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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Sind Dinge metaphysisch real? (1077 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 22.04.2012 um 15:53 Uhr (Zitieren)
Hier einmal eine metaphysische Diskussion über das, was es gibt, von einem modernen (lebenden) Philosophen: Hilary Putnam.
[Alex Burri referiert in komprimierter Weise Putnams Gedanken.]
[...] Die Divergenz möglicher Verwendungsweisen logisch grundlegender Ausdrücke veranschaulicht Putnam am einfachen Beispiel einer Miniaturwelt, die drei Individuen (d.h. logische Atome) x1, x2 und x3 enthält. Wieviele Objekte gibt es in dieser Welt? Die naheliegende, auf einer konventionellen Logik beruhende Antwort ist „drei“. Der polnische Logiker und Begründer der Warschauer Schule, Stanislaw Lesniewski, hat jedoch eine formale Sprache entwickelt, in der für jedes Paar von Individuen (und Objekten) stets auch deren sogenannte mereologische Summe existiert. Darunter versteht er nicht die aus den beiden Individuen bestehende, abstrakte Menge, sondern eine konkrete Gruppe oder Ansammlung (in Analogie zu einem Sandhaufen beispielsweise), die die beiden Individuen als Teile enthält. Offensichtlich existieren für einen Vertreter der Warschauer Schule in der Miniaturwelt also sieben Objekte, nämlich x1, x2, x3, x1+x2, x1+x3, x2+x3 und x1+x2+x3. [...]
Lesniewskis Begriff eines Objektes ist nicht so abwegig, wie man auf den ersten Blick vielleicht glauben mag. Wir betrachten ein Sauerstoffmolekül oder einen Tisch gemeinhin ja auch als Objekt, obwohl beide Dinge aus physikalischer Sicht nur Ansammlungen von Elementarteilchen (d.h. Individuen im Sinne der Physik) sind. Folglich sind die beiden Antworten „drei“ und „sieben“ echte Alternativen, die aus der Sicht eines metaphysischen Realisten nach einer Entscheidung rufen: Welches ist die objektiv richtige Antwort, die im Sinne der Korrespondenztheorie der Wahrheit mit der Miniaturwelt übereinstimmt? Gemäß Putnam gibt es jedoch keine Möglichkeit, hier einen sachlich begründeten Entscheid zu fällen. Es gibt mit anderen Worten mehrere Arten, die gegebene Situation richtig zu beschreiben; je nachdem, welche Logik (beziehungsweise welche Sprache oder welches Begriffssystem) wir zur Beschreibung der Miniaturwelt verwenden, wird letztere einfach aus anderen Objekten bestehen. Zu fragen, wie die Realität an sich, unabhängig von der verwendeten Logik beschaffen ist, macht aber keinen Sinn.
Ein metaphysischer Realist kann dieses Ergebnis jedoch nicht akzeptieren. Ihm stehen aber zwei Auswege offen. Er kann erstens auf eine Metapher zurückgreifen und behaupten, die konventionelle Logik und die Logik Lesniewskis teilten dieselbe Realität nur unterschiedlich auf, und zwar so wie sich mit verschiedenen Plätzchenformen aus demselben Teig unterschiedliche Objekte schneiden lassen. Nach Putnam scheitert dieser Rettungsversuch jedoch an der Frage, aus welchen Teilen die unsegmentierte Realität (in der Metapher: der Teig) denn bestehe. Beantwortet sie der metaphysische Realist beispielsweise mit „x1, x2, x3, x1+x2, x1+x3, x2+x3 und x1+x2+x3“, so liefert er damit natürlich keine neutrale Beschreibung, sondern übernimmt vielmehr diejenige Lesniewskis. [...]
Zweitens kann der metaphysische Realist – zumindest wenn es um Beschreibungen der wirklichen Welt geht – beide im Zusammenhang mit der Miniaturwelt diskutierten Objektbegriffe als teilweise inadäquat zurückweisen. Gegen die in der Logik üblicherweise vertretene Auffassung, nur Individuen hätten als Objekte zu zählen, könnte er zum Beispiel ebenfalls geltend machen, daß wir gemeinhin auch einige (wenn auch nicht alle) Ansammlungen von Elementarteilchen als Objekte verstehen. Gegen die Vertreter der Warschauer Schule könnte er hingegen einwenden, daß nicht alle mereologischen Summen wirklich Objekte sind, zum Beispiel die „unnatürliche“, diskontinuierliche Summe aus meiner Nase und dem Eiffelturm. Sind aber, entgegnet Putnam, nicht auch wissenschaftliche Objekte wie Sonnensysteme oder Galaxien diskontinuierlich? Und was hat die „Natürlichkeit“ oder „Unnatürlichkeit“ eines Dings mit dessen Existenz zu tun? [...] Abgesehen davon dürfte es dem metaphysischen Realisten kaum gelingen, ein brauchbares Kriterium für die Natürlichkeit von Objekten zu finden. So wird beispielsweise das Aristotelische Kriterium, wonach Teile eines wirklichen Objektes zusammenbleiben, wenn man es bewegt, durch die mereologische Summe aus einem Tisch und einem daran angeklebten Kaugummi ebenfalls erfüllt, während es umgekehrt „natürliche“ Objekte gibt, die beim Transportieren auseinanderfallen (etwa Lampen mit bloß aufgesetzten Lampenschirmen). [...]

