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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Antistrephon (1502 Aufrufe)
Graeculus schrieb am 10.04.2009 um 22:40 Uhr (Zitieren)
Hier - je nachdem, wie man es möchte - eine lustige Geschichte oder ein kniffliges juristisch-logisches Rätsel:
1. Unter den fehlerhaften Beweisführungsarten scheint die bei weitem fehlerhafteste diejenige zu sein, welche die Griechen αντίστρεφον nennen. 2. Diese Gattung haben einige der Unsrigen, wahrlich ganz und gar nicht unpassend, [auf lateinisch] reciproca sc. argumenta d.h. zurückbezügliche Schlussarten genannt. 3. Das Fehlerhafte eines solchen [logischen] Schlusses besteht darin, dass der vorausgegangene Beweissatz zurückgegeben und [umgekehrt] nach der andern Seite gegen Den gewendet werden kann, von dem er vorgebracht wurde[,] und also nach beiden Seiten hin Geltung und Bedeutung erhält. Derartig ist jener sehr bekannte [logische] Schlusssatz, dessen sich Prota-goras[,] [unter den Philosophen] der spitzfindigste aller Sophisten, gegen seinen eigenen Schüler Euathlus bedient haben soll. 4. Beide geriethen nämlich in Zank und Streit mit einander über das verabredete und versprochene [Unterrichts-]Honorar. 5. Euathlus, ein höchst wohlhabender Jüngling, dessen eifrigster Wunsch es war, die Redekunst zu erlernen und sich die Fertigkeit anzueignen, [Processe und] gerichtliche Sachen zu verhandeln, 6. begab sich in dieser Absicht zum Protagoras in die Schule und versprach dafür, die als Stundengeld von diesem Lehrmeister geforderte, sehr bedeutende Schulgeldsumme [pünktlich] zu entrichten, bezahlte aber schon sogleich, noch vor dem Beginn des Unterrichtes, die Hälfte des ganzen Betrags und einigte sich mit ihm dahin, dass er die noch übrige, andere Hälfte erst an dem Tage zu entrichten haben solle, wenn er seinen ersten Process vor Gericht geführt und gewonnen haben würde. 7. Später, als er bereits schon ziemlich lange Zuhörer und Anhänger des Protagoras gewesen war und wohl auch besonders auffallende Fortschritte in der Kunst der Beredsamkeit gemacht, nur aber keine Anstalt sehen liess, Processe anzunehmen und dabei nun eine lange Zeit verlief und es fast den Anschein nahm, dass dies [von Euathlus] mit Absicht geschehe, fasst Protagoras einen, seiner Meinung nach, höchst schlauen Entschluss: 8. er beschliesst, auf Bezahlung des vertragsmässigen Schuldgeldrestes ernstlich zu dringen und macht deshalb einen Process gegen Euathlus vor Gericht anhängig. 9. Und als sie nun Beide [zum vollständigen Ausgleich des Rechtsstreites] der gerichtlichen Verhandlung halber vor den Richtern erschienen waren, da ergriff zuerst Protagoras das Wort und liess sich also vernehmen: „Erfahre [denn jetzt], mein gar zu thörichtes Bürschchen, dass Du nach beiden Seiten hin gezwungen sein wirst, mir die verlangte Schuldforderung zukommen zu lassen, mag nun die [richterliche] Entscheidung gegen Dich oder auch für Dich ausfallen. 10. Denn im Fall der Rechtsspruch gegen Dich entschieden werden sollte, wirst Du schuldig sein, mir Stundengeld zu entrichten [,und zwar] dem Rechtsspruch gemäss, weil ich [den Process] gewonnen habe; sollte aber [wider Erwarten] das Urtheil zu Deinen Gunsten ausfallen, wirst Du [ebenfalls] schuldig sein, mir das Honorar zu entrichten [,und zwar] unserem Vertrage gemäss, weil Du dann [Deinen ersten Process] gewonnen haben wirst. 11. Darauf antwortete Euathlus mit folgender Einwendung: Ich würde dieser Deiner mir gestellten [zweideutigen] trügerischen Sophistenfalle [sehr leicht dadurch] haben ausweichen können, ich hätte nur nicht selbst das Wort zu ergreifen und mich nur eines anderen Sachwalters zu bedienen brauchen. 12. Nun aber behalte ich mir ein noch weit grösseres Vergnügen hinsichtlich des [für mich] siegreichen Ausganges vor, wenn ich nicht nur in Ansehung des Rechtsstreites, sondern auch in Ansehung dieser Deiner [gegen mich gebrauchten] Beweisführung [trotzdem] als Sieger hervorgehe. 13. Erfahre [denn also auch Du jetzt], mein gar zu weiser Schulmeister, dass ich nach beiden Seiten hin nicht werde gezwungen werden können, Dir die verlangte Schuldforderung zukommen zu lassen, mag nun die [richterliche] Entscheidung gegen mich ausfallen oder zu meinen Gunsten. 14. Denn im Fall die Richter zu meinen Gunsten entscheiden sollten, dann bin ich Dir ja nichts schuldig zu entrichten, dem Rechtsspruch gemäss, weil ich [meinen Process] gewonnen habe; sollten sie nun aber [wider Erwarten] gegen mich entscheiden, dann bin ich auch erst recht wieder nichts zu entrichten schuldig, unserem Vertrage gemäss, weil ich [ja dann meinen ersten Process] nicht gewonnen habe. 15. Da nun meinten die Richter freilich, dass dieser Rechtsfall, wegen der auf beiden Seiten angeführten Gründe, zweifelhaft und unauflösbar sich erweise[,] und um nicht einen Rechtsspruch zu thun, der sich gar etwa, auf welche von beiden Seiten er sich auch immer hinneigen sollte, selbst [widersprechen und deshalb] wieder aufheben möchte: wussten sie [die Richter] sich keinen anderen Rath, als die Sache unentschieden zu lassen und die Entscheidung auf den Nimmermehrtag [weit] hinauszuschieben. 16. So wurde also dieser in der Ueberredungskunst so berühmte [Schul-]Lehrer durch sein eigenes Beweismittel von seinem jugendlichen Schüler gefangen und durch die Art dieses listig ausgeklügelten Kunstkniffs hingehalten.

