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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Gott und Schopenhauer #4 (779 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 17.07.2012 um 17:30 Uhr (Zitieren)
Betrachtet man die Welt, wie sie sich darstellt, als ein Sammelplatz sich quälender und bald sterbender Wesen, und denkt sich, ein Gott hätte sie aus dem Nichts hervorgebracht; so muß man sagen, daß er sich ein seltsames und keineswegs gutmüthiges Vergnügen gemacht.

(Arthur Schopenhauer: HN IV/1, 83)
Re: Gott und Schopenhauer #4
Κόμισσα schrieb am 19.07.2012 um 10:19 Uhr (Zitieren)
Cher Γραικίσκος,

sind wir hier nicht bei dem Problem der Theodizee angelangt?

Gruß von Κόμισσα.
Re: Gott und Schopenhauer #4
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 19.07.2012 um 10:38 Uhr (Zitieren)
So wie die Schönheit im Auge des Betrachters liegt, so auch der Eindruck der "Welt, wie sie sich (Herrn Schopenhauer) darstellt" ...
Das ist zum Beispiel eine Stelle, die mir seine Lektüre nichts als widerwärtig machen.
Re: Gott und Schopenhauer #4
Κόμισσα schrieb am 19.07.2012 um 10:55 Uhr (Zitieren)
Spatz,

ich liebe Dich! Danke!

Gruß von Κόμισσα.
Re: Gott und Schopenhauer #4
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 19.07.2012 um 11:57 Uhr (Zitieren)
tschilp, tschilp *wildmitdenflügelnschlag* *gggggggg*
Re: Gott und Schopenhauer #4
Γραικίσκος schrieb am 19.07.2012 um 14:00 Uhr (Zitieren)
Widerwärtig? Offenbar gelingt es Schopenhauer immer noch, den Nerv von gläubigen Menschen zu treffen. Das lag sicher in seiner polemischen Absicht.

***

Ich möchte einmal ein paar Gedanken beisteuern, die hoffentlich in seinem Sinne sind.
Natürlich befaßt sich Schopenhauer einerseits ganz traditionell mit dem Theodizee-Problem. Aber er tut es nicht, wie στρουθίον οἰκιακόν suggeriert, aus einer bloß persönlichen Perspektive.
Wenn ich es recht verstanden habe, ist auch aus jüdisch-christlicher Sicht die Welt in einem traurigen Zustand (so traurig, daß Jahwe schon einmal alle Lebewesen auslöschen und mit einem Mindestbestand von Personal neu anfangen wollte).
Dieser Zustand gilt dieser Sicht aber als Resultat des Sündenfalls, also als nicht eigentlich von Gott, sondern vom Menschen zu verantworten. Schopenhauer insistiert demgegenüber immer wieder darauf, daß nicht allein Mord und Kriege, also Menschenwerk, die Welt zu solch einem schrecklichen Ort machen, sondern die Naturordnung selbst: daß nämlich alle Lebewesen nur leben können, indem sie andere Lebewesen töten.
Hierzu führe ich ergänzend die Schopenhauer noch nicht bekannte Evolutionstheorie an: Alle Lebewesen vermehren sich, und dadurch entsteht eine Verknappung der Ressourcen, daraus wiederum ein Kampf ums Dasein (in sehr verschiedenen Formen) mit dem Resultat des Überlebens bloß der Bestangepaßten, was dann die Evolution ausmacht. Dieser Kampf findet - wie Darwin betont - nicht nur zwischen Jäger und Beute (mithin verschiedenen Spezies), sondern auch und besonders heftig zwischen Konkurrenten derselben Art statt.
Dies kann man nicht gut auf den Sündenfall des Menschen zurückführen, den es ja noch gar nicht gab, als z.B. die Dinosaurier ihm zum Opfer fielen.
Biologen versichern sogar, daß es, sollte es irgendwoanders im Weltall Leben geben, nach genau diesen Regeln sich entwickeln müßte oder sich gar nicht entwickeln würde.
Und wozu dies alles? Mit welchem Ziel? Jetzt kann man wieder Schopenhauer zu Wort kommen lassen: nur zur Fortsetzung dieses ganzen Spiels. Tiere leben, um zu fressen und sich fortzupflanzen. Und sie pflanzen sich wort, um in der nächsten Generation wieder zu fressen und sich fortzupflanzern. Menschen tun dies auch, aber sie können sich dessen bewußt werden ... und, wenn sie wollen, daraus Konsequenzen ziehen.
Sollte dies alles das Werk eines Gottes sein, so wäre es ein Gott mit einem sehr merkwürdigen Geschmack. Als Allmächtiger und Allwissender hätte er sich wohl auch ein anderes Lebenskonzept ausdenken können. Oder?
[Pflanzen, die sich von anorganischem Material und Licht ernähren, sowie Bakterien, die organisches Material zu anorganischem zersetzen, funktionieren etwas anders - doch auch sie sind der internen Konkurrenz ausgesetzt ... in einem Kampf, wie Schopenhauer an einer Stelle betont, auf Leben und Tod.]