[Quelle: Alex Burri, Hilary Putnam. Frankfurt/Main – New York 1994, S. 129-131]
Re: Sind Dinge metaphysisch real?
διψαλέος schrieb am 22.04.2012 um 16:12 Uhr (Zitieren)
Ist "metaphysisch real" nicht ein Paradoxon?

Wenn ich eine Konstruktion berechne, muß ich sie hinreichend genau berechnen,
also so, daß sie ihrem Gebrauch dient.
Dabei gehe ich vom allgemeinen und vorhersehbaren Gebrauch aus
(Eine Fußgängerbrücke über einen Bach braucht
nicht die Ausmaße einer Autobahnbrücke
über den Rhein.)

Wenn allerdings jemand auf die Idee kommt,
mit seinem 40-t-LKW über diese Brücke zu fahren,
ist das Ergebnis dieses Versuches nicht meine Schuld.
Re: Sind Dinge metaphysisch real?
ανδρέας schrieb am 22.04.2012 um 16:13 Uhr (Zitieren)
Hierzu passt eine Versuchsanordnung, die auch heutigen Physikern ein Rätsel ist: Das Doppelspaltenexperiment

Licht tritt sowohl als Welle als auch als Teilchen auf, aber erklären können die Physiker das nicht! Alle Versuche, das Rätsel zu lösen, sind bisher gescheitert. Der berühmteste und sehr oft variierte Versuchsaufbau ist das Doppelspaltexperiment. Man stellt dabei vor einem Trennschirm eine Lichtquelle auf, die einzelne Photonen aussendet. Man will herausfinden, durch welchen von zwei Spalten im Trennschirm ein einzelnes Photon geht. Natürlich erwartet man, dass es durch einen der beiden Spalte geht. Es tut uns aber diesen Gefallen nicht, sondern es geht völlig unerwartet durch beide und zeigt auf photoempfindlichem Material hinter dem Schirm ein Interferenzmuster - der typische Beleg für den Wellencharakter des Lichts. Stellt man jedoch hinter die beiden Spalten je einen Detektor für Teilchen auf, so zeigt sich das Photon tatsächlich in nur einem der beiden Detektoren. Wer glaubt jetzt nur ein Teilchen zu haben, täuscht sich, denn man hat erkennen müssen, dass das Photon auch jetzt noch seine Eigenschaften, sowohl Welle als auch Teilchen zu sein, behält, und dass es sich dem anpasst, was der Experimentator ihm in den Weg stellt. Ist Photopapier hinter dem Schirm, dann geht es durch beide Spalten und tritt als Welle auf. Stellt man hinter beide Spalten Detektoren, geht es nur durch einen Spalt und zeigt sich so als Teilchen.
Das Licht weiß offenbar, was der Experimentator erfahren möchte und passt sich seiner Versuchsanordnung an.


