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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Das Zeitalter des Narzißmus (715 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 29.11.2012 um 20:52 Uhr (Zitieren)
[...] Der Kauf bestimmter Kleidungsgegenstände ist, wie früher die Lektüre eines bestimmten Schriftstellers, eine Form der Weltanschauung geworden. In dem, was ich kaufe, drückt sich aus, was ich denke, beziehungsweise: In dem, was ich kaufe, drückt sich aus, was die Leute denken sollen, was ich kaufe. Deswegen ist es auch üblich, die schönen Joop!-Tüten noch wochenlang zum Transportieren von ausgeliehenen Büchern aus der Unibibliothek oder beim Umzug zu benutzen, wenn möglichst viele Umzugshelfer sehen, welche Geistes Kind wir sind. Es ist wahnsinnig, aber wir glauben das wirklich: daß wir mit den richtigen Marken unsere Klasse demonstrieren. Wichtig ist, schon beim Einkaufen Coolness zu zeigen. Sehr dankbar waren wir über die Einführung der Kreditkarte, die es uns ermöglichte, jederzeit mehr zu kaufen, als wir eigentlich bezahlen konnten. Dennoch zitierten wir im Geiste American Express, sagten: „Bezahlen wir einfach mit unserem guten Namen“, und meinten es tatsächlich ein bißchen ernst. Auch sah ich viele junge Frauen in teuren Boutiquen ihre Plastikkarte auf den Tresen knallen, weil sie wußten, wie gut es aussieht, wenn die Frau in dem Werbespot die Visakarte aus ihrem schwarzen Badeanzug zieht, auf den Tisch knallt, und dazu spielt die Musik „Die Freiheit nehm‘ ich mir“. Die Freiheit nehm‘ ich mir – das ist als Spruch für unsere Generation mindestens genauso wichtig wie das „Weil ich es mir wert bin“, mit dem Oliver Bierhoff sein Shampoo anpreist. Hauptsache, so sagen diese Sprüche, mir geht es gut. Oder auch: Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht. Und wenn es mir schlecht geht, muß ich mir selber helfen, schließlich bildet inzwischen jeder, wie die Brigitte schrieb, eine Ich-AG. [...] Wir alle glauben, daß kein anderer uns je wirklich verstehen kann. Und wir uns deshalb um so mehr um unser eigenes Seelenheil kümmern müssen. Um die Minenopfer in der dritten Welt kümmerte sich ja Lady Diana, und die Obdachlosen versorgt die Caritas. Die AG Hochschulforschung nennt es dann so: „Westdeutsche Studierende sind gegenüber sozialer Ungerechtigkeit unsensibler geworden. Konkurrenz ist ihnen wichtiger, Solidarität nahezu ein Fremdwort geworden.“ [...] Und wenn Robert Lembke käme und zu uns spräche: „Machen Sie eine typische Handbewegung“, dann würden wir [...] mit der Hand unser Haar glattstreichen, als kontrollierten wir uns gerade im Spiegel. [...]

[Quelle: Florian Illies, Generation Golf. Eine Inspektion. Frankfurt/Main 3. Aufl. 2001, S. 145-147]
Re: Das Zeitalter des Narzißmus
διψαλέος schrieb am 29.11.2012 um 20:59 Uhr (Zitieren)
Einspruch!

Kleidung war zu allen Zeiten stets ein Statussymbol!

Das ist also kein Zeichen unserer Zeit.
Re: Das Zeitalter des Narzißmus
Γραικίσκος schrieb am 29.11.2012 um 21:12 Uhr (Zitieren)
Wenn man es genau liest: das Moderne besteht darin, daß wir diese Statussymbole mit durch Werbung popularisierten Marken demonstrieren. Es gibt kein antikes Gegenstück zu Joop!, oder?
Re: Das Zeitalter des Narzißmus
filix schrieb am 29.11.2012 um 21:35 Uhr (Zitieren)
Es gab durchaus Vorläufer von Marken in der Antike, man kennzeichnete entsprechend Handwerksprodukte bestimmter Hersteller oder assoziierte bestimme Produktqualitäten mit Regionalbezeichnungen, die wohl auch als Statussymbole fungiert haben (Trimalchio streicht doch hervor, dass er den echten hundertjährigen Falerner - Markenfälschung war schon einmal Thema hier - sich leisten kann und kredenzt: "verum Opimianum praesto") - die These ist ja eine andere: wir oder besser gesagt ein gewisser Anteil der Menschheit vegetiert in einer Epoche, in der ganze Lebensstile über den Konsum bestimmter Markenartikel quasi halluzinatorisch erlebt werden, nicht bloß als Statussymbol nach außen wirken: wer kein Weltstar ist, keine Villa am Comer See besitzt und keine Supermodels mit dem Schnellboot in die sinkende Sonne chauffieren kann, der, so suggeriert die Marketingabteilung mit gigantischem Aufwand, kann mit der kleinen Tasse voll schwarzen Wassers wenigstens an dieser Art von existentiellem Charisma affektiv teilhaben.
Re: Das Zeitalter des Narzißmus
διψαλέος schrieb am 29.11.2012 um 21:47 Uhr (Zitieren)
Zitat von Γραικίσκος am 29.11.12, 21:12Wenn man es genau liest: das Moderne besteht darin, daß wir diese Statussymbole mit durch Werbung popularisierten Marken demonstrieren. Es gibt kein antikes Gegenstück zu Joop!, oder?

Gewissermaßen doch.
So war Geschirr aus Athener Werkstätten begehrtes Qualitätsprodukt und entsprechend teuer.
So war es auch bei Metallarbeiten (Werkzeuge, Waffen),
oder bestimmte Nahrungsmittel (Fisch, Rindfleisch), die als Luxusgüter galten.
Das rotblonde Haar der Germaninnen war ein Exportschlager und in Rom von den Römerinnen teuer bezahlt.
Produkte wurden "gemarkt", d.h. sie trugen ein entsprechendes Qualitätssiegel,
z.B. Amphoren mit Wein aus bestimmten Anbaugebieten.
Re: Das Zeitalter des Narzißmus
Γραικίσκος schrieb am 29.11.2012 um 21:52 Uhr (Zitieren)
Na gut. Ich gebe mich geschlagen.
Re: Das Zeitalter des Narzißmus
διψαλέος schrieb am 29.11.2012 um 21:57 Uhr (Zitieren)
Und noch was.
Ein Römer, der richtig prunken und protzen wollte, stellte sich eine griechische Statue in den Garten oder ins Atrium.
Und da es ja nur eine begrenzte Anzahl Original-Statuen gab
(daran waren die Römer selbst schuld, sie haben 137 v.Chr. Griechenland in Schutt und Asche gelegt),
wurde fleißig plagisiert, in Billiglohnländern.
B-)
 
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