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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Feldherr gegen Mathematiker (605 Aufrufe)
Φιλομαθής schrieb am 08.06.2012 um 19:23 Uhr (Zitieren)
Vine corporis an virtute animi res militaris magis procedit?

Dicht vor der Stadt schlug er [Marcellus] sein Lager auf und schickte Gesandte hinein, um über die Vorgänge in Leontinoi Aufklärung zu geben. Da dies aber erfolglos blieb, weil die Syrakusier ihrer Darstellung keinen Glauben schenkten (denn die Partei des Hippokrates hatte die Oberhand), griff er gleichzeitig von der Land- und von der Seeseite an, und zwar führte Appius das Landheer heran, während er selbst sechzig Fünfruderer, beladen mit allerlei Belagerungsgerät und Geschütz, zur Verfügung hatte. Über einem mächtigen Unterbau aus acht miteinander verkoppelten Schiffen ließ er einen Belagerungsturm errichten und an die Mauer heranfahren, vertrauend auf die Menge und Vorzüglichkeit seines Belagerungsgeräts und auf den Ruhmesglanz, der von ihm ausging.

Aber das bedeutete nichts für Archimedes und für die Kriegsmaschinen des Archimedes. Mit diesen hatte der Mann sich indes gar nicht wie mit etwas ernster Bemühung Würdigem befaßt, sondern sie waren zumeist nur als Nebenprodukte einer sich spielerisch betätigenden Mathematik entstanden, da früher einmal der König Hieron seinen Ehrgeiz darein gesetzt hatte, Archimedes zu bewegen, seine Wissenschaft in etwas aus dem Bezirk des Geistigen heraus dem Körperlichen zuzuwenden, die reine Theorie irgendwie mit dem Sinnfälligen zu verknüpfen und sie so praktisch brauchbar und der großen Menge einleuchtender zu machen.

[...]

15. Wie nun die Römer von beiden Seiten angriffen, herrschte bei den Syrakusiern Schrecken und angstvolles Schweigen, weil sie glaubten, daß nichts einer solchen Macht und Gewalt widerstehen werde.

Als aber jetzt Archimedes seine Maschinen spielen ließ, da schlugen den Angreifern auf der Landseite Geschosse verschiedenster Art entgegen und Steine von gewaltiger Größe, die mit furchtbarem Sausen und unglaublicher Geschwindigkeit niederfuhren und, weil nichts vor ihrer Wucht zu schützen vermochte, die Getroffenen in dichter Masse niederwarfen und ihre Reihen zerrissen.

Und zugleich erhoben sich gegen die Schiffe über den Mauern plötzlich Krane, die entweder schwere Lasten von oben auf sie niederfallen ließen und sie so in die Tiefe versenkten, oder sie mit eisernen Händen oder Haken in Form von Kranichschnäbeln am Bug erfaßten, hochhoben und senkrecht, das Heck voran, ins Meer stürzten, oder sie mit starken Trossen, die innen angezogen und aufgerollt wurden, gegen die unter den Mauern emporragenden Felsen und Klippen schmetterten, so daß sie unter starken Verlusten für die Besatzung in Stücke gingen. Oft war es da ein schauriger Anblick, wenn ein Schiff, hoch aus der See emporgehoben, hin und her baumelte und dahing, bis die Mannschaft heruntergeschüttelt oder weggeschleudert war und es leer gegen die Mauern prallte oder, wenn der Griff des Hakens nachließ, hinabstürzte.

[...]

Die meisten Geschütze waren von Archimedes hinter der Mauer eingebaut, so daß die Römer Menschen glichen, die mit Göttern kämpften, da sich unermeßliches Unheil aus dem Unsichtbaren über sie ergoß.

17. Marcellus indes entrann und sagte spottend über seine Ingenieure und Maschinenbauer: «Wollen wir nicht den Kampf gegen diesen mathematischen Briareos einstellen, der mit unsern Schiffen wie mit Bechern aus dem Meere schöpft, unsere Sambyke mit Schimpf und Schande fortgeprügelt hat und sogar die Hunderthänder der Sage überbietet, da er so viele Geschosse aufeinmal gegen uns schleudert?»

