Γραικίσκος schrieb am 02.06.2009 um 15:21 Uhr (Zitieren)
(Quelle: Diogenes Laertios, Leben und Meinungen berühmter Philosophen X 139 f.)
Ich wollte die Schlichtheit und Tröstlichkeit dieser Sätze nicht durch das griechische Original verkomplizieren, welches due meisten Leser zu langwierigen und umständlichen Bemühungen zwänge.
Nur der erste, sehr berühmte Satz des zweiten Lehrsatzes:
Re: Epikurs Hauptlehrsätze
Βοηθὸς Ἑλληνικός schrieb am 02.06.2009 um 15:53 Uhr (Zitieren)
Ich bin ja ein vernunftorientierter Mensch und wenn man diese Grundsätze für das Leben als Prämisse vorgibt.....ist doch gar nicht so abwegig, oder?
Re: Epikurs Hauptlehrsätze
Γραικίσκος schrieb am 02.06.2009 um 15:57 Uhr (Zitieren)
Im Grunde handelt es sich um eine Art Psychotherapie:
Diagnose: Menschen leiden an Ängsten.
Wovor haben sie Angst? Vor Gott, vor dem Tod und vor Schmerzen.
Wenn wir aber vernünftig überlegen, brauchen wir weder vor Gott noch vor dem Tod noch vor Schmerzen Angst zu haben.
So können wir denn glücklich leben, wenn wir vernünftig sind, denn Glück ist nichts anderes als Freisein von den Schmerzen des Körpers und der Seele (den Ängsten).
Ganz ähnlich geht der Buddha bei seinen Vier Edlen Wahrheiten vor. (Heinrich Zimmer hat ihn systematisch als Arzt interpretiert.) Überhaupt scheint mir Epikur Europas Pendant zum Buddha zu sein.
Re: Epikurs Hauptlehrsätze
Γραικίσκος schrieb am 02.06.2009 um 15:58 Uhr (Zitieren)
Es kommt dem, was Du machst, lieber Βοηθός, sicher sehr nahe - sofern Du Deinem Beruf eine psychosomatische Dimension gibst.
Re: Epikurs Hauptlehrsätze
Βοηθὸς Ἑλληνικός schrieb am 02.06.2009 um 16:01 Uhr (Zitieren)
Ja, ich finde die Epikur´sche Einstellung für manche Patienten und auch für´s Leben gar nicht so schlecht. Man muß auch den alteingesessenen Religionen dann nicht so den Vorschub leisten....die sind mir auch z.B. zu abgehoben und konservativ und nicht an der Realität gemessen......
Re: Epikurs Hauptlehrsätze
Γραικίσκος schrieb am 02.06.2009 um 16:02 Uhr (Zitieren)
Das ist Epikurs letzter Brief, geschrieben an Idomeneus:
(Quelle: Diogenes Laertios, Leben und Meinungen berühmter Philosophen, X, 22)
Ich finde das einfach bewundernswert!
Re: Epikurs Hauptlehrsätze
Βοηθὸς Ἑλληνικός schrieb am 02.06.2009 um 16:03 Uhr (Zitieren)
Also ich kann nur sagen...ich bin in der Grundeinstellung ein Epikuräer..:-)
Re: Epikurs Hauptlehrsätze
Γραικίσκος schrieb am 02.06.2009 um 16:06 Uhr (Zitieren)
Dann sind wir schon zu zweit ... "Schweinchen aus der Herde Epikurs" (Horaz).
[Epicuri de grege porcus sum.]
Re: Epikurs Hauptlehrsätze
Βοηθὸς Ἑλληνικός schrieb am 02.06.2009 um 16:09 Uhr (Zitieren)
Ja, genau.....ich habe auch als Zusatzbezeichnung "Psychosomatische Grundversorgung"..... so nennt sich das heute :-)
Re: Epikurs Hauptlehrsätze
Βοηθὸς Ἑλληνικός schrieb am 02.06.2009 um 16:10 Uhr (Zitieren)
John schrieb am 02.06.2009 um 16:37 Uhr (Zitieren)
Vor allem bei Satz 2 und 3 muss ich unwillkürlich an Schopenhauer denken... Oh, "unwillkürlich" - ein Wort, welches dem Meister sicherlich nicht zugesagt hätte.:)
Da wir vor kurzem den fiktiven Dialog zwischen Γραικίσκος und Σωκράτης hatten, muss aber nun auch Paulus zu Wort kommen, der den Tod bereits im Leben finden will und auch ohne eine endzeitliche Perspektive davon sprechen kann. Im Römerbrief, Kapitel 8,6 schreibt er:
Hier die - textkritisch unbedenkliche - Version ohne Akzente.:) Also so ganz ohne Angst vor Gott, was wohl eher eine Erfindung des Mittelalters darstellt, wenn ich das mal so polemisch sagen darf...
