert unter den Völkern in allen Provinzen deines Reiches lebt. Ihre Gesetze unterscheiden sich von jedem Volk, und die königlichen Verordnungen beachten sie nicht. Deshalb ist es nicht angemessen für den König, sie in Ruhe zu lassen. Wenn es dem König gefällt, soll man ein Schriftstück abfassen, sie auszurotten.‘ [sic!]“
[...]

[Quelle: Kurt Schubert, Die Kultur der Juden im Altertum. Lizenzausgabe Wiesbaden 1980, S. 117 f.]
Re: Der Beginn der Judenverfolgungen in der Antike
διψαλέος schrieb am 11.09.2011 um 18:22 Uhr (Zitieren)
Nun ja,
Das Volk Israel ist in der Geschichte der Menschheit nicht das erste, einzigste und letzte Volk, welches zerstreut, seiner eigenstaatlichen Existenz beraubt und unter "Fremdvölkern" zu leben hatte.

Was es so besonders macht ist, daß es seinen Ursprung in einer Weltgegegend hatte, in der die Buchstabenschrift erfunden wurde und somit eine schriftliche Tradition entwickeln konnte und damit seine Geschichte aufzeichnen konnte.
Über das Schicksal anderer Völker, die ähnliches erlitten, wissen wir mangels Aufzeichnungen eben nichts.
Re: Der Beginn der Judenverfolgungen in der Antike
Γραικίσκος schrieb am 11.09.2011 um 18:27 Uhr (Zitieren)
Dieser persische Beamte plant eine Ausrottung! Was ihm noch fehlt zum Nazi, ist der Rassismus - ihm geht es nur um eine (verweigerte) Kniebeuge.
Re: Der Beginn der Judenverfolgungen in der Antike
διψαλέος schrieb am 11.09.2011 um 18:28 Uhr (Zitieren)
Man denke nur mal an das Schicksal der schwarzafrikanischen Völker und Kulturen,
deren Geschichte man heute mühsam rekonstruieren muß.
Und es waren nicht nur die europäischen Kolonialmächte, die da gewütet hatten.
Re: Der Beginn der Judenverfolgungen in der Antike
διψαλέος schrieb am 11.09.2011 um 18:32 Uhr (Zitieren)
@Γραικίσκος,
Ich bin mir sicher, daß die Verweigerung der Proskynese öfter Anlaß war für einen Herrscher, solche Erlaße zu diktieren.

(Der Nazi-Antisemitismus und seine Umsetzung ist mit nichts aus der uns sonst bekannten Historie zu vergleichen)
Re: Der Beginn der Judenverfolgungen in der Antike
Γραικίσκος schrieb am 11.09.2011 um 18:35 Uhr (Zitieren)
Kennst Du ein Beispiel? (für die geplante oder gar durchgeführte Ausrottung eines Volkes der Antike aus religiösen Gründen)
Re: Der Beginn der Judenverfolgungen in der Antike
διψαλέος schrieb am 11.09.2011 um 18:40 Uhr (Zitieren)
eben nicht!
Wenn es in der Geschichte einen Genozid gab, war er in irgendeiner Form "rational"
(wobei der Holocaust der Nazis aus ihrer Sicht wohl auch "rational" gewesen ist).
Re: Der Beginn der Judenverfolgungen in der Antike
διψαλέος schrieb am 11.09.2011 um 18:48 Uhr (Zitieren)
Moment,
jetzt habe ich deine Frage falsch verstanden:
Eben weil das Volk Israel eine schriftliche Tradition besitzt, konnten sie diesen Erlaß aufzeichnen und im Gedächtnis behalten.

Vielleicht ein ähnliches Ereignis:
Mithridates VI., der ja angeblich alle Römer, denen er habhaft werden konnte, töten ließ
(angeblich über 80.ooo Menschen).
Re: Der Beginn der Judenverfolgungen in der Antike
Γραικίσκος schrieb am 11.09.2011 um 18:53 Uhr (Zitieren)
Es müssen ja nicht eigene Aufzeichnungen dieses (Opfer-)Volkes sein. Zudem gibt es noch andere als schriftliche Belege. (Katyn etwa ist durch Leichenfunde bekannt geworden.)