[Quelle: Aulus Gellius, Die Attischen Nächte. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Fritz Weiss. 2 Bände. Leipzig 1875; Nachdruck Darmstadt 1975; Bd. 1, S. 284-286]
Re: Antistrephon
Ευφροσύνη schrieb am 11.04.2009 um 00:13 Uhr (Zitieren)
Ach ja, der gute alte Gellius! Von dem hab ich auch schon einiges gelesen. Wenn ich wieder zu hause bin, stell ich mal meine Lieblingsgeschichte rein...
Diese hier kannte ich noch nicht, die Sache ist aber auch extrem verzwickt...
Re: Antistrephon
Graeculus schrieb am 11.04.2009 um 09:23 Uhr (Zitieren)
Ich habe mal eine Juristin danach gefragt (weil es einen solchen Fall, die Zahlung von Schulgeld an einen Privatlehrer vorausgesetzt, ja wirklich geben könnte); auch die fand's knifflig und hat sich entscheidungsmäßig bedeckt gehalten.
Re: Antistrephon
Graeculus schrieb am 11.04.2009 um 09:29 Uhr (Zitieren)
Ja, Euphrosyne, welches ist Deine Lieblingsgeschichte von Gellius? Schreib das mal nach dem Osterurlaub.
Re: Antistrephon
Ευφροσύνη schrieb am 14.04.2009 um 15:13 Uhr (Zitieren)
So, bin wieder an meinen Quellen: Den Text müsste ich abtippen, aber auf dem Computer hatte ich noch eine (nicht ganz so gute) Übersetzung folgender Geschichte, die zwar eher traurig ist, bei deren Übersetzen ich aber trotzdem ziemlich gelacht habe (worau die Leute im Zug ganz komisch geguckt haben...)

Über die eigentümliche, seltsame Art und Weise von dem Untergang des Milo aus Croton.
Der berühmte Fechter Milo von Croton, der, wie in den Chroniken geschrieben steht, in der 1. Olympiade mit dem Siegespreis gekrönt wurde, nahm ein bejammernswertes, wundersames Ende. Denn als er hochbejahrt die Fechtkunst schon aufgegeben hatte, und zufällig so ganz allein in den waldigen Gegenden Italiens reiste, sah er ganz nahe am Wege eine Eiche, die in der Mitte durch weit voneinander stehende Spalten auseinander klaffte. Bei diesem Anblick kam ihm damals nun vermutlich auch noch einmal die Lust an, den Versuch zu machen, ob ihm wohl noch irgend einige Kräfte übrig geblieben seien. Er steckte also die Hände in die Spalten des Baumes und bemühte sich, die Eiche auseinander zu ziehen und aufzuschlitzen. Nun hatte er schon den Baum in der Mitte voneinander geteilt und mit großer Anstrengung getrennt, allein als nach angestrengter, beinahe vollbrachter Arbeit seine Arme abgespannt waren und seine Kraft nachließ, kehrte die Eiche in ihre gewöhnliche Richtung zurück und so wieder zusammengeschnellt und von Neuem in Zusammenhang gekommen, blieben seine eingeklemmten Hände stecken und der Mann musste so ein Raub wilder Tiere werden.
(Gellius, Attische Nächte, 15,16)
Re: Antistrephon
Graeculus schrieb am 14.04.2009 um 15:20 Uhr (Zitieren)
Der arme Milo! Es erinnert mich (ich habe gerade eine Facharbeit zum Thema Geschichte der Jagd gelesen) an Tiere, die in einer Falle stecken.
Sollte man nicht annehmen, daß der Spalt nach oben zu weiter geworden ist und Milo so seine Hände hätte rausziehen können?
Re: Antistrephon
Lateinhelfer schrieb am 14.04.2009 um 15:40 Uhr (Zitieren)
Nicht schlecht....
Die gespannte "Feder" der Eiche war doch zu stark..:-)
 
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