Dies ist die eine, methodisch eher traditionelle Denkrichtung Schopenhauers. In einer anderen Hinsicht ist er zuweilen verblüffend modern, indem er nämlich auf die Analytische Philosophie des 20. Jhdts. vorausweist: Diese nämlich befaßt sich nicht mit der Existenz oder Nichtexistenz Gottes, sondern analysiert die Sprache von Aussagen über Gott. Operiert sie den Regeln unserer Alltagssprache, aus der ja alle verwendeten Begriffe ihre Herkunft haben, oder operiert sie trickreich und gegen die Regeln mit dieser Sprache? Ist der Begriff "Gott" ein regulär gebildeter Begriff? Sind Aussagen über Gott normale sprachliche Äußerungen (mit Definitionen, Verifikations- und Falsifikationskriterien)?
Nein, sagt Schopenhauer, das sind sie nicht. "Sobald Einer von Gott] redet, weiß ich nicht wovon er redet." Im Grunde bzw. in Ansätzen hat er schon das Konzept, das Rudolf Carnap in seinem lesenswerten & folgenreichen Aufsatz "Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache" entworfen hat.

Dieser moderne Aspekt bei Schopenhauer beschäftigt mich gerade im Rahmen eines Buchkapitels, das ich schreibe; und deswegen bin ich auch auf das Thema gekommen.

Letztlich will Schopenhauer "Gott" aus dem Bereich sinnvollen Sprechens eliminieren. Gegen Wittgensteins Schweigen über solche Themen hätte er nichts einzuwenden gehabt, vielmehr hat Wittgenstein diesen Gedanken der Abgrenzung des sinnvollen vom sinnlosen Sprechen mit der Folge des Schweigens "worüber wir nicht sprechen können" wohl von Schopenhauer übernommen.

Die Welt, schreibt Schopenhauer, nicht Gott ist das Thema der Philosophie.

***

Zum Abschluß eine Anekdote: Ich habe einmal Jehovas Zeugen gefragt, wovon sich die Raubtiere im Paradies denn ernährt hätten? Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: "Von Stroh!"
Eine Biologielehrerin, der ich davon berichtete, schmunzelte und meinte, sie müßten dann wohl ein anderes Verdauungssystem gehabt haben, die Löwen.
Re: Gott und Schopenhauer #4
Γραικίσκος schrieb am 19.07.2012 um 14:25 Uhr (Zitieren)
Nachtrag: Die jüdische Theologie bestreitet m.W. die Anwendbarkeit der Kategorie "gut" auf Gott. (Anders die christliche Theologie sowie auch die islamische mit ihrem "Allerbarmer".)
Sollte das so sein, erledigt sich das Problem der Theodizee m.E.

Nicht aber erledigt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit theologischer Aussagen. Doch hierfür gibt es in der christlichen Tradition (Nikolaus Cusanus, negative Theologie usw.) Konzepte, eine ganz spezielle Art des Sprechens über Gott zu etablieren.
Dem steht Schopenhauer aufgeschlossener gegenüber.
Doch gibt es dafür noch Sinnkriterien, d.h. Methoden, um zutreffende von nicht zutreffenden Aussagen begründbar zu unterscheiden?
Mir erscheint es so, als ob damit eine Art Grenzbegriff eingeführt würde, der nichts anderes besagt als: hier endet unser Wissen.
Re: Gott und Schopenhauer #4
Γραικίσκος schrieb am 19.07.2012 um 17:02 Uhr (Zitieren)
Ich kann nur hoffen, daß ich diesen aufwendigen Diskussionsbeitrag nicht ins Kommunikationsvakuum hinein geschrieben habe.
Gelegentliche Kommentare wären mir lieb.
Re: Gott und Schopenhauer #4
ανδρέας schrieb am 19.07.2012 um 17:54 Uhr (Zitieren)
hier endet unser Wissen


