Γραικίσκος schrieb am 12.04.2012 um 14:25 Uhr (Zitieren)
Über die Ansichten der sog. Hegesiaker schreibt Diogenes Laertios:
(D. L. II 94)
Ich bin nicht sicher, ob ich die fett hervorgehobene Stelle richtig verstehe. Es spricht im Kontext doch nichts dafür, das Leben erstrebenswert zu finden. Allenfalls könnte man sagen, Leben und Tod seien gleichermaßen nicht erstrebenswert.
Oder mache ich da einen Fehler?
Re: Logik?
ανδρέας schrieb am 12.04.2012 um 17:45 Uhr (Zitieren)
Wenn die Natur Lebewesen, also auch den Menschen, nicht mit Selbsterhaltungstrieb ausgestattet hätte, gäbe es kein Leben mehr. Das Leben wird daher immer für erstrebenswert gehalten und dem Tod vorgezogen - wenn nicht gewisse Umstände zum Suizid drängen, was insgesamt eine seltene Ausnahme ist. Da sieht die sophistische Logik den Wald vor lauter Bäumen nicht. Auch Kranke und Behinderte wollen leben. Und sie sind - oft - sehr lebensbejahend und - soweit ich sie kenne - durchaus glücklich. Wenn nur das Absolute als erstrebenswert angesehen wird, kann man alles negieren, denn nichts ist absolut super.
Re: Logik?
Γραικίσκος schrieb am 12.04.2012 um 17:59 Uhr (Zitieren)
Ich möchte, bevor ich den Gedanken kritisiere, vor allem den fraglichen Satz erst verstehen. Wie mag er gemeint sein im Rahmen dieses Konzepts?
Re: Logik?
Φιλμαθής schrieb am 14.04.2012 um 21:15 Uhr (Zitieren)
Ich würde aus dem Zusammenhang heraus auch dazu neigen, das αἱρετόν eher neutral aufzufassen, und es etwa als "etwas Hinnehmbares" übersetzen wollen. Nur gibt das Bedeutungsspektrum von αἱρέω dies nicht her: das Wort ist offenbar fest mit einer positiven Willensentscheidung verbunden (anders als etwa δέχομαι oder λαμβάνω, die auch ein gleichgültig-passives Hinnehmen, Akzeptieren, Ertragen, Erleiden bedeuten können).
Das Verbaladjektiv αἱρετόν führt das Wörterbuch der antiken Philosophie von Chr. Horn und Chr. Rapp (München, 2002) als einen festen Terminus:
"haireton (das Einnehmbare; das Begreifliche; das Wählbare, Wünschenswerte, zu Erstrebende; das Gewählte; lat. umschrieben mit: quid capi, percipi oder comprehendi potest)
h. ist formal der Gegenstand der hairesis oder prohairesis (Wahl).
h. meint bei Platon das Wünschenswerte, in einer Wahl zu Ergreifende, ... Besonders im Philebon geht die Frage auf das h. als die wünschenswerte und zu wählende Lebensweise (21 d f.) Hier schließt Aristoteles an. Er charakterisiert den Bereich der prakt. Vernunft als abgesteckt durch die Alternative von Wahl oder Ablehnung (phrygê) eines Wählbaren ... Aristoteles unterscheidet mit dem Edlen oder sittlich Guten (kalon), dem Nützlichen und dem Angenehmen oder Lustvollen drei Arten von Gegenständen der Wahl ..."
Wenn wir also bei der Übersetzung "Wählbares" oder "Gegenstand der Wahl" für αἱρετόν bleiben, dann, meine ich, könnte man den fraglichen Satz (interpretierend) so übersetzen: "Sowohl [τε, nicht δὲ] das Leben als auch den Tod könne man wählen [das bleibe sich letztlich gleich]." Der nachfolgende Satz [Φύσει τ' οὐδὲν ἡδὺ ἢ ἀηδὲς ὑπελάμβανον· ...] ist durch τε angeschlossen, dient also zur Erklärung: "Und zwar hielten sie nichts von Natur aus für etwas Angenehmes oder Unangenehmes."
Re: Logik?
Γραικίσκος schrieb am 14.04.2012 um 21:47 Uhr (Zitieren)
Mit dieser Interpretation kann ich mich gut anfreunden. -
Das falsche δὲ geht auf meine Kappe; ich schreibe von Hand ab, und dann passieren solche Fehler schonmal.
Re: Logik?
Φιλομαθής schrieb am 04.05.2012 um 14:19 Uhr (Zitieren)
Wie Hegesias seine Zuhörer schließlich zum Selbstmord verführte? – Indem er ihre Eitelkeit ansprach:
Wer möchte sich schon als φαῦλος bezeichnen lassen? Dieses Argument war wirksamer als jede vernünftige Herleitung es hätte sein können. Denn wie sagt La Rochfoucauld? La vanité nous fait faire plus de choses contre notre goût que la raison. [Réflexion No. 467]
Re: Logik?
Φιλομαθής schrieb am 04.05.2012 um 14:20 Uhr (Zitieren)