α β γ δ ε ζ η θ ι κ λ μ ν ξ ο π ρ ς σ τ υ φ χ ψ ω Α Β Γ Δ Ε Ζ Η Θ Ι Κ Λ Μ Ν Ξ Ο Π Ρ C Σ Τ Υ Φ Χ Ψ Ω Ἷ Schließen Bewegen ?
Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Was der Stil über einen Menschen sagt (773 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 30.06.2012 um 12:29 Uhr (Zitieren)
Die Weise, in der ein Mensch spricht oder schreibt, die Wahl der Worte und Metaphern steht seiner Selbstkontrolle nicht so zu Gebote wie ein Mittel, das er zum Erreichen eine bestimmten Zweckes sich aussucht, oder wie eine Rechtfertigung, die er für sein faktisches Verhalten sich ausdenkt und zurechlegt. Die ihm unbewußten Antriebe beeinflussen aber auch noch den Stil, in dem er sich rechtfertigt.

[Arno Plack: Wie oft wird Hitler noch besiegt? Düsseldorf 1982, S. 181]

(Plack schreibt dies mit Bezug auf sexualpathologische Motive in Hitlers Antisemitismus.)
Re: Was der Stil über einen Menschen sagt
ανδρέας schrieb am 30.06.2012 um 12:53 Uhr (Zitieren)

Sein Antisemitismus wae sexual - pathologisch?
Wie das? (reicht pathologisch nicht aus?)
Re: Was der Stil über einen Menschen sagt
Γραικίσκος schrieb am 30.06.2012 um 13:08 Uhr (Zitieren)
Das Kapitel in Placks Buch heißt "Hitlers sexualpathologischer Judenhaß" (S. 179 ff.). Mich stört der Begriff nicht, denn 'pathologisch' ist ja weiter gefaßt. Speziell das, was der Stil über die Psyche eines Menschen besagt, ist ja ein Thema der Psychoanalyse.
Re: Was der Stil über einen Menschen sagt
Γραικίσκος schrieb am 30.06.2012 um 13:10 Uhr (Zitieren)
Hitlers und - noch mehr - Julius Streichers Äußerungen über Juden sagen tatsächlich viel über die Sexualität ihrer Autoren - sicher mehr, als ihnen lieb war.
Re: Was der Stil über einen Menschen sagt
ανδρέας schrieb am 30.06.2012 um 13:43 Uhr (Zitieren)

Vermutlich Allmachtsphantasien, verstärkt durch die besondere Schwächeposition des Hassobjekts, denke ich. Minderheiten dürften sich da immer gut eignen.
Re: Was der Stil über einen Menschen sagt
Γραικίσκος schrieb am 30.06.2012 um 13:51 Uhr (Zitieren)
Der gegenüber Frauen zurückhaltende, doch gesunde junge Mann leidet wohl vor allem unter jener unmittelbaren Entlastung vom Triebdruck, die ihm die christliche Moral als „Selbstbefleckung“ zu verachten gelehrt hat. Solch immer wiederkehrender Anlaß, sich selber „unrein“ zu fühlen, verlangt um so gebieterischer nach Menschen, die er hinreichend moralisch abwerten kann, um seinem gebrochenen Selbstwertgefühl wieder aufzuhelfen. In schon wahnhafter Projektion verkörpern sie dem an seiner eigenen „Unreinheit“ Leidenden eben jenes Glied des Leibes, an dem er, wie Kant sagt, „wohllüstige Selbstschändung“ verübt. Der Jude wird zum verabscheuungswürdigen Phallus, den man besser nicht anfaßt: „Wo immer man einen solchen Apostel angriff, umschloß die Hand qualligen Schleim; das quoll einem geteilt durch die Finger ...“ Diese Stelle in Mein Kampf (S. 67) kann gar nicht anders als sexualpathologisch gedeutet werden: Ein tief an sich selber leidender Mensch legt einen unkontrollierten Augenblick lang im Eifer empörter Rede den neurotischen Kern seines Judenhasses bloß.

[Arno Plack, a,a,O., S. 180 f.]
Re: Was der Stil über einen Menschen sagt
Γραικίσκος schrieb am 30.06.2012 um 13:52 Uhr (Zitieren)
Dieses Zitat aus Mein Kampf sagt wirklich viel über Hitler und nichts über Juden.
Re: Was der Stil über einen Menschen sagt
Γραικίσκος schrieb am 30.06.2012 um 13:57 Uhr (Zitieren)
Nicht ohne Grund sagt man ja: Wer mit dem Finger auf einen anderen Menschen zeigt, zeigt mit drei Fingern auf sich selbst zurück.
Re: Was der Stil über einen Menschen sagt
filix schrieb am 02.07.2012 um 01:36 Uhr (Zitieren)
Eigenartig ist die Interpretation, die den Phallus, nicht das Abjekt Ejakulat als tatsächlich Gemeintes ausmacht - das passt doch viel besser ins Bild und zu der antisemitischen Tradition, die die Juden als Schlamm, Schleim, Morast, Amorphes, Indefinites usf. zu bezeichnen pflegte.
Re: Was der Stil über einen Menschen sagt
Γραικίσκος schrieb am 02.07.2012 um 13:52 Uhr (Zitieren)
Ich verstehe Deine Bedenken.
Nun ist die Beziehung zwischen Phallus und Ejakulat naturgemäß recht eng, und selbst wenn die Juden traditionell (ist das so vor dem späten 19. Jhdt.?) als Schleim o.ä. deklariert werden, erledigt sich ja noch nicht die Frage, welche psychologisch zu deutende Assoziation da am Werke ist.
Auf jeden Fall sollte man sich bewußt sein, daß psychanalytische Deutungen allemal Hypothesen sind. Das ist bei Plack nicht so klar bewußt, meine ich.