Hm, Mithridates. Das geht in diese Richtung, ja. Wäre er einer größeren Anzahl habhaft geworden, hätte er die sicher auch noch umbringen lassen.
Re: Der Beginn der Judenverfolgungen in der Antike
διψαλέος schrieb am 11.09.2011 um 18:56 Uhr (Zitieren)
Vielleicht auch Caesar:
Seine Feldzüge in Gallien und Germanien glichen , in meinen Augen, oft auch Ausrottungszügen.
Er sollte ja dafür auch mal vor dem Senat angeklagt werden!
Re: Der Beginn der Judenverfolgungen in der Antike
Γραικίσκος schrieb am 11.09.2011 um 18:59 Uhr (Zitieren)
Was wäre sein Motiv gewesen? Wer unterwerfen will, will ausbeuten (und ggfs. Widerstand brechen), nicht ausrotten.
Re: Der Beginn der Judenverfolgungen in der Antike
διψαλέος schrieb am 11.09.2011 um 19:02 Uhr (Zitieren)
Über Caesars Motive ist viel geschrieben worden.
Ganze Bibliotheken sind damit gefüllt...
;-)
Re: Der Beginn der Judenverfolgungen in der Antike
διψαλέος schrieb am 11.09.2011 um 19:09 Uhr (Zitieren)
Es war Cato, der Caesar den Germanen ausliefern wollte,,
(wegen des Völkermordes an den Usipetern und Tenkteren, BC IV, 1-15)
Re: Der Beginn der Judenverfolgungen in der Antike
Γραικίσκος schrieb am 11.09.2011 um 19:13 Uhr (Zitieren)
Mit anderen Worten: Das 'Tätervolk' hatte bereits ein Unrechtsbewußtsein?
Re: Der Beginn der Judenverfolgungen in der Antike
Γραικίσκος schrieb am 11.09.2011 um 19:14 Uhr (Zitieren)
Nun, einer aus dem Tätervolk ...
Re: Der Beginn der Judenverfolgungen in der Antike
διψαλέος schrieb am 11.09.2011 um 19:14 Uhr (Zitieren)
nun war Cato nicht gerade ein Freund Caesars..
Re: Der Beginn der Judenverfolgungen in der Antike
διψαλέος schrieb am 11.09.2011 um 19:22 Uhr (Zitieren)
Γραικίσκος schrieb am 11.09.2011 um 19:13 Uhr:
Mit anderen Worten: Das 'Tätervolk' hatte bereits ein Unrechtsbewußtsein?

Ob ein "Volk" ein kollektives Bewußtsein hat?
Dann gäbe es ja auch eine "Kollektivschuld".
Dann wären wir, das deutsche Volk, für alle Zeiten "schuldig".
Ich sehe das etwas anders:
Wir sind als Volk "verantwortlich", nicht "schuldig".
"Verantwortlich" für die Zukunft.
Damit sowas nie wieder geschehen kann.
Re: Der Beginn der Judenverfolgungen in der Antike
Γραικίσκος schrieb am 13.09.2011 um 20:05 Uhr (Zitieren)
Ist Verantwortung etwas anderes als (Un-)Rechtsbewußtsein?

Wer bereit ist, ein Vermögen seiner Vorfahren als Erbe anzunehmen (d.h. die weitaus meisten), muß konsequenterweise auch bereit sein, eine Verpflichtung (z.B. zur Wiedergutmachung) zu übernehmen.
Re: Der Beginn der Judenverfolgungen in der Antike
ανδρέας schrieb am 14.09.2011 um 20:16 Uhr (Zitieren)
Wer bereit ist, ein Vermögen seiner Vorfahren als Erbe anzunehmen...


Der Gesetzgeber lässt es zu, dass Erben ihr Erbe ausschlagen können. Dies ist auch gerechtfertigt, denn wer keinen Einfluss darauf hat, ob Schulden gemacht wurden, kann dafür schlecht "verantwortlich" gemacht werden. Da müssen sich die Gläubiger überlegen, wem sie Geld leihen oder überhaupt vertrauen. Auch Strafen für Verbrechen kann man kaum in einer Art Sippenhaft den Nachkommen aufbürden, denke ich. Moralische Schuld kann auch nur darin bestehen, aus Fehlern zu lernen und nach Vermeidung in der Zukunft zu streben. Schuld ist m.E. individuell. Sonst tragen Nachfahren von Opfern den Nachfahren von Tätern ewig eine Last auf - fertig ist die Erbsünde und auch der "Erbfeind". Das führt kaum zur Gerechtigkeit unter Personen oder Völkern.
Re: Der Beginn der Judenverfolgungen in der Antike
Γραικίσκος schrieb am 14.09.2011 um 20:51 Uhr (Zitieren)
Ich lächele nur über die Menschen, die ein Plus im Konto ihrer Vorfahren als Erbe erfreut annehmen und bei einem Minus (und sei es ein moralisches) entrüstet jede Verantwortung ablehnen.
'Schuld' ist ein Mensch genausowenig daran, daß sein Vorfahr 10000 Menschen umgebracht hat, wie daran, daß er 10 Mio. Euro erworben hat, oder? Für dieses übernehmen wir aber merklich lieber die Folgen als für jenes.
Re: Der Beginn der Judenverfolgungen in der Antike
ανδρέας schrieb am 14.09.2011 um 21:25 Uhr (Zitieren)

Der Ehemann und Familienvater wird das Lächeln eher verkraften als den Unmut seiner Gattin über die ausgeschlagene, lohnenswerte Erbschaft. Das moralische Erbe scheint sich leichter tragen zu lassen (beispielhaft): die Australier schämen sich wegen der Aborigines, die Amerikaner wegen der Farbigen und der Indianer usw. . Möglich, dass es leichter fällt, wen man nicht persönlich schuld ist und die Früchte der unmoralischen Handlungen der Vorfahren gleichwohl weiter genießen kann. Zurück gegeben haben jedenfalls weder die einen, noch die anderen etwas. Die Messen sind gesungen.
 
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