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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Das Projekt eines Petrifizierung der Erde (586 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 25.01.2012 um 19:54 Uhr (Zitieren)
Ulrich Horstmann
(1949 - )

DAS UNTIER
Konturen einer Philosophie der Menschenflucht
(1983)

GEWIDMET
DEM UNGEBORENEN
UND JENEN YAHOOS
DIE WISSENSCHAFT VON SATIRE
WOHL ZU UNTERSCHEIDEN VERMÖGEN

XXI

Die Geschichte des Untiers ist erfüllt, und in Demut harrt es des doppelten Todes – der physischen Vernichtung und des Auslöschens der Erinnerung an sich selbst.

Kein Überlebender wird sein Gedächtnis bewahren, keine Sage wird von den Prüfungen bereichten, die es heimsuchten, die Qualen benennen, die es litt, um der großen, der universalen Erlösung willen.

Über dem nackten Fels seiner Heimat aber wird Frieden sein, und auf den Steinen liegt der weiße Staub des Organischen wie Reif.

Das Reißen und Schlingen, das Zermahlen und Ausbluten, das Stechen und Kröpfen, dieser ohne Unterlaß wütende Bürgerkrieg alles Lebendigen ist nie gewesen; und der Geist, der sich endlich aufgesetzt hat über den Hinterläufen und bei sich beschloß, daß es genug sei, ist zu seinem eigenen Hirngespinst geworden. In einem Feuerwerk ohnegleichen ist er untergegangen, und mit dem Aufsteigen der letzten Rakete sind die Spuren getilgt, die ein Einzeller in Äonen hinterließ und die das Antlitz der Erde furchten wie sonst nur Gletscher und Glaziale.

Den Nachruf setzt die anthropofugale Vernunft zu Lebzeiten auf, und billigerweise wird er seine Urheberin nicht überdauern. Doch die Materie ist großmütig und hat uns von Urbeginn ein Mahnmal an den Himmel gerückt, das uns fürderhin zugleich zum kosmischen Grabstein und Triumphbogen taugen soll: Nacht für Nacht steigt der Mond über den Horizont und stellt uns in schroffer und makelloser Schönheit die irdische Nachgeschichte paradiesisch vor Augen.

Ermannen wir uns!
Überführen wir sein transzendentales Ideal in die sublunare Wirklichkeit!
Vermonden wir unseren stoffwechselsiechen Planeten!

Denn nicht bevor sich die Sichel des Trabanten hienieden in tausend Kraterseen spiegelt, nicht bevor Vor- und Nachbild, Mond und Welt, ununterscheidbar geworden sind und Quarzkristalle über den Abgrund einander zublinzeln im Sternenlicht, nicht bevor die letzte Oase verödet, der letzte Seufzer verklungen, der letzte Keim verdorrt ist, wird wieder Eden sein auf Erden.

[Quelle: Ulrich Horstmann, Das Untier. Konturen einer Philosophie der Menschenflucht. Wien/Berlin ³1983, S. 110 f. - inzwischen mehrfach neu aufgelegt]

Zum Diskussionsthema 'Der Bürgerkrieg des Lebendigen" wird das zunächst reichen. Πέγασος hat eine Fundstelle zu weiteren Informationen über Leben & Werk dieses interessanten Autoren, der schroffe Reaktionen provoziert, angegeben.

