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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Pyrrhon und Nagarjuna (1061 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 27.06.2009 um 19:45 Uhr (Zitieren)
Bei dem griechischen Skeptiker Pyrrhon lese ich:
Die Dinge sind gleichermaßen ununterscheidbar, unbestimmbar und unerkennbar. Deshalb kann man weder von unseren Empfindungen noch von unseren Meinungen sagen, daß sie wahr oder falsch seien. Darum darf man ihnen nicht trauen, sondern muß unerschütterlich bei dem Verzicht auf jede Meinung oder Entscheidung beharren und bei jedem Ding sagen, daß es ebensowenig existiert als nicht existiert oder daß es sowohl existiert als nicht existiert oder daß es weder existiert noch nicht existiert.

(Quelle: Die Nachsokratiker. Deutsch in Auswahl mit Einleitungen von Wilhelm Nestle. Zweiter Band. Jena 1923, S. 248 f.)

Dieser "Standpunkt" erspricht verblüffend genau der von dem buddhistischen Philosophen Nagarjuna entwickelten "Vierfachen Verneinung", dem sog. Tetralemma (griech.!).
Sie bringt Nagarjuna zu der schönen Formulierung:
Unerschütterlich stehe ich auf dem Standpunkt der Standpunktlosigkeit.


Karl Jaspers interpretiert den Sinn dieses Gedankens so:
Man kann den Sinn dieses Denkens auch so aussprechen: Durch Denken ist die Fesselung an das Gedachte, an die dharmas, erfolgt; das ist der Grund des Abfalls in unser leidvolles Dasein. Durch dasselbe Denken, aber in umgekehrter Richtung, wird das Gedachte wieder aufgelöst. Nachdem das Denken uns in Banden geschlagen hat, werden diese mit seinen eigenen Waffen wieder gesprengt zum Durchbruch in das Nichtdenken, zur Freiheit.


(Quelle: Karl Jaspers, Aus dem Ursprung denkende Metaphysiker. München 1957, S. 326-336: Nagarjuna)

Diese Parallelität zweier Denker aus ganz verschiedenen Traditionen verblüfft mich sehr.
Re: Pyrrhon und Nagarjuna
Γραικίσκος schrieb am 27.06.2009 um 20:08 Uhr (Zitieren)
Vielleicht ist das mit der Vierfachen Verneinung nicht ganz klar geworden:
Diese Ansicht ist
1. weder wahr
2. noch nicht-wahr
3. noch sowohl wahr als auch nicht-wahr
4. noch weder wahr noch nicht-wahr.

So ist jeder Ansicht der Boden entzogen.

Das Denken macht "plopp!" und löst sich in ein Wölkchen auf.

Eine interessante Erfahrung, wenn man mit dem Denken Probleme hat wie Zweifel, Unsicherheit, Rechthaberei, Beweisnöte usw. - wie Huangchu Daoren sagt: "Meinungen steigen auf wie Schwärme von Mücken."
Re: Pyrrhon und Nagarjuna
Ὑληβάτης schrieb am 28.06.2009 um 00:46 Uhr (Zitieren)
Das klingt ja eigentlich gar nicht gut, wenn "das Denken [...] "plopp!"" macht und sich auflöst. Ich brauche meines jedenfalls noch.
Außerdem hat es sich schon aufgelöst, weil ich den Vorgang nicht verstehe.

Hast Du ein greifbares Beispiel?
Re: Pyrrhon und Nagarjuna
Γραικίσκος schrieb am 28.06.2009 um 00:52 Uhr (Zitieren)
Vorläufige Beantwortung Deiner Frage durch eine Gegenfrage: Hast Du den Pyrrhon (Sextus Empiricus) schonmal gelesen? (Ich meine, weil der ja auch erklärt, worum es dabei geht.)
Re: Pyrrhon und Nagarjuna
Ὑληβάτης schrieb am 28.06.2009 um 12:27 Uhr (Zitieren)
Meinst Du den ganzen Pyrrhon, oder das Zitat?

Geht es bei dem Zitat darum, dass man sein Denken "abschalten" soll, weil "die Dinge" "unerkennbar" sind? Da fängt's bei mir schon an aufzuhören! Vielleicht bin ich zu sehr "Sophist"!
Re: Pyrrhon und Nagarjuna
Γραικίσκος schrieb am 28.06.2009 um 12:41 Uhr (Zitieren)
Ich meine das von Pyrrhon vertretene Prinzip der Skepsis sowie seine Intention: den Geist zu beruhigen, indem man aufhört, Standpunkte zu vertreten und über sie zu streiten.
Es ist ein Ataraxie-Programm, wie auch der Buddhismus.
(Muß man nicht ständig praktizieren, aber wenn man die Fähigkeit hat zurückzutreten, wenn man sie im Bedarfsfall einsetzen kann, ist das gut.)
Im Grunde: Pyrrhon - Nagarjuna - Huanchu Daoren - alles eine Methode.
Re: Pyrrhon und Nagarjuna
Γραικίσκος schrieb am 28.06.2009 um 15:51 Uhr (Zitieren)
Wenn ich sehe, wie Menschen ganz verschiedener Kulturen - wie hier ein Grieche, ein Inder und ein Chinese - sich in derselben Richtung mühen, erfüllt mich das mit großer Freude ... und der Hoffnung, daß es doch Verbindendes unter Menschen gibt.
Re: Pyrrhon und Nagarjuna
Ὑληβάτης schrieb am 28.06.2009 um 22:41 Uhr (Zitieren)
Es gibt auf jeden Fall Verbindendes! Letztendlich haben wir doch alle nur drei Ziele, oder? Essen, Sex und Anerkennung. ;-)

Verstehe ich richtig, dass Pyrrhon also eigentlich nicht die Dinge für unerkennbar hält, sondern nur meint, man solle sich des Urteils / des Standpunktes enthalten? Wenn ja, könntest Du ein alltagstaugliches Beispiel geben, damit ich meinen Geist beruhigen kann?
Re: Pyrrhon und Nagarjuna
Γραικίσκος schrieb am 30.06.2009 um 21:00 Uhr (Zitieren)
Ich fürchte, Du verwechselst das, was den Menschen gemeinsam ist, mit dem, was sie verbindet.
Es mag sein, daß alle oder fast alle Menschen an Essen, Sex und Anerkennung interessiert sind; aber was sind das für herrliche Konfliktmotive ... bis hin zum Mord!
(So wie der französische König Franz II. über Kaiser Karl V. gesagt hat: "Mein Bruder Karl und ich, wir wollen beide dasselbe. Nämlich Mailand.")

Was ich meine, ist das, was Menschen wirklich verbindet. Daß Menschen an ganz verschiedenen Orten der Welt einen Weg suchen, wie man jeden erdenklichen Streit vermeiden kann - etwa durch die Vierfache Verneinung -, das nenne ich a) verblüffend und b) verbindend.
 
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