Das Problem ist ja, dass schon das Interpretandum in seiner Doppelbewegung der Christianisierung des Imperiums und der Imperalisierung des Christentums - wie man an der Diskussion über die Rolle Konstantins bzw. den Unterschied zu Theodosius und der in
Cunctos populos sich ausdrückenden Entwicklungen in diesem Prozess nach einem kurzen Blick in die Literatur erkennt - schwer vermintes Gelände ist. Ein Hauptgrund dafür ist, dass die Lücke in historisch-religionssoziologischen Erklärungsmodellen unterschwellig theologisch geschlossen wird: der unerklärliche Rest des Aufstiegs, der ja in den von tendenziöser Literatur der Epoche (Eusebius e.g.) ausgedrückten Formen sich vollzogen haben soll, verbindet sich schnell mit der Frage, welcher Anteil, um die Worte Paul Veynes etwa zu gebrauchen, dem "Göttlichen, dem Heiligen" als einer irreduziblen, "elementaren Eigenschaft" und dem ihm antwortenden religiösen Gefühl dabei zukommt. Die Grundfrage ist dabei: wie schreibt man Religionsgeschichte ohne Religion, letztere nicht so sehr als die Forschung leitende Überzeugung der Autoren sondern als geschichtlich wirksame Kraft verstanden. Das heißt noch gar nicht einen wie auch immer verstandenen Gott als universalen Lenker derselben annehmen, der an seiner Schöpfung zutiefst interessiert ist - ein eminent wichtiges jüdisches Erbteil des Christentums. Selbst wenn man den Bekenntnisakt eines römischen Kaisers als Wendepunkt grundsätzlich als Machwerken christlicher Schriftsteller entsprungenes Märchen verwirft (wofür viel spricht) und so die historische Situation, die einer Erklärung bedarf, als falsch gestellt interpretiert, bleibt die Frage nach dem set of mind, in welchem solches überhaupt gedacht wird.
In dieser Rücksicht erscheint mir der Tertulliantext als ein Mosaikstein unter anderen für das Verständnis interessant - er ist keineswegs als einfach konkurrenzloses Parteiprogramm, dem der Lauf der Geschichte anzupassen ist, zu betrachten. Der set of mind entspringt nämlich m.E. weder vollständig durch das jeweilige Ereignis noch erschöpft er sich in ideologischer Begleitmusik, er hat seine Vorzeichnungen vor den Ereignissen, aus denen heraus er wiederum interpretiert wird - ein hermeneutischer Zirkel der nicht gegen die Linearität der Zeit ausgespielt werden und nach der einen oder anderen Richtung aufgelöst werden sollte.
Zunächst ist in Tertullian als Gestalt das Christentum im Imperium Romanum und zwar keineswegs in triumphaler Weise angekommen - nicht als Inkarnation, Aufgipfelung, exponierter Agent eines Heilsplans oder dergleichen, ohne Pathos vielmehr darin, dass ein Sohn eines römischen Offiziers mit entsprechender juristisch-rhetorischer Ausbildung aus der Defensive heraus eine Argumentation entfaltet, die die Rolle der Christen im I.R. behandelt. Und wie. Dass er dabei auch gleichzeitig einer der ersten christlichen Autoren ist, der auf Latein schreibt und über die von ihm angestrebten Begriffsinhalte hinaus terminologisch schöpfend wirkt, kommt hinzu.
Die Verteidigung gegen die Christenverfolgung, die als Rechtsfall behandelt wird, als das historische Nahziel des Textes absorbiert die darüber hinausreichenden Argumentation, die ja in Bezug darauf teilweise verstiegen und ungeheuerlich wirkt, meines Erachtens keineswegs.
Nur kurz - um das Missfallen der Wächter über die Freizeit nicht weiter zu erregen - zu den von mir und dir angeschnittenen Stellen im
Apologeticum : der Anspruch auf das Imperium ist nicht ein politischer Herrschaftsanspruch auf den Thron, der sich quasi in offene Opposition begibt, im Gegenteil, die Christen sollen als die "besseren", loyaleren Römer dargestellt werden - auch das eine in der Frage nach der Imperalisierung des Christentums beleuchtenswerte Vorstellung, die sich nicht einfach als nützliche Camouflage Verfolgter auflösen lässt.
