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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Abraham und die rektalen Ohrenschmerzen (1219 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 11.11.2011 um 19:21 Uhr (Zitieren)
Es geht um das psychologische Problem der Autoritätshörigkeit vieler Menschen. Dazu heißt es:
am nächsten kommt: Es geht um Abraham und seine als vorbildlich hingestellte Bereitschaft, seinem Sohn ein Messer ins Herz zu stoßen, weil Gott ihm - ohne jegliche Erklärung - den Befehl dazu gab. In dieser Geschichte wird eine Handlung nicht danach beurteilt, ob sie sinnlos, schädlich, ungerecht war oder gegen gewöhnliche moralische Maßstäbe verstieß, sondern einzig und allein danach, ob sie von einer höheren Autorität befohlen war. Abrahams qualvolle Prüfung war ein Test seiner Gehorsamkeit, den er - wie Milgrams Versuchspersonen, denen er vielleicht in ihrer Jugend als Vorbild gedient hatte - bestanden hat.

Nun, ich hatte schon seit längerer Zeit den Verdacht, daß das jüdisch-christlich-islamische Bild des idealen Gläubigen ein masochistisches ist: das eines Menschen, der sich durch Unterwerfung die Liebe eines 'Höheren' erhofft. Aber diese menschliche Gehorsamsbereitschaft hat doch in folgendem Bericht ihren höchstmöglichen (?) Ausdruck gefunden:
Als Beispiel sei hier der von Cohen und Davis berichtete verrückte Fall der "rektalen Ohrenschmerzen" genannt. Ein Arzt verordnete einem Patienten mit einer schmerzhaften Entzündung im Ohr Ohrentropfen. "Rechtes Ohr" kürzte er auf dem Anordnungsblatt mit "r Ohr" ab. Die diensttuende Krankenschwester las dies und führte unverzüglich die Ohrentropfen in den Anus des Patienten ein.

(Robert B. Cialdini: Die Psychologie des Überzeugens. Bern/Göttingen/Toronto/Seattle 2. Aufl. 1997, S. 255; 256-257)

Der Autor zitiert Untersuchungen, denen zufolge 12 % der täglichen Medikationen in Krankenhäusern fehlerhaft sind - einfach deshalb, weil niemand es wagt, die Autorität des verordnenden Arztes in Frage zu stellen.
Re: Abraham und die rektalen Ohrenschmerzen
Γραικίσκος schrieb am 11.11.2011 um 19:21 Uhr (Zitieren)
Auch die Religion trägt ihren Teil bei. Das erste Buch der Bibel beispielsweise beschreibt, wie Ungehorsam gegenüber der höchsten Autorität dazu führte, daß Adam, Eva und der Rest der Menschheit des Paradieses verlustig gingen. Ist diese Metapher möglicherweise noch zu wenig deutlich - nur ein bißchen weiter im Alten Testament lesen wir von einem Geschehen, das vielleicht von allen biblischen Geschichten dem Milgram-Experiment [bekannt, nicht wahr?] am nächsten kommt: Es geht um Abraham und seine als vorbildlich hingestellte Bereitschaft, seinem Sohn ein Messer ins Herz zu stoßen, weil Gott ihm - ohne jegliche Erklärung - den Befehl dazu gab. In dieser Geschichte wird eine Handlung nicht danach beurteilt, ob sie sinnlos, schädlich, ungerecht war oder gegen gewöhnliche moralische Maßstäbe verstieß, sondern einzig und allein danach, ob sie von einer höheren Autorität befohlen war. Abrahams qualvolle Prüfung war ein Test seiner Gehorsamkeit, den er - wie Milgrams Versuchspersonen, denen er vielleicht in ihrer Jugend als Vorbild gedient hatte - bestanden hat.
Re: Abraham und die rektalen Ohrenschmerzen
Γραικίσκος schrieb am 11.11.2011 um 19:25 Uhr (Zitieren)
Gerade denke ich an Bob Dylans schönes Lied "Highway 61 Revisited", welches beginnt:
"God said to Abraham, "Kill me a son!"
Abe said, "Man, you must be puttin' me on!"
Re: Abraham und die rektalen Ohrenschmerzen
Γραικίσκος schrieb am 11.11.2011 um 19:44 Uhr (Zitieren)
Ich denke, das heißt: "Mann, du verarschst mich doch wohl!"
Eine passende Antwort für eine - auch göttliche - Autorität.
Re: Abraham und die rektalen Ohrenschmerzen
διψαλέος schrieb am 11.11.2011 um 20:04 Uhr (Zitieren)
Ich erinnere mich, im Religionsunterricht genau über diesen Punkt
eine heftige Auseinandersetzung mit dem Lehrer gehabt zu haben.

