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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Julian-Projekt #1 (869 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 12.07.2009 um 09:25 Uhr (Zitieren)
Zur Einführung in das Werk dieses letzten berühmten Heiden der Antike, der (natürlich) griechisch geschrieben hat.
Julian Apostata

MISOPOGON


Mich selbst zu loben – so gern ich es täte –[,] habe ich leider keinen Grund. Aber mich selbst zu kritisieren[,] habe ich viel Anlaß. Ich will mit meinem Gesicht beginnen: Es ist von Natur weder übermäßig schön noch würdig, noch von jugend-licher Frische – und so habe ich aus lauter perversem Mutwil-len und Griesgrämigkeit diesen meinen langen Bart hinzugefügt, gleichsam um es für seine Häßlichkeit zu strafen. Aus demselben Grunde finde ich mich auch mit den Läusen ab, die sich darin tummeln, als wäre es ein Wildpark. Daß ich hastig und geräuschvoll esse und mit offenem Munde trinke – nun, dafür kann ich nichts: Ich muß aufpassen, daß ich nicht unversehens mit dem Brot auch meine eigenen Barthaare verschlucke. Was das Küssen und Geküßtwerden betrifft – darunter leide ich jedenfalls nicht, obwohl natürlich in dieser wie in anderer Beziehung ein Bart lästig ist, weil er einem nicht gestattet, Lippe auf Lippe zu pressen, ohne daß der Bart dazwischen kommt. [...] Nun sagt Ihr, ich solle Seile daraus flechten! Ich bin bereit, Euch solche Seile zu liefern – hoffentlich habt Ihr die Kraft, sie zu ziehen, und hoffentlich sind sie nicht zu rauh für Eure „ungewohnten und zarten Hände“! (Odyssee 22, 151)
Und meint nicht, daß mich Eure Verulkungen kränkten. Ich liefere Euch ja selber den Anlaß, indem ich mein Kinn mit einem Ziegenbart versehe, während ich es glatt haben könnte wie ein schöner Knabe und wie alle Frauen, die die Natur mit solcher Lieblichkeit ausgestattet hat.
Aber Ihr eifert ja selbst in Eurem hohen Alter Euren Söhnen und Töchtern nach – in weicher Lebensweise und mit verwöhntem Charakter -, und so rasiert Ihr Euch sorgfältig und deutet Eure Mannheit gerade noch mit der Stirn an und nicht, wie ich, mit dem Kinn.
Aber nicht genug, daß mein Bart so lang ist – mein Haupt ist ungekämmt, und meine Haare und Nägel sind selten geschnitten. Ja, meine Hände sind vom Gebrauch des Schreibrohrs geschwärzt. Und wenn ich Euch ein Geheimnis verraten soll: Meine Brust ist von zottigen Haaren bedeckt wie die eines Löwen, der schließlich unter den wilden Tieren König ist, wie ich unter den Menschen; ich habe mich nie bemüht, meine Brust glatt zu machen – aus lauter Widerspenstigkeit und Gleichgültigkeit -, und auch sonst habe ich keinen Teil meines Körpers glatt und weich gemacht. Wenn ich irgendwo eine Warze hätte wie Cicero , ich würde es Euch sagen. Aber ich habe keine. – Ich begnüge mich nicht mit diesem rauen Zustand meines Körpers, ich lebe auch ein raues Leben. Ich vermeide das Theater – so wenig liegt mir an der Kultur; ich erlaube kein Flötenspiel an meinem Hof außer am Neujahrstag, denn ich habe nicht mehr Ver-ständnis dafür als ein Bauer, der seine kleine Pachtsumme an einen harten Herrn abgeben muß. Und wenn ich einmal ein Theater betreten muß, dann sehe ich aus wie ein Büßer. [...]
Und wahrlich, da habt Ihr auch diesen weiteren bekümmernden und unzweifelhaften Beweis meines schlechten Charakters (ich habe immer wieder eine neue Unart hinzuzufügen!): Ich hasse Pferderennen so wie Leute, die Geld schulden, den Marktplatz hassen. So besuche ich sie auch selten – außer an Festtagen und bleibe auch nicht den ganzen Tag dort, wie mein Vetter Konstantius und mein Onkel und mein Bruder und mein Halbbruder. Sechs einzelne Durchläufe halte ich gerade noch aus, und auch das nicht mit der Miene eines Liebhabers oder auch, beim Zeus, nur eines Gleichgültigen; ich bin vielmehr froh, wenn ich wieder gehen darf.