Projektionen von eigenen Erlebnissen usw. in einen Feind, die gibt es schon.
Re: Was der Stil über einen Menschen sagt
filix schrieb am 02.07.2012 um 15:39 Uhr (Zitieren)
Schon im 12.Jhdt kann man bei Petrus Venerabilis lesen, dass selbst das eigene von Gott verheißene Land "Iudaeos [...] velut inutilia pectoris purgamenta exspuit" - als ungreifbarer, disseminierender Auswurf, der alles vergiftet, Brunnen, Gemeinwesen, Kulturen, Volkskörper usf. geistern sie durch die antisemitischen
Phantasien der nächsten Jahrhunderte. Nicht dass sich die Bilder und damit verbundenen
Vorwürfe darin erschöpften.
Für die Psychodramaturgie dieser Bilder kann der enge Zusammenhang von Phallus und Ejakulat nicht, und darauf wollte ich hinaus, einfach bedeuten, dass man beliebig metonymisch verfahren kann, ohne sich seinerseits zu "verraten", i.e. die Frage nach den Motiven dieser Verschiebung in der Interpretation ins Spiel zu bringen. In avancierten psychoanalytischen Theorien ist der Phallus ja nicht bloß ein Synonym für die tatsächliche Erektion des endlichen Penis, deren faktischer Untergang die Ejakulation ist, sondern ein komplexes Phantasma , das mit der endlichen Erfahrung auch der Masturbation und dem wirklichen Penis nicht zusammenfällt. Soweit das Zitat diese Einschätzung zulässt, scheint mir Plack in einem Antiviktorianismus festzustecken: das pathologische Moment entspringt der Last der moralischen Diskreditierung, die der an sich nicht ambivalenten Sexualität des endlichen Menschen aufgebürdet wird - diesen Zwiespalt soll das Feindbild durch Projektion und Verwerfung lösen.
Innerhalb dieser Deutung offenbart sich in der Passage der Phallus als etwas, das man "besser nicht anfaßt", d.h. das Verbot und das Objekt fallen in der Projektion zusammen: hier beginnt die Sache,
fern davon eine befriedigende Erklärung zu liefern, in meinen Augen erst interessant zu werden.
Re: Was der Stil über einen Menschen sagt
Γραικίσκος schrieb am 02.07.2012 um 16:00 Uhr (Zitieren)
Darüber möchte ich erstmal nachdenken und möglichst die Gelegenheit nutzen, mich mit einer psychologisch sachkundigen Person zu unterhalten.
Der Fall ist anscheinend weit schwieriger, als ich es dachte. Vorläufig danke ich für den Hinweis auf Petrus Venerabilis ... ja, die Zeit der Kreuzzüge, da fing es in Europa an mit der Judenfeindschaft.
Re: Was der Stil über einen Menschen sagt
Γραικίσκος schrieb am 02.07.2012 um 17:54 Uhr (Zitieren)
Im Prinzip hat sie mir das (im Rahmen eines Telephongesprächs) bestätigen können, daß nämlich die Deutung eines Phänomens in die Verantwortung des Deutenden fällt und daher etwas über diesen sagt.
Dann wurde es schwierig, weil, filix, ich Deine Texte nur schwer zusammenfassen und andererseits man sie nicht verstehen kann, wenn man sie am Telephon vorgelesen bekommt.
Mehr Zeit hatten wir heute nicht.
Re: Was der Stil über einen Menschen sagt
arbiter schrieb am 02.07.2012 um 18:46 Uhr (Zitieren)
...an sich nicht ambivalenten Sexualität des endlichen Menschen...

mindestens unverständlich, sieht aber nach einer nicht realitätsfesten Konzeptualisierung aus
Re: Was der Stil über einen Menschen sagt
filix schrieb am 02.07.2012 um 20:21 Uhr (Zitieren)
Sollte das missverstanden worden sein: die Rede von der jenseits der moralischen Diskreditierung nicht ambivalenten sexuellen Erfahrung ist nicht meine Sicht auf die Sexualität, sondern der Versuch, die aus dem Zitat hervorgehenden theoretischen Implikationen der Deutung anzusprechen:
in Placks Vorstellung entspringt das Problem m.E. dem Konflikt zwischen moralischer Schuld, also der hier als vorwiegend christlich gekennzeichneten Entwertung und der (an sich unproblematischen) Erfahrung der Masturbation qua "Entlastung vom Triebdruck".