Re: Epikurs Hauptlehrsätze
Γραικίσκος schrieb am 02.06.2009 um 17:49 Uhr (Zitieren)
Lieber John,
es ist immer mißlich, Bibelstelle gegen Bibelstelle zu halten, aber sind die folgenden Stellen nicht etwas fundamentaler, jedenfalls historisch folgeträchtiger als die Paulusstelle?
Ich verkenne nicht, daß an beiden Stellen neben der Peitsche das Zuckerbrot nicht vergessen wird, aber da die meisten von uns wohl nicht beanspruchen dürfen, den christlichen Maßstäben auch nur halbwegs zu entsprechen, entsteht für Angst vor Gott auch im Christentum doch ein großer Spielraum. Nicht zuletzt:
Zu leugnen, daß die im NT vielfach erwähnte Hölle geeignet ist, Angst auszulösen, erscheint mir vergeblich. Der Gott Jesu ist immer beides zugleich, der (zu liebende) Vater und der (zu fürchtende) Richter, und nach einer feinen Beobachtung Nietzsches liegt hierin eine psychologische Fehlkonstruktion.
Re: Epikurs Hauptlehrsätze
Γραικίσκος schrieb am 02.06.2009 um 17:53 Uhr (Zitieren)
Bei Paulus, Römer 8, 1 heißt es:
Hörst Du, was an dieser Stelle ungesagt mitklingt?
Ich habe gute Ohren für Ungesagtes.
Re: Epikurs Hauptlehrsätze
John schrieb am 02.06.2009 um 18:55 Uhr (Zitieren)
Als muss man diese Stellen beschreiben, das ist wahr. Es darf auch keinesfalls Aufgabe des Exegeten sein, sie modern und politisch korrekt auslegen zu wollen, so, wie es einige exegetische Modelle oder gar Übersetzungen versuchen (siehe bspw. die Beschneidung von Frauen in der berühmten "Bibel in Gerechter Sprache").
Was Nietzsche aber als Aporie beschreibt, genau das hatte Luther über 300 Jahre vorher versucht zu bekämpfen. Und was neuere Ansätze wie Dawkins oder Hitchens meinen, nennen sogar moderne Philosophen geistlos.
Es gibt sehr viele Ansätze, diesen berechtigten Vorwürfen zu begegnen. Molthagen dazu:
Das geht auf der anderen Seite hin bis zu radikalen Theologien wie die der Evangelikalen... Mein bescheidenes Urteil darüber lässt sich in zwei Punkten ausdrücken:
1. Weder die gesamte Bibel, noch die das Alte und Neue Testament in sich beinhalten eine geschlossene Theologie, was sich sehr leicht beobachten lässt, bspw. anhand von sich widersprechenden Parallelüberlieferungen. Erschlug David Goliath oder war es Elhanan? Nur um ein mehr oder minder "sinnleeres" Beispiel zu nennen...
2. Es stünde den gegenwärtigen protestantischen Konfessionen gut, ein paar neue Bibelverse, und von mir aus auch gern -kapitel, selbst zu schreiben. Das ist Jahrhunderte lang, mit welchen Brüchen auch immer, ebenso geschehen. Denn wenn Theologen heute dazu genötigt sind, antike Bilder (in Form und Sprache) verständlich zu machen, zeigt dies doch nur, dass wir heute nicht mehr reflektiert über Gott nachdenken dürfen. Da ist die katholische Seite einen Schritt weiter, scheitert jedoch am Unfehlbarkeitsdogma.
Zugestehen muss man aber, dass gerade manche Gesetzen des Alten Testaments missverstanden werden. Nicht Bibelstelle gegen Bibelstelle, sondern Exegese im historischen Kontext ist daher gefragt, wenn es e.g. um den Satz "Auge um Auge, Zahn um Zahn" geht. Dass hier keine Gewaltverherrlichung, sondern Gewalteindämmung vorgeschrieben ist, gibt die - natürlich nicht ursprüngliche - Bezeichnung "ius tallionis" wieder. Aber das sollte nicht die Frage sein...
zu Röm 8,1:
Die Verdammungswürdigkeit liegt aber nicht darin, dass der Mensch gegen Gott sündigt, sondern darin, dass er sich selbst schadet. Im paulinischen Sinn jedenfalls darf der Zorn Gottes nicht als Gekränktsein verstanden werden, sondern als Folge eigenen Fehlverhaltens. Eine Art Wiederbelebung des Zusammenhangs zwischen Tun und Ergehen.