Der springende Punkt sind dabei meiner Meinung nach die Transformationen, die im Zuge dieser scheinbaren Anbiederung erfolgen: So gerät dabei u.a. die Zentralgestalt des Kaisers in eine Zange - einerseits von "oben", indem Tertullian quasi den Himmel über dem Thron austauscht und den christlichen Gott als Überherrscher einsetzt, gegen den kein endliches Kraut aus dem Repertoire geschichtlich erprobter Herrschaftsbefestigung gewachsen ist:
"Caelum denique debellet imperator, caelum captivum triumpho suo invehat, caelo mittat excubias, caelo vectigalia imponat! Non potest." (30,2) und von dem er, der dadurch "magis noster est", sich als eingesetzt zu betrachten habe:
"Ideo magnus est, quia caelo minor est; illius enim est ipse, cuius et caelum est et omnis creatura. Inde est imperator, unde et homo antequam imperator; inde potestas illi, unde et spiritus"
Dem Herrscher einer Großmacht aus der Sphäre einer diesen fremden Religion zu bestellen, dass er jetzt einen neuen Gott über sich finde, der der einzig wahre sei (auch das eine gewaltige Irritation für röm.antike Glaubensvorstellungen) und der ihm seine Herrschaft nur verliehen habe, ist ebenso erstaunlich wie taktisch klug: anstatt einer vollständigen Verwerfung, einer unversöhnlichen Entzweiung wird dem Kaiser und in ihm dem I.R. ein neues Selbstverständnis angeboten. Wie phantasiert und jenseits historischer Verwirklichung um 200
n.u.Z. dieses Angebot auch immer gewesen sein mag, ist eine ganz andere Frage. Wenn Eusebius im 4. Jhdt. in der Vita Constantini schreibt:
"In hunc modum universorum auctor et totius mundi moderator Deus Constantinum tali parente genitum, principem atque imperatorem per se ipse provexit: adeo ut, cum caeteri omnes aliorum suffragio hunc honorem consecuti sint, solus hic fuerit de cuius promotione nemo mortalium gloriaretur" , so gehört das doch dieser Vorstellung nach wie vor an, präzisiert es aber insofern als dass Konstantin , weil er dieses Angebot durch den Akt des Bekenntnisses und seine Frömmigkeit, die daraus entspringenden Taten (die - fälschlich unterstelle - Beendigung der Verfolgung etwa) quasi als erster angenommen habe, als vor anderen Herrschern in besonderer Weise gesegneter und ausgezeichneter in Erscheinung tritt.
Die andere Backe der Zange greift von "unten". In der von dir gebrachten und zu Recht als unverhohlene Drohung charakterisierten Stelle im Kap. 37 tritt zum Hinweis darauf, dass die Christen, wenn sie nur wollten auch eine zahlenmäßig überlegene irdische Streitmacht aufbieten könnten
"si enim et hostes exsertos, non tantum vindices occultos agere velle[ent]" , Kaiser und
die Elite also Glück hätten , dass dieselben militärischen Gewaltverzicht leben würden, hinzu, dass sie sich längst im Gesellschaftskörper des Imperiums und seinen Institutionen, in den Städten und den Inseln, in der Verwaltung, im Militär, im Senat usf. befänden: [/i] "Hesterni sumus, et vestra omnia implevimus, urbes insulas castella municipia conciliabula castra ipsa tribus decurias palatium senatum forum; sola vobis reliquimus templa." [/i] Die Christen sind, obwohl Newcomer (hesterni: also eigentlich von gestern, aber hier im Sinn von "erst einen Tag alt"), schon überall vertreten und sie könnten das Imperium von innen her lahmlegen. Das ist sicher alles schamlos übertrieben und steht in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Stärke. Dennoch formuliert es einen Anspruch auf diese Weise, der einer religiöse Gruppe in Bedrängnis zunächst einen ungefährlicheren Platz im I.R. verschaffen soll, welcher allerdings mit der genannten Neudefinition der Legitimitätssphäre irdischer Herrschaft und der Empfehlung einer sittenstrengen Gemeinschaft einhergeht, der man nicht absprechen sollte Römer zu sein, weil sie längst überall sind.
Dass den nichtchristlichen Römern "
sola vobis [reliquimus] templa ", mithin als einziger Wesensunterschied der Glaube geblieben ist, wirft auch ein Licht auf die Exposition der Entwicklung des Christianisierung, die sie an dem Punkt entschieden sieht, wo dieser Unterschied per Dekret in klare Verhältnisse gebracht wird, der römische Kaiser sich offen als christlicher bekennt und die, welche zu den nun ihrerseits
vom Herrscherhaus verlassenen Tempeln und ihren Göttern sich bekennen wollen
"reliquos vero dementes vesanosque iudicantes haeretici dogmatis infamiam" . Schon von daher erscheint mir das Studium dieser Quellen für ein Verständnis wenigstens der mentalitätsgeschichtlichen Entwicklungen dieser Vorgänge aufschlussreich.