Γραικίσκος schrieb am 18.07.2012 um 12:44 Uhr (Zitieren)
So nennt die "Historical Society of Britain" die Annahme, es habe in der Antike die Mehrzahl der Menschen an die Scheibenform der Erde geglaubt.
Dies sei vielmehr ein Konstrukt der Aufklärung und des 19. Jahrhunderts.
(Quelle: Ralf-Peter Märtin et al., Jenseits des Horizonts. Berlin 2012, S. 141)
Als Belege für die Annahme der Kugelform werden genannt:
a) für die Antike:
- Aristoteles (inkl. der Argumente des Erdschattens bei Mondfinsternissen und der veränderten Sternbilder nach Süden hin)
- Erathostenes
- Poseidonios
- Plinius
- Ptolemäus von Alexandria (inkl. des Arguments, daß man auf See die Bergspitzen immer als erste sehe)
- bildliche Darstellungen des Globus als Symbol der Weltherrschaft
b) für das Mittelalter:
- Isidor von Sevilla
- Beda Venerabilis
- Johannes de Sacrobosco
- ebenfalls der Globus als Symbol der kaiserlichen Herrschaft
Kennt jemand die Belegstellen bei Aristoteles?
Re: "der weitestverbreitete historische Irrtum"
filix schrieb am 18.07.2012 um 13:17 Uhr (Zitieren)
De caelo II, 14
Re: "der weitestverbreitete historische Irrtum"
Γραικίσκος schrieb am 18.07.2012 um 13:27 Uhr (Zitieren)
Danke.
Re: "der weitestverbreitete historische Irrtum"
Φιλομαθής schrieb am 18.07.2012 um 13:55 Uhr (Zitieren)
Hauptschuldiger soll Washington Irving mit seiner Columbus-Biografie sein.
Γραικίσκος schrieb am 18.07.2012 um 14:03 Uhr (Zitieren)
[De caelo 297a – 298a]
Aristoteles fährt dann fort, dies stütze die Behauptung, die Säulen des Herakles lägen in der Nähe von Indien, was auch die Elefanten, die in beiden Gebieten vorkämen, bestätigten.
Re: "der weitestverbreitete historische Irrtum"
Φιλομαθής schrieb am 18.07.2012 um 21:19 Uhr (Zitieren)
Dass die peripatetische und stoische Lehre von der Kugelgestalt der Erde allerdings nicht so weitverbreitet und selbstverständlich war, wie es die genannten Stellen suggerieren mögen, zeigt eine Schrift des Plutarch.
Einer der Gesprächspartner, Pharnakes, hatte die stoische Auffassung vertreten, der Mond sei ein erdähnlicher, schwerer Körper und stürze aufgrund seiner Bahngeschwindigkeit nicht auf die Erde. Die Erde aber befände sich im Zentrum der Anziehung des Weltalls. Der Erzähler wendet ein:
Plutarch, Von dem Gesicht im Monde (De facie in orbe lunae), 7. Übers. C. Fr. Schnitzer.
Re: "der weitestverbreitete historische Irrtum"
Φιλομαθής schrieb am 18.07.2012 um 21:47 Uhr (Zitieren)
Etwas weiter oben (Kap. 6) wird übrigens angeführt, dass Aristarch, bereits damals ein heliozentrisches Weltbild entwickelt hatte:
Die Sache war evident: die Himmelserscheinungen wurden dadurch richtig gestellt. Dennoch waren (nach Aristarch) weitere 1800 Jahre nötig, damit sich der Gedanke durchsetzen konnte.
Re: "der weitestverbreitete historische Irrtum"
διψαλέος schrieb am 18.07.2012 um 22:23 Uhr (Zitieren)
Die Frage, ob Scheibe oder Kugel, war in der Antike eine sehr liberal und tolerant diskutierte.
Die Schärfe kam erst während der Reformationszeit
ab ca. 1400 (Hus, Savonarola, Bruno)
Re: "der weitestverbreitete historische Irrtum"
Φιλομαθής schrieb am 19.07.2012 um 21:19 Uhr (Zitieren)
Haben Jan Hus oder Savonarola sich tatsächlich mit diesem Thema befasst?
Re: "der weitestverbreitete historische Irrtum"
ανδρέας schrieb am 19.07.2012 um 21:29 Uhr (Zitieren)
Es wäre spannend zu wissen, welche Unterschiede im Denken der Gebildeten und des einfachen Volkes lagen. Aber das einfache Volk hat ja meist keine Quellen hinterlassen. Vielleicht wollte man das Volk, das ja weder lesen noch schreiben konnte, nicht beunruhigen. Da mag es einen Konsens gegeben haben, sich öffentlich möglichst nicht über Dinge auszulassen, die Zweifel am einfachen Weltbild aufkommen lassen. Womöglich fragt man nach und stellt mehr in Abrede als der Stabilität gut tut.
Wenn die oberen 10.000 aus dem Nähkästchen plaudern ... knallt es.
Re: "der weitestverbreitete historische Irrtum"
διψαλέος schrieb am 20.07.2012 um 05:39 Uhr (Zitieren)
Das war nicht das Problem.
Es ging, damals wie heute, um Heerschaft.
Wer hat die Hoheit über die Knete,
die von allen gemeinsam erwirtschaftet wird?
Wer hat die Verfügung über die "polis"?
Re: "der weitestverbreitete historische Irrtum"
διψαλέος schrieb am 20.07.2012 um 05:44 Uhr (Zitieren)
Ich bin ein oller Sozi, weil ich "glaube",
daß eine humane Welt nur im
sozialistischen Sinne existieren kann.
"Sozialismus" ja, als Schlagwort,
um es griffig auszudrücken.
Re: "der weitestverbreitete historische Irrtum"
Γραικίσκος schrieb am 20.07.2012 um 12:28 Uhr (Zitieren)
Danke übrigens, Φιλομαθής, für die Plutarch-Stelle.
Re: "der weitestverbreitete historische Irrtum"
arbiter schrieb am 20.07.2012 um 13:09 Uhr (Zitieren)
"eine humane Welt" - hm, scheint eine ziemlich willkürliche und kaum realitätsfeste Auffassung dahinter zu stecken über das, was womöglich human wäre; erinnert mich irgendwie an das Konzept eines "humanen Strafvollzugs"und "humane Hinrichtungsmethoden".