Eines seiner Argumente war auch,
ich habe damals schon den Entschluß gehabt, den Kriegsdienst zu verweigern,
daß ich mich ja auch auf das Gebot "Du sollst nicht töten" berufen würde,
ich mich also in diesem Falle auf die göttliche Autorität berufen würde.
Re: Abraham und die rektalen Ohrenschmerzen
Γραικίσκος schrieb am 11.11.2011 um 20:13 Uhr (Zitieren)
Das 5. Gebot lautet: "Du sollst nicht morden!" Im folgenden Text werden Todesstrafen vorgeschrieben. "Töten" kann also schon von daher nicht gemeint sein.
Nicht, daß ich behaupten möchte, dies sei eine maßgebliche Autorität; aber so steht es nicht da - das ist ein Übersetzungsfehler, der allmählich überwunden sein sollte.
Re: Abraham und die rektalen Ohrenschmerzen
ανδρέας schrieb am 11.11.2011 um 20:20 Uhr (Zitieren)

Göttliche Autoritäten haben den Vorteil für diejenigen, die die Interpretationshoheit inne halten, dass die Untergebenen die "Originalquelle" der Anordnungen nicht fragen und daher auch nicht kontrollieren können, ob die Sache auch wirklich stimmt. Da ist man doch gerne ein Gottkönig usw. .
Heute findet man das meist in undemokratischen Staaten vor. Aber ich glaube, auch die Tea-Party spricht manchmal direkt mit Gott ...
Re: Abraham und die rektalen Ohrenschmerzen
διψαλέος schrieb am 11.11.2011 um 20:24 Uhr (Zitieren)
Γραικίσκος,
sieh an!
Das ist mir so nicht bekannt gewesen, obwohl ich es immer vermutet habe.

Staatlich sanktionierte und befohlene Tötung wird entweder
belohnt mit Orden und Auszeichnungen (im Krieg), oder gerechtfertigt
durch die Justiz (Todesstrafe).
Es ist natürlich gerechtfertigt, daß unsere Strafjustiz fei unterscheidet
zwischen
Mord,
Totschlag,
Körperverletzung mit Todesfolge,
Notwehr
etc...

Ebenso natürlich empfinde ich es aber als widersinnig,
dem Befehl einer sogenannten "höheren" Autorität zu folgen,
sei sie auch vermeindlich "göttlich",
der der eigen innersten Erkenntnis und Überzeugung zuwiderläuft.

Durch welche Überlegung oder welche Schlußfolgerung kam
Abraham darauf, daß der Befehl, seinen Sohn zu töten von "Gott " kam?

Darüber gibt die Bibel, meines Wissens nach, keine Auskunft...
Re: Abraham und die rektalen Ohrenschmerzen
Γραικίσκος schrieb am 11.11.2011 um 20:31 Uhr (Zitieren)
Schon Moses Mendelssohn übersetzt: "Du sollst nicht morden." Martin Buber/Franz Rosenzweig: "Morde nicht."
Unter Juden war das also schon länger eine ausgemachte Sache.

Übrigens sollen u.a. Homosexuelle und Zauberer mit dem Tode bestraft werden.
Re: Abraham und die rektalen Ohrenschmerzen
Γραικίσκος schrieb am 11.11.2011 um 20:33 Uhr (Zitieren)
Die Folgen von Autoritätshörigkeit in der Religion sind wohl bekannt.
In der Medizin waren sie mir zumindest in dieser Weise nicht bekannt, auch wenn ich schon länger aufgehört habe, an die 'Halbgötter in Weiß' zu glauben.
Re: Abraham und die rektalen Ohrenschmerzen
ανδρέας schrieb am 11.11.2011 um 20:39 Uhr (Zitieren)

Für Autorotätshörigkeit braucht man keine Religion. Da reichet auch ein Lehrer - man denke an das "Milgram-Experiment". (vgl. auch den Film "Das Experiment", "Die Welle".)
Klappt übrigens kulturübergreifend.
Re: Abraham und die rektalen Ohrenschmerzen
Γραικίσκος schrieb am 11.11.2011 um 20:45 Uhr (Zitieren)
Cialdini handelt Religion und Milgram in demselben Kapitel seines Buches ab.

Das spezifisch Masochistische an vielen Religionen scheint mir darin zu liegen, daß man hofft, durch Unterwerfung Liebe (Gottes) zu erlangen.

Viele Autoritäten haben ja auffallenderweise mehr Respekt vor Menschen, die ihnen Widerstand leisten, als vor solchen, die sich ihnen unterwerfen (die sie insgeheim verachten).
Re: Abraham und die rektalen Ohrenschmerzen
ανδρέας schrieb am 11.11.2011 um 21:24 Uhr (Zitieren)

Das kann doch nicht sein! ALLE religiösen Menschen sind masochistisch veranlagt? Doch wohl eher völlig normal: Tauschverhältnisse. Tausche Entfaltungsfreiheit gegen gewünschte Sicherheit, Paradiesversprechen, Freiheit von Höllendrohung usw. . Manches mag emotional und irrational sein. Das wird dann ausgenutzt und ist eine Frage der Bildung. Aber es scheint eine Neigung zu geben, nicht selbst entscheiden zu müssen und sich unter die Fittiche der "Führung" zu stellen. Viele tauschen die eigene Verantwortung auch gerne gegen die Sicherheit, dass ein anderer es richten mag. Vor allem dann, wenn man meint, selber nicht dazu in der Lage zu sein. Die meisten sind ganz gerne Mitläufer. Ist ja auch kuscheliger.
Re: Abraham und die rektalen Ohrenschmerzen
Γραικίσκος schrieb am 11.11.2011 um 21:52 Uhr (Zitieren)
Das spezifisch Masochistische an vielen Religionen scheint mir darin zu liegen, daß man hofft, durch Unterwerfung Liebe (Gottes) zu erlangen.

