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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Jüdischer Optimismus vs. antike Weisheit (596 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 28.07.2012 um 15:33 Uhr (Zitieren)
Leo Baeck
(1873-1956)

DAS WESEN DES JUDENTUMS
(4. Aufl. 1925)

[...] Das Gute bezeichnet das Bejahende, das Fordernde in der Welt. Es ist das Unbedingte, weil es immer und überall seine Geltung hat, es ist das Allgemeine, weil es von jedem verwirklicht werden soll, und es ist darum das wahrhaft Wirkliche, die Bedeutung der Welt. Der Glaube an den Sinn von allem kann nur der Glaube an das Gute sein. Es gibt nur einen ganzen, geschlossenen Optimismus, den ethischen.
Der Ursprung dieses Guten, dieses Sittlichen kann nicht in dem endlichen, begrenzten Menschen gefunden werden; es erfordert seinen unbedingten, absoluten Grund, welcher der Grund von allem ist, wie sein Sinn der Sinn von allem ist. Sein Grund kann daher allein in dem einen Gotte sein, aus dessen Wesen das Gesetz des Sittlichen folgt. In ihm hat dieses seine Bürgschaft, die Gewißheit für seine ewige Wirklichkeit. Und das Gute wird so aus dem Ursprung alles Daseins hervorgeführt; sein forderndes, zurufendes Gesetz steigt nun aus jener Tiefe hervor, in der das Geheimnis befaßt ist. Die Welt, in deren Leben das Dasein des Menschen hineingestellt ist, und deren Leben und deren Sinn er erlebt, hat beides, ihre Verborgenheit und ihre Bestimmtheit, ihr Schaffendes und ihr Gebotenes, das Ewige und das Sittliche, und in dem einen Gotte ist beides eines. Er ist der Schluß für alle Klarheit und die Antwort auf alles Rätsel. Der Bund zwischen Geheimnis und Gebot ist in diesem Grunde und diesem Sinne der Welt, aus dem alles Dasein und alle Bedeutung hervorkommen, geschlossen. Ihre Einheit wird begriffen: das Geheimnis gehört zum Gebote und das Gebot zum Geheimnis. Das Gute ist Gottes und ist des Menschen, von Gott vor den Menschen hingestellt; es ist das Wirkliche, und dem Menschen ist gegeben, daß er es verwirkliche. Die Klarheit wird ganze Gewißheit, weil sie aus dem Grunde des Verborgenen hervorwächst. So besteht nur ein Optimismus, der alles befaßt, der, welcher auf dem einen Gotte beruht, der ethische Monotheismus. Es ist daher nur innere Folgerichtigkeit, wenn die Religion des konsequenten Pessimismus, die buddhistische, eine Religion ohne Gott zu sein vermag, und wenn dann auch das Sittliche in ihr nicht eine Bedeutung des Lebens, sondern nur etwas ist, was der Mensch tut oder nicht tut, ohne daß es seinem Dasein ein Entscheidendes gäbe oder nähme.
Die Eigenart des Judentums, die es besitzt und die es der Menschheit gegeben hat, gründet sich darauf, daß es die Religion dieser sittlichen Bejahung der Welt, die Religion des sittlichen Optimismus ist. Dieser Optimismus ist alles eher als die selbstzufriedene Gleichgültigkeit dessen, der erklärt, daß die Welt gut sei, deshalb, weil es ihm selber in ihr gut ergeht, alles eher als das gedankenlose Spiel, das die Leiden leugnet oder hinwegdeutet und die beste aller Welten lobt – la rage de soutenir que tout est bien quand on est mal. Auf diesem oberflächlichen Wege kann kein religiöser Mensch Optimist sein. Nichts liegt denn auch der israelitischen Religion mehr fern. Sie weiß vom Leben zu viel, als daß sie seine Not und Qual nicht Not und Qual nennen sollte. Häufiger und bewegter als ein Ruf der Freude am Dasein wird in ihr die Klage erhoben, daß diese unsere Welt eine Stätte des Elends und der Bedrängnis sei, daß alles Erdenwallen schließlich nur sein Armutsglück habe. „Die Tage unserer Jahre – ihrer sind siebzig Jahre und, wenn es hoch kommt, achtzig Jahre, und ihr Gepränge ist Mühsal und Nichtigkeit“. So