Forum: Troiluswahn und Cressidatheater

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Troiluswahn und Cressidatheater (333 Aufrufe)

Γραικίσκος schrieb am 06.06.2012 um 15:39 Uhr (Zitieren)

Werner Schwab
(1958-1994)

TROILUSWAHN UND CRESSIDATHEATER

NESTOR
Anfangen ..., anfangen und abfangen tut alles mit dem Tag in seinem süßschweißigen Morgentau, mit dem sich pflegenden Tag. Der Tag als begehbares Schmunzeln. Die Menschen zucken noch nicht in sich zusammen, wenn ein Lichtstrahl wie ein Blitz das Gesamttageslicht austauschen kann. Und jetzt hat es ein Abend werden müssen, ein Abend in der Luft und in den Knochen. Der Hector haut den Menschen eine herunter, und die Gesichter zerlegen sich wie kranke Maschinen, um sich beim Wiederaufbau zu stürzen in das eigene gladiatorenhafte Maul. Und dem Hector, der sich schon einlenkend an das Lagerfeuerlicht gekniet hat, um sich eine versöhnliche Bratwurst aus dem Feuer zu retten, haben sie dann ... also dem Hector haben sie das Gesicht ... das ganze Kopfgesicht mit dem Kopffleisch in die glühend grillfleischsüchtige Grillkohle gehalten, bis die Gesichtslandschaft ein schwarzrotblutiger Wandvorhang hat sein müssen.

Andromache stürzt schreiend davon.

Ich weiß nicht recht ..., ich werde nicht mehr endresultatlich gedacht werden können ..., aber die Menschen rasieren sich, die Menschen verschönern ihre Haut, die Menschen kämmen umhersichtig ihr Haar, die Menschen betrachten einander ... und sich selbst, vielleicht wie der sich pflegende Tag in der Morgentrauer.
Aber die Muskelfinger handeln nur ihr leibeigenes Rötungsmittel.

Er setzt sich erschöpft auf den Boden.

Und wenn man anfechtend anführend ausführt, daß es eine Menschengemeinschaftsgesellschaft nicht geben darf, weil das Blut der Menschen die Menschheit verbrodelt, dann zeigt die menschelnde Gesellschaft ihre kleinen bösen Milchzähe und erörtert, daß sich alles noch steigern können kann.

Er legt sich ganz hin.

Wir müssen halt endlich dann doch abtankend aufhören können mit dem ganzen Menschen. Man fordert schließungssüchtig andauernd einen Kopf ... und es gibt keinen Kopf.
Jeder Mensch, der das Glaubenwollen an den Menschen in seiner Kopflosigkeit haben muß, ist ein Fleischhauer, der aus Menschenlebermenschen Menschenleberkäse hintanproduzieren müssen muß.
Alles ist gefährlich, weil es mit Hoffnung angefüllt sein will.
Mich hat der Blitz als Phänomen getroffen, und mein geliebter Mensch war tot. Die Feigheit ist längst schon keine Eigenschaft mehr, sie ist ein eingeborenes Zerwirkungsmerkmal als ein Stigma, gegen das wir uns als Sterbemenschenmodell nicht mehr tatlebenswirklich verhalten können.
Wir ..., die Menschen ..., ich kann nicht mehr.

PANDARUS
steht schon eine ganze Weile neben Nestor und stellt ihm jetzt seinen Fuß auf den Mund

Todesdroge Leben, was?
Das Theoretische ist als Anstößigkeit in sich immer gasförmig, und der Stein gehört sich selber als Anlaß für die folgsam folgende Theorie.
Man wird sich als ein Alles zurückführen müssen und etwas züchten wollen können. Kaninchen, Hühner, Suppenschildkröten oder Pferde. Oder wenigsam ein Pferd, ein einziges hohlköpfiges Pferd.

AUS

[Quelle: Werner Schwab, Dramen III. Graz/Wien 1994, S. 73 f.]