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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Eid des Hippokrates (5247 Aufrufe)
Graeculus schrieb am 10.04.2009 um 19:45 Uhr (Zitieren)
Ich werde auch nicht Steinleidende operieren und Männern, die solche Praktiken ausüben, aus dem Wege gehen.

Dieser Satz ist Teil des (antiken) Eides des Hippokrates.
Was da sonst noch vorkommt - keine Abtreibung, keine sexuellen Beziehungen zu Patienten, keine Sterbehilfe -, das verstehe ich alles. Aber was spricht gegen die Behandlung von Steinleidenden?
Re: Eid des Hippokrates
Graeculus schrieb am 10.04.2009 um 19:47 Uhr (Zitieren)
Meine Fundstelle (falls es jemand nicht glaubt):
Hippokrates, Auserlesene Schriften. Herausgegeben und übersetzt von Wilhelm Capelle. Zürich 1955, S. 211 f.
Re: Eid des Hippokrates
ralph schrieb am 10.04.2009 um 20:04 Uhr (Zitieren)
eine andere Übersetzungsversion:
"Auf keinen Fall werde ich Blasensteinkranke operieren, sondern ich werde hier den Handwerkschirurgen Platz machen, die darin erfahren sind."
von http://www.mykath.de/lofiversion/index.php/t1892.html
So ist es um einiges klarer...
Re: Eid des Hippokrates
Lateinhelfer schrieb am 10.04.2009 um 21:06 Uhr (Zitieren)
In meinem Buch "Die Geschichte der Medizin - von der Antike bis zur Gegenwart" von Bernt Karger-Decker (Patmos-Verlag) steht unter dem Kapitel "Der Hippokratische Eid":

.....Auch sollte der antike Arzt keinen chirurgischen Eingriff vornehmen, den er nicht beherrschte...



Wie Ralph geschrieben hat, waren manche Eingriffe anderen Leuten vorbehalten....
Re: Eid des Hippokrates
Graeculus schrieb am 10.04.2009 um 21:21 Uhr (Zitieren)
1. Die beiden Übersetzungen, die ralph und ich vorgelegt haben, sind nun aber schon sehr unterschiedlich.
2. Kann es sein, daß der Arzt bis in die frühe Neuzeit hinein der Internist ist, während der Chirurg eher zu den Handwerkern gehört? (der Feldscher, der Barbier usw.)
Re: Eid des Hippokrates
Lateinhelfer schrieb am 10.04.2009 um 21:33 Uhr (Zitieren)
Ja...Hippokrates war der Begründer der Humoralpathologie (Säftelehre),die Aristoteles und Galen weiterentwickelte. Medizin wurde als Wissenschaft gesehen und allenfalls kleine chirurgische Eingriffe durchgeführt. Andere Eingriffe von davon getrennten "Chirurgen". Insbesondere im Mittelalter (Schule von Salerno) gaben sich die schulmedizinischen Ärzte nicht mit der Chirurgie ab, die als anrüchig galt. Diese fiel in den Bereich der Barbiere usw.
Re: Eid des Hippokrates
Graeculus schrieb am 10.04.2009 um 21:38 Uhr (Zitieren)
[...] Die größte Hochachtung brachte man [im Mittelalter] dem alten Hippokrates entgegen, der im Jahre 460 v. Chr. auf der Insel Kos geboren war. Man kannte von ihm im Mittelalter nur seine Hauptwerke; insbesondere die Aphorismi, Prognostica und sein Regimen acutorum. Von ihm rührt die Humoralpathologie her, die von Galenus weiter ausgebaut war [...]. Dieselbe stützt sich auf die Annahme der vier alten Elemente.
Diese vier Grundstoffe der griechischen Philosophen waren nicht, die wie Elemente der heutigen Chemie, isolierbare, materielle Urstoffe, sondern bezeichneten nur Elementarzustände und Ureigenschaften der Körper. Der Zustand der gleichzeitigen Trockenheit und Hitze wurde als Feuer, der Hitze und Feuchtigkeit als Luft, der Feuchtigkeit und Kälte als Wasser, der Kälte und Trockenheit als Erde angesehen. Man nahm an, daß Körper mit solchen sich bei der Tastung bemerkbar machenden Eigenschaften gewisse Träger von einheitlicher Natur und gleicher Beschaffenheit enthalten müßten. Im Ganzen war die Begriffsbestimmung dieser alten Elemente indessen stets etwas verschwommen, und sie erlitten daher im Laufe der Zeiten oft eine verschiedene Deutung. Aus diesen vier Ureigenschaften der Körper entwickelte Hippokrates seine vier Kardinalsäfte des Menschen: Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle. Er lehrte: Wenn diese Säfte im Menschen normal beschaffen und richtig gemischt sind, so befindet er sich gesund, während im entgegengesetzten Falle Krankheiten entstehen. Zur Heilung der Krankheiten aber müsse die Harmonie der Säfte und auch deren Reinheit wieder hergestellt werden.
Aus der Art und Weise und der gewichtlichen Menge, wie diese Elemente und Säfte in dem Menschen gemischt waren, erklärte man die verschiedenen Temperamente: Choleriker, Melancholiker, Sanguiniker und Phlegmatiker. Diese „Komplexionen“ spielten in der mittelalterlichen Heilkunst eine sehr wichtige Rolle, da ihnen entsprechend die nach Graden und Qualitäten eingeteilten Arzneimittel ausgewählt werden mußten.
Ein Hauptgrundsatz des Hippokrates war es, daß die Natur der Arzt der Krankheiten sein müsse.
Um diese nicht zu stören, verhielt sich die ärztliche Behandlung der Griechen unter Beobachtung strenger, passender Diät zunächst abwartend. [...]

