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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Aeneis gewürfelt (618 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 22.07.2012 um 23:03 Uhr (Zitieren)
Noch eine Frage zu Balzacs "Ursule Mirouet":
"Die Welt", hat Diderot gesagt, "ist, als ein Ergebnis des Zufalls, erklärbarer als Gott. Die Vielheit der Ursachen und die unmeßbare Zahl von Würfen, die der Zufall als Voraussetzung hat, erklären die Schöpfung. Man nehme die 'Aeneis' und alle zu ihrer Abfassung erforderlichen Lettern, und wenn mir dann die Zeit und der Raum zugebilligt werden, die Buchstaben zu werfen, so werde ich zur Kombination 'Aeneis' gelangen."

Diese Überlegung hat ja später noch Karriere gemacht (mit Affen, Schreibmaschine & Shakespeares Werken). Weiß jemand, wo das bei Diderot steht?
Re: Aeneis gewürfelt
Φιλομαθής schrieb am 22.07.2012 um 23:46 Uhr (Zitieren)
Den Gedanken greift auch Borges in seiner Erzählung Die Bibliothek von Babel auf. Etwas ähnliches findet sich bei Valéry, ich hatte das schon mal eingestellt:
http://www.albertmartin.de/altgriechisch/forum/?view=2659#6

Dass der Gedanke schon bei Diderot auftaucht, war mir neu, aber mittels Suchmaschine (wunderbares Internet!) ist die Stelle zu ermitteln: er steht in Nr. 21 der Philosophischen Gedanken (Pensées philosophiques, 1746), enthalten in: Diderot, Phil. Schriften I, Aufbau-Vlg. Bln. u. Weimar 1967, S. 11-12. Bei Diderot ist es allerdings nicht die Äneis, sondern die Ilias und die Henriade von Voltaire, die der Würfelwurf entstehen lässt.
Re: Aeneis gewürfelt
διψαλέος schrieb am 22.07.2012 um 23:58 Uhr (Zitieren)
Hat Stanislav Lem nicht mal ein Buch
über noch nicht geschriebene Bücher,
aber in Zukunft geschrieben worden sein,
geschrieben, in dem er eben diese
rezensiert?
Re: Aeneis gewürfelt
Φιλομαθής schrieb am 23.07.2012 um 00:04 Uhr (Zitieren)
Kann ich mir gut vorstellen ...
Re: Aeneis gewürfelt
διψαλέος schrieb am 23.07.2012 um 02:02 Uhr (Zitieren)
Re: Aeneis gewürfelt
Γραικίσκος schrieb am 23.07.2012 um 12:49 Uhr (Zitieren)
Über Lems Buch, insbesondere die darin enthaltene Position seines "Non serviam", haben wir hier schonmal gesprochen:
http://www.albertmartin.de/altgriechisch/forum/?view=1904#21

Danke an Φιλομαθής für die Diderot-Fundstelle!
Re: Aeneis gewürfelt - an Φιλομαθής
Γραικίσκος schrieb am 23.07.2012 um 13:01 Uhr (Zitieren)
An Φιλομαθής:
Ich finde diese Diderot-Stelle bei mir nicht, und da ich die Ausgabe des Aufbau-Verlages nicht habe, suche ich wohl vergeblich.
Wenn es Dir nicht allzuviel ausmacht: Könntest Du diese Passage einscannen und hier einstellen?
Re: Aeneis gewürfelt
filix schrieb am 23.07.2012 um 14:18 Uhr (Zitieren)
http://books.google.at/books?id=hb0tVhngrxYC&pg=PA295

Der Diderot steht in der Fußnote "106". Darüber ein Zitat von Crusius, in welchem in einer von D. problematisierten Argumentation die Aeneis als Beispiel dient.
Re: Aeneis gewürfelt
Φιλομαθής schrieb am 23.07.2012 um 14:32 Uhr (Zitieren)
XXI

