Φιλομαθής schrieb am 08.06.2012 um 19:23 Uhr (Zitieren)
Vine corporis an virtute animi res militaris magis procedit?
Plutarch, Marcellus Kap. 14–17, Übers. K. Ziegler.
Re: Feldherr gegen Mathematiker
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 09.06.2012 um 11:52 Uhr (Zitieren)
Ein vielschichtiger Vorwurf, Φιλομαθής!
- (Kriegs)technik als Abfall- oder wenigstens Nebenprodukt der hehren Grundlagenforschung
- Gruppenexperimente: wie funktioniert Konditionierung?
- Vorsprung durch Technik vs. geballte Masse (wobei ja auch bei den Römern die (martialische) Ingenieurskunst kein Stiefkind war)
- Technik vs. [im weiteren Verlauf der Geschichte] das scharfe Auge des Strategen
Und das Ganze so lebhaft erzählt, daß man meint, gegenwärtig zu sein.
Re: Feldherr gegen Mathematiker
Φιλομαθής schrieb am 09.06.2012 um 13:36 Uhr (Zitieren)
Stimmt, man kann diesen Bericht in Zusammenhang bringen mit der Diskussion der moralischen Verantwortung der Wissenschaft und ihrer Beteiligung an Kriegführung und Kriegsverbrechen.
Rein defensive Verteidigungsanlagen (wie hier) mögen gerechtfertigt erscheinen. Daraus entwickelt sich dann natürlich leicht das Argument, auch Angriffstechnik schütze Leben durch ihre Abschreckungswirkung, weil weniger eigene Soldaten (die ohnehin die gerechtere Sache vertreten) ihr Leben riskierten, weil der Feind ebenfalls technisch hochrüste, ...
Eine entscheidende Stelle zum Problem der "hehren Grundlagenforschung", der Wissenschaft als Quasi-Religion, hatte ich aus dem Text herausgekürzt. Sie sei nachgeliefert:
Plutarch, Marcellus Kap. 14, Übers. K. Ziegler.
Re: Feldherr gegen Mathematiker
ανδρέας schrieb am 09.06.2012 um 19:02 Uhr (Zitieren)
Zur lat. Eingangsfrage: eindeutig die Wissenschaft! Bei den Preußen war es das Zündnadelgewehr, heute sind es elekronische Waffen. In der Antike waren es sicher Disziplin, Taktik und Kraft, Aber sobald die Technik einen Sprung macht, gilt das auch für die Kriegstechnik.
Man mag alles abrüsten und die Waffen vernichten, auf den Mond schießen etc. . Aber der menschliche Intellekt lässst sich nicht abrüsten. Wissen, einmal in der Welt, wird nicht mehr verschwinden und dann auch militärisch genutzt. Einstein riet zum Bau der Atombombe, weil er fürchtete, dass die Nazis sie zuerst bauen. Es wäre fahrlässig, sich auf den guten Willen aggressiver Potentaten zu verlassen. Wissen wird genutzt. Churchill sagte mal "jedes Land hat eine Armee, seine eigene oder eine fremde". Wenn eine Seitze auf technische Mittel verzichtet, kann sie nicht lange darauf bauen, dass der Gegner das auch so hält.
Re: Feldherr gegen Mathematiker
Φιλομαθής schrieb am 10.06.2012 um 16:27 Uhr (Zitieren)
Wohl wahr, über die Antwort auf die im Eingang zitierte Frage, besteht natürlich heute (nach Entdeckung des Schießpulvers) keineswegs mehr die Unentschiedenheit, die noch bei Sallust bestand.
Der Einwurf, dass jede Forderung nach Demobilisierung im Grunde nur ein Export des militärischen Schutzes der eigenen Bevölkerung und der damit verbundenen Verantwortung bedeutet (und damit moralisch zweifelhaft bleibt), ist ebenfalls nicht von der Hand zu weisen. (Ist das Bonmot tatsächlich von Churchill? Ihm wird ja allerlei untergeschoben ...)
Es klingt illusorisch, zu fordern, der Intellekt, dessen militärisches Engagement die Bedrohungen, denen sich die Menschheit ausgesetzt sieht, immer weiter eskaliert hat, möge sich zurückziehen und ins Ei zurückkriechen, dennoch zeigt die Geschichte, dass dergleichen möglich ist.
Die Entstehung einer intellektuellen Kaste, die zu einer Absonderung geistiger Beschäftigung von praktischer, auf Erwerb des Lebensunterhalts abzielender Betätigung führte, wurde in der wirtschaftlichen Prosperität der Polis möglich. Im Gegenzug wirkten die aus dem βίος θεωρητικός gewonnene Erkenntnisse - als eben die strenge Abgrenzung von πράττειν und θεωρεῖν aufgegeben wurde - befruchtend auf die wirtschaftliche und militärische Kraft der Poleis.
Allerdings ist Wissen eine problemlos übertragbare Ware, wovon schließlich, wie niemand sonst, die lernbereiten Römer profitierten. Die Vermischung von Denken und Nutzanwendung war bald vollständig, und in der Zeit der römischen Vorherrschaft fungiert selbst die (Rest-)Philosophie nur als Kunst der Lebensbewältigung. Die Fragen mit denen sich Cicero, Seneca, Epiktet und Mark Aurel befassen, nämlich wie man den Unbilden des Lebens begegne, wurden von der klassischen Philosophie - Platon und Aristoteles - nicht einmal angeschnitten.
Mit der Ausbreitung des Christentums begegnet uns ein Umschwung, der seinen Höhepunkt in der Scholastik erreicht: der Intellekt zieht sich wieder aus dem Leben, der vita activa, zurück in die vita contemplativa, um sich religiösen, im Grunde esoterischen Problemen, zu widmen. Und das ist umso rätselhafter, als das Christentum zunächst ja - in Abgrenzung zum pharisäischen und rabbinischen Judentum - als antiintellektuelle Bewegung auftrat ("Selig sind die da arm sind im Geiste").
Die Frage wie dies gelang und ob eine parallele Entwicklung für eine gefahrlosere Zukunft wünschenswert ist, wäre zu erörtern.
Eine global vernetzte Infrastruktur bietet natürlich den Ausblick auf eine Sublimierung der Kriegführung. Die Kontrolle über wirtschaftliche Knotenpunkte kann durch digitale Manipulation übernommen werden, ohne dass Menschen zu Schaden kommen. Wo hierbei die Grenzen von Sieg und Niederlage liegen, wird letztlich eine Frage völkerrechtlicher Definition werden.
Re: Feldherr gegen Mathematiker
ανδρέας schrieb am 10.06.2012 um 16:52 Uhr (Zitieren)
Ich kann Φιλομαθής Darstellung nur zustimmen. Früher waren die Knotenpunkte strategisch angelegte Handelsniederlassungen in den Kolonien oder Kolonien, die man direkt ausbeutete, heute läuft das über die Informationstechnologie und den Zugriff auf die Ressourcen aus der wirtschaftlichen Position heraus. Leider richtet sich der Intellekt dabei auf die eigene Prosperität und keineswegs auf globale Vernunftziele (Klimaschutz u.a.) - also die eigenen Interessen in einer globalisierten Welt. Es spielt dabei keine Rolle, ob eher Kraft (Antike) oder eher Technik den Takt vorgeben. Leitpfad bleiben die Interessen. Staaten haben eigentlich keine Freunde - nur Interessen. "Freunde" von heute können Gegner von Morgen sein und Gegner sich zu Freunden wandeln.