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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Ferngespräch dreier Dichter (611 Aufrufe)
Φιλομαθής schrieb am 06.03.2012 um 13:57 Uhr (Zitieren)
Von Eduard Mörike gibt es ein Gedicht, in dem er der Erinna seine Stimme leiht zu einem an die Freundin Sappho gerichteten Klagelied. Heutige Philologie freilich will die Zeitgenossenschaft der Erinna mit Sappho, wie sie in der Suda behauptet wird, nicht mehr anerkennen und stellt Erinna zeitlich in die Nähe von Kallimachos.

Erinna an Sappho

(Erinna, eine hochgepriesene junge Dichterin des griechischen Altertums, um 600 v. Chr., Freundin und Schülerin Sapphos zu Mitylene auf Lesbos. Sie starb als Mädchen mit neunzehn Jahren. Ihr berühmtestes Werk war ein episches Gedicht, »Die Spindel«, von dem man jedoch nichts Näheres weiß. Überhaupt haben sich von ihren Poesien nur einige Bruchstücke von wenigen Zeilen und drei Epigramme erhalten. Es wurden ihr zwei Statuen errichtet, und die Anthologie hat mehrere Epigramme zu ihrem Ruhme von verschiedenen Verfassern.)

»Vielfach sind zum Hades die Pfade«, heißt ein
Altes Liedchen – »und einen gehst du selber,
Zweifle nicht!« Wer, süßeste Sappho, zweifelt?
Sagt es nicht jeglicher Tag?

Doch den Lebenden haftet nur leicht im Busen
Solch ein Wort, und dem Meer anwohnend ein Fischer von Kind auf
Hört im stumpferen Ohr der Wogen Geräusch nicht mehr.
– Wundersam aber erschrak mir heute das Herz. Vernimm!
Sonniger Morgenglanz im Garten,
Ergossen um der Bäume Wipfel,
Lockte die Langschläferin (denn so schaltest du jüngst Erinna!)
Früh vom schwüligen Lager hinweg.
Stille war mein Gemüt; in den Adern aber
Unstet klopfte das Blut bei der Wangen Blässe.

Als ich am Putztisch jetzo die Flechten löste,
Dann mit nardeduftendem Kamm vor der Stirn den Haar-
Schleier teilte – seltsam betraf mich im Spiegel Blick in Blick.
Augen, sagt ich, ihr Augen, was wollt ihr?
Du, mein Geist, heute noch sicher behaust da drinne,
Lebendigen Sinnen traulich vermählt,
Wie mit fremdendem Ernst, lächelnd halb, ein Dämon,
Nickst du mich an, Tod weissagend!
– Ha, da mit eins durchzuckt’ es mich
Wie Wetterschein! wie wenn schwarzgefiedert ein tödlicher Pfeil
Streifte die Schläfe hart vorbei,
Daß ich, die Hände gedeckt aufs Antlitz, lange
Staunend blieb, in die nachtschaurige Kluft schwindelnd hinab.

Und das eigene Todesgeschick erwog ich;
Trockenen Augs noch erst,
Bis da ich dein, o Sappho, dachte,
Und der Freundinnen all,
Und anmutiger Musenkunst,
Gleich da quollen die Tränen mir.

Und dort blinkte vom Tisch das schöne Kopfnetz, dein Geschenk,
Köstliches Byssosgeweb, von goldnen Bienlein schwärmend.
Dieses, wenn wir demnächst das blumige Fest
Feiern der herrlichen Tochter Demeters,
Möcht ich ihr weihn, für meinen Teil und deinen;
Daß sie hold uns bleibe (denn viel vermag sie),
Daß du zu früh dir nicht die braune Locke mögest
Für Erinna vom lieben Haupte trennen.


Die drei der Erinna zugeschriebenen Epigramme, die Mörike in der Einleitung zum Gedicht erwähnt, sind folgende:

Anth. Gr. VI 352:
Ἐξ ἀταλᾶν χειρῶν τάδε γράμματα· λῷστε Προμαθεῦ,
ἔντι καὶ ἄνθρωποι τὶν ὁμαλοὶ σοφίαν·
ταύταν γοῦν ἐτύμως τὰν παρθένον ὅστις ἔγραψεν,
αἰ καὐδὰν ποτέθηκ᾽, ἦς κ᾽ Ἀγαθαρχὶς ὅλα.

