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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Gedankenexperimente in der Antike (1164 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 14.07.2009 um 12:54 Uhr (Zitieren)
Während ein Experiment in den Naturwissenschaften dazu dient, eine Hypothese zu überprüfen ("Alle S sind P" kann nicht wahr sein, wenn ein Experiment ergibt, daß "Dieses S ist nicht-P"), werden in der modernen Philosophie Gedankenexperimente gerne & häufig dazu benutzt, um die Notwendigkeit einer Aussage zu überprüfen: "Alle S sind notwendigerweise P" ist dann falsch, wenn "Einige S sind nicht-P" denkbar bzw. möglich ist.
Die Überlegung ist also die: Der und der Ansicht bin ich. Daß dies notwendigerweise wahr ist, überprüfe ich, indem ich mir vorstelle, ob es denkbar bzw. möglich ist, daß das Gegenteil der Fall ist.

In der Antike haben sich Gedankenexperimente keiner vergleichbaren Beliebtheit erfreut. Bisher habe ich nur die folgenden gefunden, allesamt bei griechischen Autoren:
[...] 1. Platon

[Glaukon:] Daß aber diejenigen, die sich der Gerechtigkeit befleißigen, dies nur aus Mangel an Kraft zum Unrechttun, also mit innerem Widerstreben tun, davon können wir am ehesten eine deutliche Vorstellung gewinnen, wenn wir in Gedanken folgendes machen: wir geben beiden, dem Gerechten wie dem Ungerechten, volle Freiheit zu tun[,] was sie nur wollen, und dann gehen wir ihnen nach, um zu sehen, wohin die Begierde sie führen wird. Da würden wir denn den Gerechten auf frischer Tat ertappen, wie er aus Habgier auf das nämliche Ziel losmarschiert wie der Ungerechte, das jedes Wesen von Natur erstrebt als etwas Gutes und von dem es nur gewaltsam durch das Gesetz abgelenkt wird zur Hochhaltung des Gleichen [der Gleichheit]. [...]

[Platon, Der Staat, 359b-c]

2. Platon

SOKRATES: Wohlan, ich will dir noch ein anderes Bild erklären [...]. Gib acht, ob du wohl dies richtig findest von jeder dieser beiden Lebensweisen, der besonnenen und der ungebundenen, wie wenn zwei Menschen jeder viele Fässer hätte. Die des einen wären dicht und angefüllt, eins mit Wein, eins mit Honig, eins mit Milch und viele andere mit vielen anderen Dingen; die Quellen aber von dem allen wären sparsam und schwierig und gäben nur mit vieler Mühe und Arbeit etwas her. Jener eine nun hätte seine Fässer voll und leitete nichts weiter hinein, dächte auch gar nicht weiter daran, sondern wäre hierüber ganz ruhig. Der andere aber hätte eben wie jener solche Quellen, die zwar etwas hergäben, aber mit Mühe, seine Gefäße aber wären leck und morsch und er müßte sie Tag und Nacht anfüllen oder die ärgste Pein erdulden. Willst du nun, wenn es sich mit diesen beiden Lebensweisen so verhält, dennoch sagen, die des Ungebundenen wäre glückseliger als die des Sittlichen? Überrede ich dich etwa hierdurch zuzugeben, das sittliche Leben sei besser als das ungebundene, oder überrede ich dich nicht?

KALLIKLES: Du überredest mich nicht, Sokrates. Denn für jenen, wenn er seine Fässer voll hat, gibt es gar keine Lust mehr, sondern das heißt eben, wie ich vorher sagte, wie ein Stein leben, wenn alles angefüllt ist, weder Lust mehr haben noch Unlust. Sondern darin besteht eben das angenehm Leben, daß recht viel hineinfließe.

[Platon, Gorgias, 493d-494b]

3. Platon

SOKRATES: O Bester, was ich dir jetzt sagen will, das nimm doch recht vor.
Wenn ich auf vollem Markt mit einem Dolch unter dem Arm zu dir spräche: O Polos, zu einer wunderbaren Gewalt und Herrschaft bin ich jetzt gelangt. Denn wenn es mir gefiele, daß irgendeiner von diesen Menschen, die du hier siehst, sogleich sterben sollte, so wird der tot sein, von dem es mir gefällt. Und wenn, daß einem der Kopf müßte eingeschlagen werden, so würde er sogleich eingeschlagen sein; und wenn, einem das Kleid zu zerreißen, so wäre es zerrissen. So viel Macht habe ich in dieser Stadt. Wenn du es dann bezweifeltest und ich dir den Dolch zeigte, so würdest du mir vielleicht sagen: Ja, auf diese Weise müßte auch jedes Haus abbrennen, was dir einfiele, und der Athener Schiffswerften und Galeeren und alle Schiffe, die der Stadt oder Einzelnen gehören. Aber das heißt nicht mächtig sein, auf diese Art tun, was einem gut dünkt. Oder meinst du?

POLOS: Nein, so freilich nicht.

