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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Memento mori - Du wirst sterben! (565 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 06.06.2012 um 14:58 Uhr (Zitieren)
David hat seinem Lebenspartner Hugh (nach kurzem Schwanken, ob er nicht doch lieber ein Säuglingsskelett wählen sollte) das 300 Jahre alte Skelett eines Erwachsenen geschenkt, das sein Freund – nach Davids Auffassung unpassenderweise – im Schlafzimmer aufhängt.
[...]
Schon seltsam, wie bestimmte Objekte Botschaften aussenden - meine Waschmaschine und mein Trockner zum Beispiel. Sie können natürlich nicht sprechen, aber jedes Mal, wenn ich an ihnen vorbeikomme, erinnern sie mich daran, wie gut ich es habe. „Nie mehr in den Waschsalon“, summen sie. Mein Herd, die Spaßbremse, sagt mir jeden Tag, dass ich nicht kochen kann, und bevor ich mich rechtfertigen kann, kommt meine Waage mir zu Hilfe und ruft aus dem Badezimmer: „Also irgendwas muss er schon hinbekommen - sein Gewicht sprengt fast die Anzeige.“ Das Skelett hat einen deutlich eingeschränkten Wortschatz und sagt immer nur einen einzigen Satz: „Du wirst sterben.“
Ich hatte immer geglaubt, dies verstanden zu haben, aber jetzt dämmert mir, dass ich dieses Verständnis mit Fantasievorstelllungen verwechselt habe. Ich denke ständig an den Tod, allerdings auf eine romantische, eitle Art, die meistens mit einer schweren Krankheit beginnt und mit meiner Beerdigung endet. Ich sehe meinen Bruder neben meinem Grab hocken, so gebeugt von Schuld, dass er nicht mehr stehen kann. „Hätte ich ihm doch nur die fünfundzwanzigtausend Dollar zurückgezahlt, die er mir geliehen hat“, sagt er. Ich sehe Hugh, der sich mit dem Jackenärmel die Tränen aus den Augen wischt und anschließend nur noch mehr heult, als ihm klar wird, dass die Jacke ein Geschenk von mir war. Nur von den Leuten, die sich über meinen Tod freuen könnten, hatte ich nie die geringste Vorstellung, aber das hat sich mit dem Skelett geändert, das sich nach Belieben in bestimmte Personen verwandeln kann.
Mal ist es die ältere französische Dame, für die ich im Bus nicht aufgestanden bin. Meine Faustregel lautet, wer wie eine alte Dame behandelt werden will, muss auch so aussehen. Also kein geliftetes Gesicht, keine blond gefärbten Haare und erst recht keine Netzstrümpfe. Ich halte diese Regel für durchaus vernünftig, nur hätte ich mir keinen Zacken aus der Krone gebrochen, wegen ihrer Krücken eine Ausnahme zu machen.
„Tut mir leid“, sage ich, aber noch ehe die Worte heraus sind, hat sich das Skelett in einen Typen verwandelt, der Stew hieß und den ich bei einem Drogendeal über den Tisch gezogen habe.
Stew und die französische Dame werden sich über mein Ableben freuen, und hinter ihnen stehen hunderte anderer Leute, die ich zum Teil mit Namen kenne, zum Teil aber auch verletzt oder beleidigt habe, ohne ihnen vorgestellt worden zu sein. Seit Jahren hatte ich nicht mehr an diese Leute gedacht, aber genau das ist die besondere Perfidie des Skeletts. Es dringt in meinen Kopf ein, während ich schlafe, und stöbert in der tiefsten Schicht meiner Erinnerungen. „Warum ich?“, frage ich. „Hugh schläft im gleichen Bett - warum hältst du dich nicht an den?“
Und das Skelett antwortet: „Du wirst sterben.“
„Aber ich habe deinen Finger wiedergefunden.“
„Du wirst sterben.“
„Bist du sicher“, sagte ich zu Hugh, „dass du nicht doch lieber den Säugling willst?“
In den ersten Wochen hörte ich die Stimme nur im Schlafzimmer. Doch dann breitete sie sich in der ganzen Wohnung aus. Ich sitze in meinem Arbeitszimmer, plaudere mit jemandem. am Telefon und plötzlich mischt sich das Skelett ein, wie die Stimme von der internationalen Telefonvermittlung: „Du wirst sterben.“
Oder ich liege in der Badewanne und gönne mir ein Entspannungsbad, während sich draußen vor dem Fenster die Penner über den Luftschächten zusammenkauern wie junge Katzen.
„Du wirst sterben.“
In der Küche werfe ich ein noch brauchbares Ei in den Müll. Im Ankleidezimmer ziehe ich einen Sweater über, den ein halbblindes Kind für einen Lohn von zehn Sesamkörnern hergestellt hat. Im Wohnzimmer ziehe ich mein Notizbuch hervor und setze eine Büste des Teufels auf meine Geschenkliste.
„Du wirst sterben. Du wirst sterben. Du wirst sterben.“
„Kannst du dir nicht mal was anderes einfallen lassen?“, frage ich.
Keine Antwort.
Da es bereits seit dreihundert Jahren tot ist, versteht das Skelett viele Dinge nicht. Fernsehen, zum Beispiel. „Also“, erkläre ich ihm, „man drückt hier auf den Knopf, und schon kommen einem die bunten Bilder ins Haus.“ Und weil es durchaus beeindruckt schien, setzte ich noch eins drauf: „Das habe ich erfunden, um den Alten und Kranken eine Freude zu machen.“
„Du wirst sterben.“
Mit dem Staubsauger das Gleiche, obwohl ich extra die spitze Düse aufsteckte und damit den Staub aus seinem Schädel entfernte. „Du wirst sterben.“
In dem Moment konnte ich nicht mehr. „Ich mache alles, was du willst“, sagte ich. „Ich werde alles, was ich anderen angetan habe, wiedergutmachen, ich werde nur noch in Regenwasser baden, was immer du willst, nur sag etwas, irgendetwas anderes.“
Das Skelett zögerte einen Augenblick. „Du wirst eines Tages ... tot sein“, sagte es.
Ich stellte den Staubsauger weg und dachte: Immerhin ein Anfang.