Religionen sehen auch weniger ihre Aufgabe darin, Wissen zu vermitteln, als Hoffnung zu geben, Trost zu spenden und Lebensmut zu wecken, soziales Miteinander zu fördern und und wohl auch "Ersatzlösungen" zu bieten, wenn das menschliche Begriffsvermögen überfordert ist. "Gott" kann man vielleicht als gedachten Katalysator eines Lebensbewältigungskonzepts betrachten.
Κατάλυσις , also die Auflösung eigentlich unlösbarer Fragen durch eine Hilfsformel, die manche befriedigt. Solange es nicht schadet (Fanatismus) mag es für viele Menschen nützlich sein. Aussagenlogisch ist da natürlich nicht zu fassen bzw. widersinnig oder unlogisch. Da kann man Schopenhauer nicht widersprechen, wenn er sich fragt "wovon" er redet. Sprachlogisch mag Gott nicht sinnvoll sein, aber für das menschliche, seelische Wohlbefinden reicht Logik ja auch nicht aus, oder?
Logik führt Menschen sicher häufiger in Verzweiflung als Hoffnung. Die Logik beantwortet existenzielle Fragen m.E. auch nicht und kann die Lebensfreude schon mal mindern. Im Extremfall ist beten sicher gesünder als saufen ...
Re: Gott und Schopenhauer #4
Γραικίσκος schrieb am 19.07.2012 um 18:33 Uhr (Zitieren)
Religion hat sicherlich primär eine soziale Funktion via Kulthandlungen.
Gleichwohl tut sie sich schwer damit, in diesem Rahmen theoretische Annahmen (Aussagen) ganz zu vermeiden. Sie ist deshalb nicht immun gegen theoretische Einwände.
"Es ist gänzlich schnurz, ob es wahr ist, was wir glauben - Hauptsache, es funktioniert!" sagt sich nicht leicht. Es klingt irgendwie ... peinlich. Ich habe auch noch nie gehört, daß ein gläubiger Mensch es so klar formuliert hätte. Viel häufiger, sehr häufig ist eine instinktive, stark emotionale Ablehnung der logischen Analyse religiöser Aussagen. "Du immer mit deiner Logik! Man kann doch nicht alles rationalisieren!"
Re: Gott und Schopenhauer #4
διψαλέος schrieb am 19.07.2012 um 18:57 Uhr (Zitieren)
Γραικίσκος schrieb am 19.07.2012 um 18:33 Uhr:
Religion hat sicherlich primär eine soziale Funktion via Kulthandlungen.


Ich gehe sogar noch weiter und zitiere Karl Marx:
"Religion ist Opium fürs Volk."
Re: Gott und Schopenhauer #4
ανδρέας schrieb am 19.07.2012 um 19:16 Uhr (Zitieren)
"Religion ist Opium fürs Volk."


Heute funktioniert das aber nicht mehr mit Religion. Da nimmt man besser elektronische Unterhaltungsgeräte oder Aktien zum spielen ...
Ich frage mich, warum die Zunft der Sozialpädagogen, Psychologen, Fernheiler und Neurologen solch einen Aufschwung genommen hat, wo wir doch alles so rational sehen. Eine wachsende Zahl an Menschen kommt mit dem Leben nicht mehr zurecht und muss sich Lebensbewältigungskonzepte bei Analytikern kaufen. Ich vermute, das ist mindestens so teuer wie Opium. Wo ist der Unterschied zu Claudius`Abendlied:"lass uns einfältig werden und vor dir hier auf Erden wie Kinder fromm und fröhlich sein"?
Nur weil manchen (mir auch) das nicht reicht , kann das ja viele glücklich machen. Jeder nach seiner Facon.
Re: Gott und Schopenhauer #4
Γραικίσκος schrieb am 19.07.2012 um 20:36 Uhr (Zitieren)
Das Marx-Zitat lautet übrigens: "Religion ist Opium des Volkes", und es schließt sowohl den Genitivus subiectivus als auch den G. obiectivus ein. Religion wird dem Volk als Opium verabreicht und von diesem bereitwillig konsumiert. So meint es Marx.
Re: Gott und Schopenhauer #4
Βοηθός Ἑλληνικός schrieb am 19.07.2012 um 21:17 Uhr (Zitieren)
Was Schopenhauer sagt, ist seine persönliche Meinung und mir ziemlich egal. "Jeder nach seiner Facon" ...Zitat ανδρέας ist auch meine Meinung. Ich bin bloß immer erstaunt, dass gerade Leuten, wenn es ihnen schlecht geht, wieder zur Religion zurückkehren, die sie vorher sehr verächtlich behandelt haben.
Re: Gott und Schopenhauer #4
arbiter schrieb am 19.07.2012 um 22:31 Uhr (Zitieren)
weil sie dem Spruch folgen: besser meditieren als gar nichts tun.
Re: Gott und Schopenhauer #4
διψαλέος schrieb am 19.07.2012 um 23:15 Uhr (Zitieren)
Βοηθός Ἑλληνικός schrieb am 19.07.2012 um 21:17 Uhr:
.... Ich bin bloß immer erstaunt, dass gerade Leuten, wenn es ihnen schlecht geht, wieder zur Religion zurückkehren, die sie vorher sehr verächtlich behandelt haben.


Alte menschliche Wesensheit:
Not lehrt beten.
Man kann es den Menschen ja auch nicht übel nehmen.
Ich halte es eher mit der zweiten Strophe der "Internationalen" (deutsche Version).
Re: Gott und Schopenhauer #4
διψαλέος schrieb am 20.07.2012 um 05:24 Uhr (Zitieren)
nachreiche:
Es rettet uns kein höh'res Wesen,
kein Gott, kein Kaiser noch Tribun
Uns aus dem Elend zu erlösen
können wir nur selber tun!
Re: Gott und Schopenhauer #4
διψαλέος schrieb am 20.07.2012 um 05:27 Uhr (Zitieren)
Re: Gott und Schopenhauer #4
Γραικίσκος schrieb am 20.07.2012 um 15:24 Uhr (Zitieren)
Schopenhauer ist nicht in den Schoß der Religion zurückgekehrt, auch im Sterben nicht.
 
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