Aber das sind ja nur Äußerlichkeiten. Wie wenig, in der Tat, habe ich bis jetzt von dem Unrecht beschrieben, das ich Euch ständig tue! Hier mein Privatleben: Schlaflose Nächte auf hartem Lager und eine Kost, die alles andere als üppig ist, haben mein Gemüt verhärtet und stimmen mich feindlich gegen eine Stadt, die im Luxus lebt, wie die Eure. Und dabei lebe ich so nicht etwa, um Euch ein Beispiel zu geben: Ich bin nun mal so! [...] „Was für eine Koketterie, ja Heuchelei!“ werdet Ihr sagen. „Du behauptest, du seist nicht unser Herr und willst nicht, daß man dich so nennt; ja die Herrschaft ärgert dich so, daß du die Mehrheit der Menschen, die sich doch daran gewöhnt hat, schon dazu gebracht hast, das Wort ‚Herrschaft’ wie etwas Hassenswertes zu vermeiden – und doch zwingst du uns, deinen Beamten und deinen Verordnungen zu gehorchen! Wäre es nicht besser, du nähmst den Namen des Herrschers hin und ließest uns in Wirklichkeit frei?“ [...]
Und weiter: „Du gehst immer noch in die heidnischen Tempel, ohne Anstand, verkehrt und gänzlich schlecht, wie du bist. Um deinetwillen strömen die Massen in die heiligen Bezirke und die meisten Beamten dazu, und da begrüßen sie dich mit lautem Geschrei und Händeklatschen – wie im Theater. Und statt sie dafür zu loben, beschimpfst du sie noch [...] und sagst: ‚Ihr scheint selten in die Tempel zu kommen, um die Götter zu ehren, aber um mich zu ehren, kommt ihr in großen Scharen und erfüllt die Tempel mit großer Unordnung. Besonnene Menschen aber beten zu den Göttern in gesitteter Form und erbitten sich der Götter Segen in Schweigen.’“ Ja, da bin ich wieder bei meinen gewohnten Predigten. [...]
Aber Ihr gebt nicht nach: „Wer wird sich mit dieser anderen Unart von dir abfinden: Du schläfst nachts immer allein, und es ist ganz unmöglich, dich von dieser wilden und unzivilisierten Gemütsart zu befreien, denn du verschließt dich jeder Besänftigung; - ja das Schlimmste ist, daß du Freude an dieser Art von Leben hast und das Vergnügen in Acht und Bann gelegt hast.“ [...] Nun, Euer Vergnügen ist mir ganz erklärlich: Ihr habt jegliche Sklaverei abgetan – erstens die Unterwerfung unter die Götter, zweitens die unter die Gesetze, drittens unter mich, der ich der Wächter der Gesetze bin. Ich wäre nun wahrhaftig ein Kauz und Nörgler, wenn ich – nachdem die Götter es hingenommen haben, daß Eure Stadt so frei lebt, und Euch nicht dafür züchtigen – wenn ich nun ärgerlich und nachtragend wäre. Denn Ihr könnt sicher sein, daß die Götter von der Mißachtung, die Ihr mir gezeigt habt, mitbetroffen gewesen sind.
[...] Ich habe viele von Euch gekränkt – ja, ich kann schon sagen alle: den Senat, die Reichen und das gemeine Volk. Die letzteren hassen mich vor allem, da sie für sich den Atheismus vorgezogen haben und sehen, daß ich dem Gebot und den heiligen Bräuchen die Treue halte, denen Eure Väter gefolgt sind; die mächtigen und reichen Bürger hassen mich, weil ich sie daran hindere, alles zu beliebig hohen Preisen zu verkaufen; aber Ihr alle haßt mich wegen der Tänzer und des Theaters – nicht etwa weil ich andere dieser Vergnügungen beraube, sondern weil sie mir selber gleichgültig sind – gleichgültiger als Frösche in einem Teich.