Anth. Gr. VII 710:
Στᾶλαι καὶ Σειρῆνες ἐμαὶ καὶ πένθιμε κρωσσέ,
ὅστις ἔχεις Ἀίδα τὰν ὀλίγαν σποδιάν,
τοῖς ἐμὸν ἐρχομένοισι παρ᾽ ἠρίον εἴπατε χαίρειν,
αἴτ᾽ ἀστοὶ τελέθωντ᾽ αἴθ' ἑτεροπτόλιες·
χὤτι με νύμφαν εὖσαν ἔχει τάφος, εἴπατε καὶ τό·
χὤτι πατήρ μ᾽ ἐκάλει Βαυκίδα, χὤτι γένος
Τηλία, ὡς εἰδῶντι· καὶ ὅττι μοι ἁ συνεταιρὶς
Ἤρινν᾽ ἐν τύμβῳ γράμμ᾽ ἐχάραξε τόδε.

Anth. Gr. VII 712:
Νύμφας Βαυκίδος εἰμί· πολυκλαύταν δὲ παρέρπων
στάλαν τῷ κατὰ γᾶς τοῦτο λέγοις Ἀίδᾳ·
„Βάσκανός ἐσσ᾽, Ἀίδα.“ τὰ δέ τοι καλὰ σάμαθ᾽ ὁρῶντι
ὠμοτάταν Βαυκοῦς ἀγγελέοντι τύχαν,
ὡς τὰν παῖδ᾽, ὑμέναιος ἐφ᾽ αἷς ἀείδετο πεύκαις,
ταῖσδ᾽ ἐπὶ καδεστὰς ἔφλεγε πυρκαϊᾷ·
καὶ σὺ μέν, ὦ Ὑμέναιε, γάμων μολπαῖον ἀοιδὰν
ἐς θρήνων γοερὸν φθέγμα μεθαρμόσαο.



Zeugnisse und Fragmente mit französicher Übersetzung (auch die Verse der »Spindel« aus einem Papyrusfund, die 1928 publiziert wurden und sich jetzt im Supplementum Hellenisticum finden) versammelt diese Website: http://users.tellas.gr/~sarbonne/poesie3.htm
Re: Ferngespräch dreier Dichter
Σαπφώ schrieb am 06.03.2012 um 20:44 Uhr (Zitieren)
Das heißt, man war sich unsicher, ob Erinna in der Zeit von Sappho oder von Kallimachos lebte? Wow! Das ist ja schon ein ziemlicher Unterschied o.O
Re: Ferngespräch dreier Dichter
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 06.03.2012 um 21:53 Uhr (Zitieren)
Mich frappiert, wie genial Mörike diesen "griechischen" Tonfall trifft, er hat, scheint mir, wahrhaft das Land der Griechen mit seiner Seele gefunden.
Re: Ferngespräch dreier Dichter
Φιλομαθής schrieb am 07.03.2012 um 09:36 Uhr (Zitieren)
In der Tat. Aber was uns hier begegnet, ist nicht nur ein glücklich von seinem Genius geführter Dichter, sondern ein wirklicher poeta doctus: Mörike hat sich ausgiebig mit griechischer Lyrik befasst und Übersetzungen vor allem von Theokrit und den Anacreontea veröffentlicht. Merkwürdig fügt es sich, dass er Erinna als die hellenistische Dichterin, die sie ja wohl war, sprechen läßt, wenn er Stimmungsgemälde aus der detailreichen Schilderung von Kleinigkeiten entstehen lässt.
Wie es kommt, man am Ende der Antike Erinna einige Jahrhunderte älter machte? Möglicherweise schloss man aus den als Remineszenz an die lesbische Lyrik eingestreuten äolischen Wortformen (α statt η, ἀταλ-ᾶν statt -ῶν, ἔντι und ἦς statt ἔστι und ἦν ...), dass eine tatsächliche Nähe zu Sappho vorhanden wäre. (Wer weiß, ob nicht künftige, gedächtnislose Säkula Wagner wegen seiner Stabreim-Imitate à la „Woge, du Welle, walle zur Wiege! Wagalaweia!“ in der Zeit des Hildebrandsliedes ansiedeln ...) Horst Rüdiger (Griechische Lyriker, Zürich 1949, S. 30) vermutet: „Daß sie lange Zeit als Schülerin und Freundin Sapphos galt, wird von einem verlorenen Epigramm herrühren, in dem sie sich als Sapphos literarische Erbin bezeichnet haben mag.“
 
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