http://www.j-lorber.de/shm/licht/lichteigenschaften.htm#Doppelspaltexperiment%20als%20Beweis%20f%C3%BCr%20Wellen%20und%20Teilchen%20in%20Licht

Das kommt Metaphysik schon recht nahe.
Re: Sind Dinge metaphysisch real?
διψαλέος schrieb am 22.04.2012 um 16:18 Uhr (Zitieren)
sach ich doch...
die Welt ist dialektisch aufgebaut....
(bzw. für uns nur dialektisch/dualistisch zu empfinden)

Spielt aber im Alltag keine Rolle
(bzw. doch, nur, wir brauchen uns darüber nicht den Kopf zu zerbrechen.)
Re: Sind Dinge metaphysisch real?
Γραικίσκος schrieb am 22.04.2012 um 16:18 Uhr (Zitieren)
Die Frage hier ist die, ob eine Brücke 'in Wahrheit' (metaphysisch) eine Brücke ist oder ob das davon abhängt, welche Logik, Sprache, welches Begriffssystem verwendet wird.
Putnam meint anscheinend, daß für einen Atomphysiker (im Unterschied zum Ingenieur) 'eine Brücke' keinen Sinn ergibt.
Re: Sind Dinge metaphysisch real?
Γραικίσκος schrieb am 22.04.2012 um 16:19 Uhr (Zitieren)
(Das habe ich geschrieben, bevor ich die beiden letzten Beiträge gelesen habe.)
Re: Sind Dinge metaphysisch real?
Γραικίσκος schrieb am 22.04.2012 um 16:22 Uhr (Zitieren)
Außerdem wollte ich mit dem Text natürlich zeigen, daß Philosophen sich heute durchaus noch mit Fragen befassen, von denen behauptet wurde, daß sie sich nicht mehr damit befassen.
Typisch ist dabei wohl der starke Akzent auf der Logik ... was Aristoteles ja nicht fremd ist, auch wenn die moderne Logik eine ist, die Aristoteles sich nicht hat träumen lassen.
Re: Sind Dinge metaphysisch real?
διψαλέος schrieb am 22.04.2012 um 16:24 Uhr (Zitieren)
Für einen Atomphysiker ist in der Tat eine Brücke nur eine Ansammlung von Elementarteilchen.
Aber diese Elemantarteilchen sind so angeordnet,
daß der Atomphysiker diese Ansammlung
vertrauensvoll (weil der Ing. die Anordnung richtig
berechnet hat) benutzen kann, um trockenen
Fußes in sein Labor zu kommen.

;-)
Re: Sind Dinge metaphysisch real?
Γραικίσκος schrieb am 22.04.2012 um 16:27 Uhr (Zitieren)
Das ist eine gute Antwort und ganz im Sinne des Pragmatismus (eine heute weit verbreitete Auffassung von Philosophie, die aus den USA stammt).
Re: Sind Dinge metaphysisch real?
διψαλέος schrieb am 22.04.2012 um 16:29 Uhr (Zitieren)
die aus den USA stammt


das wollte ich jetzt nicht.....
Re: Sind Dinge metaphysisch real?
Γραικίσκος schrieb am 22.04.2012 um 16:38 Uhr (Zitieren)
Ist heute beinahe unvermeidlich - wie auch in den meisten anderen Wissenschaften.
Anderssprachige Philosophen haben fast nur noch eine regionale Bedeutung. Was schade ist, ist es doch manchmal nur eine Sache der Wahrnehmung.
Publish in English or perish!
Re: Sind Dinge metaphysisch real?
διψαλέος schrieb am 22.04.2012 um 16:40 Uhr (Zitieren)
English ist ja noch o.k.

B-)
Re: Sind Dinge metaphysisch real?
ανδρέας schrieb am 22.04.2012 um 16:51 Uhr (Zitieren)
um trockenen Fußes in sein Labor zu kommen


Elementarphysikalisch besteht der Atomphysiker ja auch aus leerem Raum, der sich über eine Brücke bewegt, die auch leerer Raum ist. Das bißchen Materie, woraus sie bestehen, reicht aus, dass man sich als festen Körper wahrnimmt.
Oder sind wir ein Hologramm?

