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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Der Omegapunkt (817 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 19.07.2009 um 15:13 Uhr (Zitieren)
Es gibt eine etwas spekulative, aber interessante Theorie über einen Omega-Punkt:

John Horgan

AN DEN GRENZEN DES WISSENS

(1997)

Die Angst Gottes

[...] Vor vielen Jahren, als ich noch nicht als Wissenschaftsjournalist tätig war, hatte ich das, was man meines Erachtens eine mystische Erfahrung nennen könnte. Ein Psychiater würde dieses Erlebnis vermutlich als eine psychotische Episode bezeichnen. Ich möchte diese Begebenheit, wie aussagekräftig auch immer sie letztlich sein mag, hier kurz schildern. Objektiv gesehen, lag ich mit ausgestreckten Gliedmaßen auf einem Rasen in einem Vorstadtbezirk, ohne Notiz von dem zu nehmen, was in meiner Umgebung vor sich ging. Was meinen subjektiven Zustand anlangte, so befand ich mich auf einer verwirrenden, geheimnisvollen inneren Reise zu dem, was mir als das innerste Geheimnis des Lebens erschien. Welle auf Welle tiefen Erstaunens über das Wunder des Daseins überflutete mich. Zugleich ergriff mich ein Gefühl überwältigender Einsamkeit. Ich spürte - oder vielmehr: ich wußte -, daß ich das einzige bewußtseinsbegabte Wesen im gesamten Universum war. Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart waren allein das Produkt meiner Vorstel-lungskraft. Zunächst erfüllte mich ein Gefühl grenzenloser Freude und Macht. Doch dann spürte ich plötzlich, daß mich diese Ekstase verschlingen könnte, wenn ich mich ihr noch länger hingab. Wenn ich das einzige Wesen im Universum war, wer konnte mich dann der Vergessenheit entreißen? Wer konnte mich retten? Mit dieser Einsicht verwandelte sich meine Glückseligkeit in Schrecken; ich floh nun vor derselben Offenbarung, die ich zuvor so ersehnt hatte. Ich hatte das Gefühl, durch eine große Finsternis zu fallen und im Fallen in unendlich viele Selbste zu zersplittern.
Noch Monate, nachdem ich aus diesem Alptraum erwacht war, war ich überzeugt davon, daß ich das Geheimnis des Daseins entdeckt hatte: Gottes Furcht vor seiner eigenen Gottheit und vor seinem eigenen möglichen Tod liegt allem zugrunde. Diese Überzeugung begeisterte und erschreckte mich zugleich - und entfremdete mich von Freunden, Familienangehörigen und all den gewöhnlichen Dingen, die das Leben Tag für Tag lebenswert machen. Ich mußte hart arbeiten, um darüber hinwegzukommen und mit dem Leben weiterzumachen. Und bis zu einem gewissen Grad gelang mir dies auch. Ich verstaute die Erfahrung in einem relativ abgeschotteten Teil meiner Seele, damit sie nicht alle übrigen, praktischeren Teile - die mit dem Finden und Behalten eines Arbeitsplatzes, eines Partners und so fort befaßt sind - überwältigte. Nachdem viele Jahre vergangen waren, kramte ich diese Episode jedoch wieder aus meinem Gedächtnis hervor und begann, darüber nachzusinnen. Dies nicht zuletzt deshalb, weil ich auf eine bizarre pseudowissenschaftliche Theorie gestoßen war, mit der ich meiner Halluzination einen metaphorischen Sinn abgewinnen konnte: der Omegapunkttheorie.
Es gilt als unziemlich, sich vorzustellen, man sei Gott; dagegen ist es durchaus statthaft, sich auszumalen, man sei ein ungemein leistungsfähiger Computer, der das gesamte Universum durchdringt bzw. das gesamte Universum ist. Wenn sich der Omegapunkt dem Endkollaps von Zeit und Raum und dem Sein selbst nähert, macht er eine mystische Erfahrung durch. Er wird sich immer deutlicher der äußersten Unwahrscheinlichkeit seines Daseins bewußt. Er erkennt, daß es keinen Schöpfer, keinen Gott außer ihm gibt. Er existiert, und sonst existiert nichts. Der Omegapunkt muß auch erkennen, daß seine Sehnsucht nach dem endgültigen Wissen und Vereinheitlichung ihn an den Rand des ewigen Nichts gebracht hat und daß mit ihm alle anderen Lebensformen sterben; das Sein selbst wird verschwinden. Wenn der Omegapunkt voller Schrecken seine mißliche Lage erkennt, wird er instinktiv vor sich selbst, vor seiner fürchterlichen Einsamkeit und Selbsterkenntnis, zu fliehen versuchen. Die Schöpfung mit all ihrem Leid, all ihrer Schönheit und Mannigfaltigkeit ist das Produkt der verzweifelten, panischen Flucht des Omegapunktes vor sich selbst. [...]
Die Wirklichkeit hält in ihrem Innersten keine Antwort, sondern eine Frage bereit: Weshalb gibt es etwas und nicht vielmehr nichts? Die Antwort lautet, daß es keine Antwort gibt, sondern nur eine Frage. [...] Die Welt ist ein Rätsel, das sich Gott ausgedacht hat, um sich selbst vor seiner schrecklichen Einsamkeit und Todesangst zu schützen.