Die Standardreaktion lautet: "Soll er sich doch umbringen!" Aber (s)ein individueller Suizid löst erkennbar nicht das Problem, von dem Horstmann redet.
Re: Das Projekt einer Petrifizierung der Erde
Γραικίσκος schrieb am 25.01.2012 um 19:57 Uhr (Zitieren)
So natürlich! Die Erde - unbewohnbar wie der Mond.
Re: Das Projekt einer Petrifizierung der Erde
Γραικίσκος schrieb am 25.01.2012 um 20:06 Uhr (Zitieren)
Horstmann gibt dieser seiner ersten berühmt gewordenen Schrift noch das von Blaise Pascal übernommene Motto:
Der Philosophie spotten
heißt wahrhaft philosophieren.
Re: Das Projekt eines Petrifizierung der Erde
ανδρέας schrieb am 25.01.2012 um 20:26 Uhr (Zitieren)
Kein Grund, den Untergang verfrüht vorweg zu nehmen:

[/quote]Epitaph als Epilog

Hier ruhen siebenundzwanzig Jungfrauen aus Stralsund,
Denen ward durch einen Interpreten des Dichters neueste Dichtung kund.
Die hat die empfindsamen Mädchenherzen so sehr begeistert,
Dass auch nicht eine mehr ihr Gefühl gemeistert.
Man hängte sich teils auf, teils ging man in die See.
Nur eine ging zum Dichter selbst. (Und zwar aufs Kanapee.)[/quote]

Klabund (1890-1928)
Re: Das Projekt eines Petrifizierung der Erde
διψαλέος schrieb am 25.01.2012 um 22:59 Uhr (Zitieren)
Einigemal besuchte ich auch den Vernunftdoktor in seinem eigenen Hause, wo ich schöne Mädchen bei ihm fand; denn die Vernunft verbietet nicht die Sinnlichkeit.

Heinrich Heine, Die Harzreise
(im Kapitel über Goslar)
:-p
Re: Das Projekt eines Petrifizierung der Erde
Γραικίσκος schrieb am 26.01.2012 um 18:27 Uhr (Zitieren)
Ihr beide reagiert jedenfalls humorvoll-gelassen auf Horstmanns 'Projekt', nicht so erregt, wie ich es oft erlebe.
Re: Das Projekt eines Petrifizierung der Erde
ανδρέας schrieb am 26.01.2012 um 18:42 Uhr (Zitieren)
Das liegt vielleicht daran, dass der Weltuntergang schon so oft vorausgesagt dann aber nicht eingetroffen ist. Hier ein paar Beispiele (die umfangreiche Liste findet sich unten im link):

21.12.2012 soll es lt. Maya-Kalender mal wieder so weit sein.

500 n.Chr. Der Heilige Hippolytus Lehre: Der römische Kirchenschriftsteller und Gegenpapst Hippolytus ging davon aus, dass die Erde 5500 v. Chr. erschaffen wurde und insgesamt 6000 Jahre alt werden würde. Seinen Anhängern lehrte er: '500 Jahre werden nach der Geburt Christi noch vergehen, dann wird das Ende gekommen sein.'
...
979 n.Chr. Der Mönch Abbo von Fleury Lehre: Die in der Johannes-Offenbarung erwähnten tausend Jahre wären nach Berechnungen des Mönches Abbo von Fleury, der im zehnten Jahrhundert an der Loire lebte, bereits 979 zu Ende gewesen.
...
1033. Radolf Glaber, Mönch und Geschichtsschreiber aus Burgund Lehre: Im Gegensatz zu vielen anderen seiner Zeitgenossen ging der Mönch und Geschichtsschreiber Radolf Glaber davon aus, dass die in der Offenbarung des Johannes erwähnten 1000 Jahre erst vom Tod Christi an zu zählen seien, also bis 1033.
...
1538 und 1541 n.Chr. Martin Luther Lehre: Als es dann 1532 doch nicht mehr werden wollte, verschob Martin Luther den Weltuntergang um 6 Jahre. 1541 war der dritte und letzte Termin, für den Martin Luther den Weltuntergang prophezeite. Danach wollte er sich verständlicherweise nicht mehr auf genaue Termine festlegen lassen.


http://www.unmoralische.de/weltuntergang.htm
Re: Das Projekt einer Petrifizierung der Erde
Γραικίσκος schrieb am 26.01.2012 um 18:47 Uhr (Zitieren)
Das Provokante bei Horstmann liegt ja daran, daß er das Weltende nicht prognostiziert, sondern - um den 'Bürgerkrieg des Lebendigen' zu beenden - als Projekt betreiben will. Bringen wir alle um, damit wir einander nicht weiterhin und ad infinitum umbringen müssen! Ein Ende mit Schrecken statt eines Schreckens ohne Ende:
Ermannen wir uns!
Überführen wir sein transzendentales Ideal in die sublunare Wirklichkeit!
Vermonden wir unseren stoffwechselsiechen Planeten!

