Aberglaube wird durch Irrlehre ersetzt. Kann man dennoch von Fortschritt sprechen?
Re: Auch eine Art Aufklärung
Γραικίσκος schrieb am 25.07.2012 um 08:41 Uhr (Zitieren)
Ist das nicht: einen volkstümlichen durch einen gebildeten (oft: angelesenen) Irrtum ersetzen? Ihres eigenen Verstandes haben sie sich nicht bedient, und ihre Begründung ist weder logisch noch experimentell, sondern auf die Autorität der "Alten" bezogen.
Re: Auch eine Art Aufklärung
Φιλομαθής schrieb am 26.07.2012 um 00:02 Uhr (Zitieren)
Worauf ich hinauswollte: Ist Wissenschaftlichkeit ein Wert an sich? Die erwähnten Gebildeteren sehen jene Schlange nicht mehr als Numinosum, sondern führen ihr Erscheinen auf eine irdische (natürliche) Ursache zurück.
Wir wissen, dass sie in ihrer auf Naturbeobachtung beruhenden Auffassung (der Hinweis auf den Heroen-/Schlangenglauben der Alten, scheint mir eher ein Kommentar Plutarchs zu sein als den Ausführungen der Gelehrten zuzugehören) ebenso fehlgehen wie die abergläubischen Menschen.
Wissenschaft hat das Problem, dass die Zeit ihre Errungenschaften in vielen Fällen als überholt, sprich als grundsätzlichen Irrtum erweist (trotz Experiment, trotz Gebrauch des eigenen Verstands), und zwar weil der Wissenschaftler seine Forschung auf eine Basis stellen muss, die er ungeprüft (als Selbstverständlichkeit) voraussetzt (glaubt) oder übernimmt.
Wissenschaftliche Skepsis kann (im Gegensatz zur religiösen Weltsicht) den Glauben als Erkenntnisgrund nicht anerkennen und muss ihn doch hinnehmen. Aber: Sie bleibt (auch im Gegensatz zur Religion) dadurch stets revidierbar.
Ist also Wissenschaft selbst schon ein Wert, obwohl, was sie hervorbringt vom Zweifel geprägt ist, oder ist nur die wissenschaftliche Erkenntnis ein Wert, die für eine Wahrheit gehalten werden kann (wenngleich unter dem Vorbehalt, dass sie eine Wahrheit auf Zeit sein mag)?
Re: Auch eine Art Aufklärung
Γραικίσκος schrieb am 26.07.2012 um 11:29 Uhr (Zitieren)
Wenn wir den Hinweis auf 'die Alten' als Zusatz Plutarchs ansehen, dann müßte die der Aussage zugrundeliegende Beobachtung die der Urzeugung (generatio aequivoca) sein, d.h. die Beobachtung, daß aus (scheinbar) Unbelebtem Lebewesen entstehen - was heute als wissenschaftlich unhaltbar gilt. Diese Beobachtung mündet in einen Trugschluß: Weil wir (ohne Mikroskop) keine lebendige Ursache für das Entstehen von Lebewesen beobachten können, halten wir sie für nicht existent; also entsteht Lebendiges aus Leblosem. Wenn ich dies so richtig interpetiere, dann liegen die Probleme nicht in der Beobachtung als solcher, sondern (1) in der Grenze des Beobachtbaren und (2) in möglicherweise falschen Schlußfolgerungen aus Beobachtungen.
Deswegen muß Wissenschaft offen sein für (1) eine Verschiebung der Beobachtungsgrenze, z.B. durch neue Geräte, (2) eine Korrektur von falschen Schlußfolgerungen.
Wegen der darin implizierten Offenheit für Korrekturen halte ich Wissenschaft - wenn sie so betrieben wird - für aufgeklärter als religiöse Weltsichten, die starrer, geschlossener in ihrem Weltbild sind - zumal sie sich meist auf prinzipiell nicht Beobachtbares beziehen.
Da schwerlich alle Religionen gleichermaßen wahr sein können (sofern sie einander widersprechen: hat Gott einen Sohn oder nicht? usf.), vermisse ich bei Religionen Kriterien zur Überprüfung ihrer Wahrheitsansprüche (Kriterien, wie die Wissenschaft sie entwickelt und verfeinert).
Es sei denn, man faßt religiöse Ansichten radikal anders auf: nämlich als Aussagen, die prinzipiell nicht zum Bereich des Wahr-falsch-Spiels gehören, sondern symbolische Bedeutung im Rahmen der Entscheidung für eine Lebensform haben. Man müßte dann freilich konsequent auf Wahrheitsansprüche für religiöse Aussagen verzichten. Dieser Verzicht wäre vermutlich auch eine gute Grundlage für die Toleranz zwischen Religionen.