[Quelle: John Horgan, An den Grenzen des Wissens. Siegeszug und Dilemma der Naturwissenschaften. München 1997, S. 413-416]

Was auch immer der Autor da erlebt haben mag - Ω ist das Letzte!
Re: Der Omegapunkt
andreas schrieb am 19.07.2009 um 15:25 Uhr (Zitieren)
Und woher weis der Computer, ob nicht irgendwer den Stecker zieht?

Ist das nicht der Standpunkt den Solipsisten einnehmen?
Re: Der Omegapunkt
Γραικίσκος schrieb am 19.07.2009 um 15:31 Uhr (Zitieren)
Jetzt fällt es mir wie Schuppen vom Kopfe! Das ist Solipsismus, ja, das ist es!
Re: Der Omegapunkt
andreas schrieb am 19.07.2009 um 15:38 Uhr (Zitieren)
Tja, dann redest du gerade mit dir selber und denkst dir nur, es gebe hier irgendwen, der dir antwortet ...

Wie in den Agentenfilmen: ... und ich war nie hier, wir haben niemals miteinander geredet (CIA-Slang a`la Hollywood)
Re: Der Omegapunkt
Γραικίσκος schrieb am 19.07.2009 um 15:46 Uhr (Zitieren)
Ich bin der einzige Mensch auf Erden, und vielleicht gibt es weder Erde noch Mensch.
Vielleicht täuscht mich ein Gott.
Vielleicht hat ein Gott mich zur Zeit verdammt, dieser langen Illusion.
Ich träume den Mond und träume meine Augen, die den Mond sehen.
Ich habe geträumt den Abend und den Morgen des ersten Tages.
Ich habe Karthago geträumt und die Legionen, die Karthago verwüsteten.
Ich habe Lucan geträumt.
Ich habe den Hügel von Golgatha und die Kreuze Roms geträumt.
Ich habe die Geometrie geträumt.
Ich habe den Punkt geträumt, die Linie, die Fläche und den Körper.
Ich habe das Gelbe geträumt, das Blaue und das Rote.
Ich habe meine kränkliche Kindheit geträumt.
Ich habe die Karten und die Reiche geträumt und jenes Duell im Morgengrauen.
Ich habe den unbegreiflichen Schmerz geträumt.
Ich habe meinen Degen geträumt.
Ich habe Elisabeth von Böhmen geträumt.
Ich habe Zweifel und Gewißheit geträumt.
Ich habe den gestrigen Tag geträumt.
Vielleicht gab es kein Gestern, vielleicht wurde ich nie geboren.
Vielleicht träume ich geträumt zu haben.
Ich spüre ein wenig Kälte, ein wenig Angst.
Über der Donau ist es Nacht.
Ich will weiter Descartes träumen und den Glauben seiner Väter.


