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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Griechische Statue (457 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 04.02.2012 um 10:50 Uhr (Zitieren)
Mit Hilfe der Menschen und anderer Elemente
hat die Zeit sich schwer an ihr abgearbeitet.
Zuerst hat sie ihr die Nase, dann die Genitalien geraubt,
nacheinander die Finger und Zehen,
mit den Jahren die Arme, einen nach dem anderen,
den rechten Schenkel, den linken Schenkel,
Rücken und Hüfte, Kopf und Hintern,
und das, was schon abgefallen ist, hat sie in Stücke geschlagen,
zu Schutt, zu Kies, zu Sand.
Wenn ein Lebender auf diese Art umkommt,
fließt mit jedem Schlag viel Blut.
Doch Marmorstatuen sterben weiß
und nicht immer restlos.
Von derjenigen, die gemeint ist, ist der Torso übrig
und er ist wie angestrengt angehaltener Atem,
denn er muß jetzt
die ganze Anmut und Würde
der verlorenen Teile
auf sich
ziehen.
Und das gelingt ihm,
noch gelingt es ihm,
es gelingt, er verzückt,
er verzückt und bleibt -
auch hier verdient die Zeit lobende Erwähnung,
denn sie hat ihre Arbeit unterbrochen
und einen Teil auf später verschoben.

Die polnische Lyrikerin Wisława Szymborska ist 88jährig gestorben.
Re: Griechische Statue
Γραικίσκος schrieb am 04.02.2012 um 15:57 Uhr (Zitieren)
Frau Szymborska hat seinerzeit den Literatur-Nobelpreis erhalten.
Re: Griechische Statue
Γραικίσκος schrieb am 05.02.2012 um 12:47 Uhr (Zitieren)
In Polen herrscht so etwas wie Staatstrauer - und hier ist sie nur Insidern bekannt. Schade.
Re: Griechische Statue
Φιλομαθής schrieb am 05.02.2012 um 15:49 Uhr (Zitieren)
Nun ja, die Menschen, die Gedichte lesen, bilden wohl überall auf der Welt nur Insider-Grüppchen (öffentliche Anteilnahme am Leben und Sterben der Dichter hin oder her). In der Tat ist es schade, wenn nur Preisverleihungen und Todesfälle Anlass sind, sich mal wieder in einen Gedichtband zu versenken. Doch es sind so viele Stimmen, die unsere Aufmerksamkeit wollen, und die ältesten unter ihnen sind ja in all den Jahrhunderten nicht leiser geworden, dass man wohl mitunter die eigenen Zeitgenossen so lange vernachlässigt, bis sie dann eben keine Zeitgenossen mehr sind. Die Szymborska selbst hat diesen Ansturm der Vergangenheit so dargestellt:

VOLKSZÄHLUNG

Sieben Städte hat man ausgegraben
auf dem Hügel von Troja.
Sieben. Sechs zuviel
für ein Epos.
Wohin mit dem Rest, was tun?
Die Hexameter bersten,
der afabulöse Baustein gerät aus den Fugen,
die Mauern stürzen ein in der Stille des Stummfilms;
verkohlte Balken, zerrissene Glieder,
Krüge, leergetrunken bis zum Verlust des Bodens,
Fruchtbarkeitsamulette, Keime von Gärten
und Totenschädel, berührbar wie der morgige Mond.

Unsere Frühzeit nimmt zu,
allmählich wird's darin eng,
ungesetzliche Mieter machen sich in der Historie breit,
Fleischformationen für Schwerter,
Kehrseiten Hektors, des Adlers, die es ihm gleichtun an Mut,
tausend und abertausend Einzelgesichter,
und jedes ein erstes und letztes in dieser Zeit,
und jedes mit zwei sehr seltsamen Augen.
Es war so leicht, nichts davon zu wissen,
so rührselig, so geräumig.

Was tun mit den Städten, was ihnen geben?
Ein bisher schwach bevölkertes Jahrhundert?
Ein wenig Anerkennung für ihre Goldschmiedekunst?
Für das letzte Gericht ist es doch zu spät.
Wir, drei Milliarden Richter,
haben unsre Geschäfte,
eignes unartikuliertes Gewimmel,
Bahnhöfe, Sporttribünen, Paraden,
zählbares Ausland von Straßen, Etagen, Wänden.
Wir gehn aneinander vorbei in den Warenhäusern
beim Einkauf des neuen Kruges.
Homer macht Dienst im Statistischen Amt.
Was er zu Hause treibt, das weiß niemand.
 
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