Ich schlage die Hefte eines berühmten Professors auf und lese: „Atheisten, ich gestehe euch zu, daß die Bewegung zum Wesen der Materie gehört. Was folgert ihr daraus? ... Daß die Welt aus dem zufälligen Wurf der Atome hervorgeht? Es wäre mir ebenso lieb, wenn ihr sagtet, die Ilias Homers oder die Henriade von Voltaire sei das Ergebnis eines zufälligen Wurfes von Buchstaben. Ich würde mich hüten, diesen Vernunftschluß gegen einen Atheisten vorzubringen. Ein solcher Vergleich gäbe ihm leichtes Spiel. Nach den aus der Untersuchung des Glücksspiels abgeleiteten Regeln, würde er entgegnen, brauche ich gar nicht überrascht sein, daß etwas eintritt, wenn es möglich ist, | und daß die Seltenheit des Ereignisses durch die Häufigkeit des Wurfes aufgewogen wird. Es gibt eine bestimmte Anzahl von Würfen, bei deren Zulassung ich zu meinem Vorteil wetten könnte, irgendeinmal mit hunderttausend Würfeln gleichzeitig hunderttausend Sechsen zu werfen. Wie groß auch die endliche Summe der Buchstaben sein mag, mit der ich, wie vorgeschlagen, die Ilias durch Zufall erschaffen soll, es gibt jedenfalls eine bestimmte endliche Summe von Würfen, die den Vorschlag vorteilhaft für mich machen würde. Mein Vorteil würde sogar unendlich sein, wenn die erlaubte Anzahl von Würfen unendlich wäre. Bitte, wird der andere fortfahren, geben Sie doch zu, daß die Materie seit aller Ewigkeit existiert und die Bewegung zu ihrem Wesen gehört. Um Ihr Entgegenkommen zu erwidern, will ich nun mit Ihnen annehmen, daß die Welt keine Grenzen hat, daß die Menge der Atome unendlich war und daß jene Ordnung, die Sie in Erstaunen setzt, sich nirgendwo verleugnet; dann ergibt sich aus diesen gegenseitigen Zugeständnissen doch nichts anderes, als daß die Möglichkeit, die Welt zufällig hervorzubringen, zwar sehr gering, die Menge der Würfe aber unendlich ist, das heißt, daß die Seltenheit des Ereignisses durch die Häufigkeit des Wurfes mehr als nötig aufgewogen wird. Kurz: wenn irgend etwas der Vernunft widerstreben muß, so ist es die Annahme, daß die Materie, obwohl sie seit aller Ewigkeit in Bewegung war und obwohl in der unendlichen Summe der möglichen Verbindungen vielleicht eine unendliche Zahl wunderbarer Anordnungen enthalten war, keine einzige dieser wunderbaren Anordnungen erfahren haben sollte – trotz der unendlichen Menge der Anordnungen, die sie nacheinander angenommen hat. Die vermutliche Dauer des Chaos ist für den menschlichen Geist also weit erstaunlicher als die reale Entstehung der Welt.

Diderot a. a. O. Übers. Theodor Lücke

Jedoch, alles Gescheite ist schon gedacht worden ...

93. Soll ich mich nun hier nicht wundern, daß es jemanden gibt, der sich einredet, eine Art von festen und unteilbaren Körpern bewege sich infolge ihrer Schwerkraft (durch den Weltraum) und unsre so wunderbar ausgestattete und herrliche Welt entstehe aus dem zufälligen Zusammentreffen dieser Körper? Wer glaubt, daß das geschehen konnte, von dem Mann kann ich nicht begreifen, warum er sich nicht auch einbildet, wenn man die Formen der einundzwanzig Buchstaben, aus Gold oder sonst einem Material, irgendwo zusammenwürfe, könnten sich aus ihnen, wenn man sie auf den Erdboden schüttete, die ›Annalen‹ des Ennius so bilden, daß man sie der Reihe nach lesen könnte; dabei dürfte der blinde Zufall wahrscheinlich auch nicht bei einem einzigen Vers so viel fertigbringen können! 94. Wie können aber diese Epikureer so zuversichtlich behaupten, daß aus den Atomen, die weder Farbe noch sonst eine Eigenschaft – die die Griechen als poiótes bezeichnen – und auch kein Empfindungsvermögen besitzen, sondern blindlings und zufällig aufeinanderstoßen, das Weltall entstanden sei, oder vielmehr daß in jedem Augenblick unzählige Welten teils entständen, teils vergingen: denn wenn das Aufeinandertreffen der Atome eine Welt hervorbringen kann, warum dann nicht auch eine Säulenhalle, einen Tempel, ein Haus oder eine Stadt, Schöpfungen, die doch viel weniger Mühe bereiten und bestimmt viel bequemer herzustellen sind. Jedenfalls reden sie über das Weltall so unüberlegt ins Blaue hinein, daß es wenigstens mir so vorkommt, als hätten sie noch niemals zu der staunenerregenden Pracht des Himmels – das ist der Punkt, zu dem wir gleich kommen werden – aufgeblickt.

Cicero, De natura deorum 2, 93 f. Übers. Wolfgang Gerlach und Karl Bayer

Man hatte aus dieser Stelle übrigens geschlossen, dass die Römer bereits bewegliche Lettern gehabt und kurz vor Erfindung des Buchdrucks gestanden hätten, aber es handelt sich bei den Metallbuchstaben wohl eher um ein Lernmaterial für Kinder.
Re: Aeneis gewürfelt
Γραικίσκος schrieb am 23.07.2012 um 15:02 Uhr (Zitieren)
Das ist es doch! Herzlichen Dank! Und sieh an, schon bei Cicero.
Gedankt sei auch Balzac, durch den wir unser Wissen um die Geschichte dieses originellen Gedankens erweitern konnten.
Re: Aeneis gewürfelt
Γραικίσκος schrieb am 23.07.2012 um 15:52 Uhr (Zitieren)
Da ich Cicero selten im Verdacht origineller Gedanken habe, frage ich mich, ob er das Argument nicht irgendeinem, vermutlich griechischen Kritiker des Materalismus entnommen hat, dessen Werk wir heute nicht mehr kennen.
Re: Aeneis gewürfelt
Φιλομαθής schrieb am 23.07.2012 um 19:46 Uhr (Zitieren)
Hier

http://archive.org/stream/denaturadeorumli02cice#page/208/mode/1up

wird zur Stelle (innumerabiles - formae litterarum) bei Aristoteles (Vom Werden und Vergehen 1, 2) ein Bezug gefunden, welcher schreibt, dass Tragödien und Komödien mit denselben Buchstaben geschaffen werden. Das ist aber doch etwas anderes. Vielleicht kann man Cicero diesen Gedanken lassen.
 
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