[Quelle: Julian Apostata, Misopogon 388 B ff.; zitiert nach: Hartmut von Hentig (Hrsg.), Weltmacht Rom. Glanz und Niedergang des großen Imperiums. München o.J., S. 146-149]
Re: Julian-Projekt #1
Γραικίσκος schrieb am 12.07.2009 um 10:14 Uhr (Zitieren)
Übrigens verrät wohl schon der Titel der Schrift eine gehörige Portion Selbstironie beim Verfasser.
Re: Julian-Projekt #1
Ὑληβάτης schrieb am 12.07.2009 um 18:40 Uhr (Zitieren)
Warum denn "Projekt"?
Nun, Euer Vergnügen ist mir ganz erklärlich: Ihr habt jegliche Sklaverei abgetan – erstens die Unterwerfung unter die Götter, zweitens die unter die Gesetze, drittens unter mich, der ich der Wächter der Gesetze bin. Ich wäre nun wahrhaftig ein Kauz und Nörgler, wenn ich – nachdem die Götter es hingenommen haben, daß Eure Stadt so frei lebt, und Euch nicht dafür züchtigen – wenn ich nun ärgerlich und nachtragend wäre.

Eine ganz vorzügliche Stelle!
Julian ist doch wohl ein Heide, der von Göttern spricht, aber der klassische, d.h. der antike Polytheist scheint er nicht mehr zu sein. Immerhin haben seine Götter offenbar etwas gegen ein ausschweifendes Leben. Ein asketischer Zeus? Ein Dionysos, der womöglich zu heftigen Weingenuss bestraft?
Könnte man wohl sagen, dass Julian ein christlicher Heide ist, oder ist die Askese ein Zug der Zeit?
Re: Julian-Projekt #1
Γραικίσκος schrieb am 12.07.2009 um 19:35 Uhr (Zitieren)
Es ist so die Art von Askese, wie sie dem Diogenes von Sinope eigen ist: eine Verachtung materieller Genüsse & weltlicher Freuden. Andererseits betont Diogenes nicht derart seine Gottgläubigkeit, so daß Julian wohl wirklich ein "christlicher Heide" ist - was sich in dem Beinamen "Apostata" ja im Grunde auch ausdrückt.

Projekt heißt es deshalb, weil noch einige Teile folgen könnten (daher auch #1), wenn das Thema auf Interesse stößt. Diesen Stoff kann ich jedenfalls auch aus dem Urlaub liefern.
Re: Julian-Projekt #1
Ὑληβάτης schrieb am 12.07.2009 um 20:22 Uhr (Zitieren)
Vor allem sind Julians Götter asketisch und wollen Askese vom Menschen - oder kümmern sich eben nicht darum.

Wie kommt er eigentlich darauf, "Unterwerfung unter die Götter" als "Sklaverei" zu bezeichnen? Oder ist das sozusagen oratio obliqua?