[Quelle: David Sedaris, Schöner wird’s nicht. München 2008, S. 150-152]
Re: Memento mori - Du wirst sterben!
ανδρέας schrieb am 06.06.2012 um 19:08 Uhr (Zitieren)
Horaz drückt die unbestechliche, unausweichliche und unumkehrbare Wendung so aus:

Eram quod es eris quod sum ...

Gibt es einen ähnlichen Ausdruck auf Griechisch?
Re: Memento mori - Du wirst sterben!
Γραικίσκος schrieb am 06.06.2012 um 19:16 Uhr (Zitieren)
Ja. Jedenfalls so ähnlich.
Οὐκ ἤμην, γενόμην. ἤμην, οὐκ εἰμι. τοσαῦτα.[/quote]
Irgendwo finde ich auch noch die wörtliche Entsprechung.
Allerdings geht das am speziellen Pfiff des Sedaris-Textes vorbei.
Re: Memento mori - Du wirst sterben!
ανδρέας schrieb am 06.06.2012 um 19:23 Uhr (Zitieren)
~
Ich war einstmals nicht und wurde dann. Dann wurde ich, bin nun nicht mehr . So ist das.

Das passt.
Re: Memento mori - Du wirst sterben!
Γραικίσκος schrieb am 06.06.2012 um 19:37 Uhr (Zitieren)
Immerhin ein Anfang.
Re: Memento mori - Du wirst sterben!
ανδρέας schrieb am 06.06.2012 um 20:18 Uhr (Zitieren)

Die Hoffnung nährt gegen jede Vernunft und Erfahrung die Illusion der Schonung des eigenen Lebens durch den Tod. Doch der Tod handelt nicht.
Er nimmt ohne Gegenleistung. Da ist keine Handelsgrundlage. Leider.
 
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