Bemerkenswert ist, dass der Informationsgehalt des dreidimensionalen Volumens durch den Inhalt einer zweidimensionalen Fläche gegeben ist, der Horizontfläche. Die Idee einer holographischen Welt geht aber noch einen Schritt weiter, indem sie die Frage stellt: ist unsere Welt ein Hologramm? Liegt der vierdimensionalen Raumzeit eine dreidimensionale Realität zugrunde? Gibt es zwei äquivalente, in der Fachsprache der Physiker, duale, Beschreibungen ein und derselben Wirklichkeit: das Hologramm und das rekonstruierte höherdimensionale Abbild?


http://www.mpg.de/328977/forschungsSchwerpunkt?c=166434&print=yes

(Artikel: Max-Planck-Gesellschaft)

Ich mache jetz lieber meinen Sonntagsspaziergang - mir schwirrt der Kopf (ich will kein Hologramm sein ...)
Re: Sind Dinge metaphysisch real?
Γραικίσκος schrieb am 22.04.2012 um 16:57 Uhr (Zitieren)
Ich mache jetz lieber meinen Sonntagsspaziergang.

Du wirst sicher nachdenklich werden, sobald Du über eine Brücke gehst.
Re: Sind Dinge metaphysisch real?
ανδρέας schrieb am 22.04.2012 um 19:09 Uhr (Zitieren)
Bericht über meinen Spaziergang:

Als ich die Spree überquerte kam mir der Gedanke, was passierte, wenn die Brücke ein Möbiusband wäre. Die Brücke kam mir überhaupt auch etwas zu lang vor, weil ich einfach nicht ankam. Ich stellte mir vor, wie mich jemand aus den Tiefen des Kosmos wahrnehmen müsste: mikroskopisch winzig, ein Pixel in einem Bild, das für mich nicht mehr erkennbar ist, weil es so groß aufgelöst ist, dass die einzelnen Pixel aus meiner Sicht zu weit auseinander liegen. Dann wäre ich nur ein schwingendes Teilchen, das regelmäßig in geringen Zeitabständen auftaucht und wieder verschwindet, wie eine Schwingung, weil ich mal auf der einen, dann auf der anderen Oberfläche auftauchte. Vielleicht würde mich der Beobachter als Blinken wahrnehmen. Natürlich wäre ich nicht allein und daher wäre es doch ein unregelmäßiges Blinken, da sich die Erscheinungen wegen der anderen Spaziergänger überlagern, gegenseitig auslöschen oder verstärken. Der Beobachter sähe dann ein chaotisch blinkendes Pixel. Da er aus großem Abstand das ganze Bild sähe, könnte es für ihn sogar ein Muster ergeben, das mir aus meiner Froschperspektive völlig verborgen bliebe. Die unterschiedlichen Blinkzeichen würden je nach Betrachtungswinkel ein variiertes Bild ergeben und sogar räumlich erscheinen, wie bei einem Hologramm. Der weit entfernte Beobachter würde mich vielleicht als kleinste Einheit von Länge und Zeit definieren. Dann würden sehr viele auf meine Brücke passen. Wären es zu viele, so dass sie zusammenbricht würden alle in einem schwarzen Loch, also in der Spree, verschwinden. Der Beobachter würde lediglich wahrnehmen, dass ein Pixel weniger blinkt. Für mich wäre das allerdings weniger schön.

Und dann bekam ich Hunger und ging nach Hause zu meiner Frau.
Re: Sind Dinge metaphysisch real?
διψαλέος schrieb am 22.04.2012 um 22:21 Uhr (Zitieren)
Ein Möbius-Band als Brücke?
Hmm, überlegenswert....
B-)


(Vielleicht könnte man so die Dauerstaus auf der A3 auflösen..)
Re: Sind Dinge metaphysisch real?
διψαλέος schrieb am 22.04.2012 um 22:22 Uhr (Zitieren)
Re: Sind Dinge metaphysisch real?
διψαλέος schrieb am 22.04.2012 um 22:23 Uhr (Zitieren)
Re: Sind Dinge metaphysisch real?
ανδρέας schrieb am 22.04.2012 um 22:32 Uhr (Zitieren)

Genau!

Gute Nacht.
 
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