Über das Verhältnis von Körper und Seele ist in der jüdischen Tradition ein Streitgespräch zwischen dem um 200 n. Chr. lebenden Rabbi Jehuda Hannasi, dem Redaktor der Mischna, und Kaiser Antoninus [Caracalla?] überliefert:

Antoninus sprach zu Rabbi: "Körper und Seele können sich gegenseitig vor Gericht freisprechen."
"Wie?"
"Der Körper kann sagen: Die Seele ist die Schuldige; denn von dem Tage an, da ich mich von ihr getrennt habe, liege ich wie ein stummer Stein im Grabe. Ebenso kann aber auch die Seele sagen: Der Körper ist der Schuldige; denn von dem Tage an, da ich mich von ihm getrennt habe, fliege ich (frei) wie ein Vogel in der Luft herum."
Darauf antwortete er ihm: "Ich will dir ein Gleichnis sagen: Die ganze Sache gleicht einem König von Fleisch und Blut, der einen schönen Garten mit gutem Frühobst hatte und dort zwei Wächter einsetzte, einen Lahmen und einen Blinden. Da sagte der Lahme zum Blinden: Ich sehe gutes Frühobst im Garten, komm und laß mich auf dir hinreiten und wir wollen es holen, um es zu essen. Da ritt der Lahme auf dem Blinden und sie holten es und aßen es. Nach etlichen Tagen kam der Besitzer des Gartens und sagte zu ihnen: Wohin kam das gute Frühobst? Da antwortete ihm der Lahme: Habe ich denn Füße, mit denen ich (hin)gehen könnte? Ebenso antwortete ihm der Blinde: Habe ich denn Augen, (mit denen) ich (es) sehen könnte? Was tat er nun: Er setzte den Lahmen auf den Blinden und richtete sie gemeinsam." [...]
Antoninus sprach zu Rabbi: "Wann kommt die Seele in den Menschen, zur Stunde der Empfängnis oder zur Stunde der Embryonalentwicklung?"
Er antwortete ihm: "Zur Stunde der Embryonalentwicklung."
Jener wandte ein: "Kann denn irgendeine Scheibe Fleisch ohne Salz drei Tage lang frisch bleiben, ohne daß sie stinkend wird? Es muß doch schon zur Stunde der Empfängnis geschehen sein."
Rabbi sagte, in dieser Sache habe ihn Antoninus überzeugt.

(zitiert nach: Kurt Schubert, Die Kultur der Juden im Altertum. Wiesbaden 1970, Nachdruck 1980, S. 236 f.)