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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Die Welt und das Ich (696 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 09.05.2012 um 13:19 Uhr (Zitieren)
I.
Immanuel Kant
KRITIK DER PRAKTISCHEN VERNUNFT
(1788)

[...] Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir. Beide darf ich nicht als in Dunkelheiten verhüllt, oder im überschwenglichen, außer meinem Gesichtskreise, suchen und bloß vermuten; ich sehe sie vor mir und verknüpfe sie unmittelbar mit dem Bewußtsein meiner Existenz. Das erste fängt von dem Platze an, den ich in der äußern Sinnenwelt einnehme, und erweitert die Verknüpfung, darin ich stehe, ins unabsehlich-Große mit Welten über Welten und Systemen von Systemen, überdem noch in grenzenlose Zeiten ihrer periodischen Bewegung, deren Anfang und Fortdauer. Das zweite fängt von meinem unsichtbaren Selbst, meiner Persönlichkeit, an, und stellt mich in einer Welt dar, die wahre Unendlichkeit hat, aber nur dem Verstande spürbar ist, und mit welcher (dadurch aber auch zugleich mit allen jenen sichtbaren Welten) ich mich nicht, wie dort, in bloß zufälliger, sondern allgemeiner und notwendiger Verknüpfung erkenne. Der erstere Anblick einer zahllosen Weltenmenge vernichtet gleichsam meine Wichtigkeit, als eines tierischen Geschöpfs, das die Materie, daraus es ward, dem Planeten (einem bloßen Punkte im Weltall) wieder zurückgeben muß, nachdem es eine kurze Zeit (man weiß nicht wie) mit Lebenskraft versehen gewesen. Das zweite erhebt dagegen meinen Wert, als einer Intelligenz, unendlich, durch meine Persönlichkeit, in welcher das moralische Gesetz mir ein von der Tierheit und selbst von der ganzen Sinnenwelt unabhängiges Leben offenbart, wenigstens so viel sich aus der zweckmäßigen Bestimmung meines Daseins durch dieses Gesetz, welche nicht auf Bedingungen und Grenzen dieses Lebens eingeschränkt ist, sondern ins Unendliche geht, abnehmen läßt. [...]

[KpV A 288-290]
II.
Arthur Schopenhauer
DIE WELT ALS WILLE UND VORSTELLUNG (Bd. II)
(1844)

Im unendlichen Raum zahllose leuchtende Kugeln, um jede von welchen etwan ein Dutzend kleinerer, beleuchteter sich wälzt, die inwendig heiß, mit erstarrter, kalter Rinde überzogen sind, auf der ein Schimmelüberzug lebende und erkennende Wesen erzeugt hat: - dies ist die empirische Wahrheit, das Reale, die Welt. Jedoch ist es für ein denkendes Wesen eine mißliche Lage, auf einer jener zahllosen im gränzenlosen Raum frei schwebenden Kugeln zu stehn, ohne zu wissen woher noch wohin, und nur Eines zu seyn von unzählbaren ähnlichen Wesen, die sich drängen, treiben, quälen, rastlos und schnell entstehend und vergehend, in anfangs- und endloser Zeit: dabei nichts Beharrliches, als allein die Materie und die Wiederkehr der selben, verschiedenen, organischen Formen, mittelst gewisser Wege und Kanäle, die nun ein Mal dasind. Alles was empirische Wissenschaft lehren kann, ist nur die genauere Beschaffenheit und Regel dieser Hergänge.
Da hat nun endlich die Philosophie der neueren Zeit, zumal durch Berkeley und Kant, sich darauf besonnen, daß Jenes alles zunächst doch nur ein Gehirnphänomen und mit so großen, vielen und verschiedenen subjektiven Bedingungen behaftet sei, daß die erwähnte absolute Realität desselben verschwindet und für eine ganz andere Weltordnung Raum läßt, die das jenem Phänomen zum Grunde liegende wäre, d.h. sich dazu verhielte, wie zur bloßen Erscheinung das Ding an sich selbst. [...]

[W II 3 f.]
III.
Friedrich Nietzsche
ÜBER WAHRHEIT UND LÜGE IM AUSSERMORALISCHEN SINN
(1873)

In irgend einem abgelegenen Winkel des in zahllosen Sonnensystemen flimmernd ausgegossenen Weltalls gab es einmal ein Gestirn, auf dem kluge Thiere das Erkennen erfanden. Es war die hochmütigste und verlogenste Minute der „Weltgeschichte“: aber doch nur eine Minute. Nach wenigen Athemzügen der Natur erstarrte das Gestirn, und die klugen Thiere mußten sterben. - So könnte Jemand eine Fabel erfinden und würde doch nicht genügend illustrirt haben, wie kläglich, wie schattenhaft und flüchtig, wie zwecklos und beliebig sich der menschliche Intellekt innerhalb der Natur ausnimmt; es gab Ewigkeiten, in denen er nicht war; wenn es wieder mit ihm vorbei ist, wird sich nichts begeben haben. Denn es gibt für jenen Intellekt keine weitere Mission, die über das Menschenleben hinausführte. Sondern menschlich ist er, und nur sein Besitzer und Erzeuger nimmt ihn so pathetisch, als ob die Angeln der Welt sich in ihm drehten. Könnten wir uns aber mit der Mücke verständigen, so würden wir vernehmen, daß auch sie mit diesem Pathos durch die Luft schwimmt und in sich das fliegende Centrum dieser Welt fühlt. Es ist nichts so verwerflich und gering in der Natur, was nicht durch einen kleinen Anhauch jener Kraft des Erkennens sofort wie ein Schlauch aufgeschwellt würde; und wie jeder Lastträger seinen Bewunderer haben will, so meint gar der stolzeste Mensch, der Philosoph, von allen Seiten die Augen des Weltalls teleskopisch auf sein Handeln und Denken gerichtet zu sehen. [...]

