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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Griechische und christliche Liebe (606 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 10.09.2012 um 21:31 Uhr (Zitieren)
Balzac schreibt in seinem Roman "Die 'Fischerin im Trüben'":
Im Jahre 1816 sah die Fischerin im Trüben [Flore] Maxence Gilet und verliebte sich auf den ersten Blick in ihn. Ihr Herz durchbohrte jener mythologische Pfeil, ein wunderbarer Ausdruck für eine natürliche Wirkung, die die Griechen gar nicht anders darstellen konnten, da sie ja von der ritterlichen, idealen und melancholischen Liebe, die das Christentum mit sich gebracht hat, nichts wußten.
Re: Griechische und christliche Liebe
διψαλέος schrieb am 10.09.2012 um 21:54 Uhr (Zitieren)
da sie ja von der ritterlichen, idealen und melancholischen Liebe, die das Christentum mit sich gebracht hat,


"ritterliche, ideale, melancholische Liebe" ist eine Erfindung der mittelalterlichen Minnesänger...

als Folge der "Ritterorden" (Mönch [Verpflichtung zum Zölibat] und Krieger [Verpflichtung, auch mit Gewalt das Christentum zu verbreiten], gab es übrigens in Ostasien auch)

Balzac schrieb so manchen, für uns Heutige anmutenden, Blödsinn.

(Das soll seine Gesamtleistung nicht schmälern.)
Re: Griechische und christliche Liebe
διψαλέος schrieb am 10.09.2012 um 22:00 Uhr (Zitieren)
Ich habe mich mal an der "La Comédie humaine" versucht
(natürlich in einer adäquaten Übersetzung,
mein Franz. ist noch viel miserabler als mein Griech.),
einiges hat mir gefallen, aber vieles blieb mir einfach fremd.
Vielleicht bin ich einfach zu sehr "Westfale"
und kein "Rheinländer", die den Empfindungen
der gallischen Vettern ja näher stehen sollen...
B-)
Re: Griechische und christliche Liebe
Γραικίσκος schrieb am 11.09.2012 um 16:37 Uhr (Zitieren)
Hat das ritterliche Ideal der Liebe (oder das Ideal der ritterlichen Liebe) nicht doch einen christlichen Hintergrund?
Re: Griechische und christliche Liebe
Φιλομαθής schrieb am 11.09.2012 um 17:23 Uhr (Zitieren)
Gewiss: was in christlicher Marienverehrung an Empfindungen eingeübt worden war, dürfte hier auf ein irdisches Liebesobjekt umgelenkt worden sein.

Auch sind nicht die deutschen Minnesänger "Erfinder" der ritterlichen Liebe, sondern übernahmen diese Vorstellungen von den provençalischen Troubadours. (Was die Minnesänger betrifft, die als Ordensritter bekannt geworden sind, dürfte Oswald von Wolkenstein eher die späte Ausnahme als die Regel bilden - die zudem nicht zölibatär lebte.)

Schließlich sollte man die Ironie in Balzacs Bemerkung nicht überlesen, die wohl vor allem das Erschrecken der jungen Frau über die völlige Andersartigkeit der wirklichen gegenüber der erträumten und durch die zeitgenössische Literatur vermittelten Liebe, ausdrücken, weniger eine soziologisch-historische Analyse bilden will.
Re: Griechische und christliche Liebe
Γραικίσκος schrieb am 11.09.2012 um 17:27 Uhr (Zitieren)
Als sehr nachdenkenswert empfinde ich, wie Balzac die melancholische Liebe als "Kind" des Christentums einflicht: weil sie aus moralischen Gründen verzichten muß?
Re: Griechische und christliche Liebe
Γραικίσκος schrieb am 11.09.2012 um 17:30 Uhr (Zitieren)
Paris verzichtet eben nicht - Gastrecht hin, Ehebruch her. Und doch erscheint er nicht als "Sünder", sondern als Opfer göttlicher Manipulationen.
Re: Griechische und christliche Liebe
Φιλομαθής schrieb am 11.09.2012 um 17:44 Uhr (Zitieren)
Die aus dem Christentum erwachsene Liebe wird hier als Erweiterung des menschlichen Gefühlslebens gezeigt: nicht, dass sie verzichten muss, sondern dass sie in der Sehnsucht ihr Genügen hat, macht ihr Wesen aus. Die Melancholie wird hier (ganz im Geiste der Romantik) als positives Gefühl gezeigt (nicht als die Todsünde, die die Acedia nach christlicher Auffassung ist). Man vergleiche damit die stets als Schmerz dargestellte Empfindung der Sehnsucht und des Verlangens bei antiken Dichtern.
Re: Griechische und christliche Liebe
Γραικίσκος schrieb am 11.09.2012 um 17:47 Uhr (Zitieren)
Warum bringt Balzac dann die melancholische Liebe mit dem Christentum in Verbindung, wenn er sie romantisch, d.h. positiv, konnotiert?
Re: Griechische und christliche Liebe
Φιλομαθής schrieb am 11.09.2012 um 18:17 Uhr (Zitieren)
Nun, die Romantik ist christlich. Selbst, wo Religion und Liebe in tragischen Konflikt zueinander geraten, sieht der Romantiker das Neue der Empfindung als Bereicherung, die erst dem Christentum zu verdanken ist, wie z. B. Chateaubriand in seinem Geist des Christentums:
Die Stimme Héloïsens ist kräftiger [als die der Julie Rousseaus]. Als Abaelards Weib lebt sie und für Gott; ihr Unglück war ebenso unvorhergesehen wie schrecklich. ... Die Religion und die Liebe üben zu gleicher Zeit ihre Herrschaft über ihr Herz; es ist die empörte Natur, die in ihrem vollen Leben von der Gnade ergriffen wird und sich vergeblich in den Umarmungen des Himmels abkämpft. Man gebe Héloïse Racine zum Dolmetscher, und das Gemälde ihrer Leiden wird tausendmal das Bild von Didos Unglück auslöschen ... durch ein gewisses unbeschreibliches Schauerliches, welches das Christentum den Gegenständen aufdrückt, worein es seine Größe mischt. ... Unmöglich hätte das Altertum eine ähnliche Szene hervorbringen können, denn es hatte keine ähnliche Religion.
Re: Griechische und christliche Liebe
Γραικίσκος schrieb am 11.09.2012 um 18:43 Uhr (Zitieren)
Mit dieser Erklärung verstehe ich es.
Re: Griechische und christliche Liebe
ανδρέας schrieb am 11.09.2012 um 18:53 Uhr (Zitieren)

Das Verhältnis von Religion und Liebe in der christlichen Kultur lässt sich auch mit Karl Valentin zusammenfassen: "Mögen tät ich schon wollen, aber dürfen habe ich mich nicht getraut".
 
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