[Quelle: Hermann Peters, Der Arzt und die Heilkunst in alten Zeiten. Nachdruck Düsseldorf / Köln 61979, S. 16 f.]

Das klingt doch sehr internistisch.
Aus der Geschichte des Mittelalters und der frühen Neuzeit weiß ich, daß die Chirurgen nicht eigentlich zu den Ärzten zählten.
Aber warum dann im Hippokratischen Eid gerade das Steinschneiden tabuisiert wird, nicht auch das Schienen gebrochener Knochen, ahne ich nicht.
Re: Eid des Hippokrates
Lateinhelfer schrieb am 10.04.2009 um 21:51 Uhr (Zitieren)
@Graeculus:
Hier habe ich wahrscheinlich die Erkärung warum das Steinscheiden tabuisiert wurde.
.....Die moderne Wissenschaft ist sich heute weitgehend einig, daß der Text kaum auf Hippokrates selbst zurückgeht, obgleich die genaue Entstehungszeit noch keineswegs geklärt scheint. Übereinstimmung herrscht auch darüber, daß die Eidesformel sicherlich nicht die allgemeine ethische Einstellung antiker Ärzte spiegelt, sondern stark durch Gedankengut pythagoreischer Philosophie geprägt ist. Dies gilt besonders für das Verbot der Beihilfe zum Selbstmord, da der Selbstmord im Altertum keineswegs aus moralischen oder religiösen Gründen als verwerflich galt. Ebensowenig wurde die Beihilfe zur Selbsttötung juristisch verfolgt. Die Ablehnung des Selbstmordes, die erst mit dem Vordringen des Christentums allgemein wurde, zählt zu den Grundsätzen der Pythagoreer. Ebenso pythagoreisch beeinflußt ist vermutlich das Verbot der Abtreibung, die in Griechenland wie in Rom als Mittel zur Begrenzung der Kinderzahl neben Kindesaussetzung praktiziert wurde und gleichfalls weder juristischen noch moralisch-ethischen Restriktionen unterworfen war. Schließlich dürfte die Ablehnung des chirurgischen Eingriffes, betont im Verbot des Steinschneidens, gleichfalls pythagoreische und keinesfalls hippokratische Wurzeln haben. Der Steinschnitt, die Lithotomie, galt als zwar schwierige und gefährliche, aber keineswegs hoffnungslose, das Ansehen der Ärzte herabsetzende Operation. So ist die Eidesformel sicher nicht Ausdruck der Standesethik griechischer und römischer Ärzte, sondern allenfalls die prägnante Formulierung der medizinischen Grundsätze einer kleinen, durch rigorose religiös-philosophische Anschauungen geprägten Gruppe......

Quelle:
http://www.thomas-golnik.de/orbis/realien/arzt.html#grie
Re: Eid des Hippokrates
Graeculus schrieb am 10.04.2009 um 21:55 Uhr (Zitieren)
Ah, das ist ja interessant! Das ist eine ganz andere Erklärung, die im Unterschied zur bisherigen auch die spezielle Auswahl der medizinischen Tabus in diesem Eid berücksichtigt.
Re: Eid des Hippokrates
Graeculus schrieb am 10.04.2009 um 23:27 Uhr (Zitieren)
In den Krimis von John Maddox Roberts spielt auch ein fähiger Arzt namens Asklepiodes (da darf man doch dreimal raten, aus welchem Land er stammt) eine Rolle, der seine ärztlichen Kollegen häufiger dadurch schockiert, daß er wahrhaftig selbst Operationen vornimmt.
Nun ist Roberts gewiß keine historische Quelle, aber auch er weist in die Richtung, daß die Chirurgie etwas anrüchig war - vielleicht weniger aus pythagoreischer Traditon als wegen der Nähe zu Barbieren & Feldschern.
 
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