[KSA I 875 f.]
IV.
Harry Mulisch
DIE ENTDECKUNG DES HIMMELS
(1992)

[...] „Offen gestanden“, sagte [der Astronom] Max, „habe ich als kleiner Junge nie verstanden, daß sich jemand dem All gegenüber klein vorkommen kann. Der Mensch weiß doch, wie überwältigend groß es ist, und noch einige Dinge mehr, aber deswegen ist er doch nicht klein! Daß er das alles entdeckt hat, beweist doch gerade seine Größe. Das Erstaunliche ist eher, daß dieses murkelige Wesen das gesamte Weltall in diesem winzigen Raum unter seiner Schädeldecke erfassen und darüber obendrein noch reflektieren kann, wie wir jetzt. Das macht ihn in gewisser Weise sogar größer als das Weltall.“

[Harry Mulisch, Die Entdeckung des Himmels. München/Wien 1993, S. 281]
Re: Die Welt und das Ich
filix schrieb am 09.05.2012 um 13:41 Uhr (Zitieren)
Überhaupt war das
Gespräch von Hegel immer eine Art von Monolog,
stoßweis hervorgeseufzt mit klangloser Stimme; das
Barocke der Ausdrücke frappierte mich oft, und von
letztern blieben mir viele im Gedächtnis. Eines schö-
nen hellgestirnten Abends standen wir beide neben-
einander am Fenster, und ich, ein zweiundzwanzig-
jähriger junger Mensch, ich hatte eben gut gegessen
und Kaffee getrunken, und ich sprach mit Schwärme-
rei von den Sternen und nannte sie den Aufenthalt der
Seligen. Der Meister aber brümmelte vor sich hin:
»Die Sterne, hum! hum! die Sterne sind nur ein leuch-
tender Aussatz am Himmel.
« - »Um Gottes willen« -
rief ich -, »es gibt also droben kein glückliches
Lokal, um dort die Tugend nach dem Tode zu beloh-
nen?« Jener aber, indem er mich mit seinen bleichen
Augen stier ansah, sagte schneidend: »Sie wollen also
noch ein Trinkgeld dafür haben, daß Sie Ihre kranke
Mutter gepflegt und Ihren Herrn Bruder nicht vergiftet
haben?« - Bei diesen Worten sah er sich ängstlich
um, doch er schien gleich wieder beruhigt, als er
bemerkte, daß nur Heinrich Beer herangetreten war,
um ihn zu einer Partie Whist einzuladen. (H. Heine: Geständnisse)
Re: Die Welt und das Ich
Γραικίσκος schrieb am 09.05.2012 um 20:57 Uhr (Zitieren)
Gehört hatte ich schon von dieser Äußerung Hegels über die Sterne; daß sie von Heine überliefert worden ist, wußte ich nicht.
Re: Die Welt und das Ich
Φιλομαθής schrieb am 09.05.2012 um 22:06 Uhr (Zitieren)
Vielleicht ging den idealistischen Philosophen das Wort unendlich nur darum so fatal leicht von den Lippen, weil sie den nagenden Zweifel an der kargen Endlichkeit ihrer Begriffsapparatur, trotz seiner Absicht noch der Hegels, beschwichtigen wollten. Die traditionelle Philosophie glaubt, ihren Gegenstand als unendlichen zu besitzen, und wird darüber als Philosophie endlich, abschlußhaft. Eine veränderte müßte jenen Anspruch kassieren, nicht länger sich und anderen einreden, sie verfüge übers Unendliche. ... Erkenntnis hat keinen ihrer Gegenstände ganz inne. Sie soll nicht das Phantasma eines Ganzen bereiten.

[Adorno, Negative Dialektik, S. 24-25.]
Re: Die Welt und das Ich
διψαλέος schrieb am 09.05.2012 um 23:23 Uhr (Zitieren)
Hegel starb übrigens wahrscheinlich an der Cholera, die 1831 in Berlin wütete
(im selben Jahr sind so einige Prominente an dieser Seuche verstorben).
http://de.wikipedia.org/wiki/1831#Gestorben
Re: Die Welt und das Ich
διψαλέος schrieb am 10.05.2012 um 01:29 Uhr (Zitieren)
Ein Denkanstoß:
Das "Gefressenwerden" ist vielleicht gar nicht mal
die übelste Art, sein weltliches Dasein beendet
dargereicht zu bekommen.

So dient und nützt man doch immerhin jemanden ...

Und auch unsere Sitte, Verstorbene in die Erde
zu verbuddeln, ist doch auch nur ein Festmahl
für Bazillen und andere Aasfresser...

Man sollte sich keine Illusionen über die Verwesung machen.
 
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