Also, um es salopp resümieren: weil Hitler, schon in der Krise der Zurückhaltung gegenüber Frauen (auch das eine eigenartig diffuse Erklärung, die wenigstens an der heterosexuellen Objektwahl nicht zweifelt und zudem noch im Begriff Z. irgendwie einer asketischen Idealisierung des Unvermögens auf den Leim zu gehen scheint), nicht wenigstens ohne Schuldgefühle masturbieren konnte (Woody Allen: "Don't knock masturbation - it's sex with someone I love"), erfuhr er eine Selbstentwertung, der nur noch mit Projektion und Verwerfung in Gestalt des mit dem Phallus identifizierten Juden beizukommen war.

Es gibt also in dieser Auffassung nicht schon eine der endlichen Sexualität notwendig eingeschriebene Ambivalenz jenseits einer Moral, die sexuelle Handlungen bewertet und die Bedingung und Grenzen, die Praktiken, Umstände und rechtmäßig Beteiligten derselben vorschreibt (und dadurch, im Fall eines sich dem nicht fügenden Begehrens, vergiftet), sich aber beispielsweise nicht mit der Frage befasst, wie jener Unterschied zwischen dem Phallus und der endlichen Erektion in der individuellen sexuellen Erfahrung, auch der moralisch nicht entwerteten, ausmacht. Diese taucht aber, so meine weitere Vermutung, in der Deutung indirekt auf: und das ist, was ich als den Verrat in der metonymischen Verschiebung von dem Bild des Ejakulats zum Juden als Phallus bezeichnen wollte. Andernfalls würde man Plack ja nur wieder mit Plack lesen.

Ich muss übrigens gestehen, Graeculus, dass mir die durchaus literarische Szene, in welcher an einem Sommernachmittag einer in der Schilderung betont geschlechtslosen Person vom Fach Randbemerkungen zur Deutung von Hitlers Sexualpathologie am Telephon vorgetragen werden, sehr gut gefällt:
nicht zuletzt deshalb weil sie mit dem analytischen Setting zwei Dinge
gemein hat, ohne deswegen eine therapeutische Einheit zu sein:
Zum einen haben die Beteiligten, einander nahe Stimmen und ganz Ohr, keinen Blickkontakt, starrt doch am jeweiligen Ende jeder in sein Projektionsfeld, das mit dem Dunkel hinter geschlossenen Lidern, einer weißen Wand oder einem zurückgelassenen Wäschestück usf. zusammenfallen mag.
Zum anderen ist die Interpretation zwar möglicherweise unendlich, die Sitzung
aber ganz sicher nach fünfzig Minuten aus: Mehr Zeit hatten wir heute nicht.
Re: Was der Stil über einen Menschen sagt
filix schrieb am 02.07.2012 um 20:23 Uhr (Zitieren)
wie jener Unterschied was jener...
Re: Was der Stil über einen Menschen sagt
ανδρέας schrieb am 02.07.2012 um 22:58 Uhr (Zitieren)
Aus diesem einen Satz sexual-pathologische Schlüsse zu ziehen, erscheint mir etwas weitgehend. S 66/67 dieses unsäglichen Buches geben nur diesen einen Satz her und beschreiben Juden im weiteren als Lügner. Das Kapitel „Werdegang des Judens“ zeigt vielmehr, dass er das Judentum vor allem so sieht:
„Religion als Mittel zur geschäftlichen Existenz…. Dafür wurde dann Christus freilich an das Kreuz geschlagen.“ (S. 336).
Hier bezieht er dich auf die Vertreibung der Pharsäer aus dem Tempel. Ein klassisch christlich – mittelalterliches Motiv also. Und weiter schreibt er:
„ Mit dem Entstehen der ersten festen Siedlungen ist der Jude plötzlich „da“. Er kommt als Händler … . Allmählich beginnt er sich langsam in der Wirtschaft zu betätigen, nicht als Produzent, sondern ausschließlich als Zwischenglied. In seiner tausendjährigen händlerischen Gewandtheit ist er den noch unbeholfenen, besonders ber grenzenlos ehrlichen Ariern weit überlegen, so dass schon in kuzer Zeit der Handel sein Monopol zu werden droht.“ (S. 338).


Das ist doch eine damals durchaus verbreitete Vorstellung gewesen. Der Jude als Wucherer, Neid , Missgunst, Minderwertigkeitskomplexe usw. .
Aus den Selbstbeschreibungen Hitlers im ersten Teil geht wohl seine Entwurzelung hervor, aber Plack schießt mir über das Ziel hinaus, wenn er aus dieser einen Stelle auf sexual-pathologischen Motiven schließt. Da finden sich weit mehr Bezüge auf allgemein verbreitete christliche Vorurteile gegenüber den Juden in diesem Machwerk.



 
Antwort
Titel:
Name:
E-Mail:
Eintrag:
Spamschutz - klicken Sie auf folgendes Bild: Colosseum (Rom)

Aktivieren Sie JavaScript, falls Sie kein Bild auswählen können.