Das kann doch nicht sein! ALLE religiösen Menschen sind masochistisch veranlagt?

?

Warum knien Menschen vor Gott? Was erhoffen sie sich von diesem Akt des Proskynesis?
Re: Abraham und die rektalen Ohrenschmerzen
Γραικίσκος schrieb am 11.11.2011 um 21:59 Uhr (Zitieren)
"Sei mir gnädig! Ich unterwerfe mich auch dir."
Eine seltsame Vorstellung von Liebe.
Re: Abraham und die rektalen Ohrenschmerzen
ανδρέας schrieb am 11.11.2011 um 22:51 Uhr (Zitieren)

Tja, seit tausenden von Jahren Milliarden Anfufe - und keiner hebt ab. Da kommt schon Frustration auf, eigentlich. Aber vielleicht ist es einfach nur die Angst vor dem Leben? Masochistisch ist es m.E. gar nicht.
Menschen werden genau dann religöser, wenn sie vor etwas ängstlich sind. Tod, Krankheit, Bedrohungen aller Art oder Unsicherheiten. Ein Masochist müsste das ja irgendwie mögen. Das sind aber eher Ausnahmen.
Re: Abraham und die rektalen Ohrenschmerzen
Πέγασος schrieb am 12.11.2011 um 07:30 Uhr (Zitieren)
Gewiss hat es auch etwas mit Autoritätshörigkeit zu tun, wenn eine unsinnige Verordnung - wie die rektalen Ohrentropfen - ausgeführt wird. Meiner Meinung nach sind aber auch viele Menschen zu bequem, mal selber ihren Verstand einzuschalten und über das nachzudenken, was sie gerade tun; vielleicht können manche auch nicht mehr selber denken ...

Da ich selber im Krankenhaus arbeite, erlebe auch ich verordneten Blödsinn; meist ist es einfach auf Unkonzentriertheit des Mediziners zurückzuführen. Wenn mir z.B. eine Dosierung seltsam vorkommt, frage ich nach; meist ist der Diensthabende dann dankbar für den Hinweis - sowas erspart Mecker vom Chef.

Außerdem freue ich mich immer über Patienten die nachfragen, was da eigentlich mit ihnen gemacht wird oder welches Medikament sie bekommen, warum sie heute ein anderes bekommen - das hilft einfach Fehler rechtzeitig zu korrigieren. Ich gebe zu, solche Patienten sind nicht bei allen Weißkitteln beliebt.
Re: Abraham und die rektalen Ohrenschmerzen
Γραικίσκος schrieb am 12.11.2011 um 08:23 Uhr (Zitieren)
So zu verfahren, ist gewiß besser, denn:
Der Autor zitiert Untersuchungen, denen zufolge 12 % der täglichen Medikationen in Krankenhäusern fehlerhaft sind - einfach deshalb, weil niemand es wagt, die Autorität des verordnenden Arztes in Frage zu stellen.

(s.o.)
Cialdini rechnet sogar vor, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, während eines einwöchigen Krankenhausaufenthaltes Opfer einer falschen Medikamentierung zu werden. Keine sehr schwierige Rechnung.
Bequemlichkeit des Personals oder auch der Patienten wird wohl ein zusätzlicher Grund sein. Cialdini handelt das Thema allerdings im Kapitel über Autoritätshörigkeit ab.
Ein empfehlenswertes Buch, übrigens!
Re: Abraham und die rektalen Ohrenschmerzen
Γραικίσκος schrieb am 12.11.2011 um 08:31 Uhr (Zitieren)
Übrigens: Mit Masochismus meine ich hier nicht mehr als das Verhaltensmuster, durch Unterwerfung die Gunst (Liebe) eines Wesens erlangen zu hoffen.

Wenn A möchte, daß B ihn liebt, kann A zu diesem Zweck ja sehr verschiedene Dinge tun. A kann sich als stark, als mächtig & erfolgreich darstellen; A kann sich als freundlichen und guten Menschen darstellen, um Eindruck zu machen. Oder A kann sich flach auf den Boden werfen und wimmern: "Domine, non sum dignus, ut intres sub tectum meum."
Wenn ich Bilder von hunderten knieender Moslems sehe, staune ich immer wieder über diese Art, sich Gott zu nähern, als ob er der persische Großkönig wäre.
 
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