Tatsächlich waren alle anderen Syrakusier nur die Glieder und Werkzeuge der Erfindungskraft des Archimedes und sie die eine Seele, die alles bewegte und lenkte, da alle anderen Waffen ungenützt ruhten und nur der seinigen die Stadt sich damals bediente für ihre Verteidigung und Sicherheit.

Als schließlich Marcellus sah, daß die Römer so verängstigt waren, daß sie, wenn man nur ein Stück Tau oder einen kurzen Balken sich über die Mauer vorstrecken sah, gleich schrien, da habe man es, Archimedes lasse wieder eine Maschine gegen sie spielen, sich wandten und davonliefen, so enthielt er sich jedes weiteren Kampfes und Angriffes und überließ die weitere Belagerung der Zeit.

Plutarch, Marcellus Kap. 14–17, Übers. K. Ziegler.
Re: Feldherr gegen Mathematiker
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 09.06.2012 um 11:52 Uhr (Zitieren)
Ein vielschichtiger Vorwurf, Φιλομαθής!

- (Kriegs)technik als Abfall- oder wenigstens Nebenprodukt der hehren Grundlagenforschung
- Gruppenexperimente: wie funktioniert Konditionierung?
- Vorsprung durch Technik vs. geballte Masse (wobei ja auch bei den Römern die (martialische) Ingenieurskunst kein Stiefkind war)
- Technik vs. [im weiteren Verlauf der Geschichte] das scharfe Auge des Strategen

Und das Ganze so lebhaft erzählt, daß man meint, gegenwärtig zu sein.
Re: Feldherr gegen Mathematiker
Φιλομαθής schrieb am 09.06.2012 um 13:36 Uhr (Zitieren)
Stimmt, man kann diesen Bericht in Zusammenhang bringen mit der Diskussion der moralischen Verantwortung der Wissenschaft und ihrer Beteiligung an Kriegführung und Kriegsverbrechen.

Rein defensive Verteidigungsanlagen (wie hier) mögen gerechtfertigt erscheinen. Daraus entwickelt sich dann natürlich leicht das Argument, auch Angriffstechnik schütze Leben durch ihre Abschreckungswirkung, weil weniger eigene Soldaten (die ohnehin die gerechtere Sache vertreten) ihr Leben riskierten, weil der Feind ebenfalls technisch hochrüste, ...

Eine entscheidende Stelle zum Problem der "hehren Grundlagenforschung", der Wissenschaft als Quasi-Religion, hatte ich aus dem Text herausgekürzt. Sie sei nachgeliefert:

... und der großen Menge einleuchtender zu machen.

Mit dieser hochbeliebten und vielgepriesenen Mechanik und Technik hatten sich nämlich zuerst Eudoxos und Archytas zu beschäftigen begonnen, indem sie die Mathematik interessant zu machen unternahmen und Probleme, die durch theoretische und zeichnerische Beweisführung nicht leicht lösbar waren, durch sinnfällige mechanische Apparaturen unterbauten, wie sie zum Beispiel beide das grundlegende Problem der Findung der zwei mittleren Proportionalen, das für viele zeichnerische Konstruktionen unerläßlich wichtig ist, durch mechanische Instrumente zur Lösung führten, indem sie, ausgehend von krummen Linien und Schnitten, nach deren Muster gewisse Mittelwertzeichner konstruierten.

Als sich aber Platon darüber entrüstete und sie heftig angriff, weil sie den Adel und die Reinheit der Mathematik zerstörten und vernichteten, wenn sie aus der unkörperlichen Sphäre des reinen Denkens ins Sinnliche hinabglitte und sich körperlicher Dinge zu bedienen begönne, die vieler niedrigen, handwerksmäßigen Verrichtungen bedürften, so wurde die Mechanik aus der Mathematik verbannt und von ihr abgetrennt, von der reinen Wissenschaft lange Zeit verschmäht, und war so zu einer bloßen militärischen Hilfswissenschaft geworden.