[Quelle: Jorge Luis Borges, Besitz des Gestern. Gedichte 1981-1985. Frankfurt/Main 1994, S. 18 f.]
Re: Der Omegapunkt
andreas schrieb am 19.07.2009 um 15:52 Uhr (Zitieren)
Vielleicht war ja mal einer am Omega.Punkt und hat sich -quiasi den Alpha-Punkt erdacht:

In principio erat verbum et verbum erat apud deum et deum erat verbum (johannes natürlich, aber auf griechisch kann ich es nicht)
Re: Der Omegapunkt
Γραικίσκος schrieb am 19.07.2009 um 16:21 Uhr (Zitieren)
Ist das nicht eine Paradoxie? Wie kann man am Ω-Punkt (Endpunkt) sein, ohne zuvor am Α-Punkt (Anfangspunkt) gewesen zu sein?
Oder - so dumm klingt das eigentlich nicht - kann man tatsächlich am Ende sein, ohne jemals am Anfang gewesen zu sein? Und dann denkt man sich den Anfang bloß aus?

So langsam wird es wieder Zeit für eine Flasche Wein ...
Re: Der Omegapunkt
andreas schrieb am 19.07.2009 um 16:36 Uhr (Zitieren)
Die Idee mit dem Wein ist auf jeden Fall gut.

Es gibt ja auch die Vorstellung der Kontraktion des Kosmos - Urknall - Expansion - Kontraktion auf einen Punkt (Ende der Zeit) - anschließend wieder Urknall .Ein immerwährender Kreislauf (kaum wirklich beweisbar, oder). Da wäre Omega vor dem Alpha ...
Re: Der Omegapunkt
Γραικίσκος schrieb am 19.07.2009 um 16:44 Uhr (Zitieren)
Wenn jetzt aber zugleich mit dem Universum die Zeit entsteht, begreife ich das wieder mit dem zyklischen Modell nicht. Dazu müßte es doch eine absolute Zeit geben, oder?
Ein Paradox: Immer und immer wieder entsteht und vergeht die Zeit.

Jetzt wird's aber Zeit für den Wein!
Re: Der Omegapunkt
andreas schrieb am 19.07.2009 um 16:59 Uhr (Zitieren)
Zum Wohl (in vino veritas)!
Re: Der Omegapunkt
Bibulus schrieb am 19.07.2009 um 17:11 Uhr (Zitieren)
Das mit der Zeit ist auch ein Paradoxon:
Alle Materie, alle Zustände, alle Lebewesen,
also alles "physikalisch existierende" erfährt die zeit als "Linear" und nicht "umkehrbar" (Entropie!).
DAS muß aber nicht zwangsläufig so sein!
(eben nur für die von uns erfahrbare Welt!)
Re: Der Omegapunkt
Bibulus schrieb am 19.07.2009 um 17:16 Uhr (Zitieren)
Moment!
in der Quantenphysik glaubt man
"Zustände" entdeckt zu haben,
die NICHT zeitlich linear ablaufen/existieren/..

tja...
wie soll man das benennen
Da fängt ja schon die Schwierigkeit an,
unsere sprachliche Ausdrucksweise stößt an ihre Grenze...
(die "beobachteten Zustände" laufen ja nicht ab
und man "beobachtet" auch im Grunde nicht,
es sind auch keine periodischen "Zyklen"...

Man kann sie nur mathematisch mit
der Wahrscheinlichkeitsrechnung und
der Unschärfenrelation "darstellen"..
Re: Der Omegapunkt
andreas schrieb am 19.07.2009 um 17:33 Uhr (Zitieren)
Da wären wir wieder beim Problem der Messbarkeit und Bestimmbarkeit - wie bei Schrödingers Katze. Wann ist sie schon tot, wann noch lebendig.
 
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