sagt es das Gebet Moses, des Gottesmannes, und die ganze Bibel läßt es so widerklingen. Sie ist ein Buch von Seufzern und Tränen, von Sorgen und Kummer, ein Buch von seelischem Druck und Gewissenspein. All die Leiden des Menschen erheben in ihr und dann in den Liedern nach ihr, die das Judentum Jahrhundert um Jahrhundert gesungen hat, ihre Stimme. Und deutlich vernehmbar ist hier der die Welt verachtende, fast möchte man sagen, pessimistische Ton auch, wie er aus allem Ernst und darum auch aus allem Optimismus so oft spricht, in ihm wie ein dunkler Unterton mitschwingt.
Er klingt hier besonders mit in der seelischen Bewegtheit, die um die Niedrigkeit des Niedrigen und die Verworfenheit des Verworfenen erfährt, in dem Gefühl, das verletzt ist von der Macht des Irdischen und Gemeinen, von dem Zwiespalt, der die Welt entzweit, in dem auf das alles antwortenden Willen, sich abzuwenden von dem Schlechten und dem Bösen, das die Länder der Erde erfüllen will. Jedes lebendige sittliche Empfinden, dieses Empfinden für das, was wahrhaft wirklich ist, bekundet sich so. Es wird immer wieder zum Widerspruch und zur Anklage gegen das, was nur herrschen will, zur Leugnung dessen, was bloß gelten soll, es ruft sein lautes Nein heraus. Es muß verneinen, um bejahen zu können; es muß herabblicken und zu verwerfen imstande sein, um dessen immer gewiß zu bleiben, was das Hohe und aufwärts Gerichtete ist. Der Optimismus, der um das Ideal weiß, wird von den Tatsachen pessimistisch denken. Gegenüber der Größe der Bestimmung wird das Kleine immer noch kleiner. Es gibt ja auch keine ausharrende Güte ohne die Gabe, gering zu schätzen, keine wahre Menschenliebe ohne diese Fähigkeit der Menschenverachtung. Und das Eigentümliche des Judentums, sein Optimismus, ist, daß es trotz allem gegenüber dieser Welt, in der das Schlechte sich weitet, nicht resigniert noch ihr gegenüber gleichgültig wird. Sein Ideal ist nicht jener antike Weise, der, seiner Weisheit und ihrer Ruhe froh, durch all das Treiben und Drängen nicht mehr bewegt wird. Hierin war das Judentum inmitten der alten Zeit so unantik, in seinem Lebenswillen und seinem Charakter so unterschieden von dem, was in Hellas wie in Indien vor den Menschen stand. Es tritt der Welt gegenüber mit dem Willen, sie umzuwandeln, mit dem Gebote, in ihr das Gute zu verwirklichen und zu gestalten, mit der Zuversicht, die dem kommenden Tage entgegengeht, weil sie ihn fordert. Der antike Weise kennt nur seinen Platz, seine Glückeszufriedenheit; das Wort des Judentums ist das vom Wege und von der Umkehr, sein Ruf ist: „Bahnet den Weg!“ Auf das Ziel der Welt leistet es niemals Verzicht, weil es an seinem Gotte, der den Zug dorthin gebietet, nicht zweifelt. Sein Optimismus ist die Stärke des sittlichen Willens.
Um dessentwillen wird der Optimismus des Judentums zu jenem Pessimismus gegenüber der „Welt“, zur Verachtung des Erfolges, zum Spruch gegen das Breite und sich Dehnende. Er stellt die Wahrheit und ihre Wirklichkeit dem, was gelingt, entgegen. In ihm ist darum die Kraft des Tragischen, die aufrechte Sicherheit des kämpfenden Menschen, der, weil er die Zukunft anzurufen vermag, im Unterliegen triumphiert, diese tragische Kraft, die dem Willen zur letzten Antwort und zum endlichen Siege, dem Willen zum kommenden Tage innewohnt. [...]

[Quelle: Leo Baeck, Das Wesen des Judentums. Wiesbaden 6. Aufl. o.J., S. 86-89]
Re: Jüdischer Optimismus vs. antike Weisheit
Γραικίσκος schrieb am 30.07.2012 um 17:32 Uhr (Zitieren)
Interessant: ein ethischer Optimismus, keiner hinsichtlich der Tatsachen dieser Welt. Davon bräuchte Leo Baeck nach dem III. Reich nichts zurückzunehmen.
 
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