Denn nicht bevor sich die Sichel des Trabanten hienieden in tausend Kraterseen spiegelt, nicht bevor Vor- und Nachbild, Mond und Welt, ununterscheidbar geworden sind und Quarzkristalle über den Abgrund einander zublinzeln im Sternenlicht, nicht bevor die letzte Oase verödet, der letzte Seufzer verklungen, der letzte Keim verdorrt ist, wird wieder Eden sein auf Erden.
Re: Das Projekt einer Petrifizierung der Erde
Γραικίσκος schrieb am 26.01.2012 um 18:55 Uhr (Zitieren)
Ich kann ihm freilich in seiner 'Logik' nicht folgen und fasse das als eine Satire auf - analog zu derjenigen Jonathan Swifts, der angesichts der seinerzeitigen Hungersnot in Irland vorgeschlagen hat, Säuglinge zu essen, da ihnen ohnehin nur ein elendes Leben bevorstehe und auf diese Weise wenigstens einige Menschen satt würden.
Re: Das Projekt eines Petrifizierung der Erde
ανδρέας schrieb am 26.01.2012 um 19:04 Uhr (Zitieren)
Horstmann gibt ja keine Anleitung, WIE der Mensch sich ändern soll und WAS genau er tun muss. Kritik ohne Handlungsanleitung verhallt doch eigentlich immer ungehört. Außerdem handelt der Mensch nur unter den Bedingungen der Not. Wenn ein Mensch seine Lebensweise ändern soll, braucht er zunächst einen Herzinfarkt - sonst verlässt er die Komfortzone nie!
Re: Das Projekt einer Petrifizierung der Erde
Γραικίσκος schrieb am 26.01.2012 um 19:08 Uhr (Zitieren)
Das Wie präzisiert er mit
In einem Feuerwerk ohnegleichen ist er untergegangen, und mit dem Aufsteigen der letzten Rakete sind die Spuren getilgt, die ein Einzeller in Äonen hinterließ

also einem atomaren Overkill. Natürlich hat er eine Ahnung, wie er Politiker dazu bewegen könnte, ihn auszulösen.
Re: Das Projekt eines Petrifizierung der Erde
ανδρέας schrieb am 26.01.2012 um 19:45 Uhr (Zitieren)

Horstmann gehört wohl zu denen, die das Kind erstmal auf die heiße Herdplatte fassen lassen, damit es merkt, wie weh das tut. Das funktioniert bei Kindern auch. Allerdings ist die Methode auch in satirischer Form zu abschreckend, als dass es die Leute überzeugt. Man kann den Untergang ja nur einmal durchspielen. Da ist kein Lerneffekt mehr zu erzielen. Sein Ansatz ist zu drastisch und zu vage, finde ich.
Re: Das Projekt einer Petrifizierung der Erde
Γραικίσκος schrieb am 26.01.2012 um 19:55 Uhr (Zitieren)
Drastisch? Ja. Vage? Nun, ich habe einen kleinen Ausschnitt eingestellt ... und er hat viele Bücher geschrieben.
Als Person ist er anscheinend nicht frei von Humor:
http://www.bilder-hochladen.net/files/big/id56-1q-7f39.jpg
Re: Das Projekt eines Petrifizierung der Erde
ανδρέας schrieb am 26.01.2012 um 20:09 Uhr (Zitieren)

Scheint ein bunter Hund zu sein, der Horstmann.
:-D
 
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