[Platon, Gorgias, 469d-e]

4. Aristophanes

[...]
PENIA : Wie gelehrig ihr seid, und wie gläubig ihr horcht auf
den lauteren Unsinn, ihr Toren,
O ihr kindischen Greise, mitschwärmend im Chor der Narren und
Narrenkumpane!
Geschähe das je, was so sehnlich ihr wünscht, was wird es euch
nützen? – Nicht so viel!
Wenn Plutos fortan, von der Blindheit kuriert, gleichmäßig
die Güter verteilte,
Da würde von Stund’ an kein Mensch sich der Kunst noch
nützlichen Wissens befleißen:
Sie würden beseitigt, die beiden, alsdann, und es würde sich
jeder bedanken,
Zu hämmern, zu schmieden, zu zimmern, zu baun Galeeren und
Wagen und Räder,
Zu schneidern, zu schustern und Ziegel aus Lehm zu bereiten,
zu walken und gerben!
Wer pflügte den Acker, wer hackte den Grund, wer streute die
Saat der Demeter,
Wer rührte die Hand, wenn behaglich er könnt’ und in müßiger
Ruhe genießen?

CHREMYLOS: Ah, papperlapapp! Die Geschäfte zumal, die du
aufzählst, machen die Sklaven,
Die Bedienten für uns!

PENIA: Die Bedienten? Woher bekommst du dann aber die Sklaven?

CHREMYLOS: Die Sklaven? – Natürlich: die kauft man für Geld!

PENIA: Doch vor allem – wo werden Verkäufer sich finden, wenn
keinem an Geld es gebricht?
[...]

[Quelle: Aristophanes, Sämtliche Komödien. Übertragen von Ludwig Seeger. Zürich/Stuttgart 1968, S. 662 f.: Plutos, V. 507-521]


Also: dreimal Platon, einmal Aristophanes.

Kennt jemand noch weitere Gedankenexperimente ("Was wäre, wenn ...? Wäre das möglich oder unmöglich?") aus der Antike?
Re: Gedankenexperimente in der Antike
Βοηθὸς Ἑλληνικός schrieb am 14.07.2009 um 19:25 Uhr (Zitieren)
Ja....das gibt´s einiges an Gedankenexperimente....auch das Schiff des Theseus (Plutarch) ist interessant...
Re: Gedankenexperimente in der Antike
Γραικίσκος schrieb am 14.07.2009 um 19:40 Uhr (Zitieren)
Das Schiff des Theseus
[...] Das Schiff, auf dem Theseus mit den jungen Menschen ausfuhr und glücklich heimkehrte, den Dreißigruderer, haben die Athener bis zu den Zeiten des Demetrios von Phaleron aufbewahrt, indem sie immer das alte Holz entfernten und neues, festes einzogen und einbauten, derart, daß das Schiff den Philosophen als Beispiel für das vielumstrittene Problem des Wachstums diente, indem die einen sagten, es bleibe dasselbe, die anderen das verneinten. [...]

[Quelle: Plutarch, Große Griechen und Römer. Herausgegeben von Konrad Ziegler. München 1979, Bd. 1, S. 60 (Theseus)]

hatte ich unter "Paradoxien" gespeichert - eine andere Abteilung bei mir. Aber Du hast recht, das kann man auch als Gedankenexperiment ansehen.
Man müßte/könnte sich dann eine These über Identität dazu denken, welche durch dieses Gedankenexperiment überprüft wird.

Das ist übrigens genau das Thema des Dialogs von Stanislaw Lem, über den hier heute unter dem Stichwort "Hylas und Philonous" gesprochen worden ist.
Bezogen auf Menschen, wie Lem das auch mal in einem Hörspiel ("Schichttorte") thematisiert hat: Ab wieviel 'Ersatzteilen' (= Transplantationen) ist ein Mensch eigentlich ein neuer Mensch? Ab wann (wieviel Prozent tot) ist eine Frau eine Witwe, aber wann muß eine Lebensversicherung zahlen? usw. usw.
Nun, wie beim Schiff des Theseus, nur auf die Transplantationsmedizin bezogen ...
Re: Gedankenexperimente in der Antike
Γραικίσκος schrieb am 17.01.2012 um 20:08 Uhr (Zitieren)
Hier war einmal vom Schiff des Theseus die Rede.
Re: Gedankenexperimente in der Antike
ανδρέας schrieb am 17.01.2012 um 20:54 Uhr (Zitieren)
Hier war einmal vom Schiff des Theseus die Rede.


Ich hatte da mal vor Jahren ein Auto. Nach etlichen Reparaturen ... HÄTTE ICH MIR GLEICH EIN NAGELNEUES KAUFEN KÖNNEN!
der unzuverlässige Charakter blieb dabei stets erhalten
Re: Gedankenexperimente in der Antike
διψαλέος schrieb am 17.01.2012 um 21:13 Uhr (Zitieren)
Der moderne Computer:
Hat man sich einen Computer samt Soft- und Hardware im Jahre 2002 gekauft,
so hat man durch updaten (der Software, z.B. neue Treiber) und upgraden (z.B. neue Speicher, neue Grafik-Karten) so was ähnlichen wie das Schiff des Theseus im Jahre 2012....
B-)
Re: Gedankenexperimente in der Antike
ανδρέας schrieb am 17.01.2012 um 21:26 Uhr (Zitieren)

Aber der Computer gewinnt dadurch ja eine ganz neue Qualität. Das Schiff des Theseus dagegen ist doch nur erneuert, nicht verbessert worden.
Re: Gedankenexperimente in der Antike
διψαλέος schrieb am 17.01.2012 um 21:31 Uhr (Zitieren)
äh...
@ανδρέας,
nicht in jedem Falle gewinnt der Computer an "Qualität", höchstens an "Quantität"...
 
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