So kam es, daß einmal Archimedes an König Hieron, mit dem er verwandt und befreundet war, schrieb, es sei möglich, mit einer gegebenen Kraft eine gegebene Last zu bewegen, und daß er, so heißt es, pochend auf die Kraft seines Beweises, gesagt habe, wenn er eine andere Erde zur Verfügung hätte, so würde er auf sie hinübergehen und von ihr aus unsere Erde in Bewegung setzen.

Als darauf Hieron staunte und von ihm verlangte, er sollte die theoretische Behauptung in die Praxis übersetzen und einen großen Körper vorführen, der von einer kleinen Kraft bewegt würde, ließ er in einem königlichen Dreimaster, der mit vieler Mühe und von vielen Händen aufs Land gezogen worden war, eine starke Bemannung Platz nehmen und ihn mit der üblichen Fracht beladen und zog ihn dann selbst, weitab sitzend, an sich heran, indem er ohne Hast, nur sacht mit der Hand am Ende eines Flaschenzuges zog, so daß das Schiff ruhig und ohne Schwanken auf ihn zukam, als führe es durch die See.

Ganz betroffen und in Erkenntnis der Bedeutung dieser Wissenschaft bewog nun der König den Archimedes, ihm sowohl für die Abwehr wie zum Angriff Maschinen für jede Art von Belagerungskrieg zu bauen. Er selbst machte von ihnen zwar keinen Gebrauch, weil er den größten Teil seines Lebens ohne Krieg und in glücklichem Frieden verlebte; damals aber kam den Syrakusiern das geschaffene Rüstzeug zustatten, und mit dem Rüstzeug sein Schöpfer.

Plutarch, Marcellus Kap. 14, Übers. K. Ziegler.
Re: Feldherr gegen Mathematiker
ανδρέας schrieb am 09.06.2012 um 19:02 Uhr (Zitieren)
Zur lat. Eingangsfrage: eindeutig die Wissenschaft! Bei den Preußen war es das Zündnadelgewehr, heute sind es elekronische Waffen. In der Antike waren es sicher Disziplin, Taktik und Kraft, Aber sobald die Technik einen Sprung macht, gilt das auch für die Kriegstechnik.

Diskussion der moralischen Verantwortung der Wissenschaft und ihrer Beteiligung an Kriegführung und Kriegsverbrechen


Man mag alles abrüsten und die Waffen vernichten, auf den Mond schießen etc. . Aber der menschliche Intellekt lässst sich nicht abrüsten. Wissen, einmal in der Welt, wird nicht mehr verschwinden und dann auch militärisch genutzt. Einstein riet zum Bau der Atombombe, weil er fürchtete, dass die Nazis sie zuerst bauen. Es wäre fahrlässig, sich auf den guten Willen aggressiver Potentaten zu verlassen. Wissen wird genutzt. Churchill sagte mal "jedes Land hat eine Armee, seine eigene oder eine fremde". Wenn eine Seitze auf technische Mittel verzichtet, kann sie nicht lange darauf bauen, dass der Gegner das auch so hält.
Re: Feldherr gegen Mathematiker
Φιλομαθής schrieb am 10.06.2012 um 16:27 Uhr (Zitieren)
Wohl wahr, über die Antwort auf die im Eingang zitierte Frage, besteht natürlich heute (nach Entdeckung des Schießpulvers) keineswegs mehr die Unentschiedenheit, die noch bei Sallust bestand.

Der Einwurf, dass jede Forderung nach Demobilisierung im Grunde nur ein Export des militärischen Schutzes der eigenen Bevölkerung und der damit verbundenen Verantwortung bedeutet (und damit moralisch zweifelhaft bleibt), ist ebenfalls nicht von der Hand zu weisen. (Ist das Bonmot tatsächlich von Churchill? Ihm wird ja allerlei untergeschoben ...)

