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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Fälschung #2 (349 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 18.06.2012 um 18:37 Uhr (Zitieren)
420. Auch ein Satz wie der, daß ich jetzt in England lebe, hat diese zwei Seiten: Ein Irrtum ist er nicht – aber anderseits: was weiß ich von England? Kann ich nicht ganz in meinem Urteilen fehlgehen?
Wäre es nicht möglich, daß Menschen zu mir ins Zimmer kämen, die Alle das Gegenteil aussagten, ja, mir ‚Beweise‘ dafür gäben, so daß ich plötzlich wie ein Wahnsinniger unter lauter Normalen, oder ein Normaler unter Verrückten, allein dastünde? Könnten mir da nicht Zweifel an dem kommen, was mir jetzt das Unzweifelhafteste ist?

461. Angenommen, ich wäre der Arzt, und ein Patient kommt zu mir, zeigt mir seine Hand und sagt: „Was hier wie eine Hand ausschaut, ist nicht eine ausgezeichnete Imitation, sondern wirklich eine Hand.“ Worauf er von seiner Verletzung redet. – Würde ich dies wirklich als eine Mitteilung, wenn auch eine überflüssige, ansehen? Würde ich es nicht vielmehr für Unsinn halten, der allerdings die Form einer Mitteilung hat? Denn, würde ich sagen, wenn diese Mitteilung wirklich Sinn hätte, wie kann er seiner Sache sicher sein? Es fehlt der Mitteilung der Hintergrund.

513. Wie, wenn etwas wirklich Unerhörtes geschähe? wenn ich etwa sähe, wie Häuser sich nach und nach ohne offenbare Ursache in Dampf verwandelten; wenn das Vieh auf der Wiese auf den Köpfen stünde, lachte und verständliche Worte redete; wenn Bäume sich nach und nach in Menschen und Menschen in Bäume verwandelten. Hatte ich nun recht, als ich vor allen diesen Geschehnissen sagte „Ich weiß, daß das ein Haus ist“ etc., oder einfach „Das ist ein Haus“ etc.?

517. Wäre es aber nicht möglich, daß etwas geschähe, was mich ganz aus dem Geleise würfe? Evidenz, die mir das Sicherste unannehmbar machte? oder doch bewirkte, daß ich meine fundamentalsten Urteile umstoße? (Ob mit Recht oder mit Unrecht, ist hier ganz gleich.)

642. Wenn man aber mit dem Bedenken kommt: Wie, wenn ich plötzlich sozusagen aufwachte und sagte „Jetzt habe ich mir eingebildet, ich heiße L. W.!“ – wer sagt denn, daß ich nicht noch einmal aufwache und nun dies als sonderbare Einbildung erkläre, usf.

[Quelle: Ludwig Wittgenstein, Über Gewißheit. Frankfurt/Main 1.-12. Tausend 1977]
Re: Fälschung #2
ανδρέας schrieb am 18.06.2012 um 19:36 Uhr (Zitieren)

"Ich bin nicht Stiller." ... wirklich!
Re: Fälschung #2
Γραικίσκος schrieb am 18.06.2012 um 19:44 Uhr (Zitieren)
Ich schätze, daß "Ich bin L.W." (oder wer auch immer) eine empirische Aussage ist, keine logisch (analytisch) wahre; das aber heißt: sie kann im Prinzip falsch sein. Eine noch unentdeckte Kindsvertauschung o.ä.
Re: Fälschung #2
ανδρέας schrieb am 18.06.2012 um 19:55 Uhr (Zitieren)

Landet man da nicht irgendwann beim Solipsismus?
Jedenfalls scheint mir Wittgenstein Sprache hier als "persönliche" Angelegenheit zu behandeln, die nur dann aussagefähig ist, wenn sie ein anderer identisch auffassen muss. Ansonsten wäre die Aussage sprachlich falsch, oder? Für den Solipsisten ist natürlich alles möglich und hängt vom eigenen Willen ab.
Re: Fälschung #2
Γραικίσκος schrieb am 18.06.2012 um 20:08 Uhr (Zitieren)
In "Über Gewißheit" zeigt Wittgenstein m.E., daß es zwei Arten von Gewißheit gibt:
1. die Gewißheit als Resultat akzeptierter Prüfungsverfahren in konkreten Fragen (natürlich auf der Grundlage dieser Verfahren, d.h. eine relative Gewißheit),
2. die Gewißheit als Voraussetzung allen Prüfens, z.B. die Sprache (ohne eine solche Voraussetzung kämen wir nichteinmal zum Zweifeln, weil Zweifeln Sprache voraussetzt).
Fazit: Man kann nicht an allem zweifeln. Der Zweifel funktioniert nur im Rahmen von (1) bestimmten Prüfverfahren und (2) zugrundegelegten Annahmen.
Will man also an etwas zweifeln - und sei es, daß man L.W. ist -, dann müssen dafür (1) und (2) angegeben werden.
Die Möglichkeit einer Kindsvertauschung erfordert dann ein Krankenhausarchiv, Zeugenaussagen usw. ... und natürlich ein Verständnis der Sprache, d.h. der Bedeutung von "Kind", "Vertauschung" usw.
Re: Fälschung #2
Γραικίσκος schrieb am 18.06.2012 um 20:15 Uhr (Zitieren)
Zweifel --> Gewißheit ist also ein Spiel nach bestimmten Regeln - andernfalls ist es, wie wenn man einer Schachfigur ein Hütchen aufsetzt und sagt: "Für mich hat das eine Bedeutung." Der andere zuckt die Achseln und erwidert: "Das ist nicht das, was ich 'Bedeutung' nenne."
Re: Fälschung #2
Γραικίσκος schrieb am 18.06.2012 um 20:16 Uhr (Zitieren)
'Richtiges Latein' (oder Griechisch) ist auch solch ein Spiel. Was setzt man dabei über Sprache voraus? Welches sind die Regeln, um 'richtiges Latein' zu identifizieren?
Re: Fälschung #2
ανδρέας schrieb am 18.06.2012 um 20:18 Uhr (Zitieren)

Man braucht also einen gesicherten Referenzwert. Das ist ja nicht neu.
Re: Fälschung #2
Γραικίσκος schrieb am 18.06.2012 um 20:42 Uhr (Zitieren)
(Das Buch stammt ja auch aus dem Jahre 1952. Es waren Wittgensteins letzte Aufzeichnungen. Außerdem habe ich das sicher etwas vereinfacht.)

(P.S.: Was mich immer erstaunt: Er hatte Prostatakrebs ... und widmet seinem Sterben während des Schreibens kein einziges Wort.)
 
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