Re: Epikurs Hauptlehrsätze
John schrieb am 02.06.2009 um 19:05 Uhr (Zitieren)
Zudem heißt es, um den Ansprüchen eines Griechisch-Forums gerecht zu bleiben, in Röm 1,18:
- "hat sich offenbart", also nicht primär aktiv und damit als Folge -
Re: Epikurs Hauptlehrsätze
Γραικίσκος schrieb am 02.06.2009 um 20:10 Uhr (Zitieren)
Daß wir unsere Verdammung uns selbst schulden sollen, habe ich schon gehört. Ob das immer so zu den Texten paßt, oder ob das dem Bedürfnis nach einer Entlastung Gottes geschuldet ist?
Römer 1,24:
διὸ παρέδωκεν αὐτοὺς ὁ θεὸς ἐν ταἶς ἐπιθυμίαις ...
da scheint doch so eine Aktivität Gottes auf, oder?
Nun, wenn Du Menschen die Angst vor Gott nehmen willst, ist das eine ehrenwerte Absicht. Ich für meine Person verlasse mich auf die vernünftigen, d.h. nicht auf eine Hl. Schrift, sondern auf einsehbare Argumente gegründeten Überlegungen Epikurs: Ein seliges und unvergängliches Wesen ... kennt weder Zorn noch Wohlwollen, (denn dies sind Eigenschaften unvollkommener Wesen).
In diesem Zusammenhang fällt mir gleich Platons Überlegung im Symposion ein, daß (auch und gerade) Liebe ein Mangelphänomen ist und daher Kennzeichen eines unvollkommenen Wesens.
Der Papst (bist Du katholisch?) behauptet ja gerne eine Harmonisierbarkeit von Vernunft und Glauben. Da habe ich aber so meine Zweifel.
Re: Epikurs Hauptlehrsätze
Γραικίσκος schrieb am 02.06.2009 um 20:15 Uhr (Zitieren)
Was kann man über Epikur herrlich diskutieren!
Dieser Mensch mit seinen Gedanken ist so frisch und lebendig wie vor 2300 Jahren!
Re: Epikurs Hauptlehrsätze
Βοηθὸς Ἑλληνικός schrieb am 02.06.2009 um 20:22 Uhr (Zitieren)
John schrieb am 02.06.2009 um 20:39 Uhr (Zitieren)
Wir sollten denken, da stimme ich zu. Aber nicht von vorn herein ausschließen. Und hier spricht nicht der Protestant (ich bin also nicht katholisch). Übrigens: Epikur ging doch ebenfalls von der Existenz von Göttern aus. Interessant dazu auch Sokrates in den letzten Worten seiner Verteidigung (ὁπότεροι δὲ ἡμῶν ἔρχονται ἐπὶ ἄμεινον πρᾶγμα, ἄδηλον παντὶ πλὴν ἢ τῷ θεῷ) oder Cicero, dessen These in De Natura Deorum im 2. Buch über das schöne Thema Rinder besagt:
[quote]Zeigen deren Rücken nicht, dass sie zum Tragen von Lasten geformt worden sind, ihre Nacken aber zum Einspannen ins Joch erwachsen, die Kräfte und Breiten ihrer Schultern zum Ziehen von Pflügen?[quote]
Aber auch das soll keine ἀπολογία sein, nur eine Beobachtung.:)
Re: Epikurs Hauptlehrsätze
John schrieb am 02.06.2009 um 20:40 Uhr (Zitieren)
Entschuldigt den fehlenden Schrägstrich...
Re: Epikurs Hauptlehrsätze
Γραικίσκος schrieb am 02.06.2009 um 20:50 Uhr (Zitieren)
Ich freue mich sehr, lieber John, mit Dir zu diskutieren, und wir sollten, wenn wir frischer sind, dieses Gespräch fortsetzen.
Aber jetzt gerade baue ich ziemlich ab ... und kann mir nur einen kleinen Spott nicht verkneifen, der auf Ciceros teleologischen Gottesbeweis (so nennt man das wohl) zielt:
Nichts für ungut. Was sich mag, das neckt sich. Gute Nacht!