Φιλομαθής schrieb am 06.03.2012 um 13:57 Uhr (Zitieren)
Von Eduard Mörike gibt es ein Gedicht, in dem er der Erinna seine Stimme leiht zu einem an die Freundin Sappho gerichteten Klagelied. Heutige Philologie freilich will die Zeitgenossenschaft der Erinna mit Sappho, wie sie in der Suda behauptet wird, nicht mehr anerkennen und stellt Erinna zeitlich in die Nähe von Kallimachos.
Die drei der Erinna zugeschriebenen Epigramme, die Mörike in der Einleitung zum Gedicht erwähnt, sind folgende:
Zeugnisse und Fragmente mit französicher Übersetzung (auch die Verse der »Spindel« aus einem Papyrusfund, die 1928 publiziert wurden und sich jetzt im Supplementum Hellenisticum finden) versammelt diese Website: http://users.tellas.gr/~sarbonne/poesie3.htm
Re: Ferngespräch dreier Dichter
Σαπφώ schrieb am 06.03.2012 um 20:44 Uhr (Zitieren)
Das heißt, man war sich unsicher, ob Erinna in der Zeit von Sappho oder von Kallimachos lebte? Wow! Das ist ja schon ein ziemlicher Unterschied o.O
Re: Ferngespräch dreier Dichter
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 06.03.2012 um 21:53 Uhr (Zitieren)
Mich frappiert, wie genial Mörike diesen "griechischen" Tonfall trifft, er hat, scheint mir, wahrhaft das Land der Griechen mit seiner Seele gefunden.
Re: Ferngespräch dreier Dichter
Φιλομαθής schrieb am 07.03.2012 um 09:36 Uhr (Zitieren)
In der Tat. Aber was uns hier begegnet, ist nicht nur ein glücklich von seinem Genius geführter Dichter, sondern ein wirklicher poeta doctus: Mörike hat sich ausgiebig mit griechischer Lyrik befasst und Übersetzungen vor allem von Theokrit und den Anacreontea veröffentlicht. Merkwürdig fügt es sich, dass er Erinna als die hellenistische Dichterin, die sie ja wohl war, sprechen läßt, wenn er Stimmungsgemälde aus der detailreichen Schilderung von Kleinigkeiten entstehen lässt.
Wie es kommt, man am Ende der Antike Erinna einige Jahrhunderte älter machte? Möglicherweise schloss man aus den als Remineszenz an die lesbische Lyrik eingestreuten äolischen Wortformen (α statt η, ἀταλ-ᾶν statt -ῶν, ἔντι und ἦς statt ἔστι und ἦν ...), dass eine tatsächliche Nähe zu Sappho vorhanden wäre. (Wer weiß, ob nicht künftige, gedächtnislose Säkula Wagner wegen seiner Stabreim-Imitate à la „Woge, du Welle, walle zur Wiege! Wagalaweia!“ in der Zeit des Hildebrandsliedes ansiedeln ...) Horst Rüdiger (Griechische Lyriker, Zürich 1949, S. 30) vermutet: „Daß sie lange Zeit als Schülerin und Freundin Sapphos galt, wird von einem verlorenen Epigramm herrühren, in dem sie sich als Sapphos literarische Erbin bezeichnet haben mag.“