Ich bin - auf meine eher passive Art - durchaus interessiert an Julian. Allerdings ohne bestimmtes Vorwissen.
Re: Julian-Projekt #1
Bibulus schrieb am 12.07.2009 um 20:33 Uhr (Zitieren)
der Apostat soll ja mit seinen letzten Atemzügen Christus doch noch anerkannt haben...
Re: Julian-Projekt #1
Ὑληβάτης schrieb am 12.07.2009 um 20:59 Uhr (Zitieren)
Darwin soll das auch getan haben.
Re: Julian-Projekt #1
Bibulus schrieb am 12.07.2009 um 21:02 Uhr (Zitieren)
Es gab so einige Persönlichkeiten,
die im letzten Lebensaugenblick....
Re: Julian-Projekt #1
Γραικίσκος schrieb am 12.07.2009 um 22:11 Uhr (Zitieren)
Das bezweifle ich, daß Julian Apostata im letzten Augenblick noch die Seite gewechselt hat. Sowas erfinden kirchliche Tendenzschriftsteller gern, als ob es ein Argument wäre. ("Nazarener, du hast doch gesiegt!")
Glauben möchte, daß er etwas der folgenden Art gesagt hat:
Dschuang Dsi lag im Sterben, und seine Jünger wollten ihn prächtig bestatten. Dschuang Dsi sprach: „Himmel und Erde sind mein Sarg, Sonne und Mond leuchten mir als Totenlampe, die Sterne sind meine Perlen und Edelsteine, und die ganze Schöpfung gibt mir das Trauergeleite. So habe ich doch ein prächtiges Begräbnis! Was wollt ihr da noch hinzufügen?“ Die Jünger sprachen: „Wir fürchten, die Krähen und Weihen möchten den Meister fressen.“
Dschuang Dsi sprach: „Unbeerdigt diene ich den Krähen und Weihen zur Nahrung, beerdigt den Würmern und Ameisen. Dem einen es nehmen, um es den andern zu geben: warum so parteiisch sein?“

Das hätte zumindest auch zu seinem Leben gestimmt.
Re: Julian-Projekt #1
Γραικίσκος schrieb am 12.07.2009 um 22:12 Uhr (Zitieren)
Glauben möchte ich ...
Re: Julian-Projekt #1
Γραικίσκος schrieb am 12.07.2009 um 22:24 Uhr (Zitieren)
Ah! Hier, ich habe Julians letzte überlieferte Worte gefunden:
„Ruhe! Es ist demütigend, daß ihr um einen Fürsten weint, dessen Seele bald zum Himmel aufsteigt und sich mit dem Feuer der Gestirne vereint. Die Philosophie hat mich davon überzeugt, daß die Seele nicht glücklich ist, ehe sie von den Fesseln des Leibes befreit ist.“

Das ist nun doch etwas asketischer, was hier ja schon als Julians Charakterzug bemerkt worden ist - asketischer als der durch & durch ironisch-gelassene Dschuang Dsi.
Re: Julian-Projekt #1
Γραικίσκος schrieb am 13.07.2009 um 09:08 Uhr (Zitieren)
Wie kommt er eigentlich darauf, "Unterwerfung unter die Götter" als "Sklaverei" zu bezeichnen?

Ist es nicht so, daß der griechischen und auch der lateinischen Sprache ein Wort für freiwillige, gerne geleistete Dienstbarkeit fehlt? Immer nur δουλεία, δοῦλος. Korrigiere mich, wenn ich mich irre; ich kann's hier nicht überprüfen.
Auch die Gleichnisse des NT verwenden durchgängig diesen Begriff, und sie formulieren eine Analogie: So wie der Sklave zu seinem Herrn, so verhält sich der Mensch zu Gott.
Ihr Sklaven, seid euren irdischen Herren in allem untertan, nicht als Augendiener, um Menschen zu gefallen, sondern mit aufrichtigem Herzen, in der Furcht des Herrn. Was ihr tut, das tut von Herzen gern; denn es gilt dem Herrn und nicht Menschen. Ihr wißt ja, daß ihr zum Lohn dafür vom Herrn das Erbe erhaltet. Dient Christus, dem Herrn. Wer Unrecht tut, wird für sein Unrecht Strafe erhalten. Da gilt kein Ansehen der Person.
Ihr Herren, gewährt den Sklaven, was recht und billig ist. Bedenkt, daß auch ihr einen Herrn in Himmel habt.

So der Apostel Paulus in seinem Brief an die Kolosser 3,22 - 4,1.
 
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