Es klingt illusorisch, zu fordern, der Intellekt, dessen militärisches Engagement die Bedrohungen, denen sich die Menschheit ausgesetzt sieht, immer weiter eskaliert hat, möge sich zurückziehen und ins Ei zurückkriechen, dennoch zeigt die Geschichte, dass dergleichen möglich ist.

Die Entstehung einer intellektuellen Kaste, die zu einer Absonderung geistiger Beschäftigung von praktischer, auf Erwerb des Lebensunterhalts abzielender Betätigung führte, wurde in der wirtschaftlichen Prosperität der Polis möglich. Im Gegenzug wirkten die aus dem βίος θεωρητικός gewonnene Erkenntnisse - als eben die strenge Abgrenzung von πράττειν und θεωρεῖν aufgegeben wurde - befruchtend auf die wirtschaftliche und militärische Kraft der Poleis.

Allerdings ist Wissen eine problemlos übertragbare Ware, wovon schließlich, wie niemand sonst, die lernbereiten Römer profitierten. Die Vermischung von Denken und Nutzanwendung war bald vollständig, und in der Zeit der römischen Vorherrschaft fungiert selbst die (Rest-)Philosophie nur als Kunst der Lebensbewältigung. Die Fragen mit denen sich Cicero, Seneca, Epiktet und Mark Aurel befassen, nämlich wie man den Unbilden des Lebens begegne, wurden von der klassischen Philosophie - Platon und Aristoteles - nicht einmal angeschnitten.

Mit der Ausbreitung des Christentums begegnet uns ein Umschwung, der seinen Höhepunkt in der Scholastik erreicht: der Intellekt zieht sich wieder aus dem Leben, der vita activa, zurück in die vita contemplativa, um sich religiösen, im Grunde esoterischen Problemen, zu widmen. Und das ist umso rätselhafter, als das Christentum zunächst ja - in Abgrenzung zum pharisäischen und rabbinischen Judentum - als antiintellektuelle Bewegung auftrat ("Selig sind die da arm sind im Geiste").

Die Frage wie dies gelang und ob eine parallele Entwicklung für eine gefahrlosere Zukunft wünschenswert ist, wäre zu erörtern.

Eine global vernetzte Infrastruktur bietet natürlich den Ausblick auf eine Sublimierung der Kriegführung. Die Kontrolle über wirtschaftliche Knotenpunkte kann durch digitale Manipulation übernommen werden, ohne dass Menschen zu Schaden kommen. Wo hierbei die Grenzen von Sieg und Niederlage liegen, wird letztlich eine Frage völkerrechtlicher Definition werden.
Re: Feldherr gegen Mathematiker
ανδρέας schrieb am 10.06.2012 um 16:52 Uhr (Zitieren)
Die Kontrolle über wirtschaftliche Knotenpunkte kann durch digitale Manipulation übernommen werden, ohne dass Menschen zu Schaden kommen.


Ich kann Φιλομαθής Darstellung nur zustimmen. Früher waren die Knotenpunkte strategisch angelegte Handelsniederlassungen in den Kolonien oder Kolonien, die man direkt ausbeutete, heute läuft das über die Informationstechnologie und den Zugriff auf die Ressourcen aus der wirtschaftlichen Position heraus. Leider richtet sich der Intellekt dabei auf die eigene Prosperität und keineswegs auf globale Vernunftziele (Klimaschutz u.a.) - also die eigenen Interessen in einer globalisierten Welt. Es spielt dabei keine Rolle, ob eher Kraft (Antike) oder eher Technik den Takt vorgeben. Leitpfad bleiben die Interessen. Staaten haben eigentlich keine Freunde - nur Interessen. "Freunde" von heute können Gegner von Morgen sein und Gegner sich zu Freunden wandeln.

 
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