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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Ich hoffe, dass du stirbst ... (1016 Aufrufe)
ανδρέας schrieb am 15.01.2013 um 23:00 Uhr (Zitieren)

... und in einem Sarg aus einer tausendjährigen Eiche begraben wirst, die morgen gepflanzt wird.


Diese Glückwunschkarte wurde auf einem Geburtstag lachend gelesen.

Hätte Aristoteles dies als - τα αστεια- verstanden?
Heute sagt man vielleicht Pointe.
Oder sustentio?

Welches Stilmittel ist das?
Re: Ich hoffe, dass du stirbst ...
Φιλομαθἠς schrieb am 16.01.2013 um 00:01 Uhr (Zitieren)
Quintilian nennt diese Art Scherz 'genus decipiendi opinionem' (Inst. 6, 3, 84).
Re: Ich hoffe, dass du stirbst ...
filix schrieb am 16.01.2013 um 12:55 Uhr (Zitieren)
Das Eigentümliche ist hierbei doch die Umkehr des Schemas einer sustentio, eines inopinatum oder genus decipiendi opinionem: es beginnt mit dem Unerwarteten - jemandem zum Geburtstag den Tod wünschen - und schafft relief durch das pointiert formulierte Erwartete: am Ende wird für das Geburtstagskind - ganz der Konvention entsprechend - ein langes Leben erhofft.
Re: Ich hoffe, dass du stirbst ...
Φιλομαθἠς schrieb am 16.01.2013 um 13:38 Uhr (Zitieren)
Stimmt. Und das Gelächter wird dadurch um so sicherer ausgelöst, dass es sich weniger als Reaktion auf die Pointe äußert, sich in ihm vielmehr zuerst die Anspannung nach dem erwarteten Eklat entlädt.
Re: Ich hoffe, dass du stirbst ...
Γραικίσκος schrieb am 16.01.2013 um 14:45 Uhr (Zitieren)
Dennoch meine ich, daß die Pointe auch in diesem Falle auf einer enttäuschten Erwartung beruht - nur daß es hier eine Provokation ist, die der Anfang erwarten läßt.
Soweit ich weiß, ist der Begriff "Enttäuschung" wertneutral zu verstehen: als Aufhebung einer Täuschung, gleich ob die Täuschung in einer Hoffnung oder einer Befürchtung besteht.
Re: Ich hoffe, dass du stirbst ...
Γραικίσκος schrieb am 16.01.2013 um 14:59 Uhr (Zitieren)
Ich meine: so oder so, die Zuhörer werden in die Irre geführt.
Aber das ist wohl Konsens hier.
Re: Ich hoffe, dass du stirbst ...
filix schrieb am 16.01.2013 um 15:56 Uhr (Zitieren)
Man kann das natürlich in pragmatischer Perspektive unter Berücksichtigung kontextueller Aspekte als Kette von Erwartungen und Enttäuschungen darstellen: X ist auf einer Geburtstagsfeier, er bekommt eventuell in Verbindung mit einem Geschenk eine Karte. Ehe X noch lesen kann, was darauf steht, hegt X schon die mehr oder minder diffuse Erwartung #1, dass es sich um einen Glückwunsch handelt. X liest nun , dass man auf sein Sterben hofft und wird in Erwartung #1 enttäuscht. Der Satz ist allerdings noch nicht zu Ende, verstärkt durch das Öffnenmüssen der Karte, um zum Weiteren gelangen (das der Thread imitiert), und die Annahme, dass die Szene selbst, sekundiert von den schelmischen Blicken der Überreicher der Karte und dgl. , auf einen weiteren turn angelegt ist, entwickelt sich eine Erwartung #2, die die unterschwellige Brüskierung suspendiert. Diese wird nun eigentlich nicht enttäuscht, denn es kommt ja tatsächlich die Wendung und sie führt zur Erwartung #1 zurück, die jetzt ebenfalls erfüllt wird: der (von der Brüskierung und dem Eklat erlösende) Wunsch auf ein langes Leben geht über diesen Umweg als eigentliche Botschaft hervor. So oder so bleibt der Unterschied zum üblichen Schema der sustentio, eines inopinatum oder genus decipiendi opinionem bestehen: bei diesen gipfelt die Mitteilung doch stets im Unerwarteten als der eigentlichen Botschaft, nicht in der Mitteilung des Erwarteten über das Unerwartete.

Re: Ich hoffe, dass du stirbst ...
ανδρέας schrieb am 16.01.2013 um 19:41 Uhr (Zitieren)
Danke für eure Meinungen.
Ich denke auch, dass man es am besten mit genus decipiendi opinionem beschreibt - aber gab es hier auch griechische Vorbilder bzw. Ausdrücke?
Aristoteles beschreibt es in seiner Rhetorik nicht oder?
Re: Ich hoffe, dass du stirbst ...
Φιλομαθἠς schrieb am 16.01.2013 um 21:52 Uhr (Zitieren)
Soweit ich sehe, nicht.

.

Zitat von filix am 16.1.13, 15:56So oder so bleibt der Unterschied zum üblichen Schema der sustentio, eines inopinatum oder genus decipiendi opinionem bestehen: bei diesen gipfelt die Mitteilung doch stets im Unerwarteten als der eigentlichen Botschaft, nicht in der Mitteilung des Erwarteten über das Unerwartete.


Bei einer rein immanenten Betrachtung des Glückwunsch-Textes kann man wohl schon von getäuschter Erwartung sprechen. Denn nach der Eröffnung erwartet man ja weitere Verfluchungen und Hassreden. Dies natürlich im Rahmen des Spielcharakters der Todesverwünschung, über den bei den Beteiligten wohl kein Zweifel besteht (denn sonst würde man den 'Gratulanten' kaum zu Ende reden lassen). Die Aufhebung der Täuschung, wenn der scheinbare Schmähredner sich als wirklicher Gratulant entpuppt, also die Aufhebung des Spiels selbst, ist eben auch ein inopinatum.
Re: Ich hoffe, dass du stirbst ...
ανδρέας schrieb am 16.01.2013 um 22:34 Uhr (Zitieren)
Ja, Φιλομαθἠς, etwas Unvermutetes, so wie das Leben (und sein Verlauf), das man bei Geburtstagen feiert.
Der Spruch beschreibt das Leben insofern noch auf einer weiteren Ebene.

Mein waches Dasein werde ich nun beenden.

Gute Nacht!


Re: Ich hoffe, dass du stirbst ...
filix schrieb am 16.01.2013 um 22:44 Uhr (Zitieren)
kann man wohl schon von getäuschter Erwartung sprechen.


Kann man, aber sie fällt mit der erleichternden Erfüllung der anfänglichen Erwartung zusammen, konventionell beglückwünscht zu werden. Dieser letzte Schritt macht m.E. den Unterschied aus zu denjenigen Formen aus, die in dieser Irritation aufgehen. Man nehme ein einfaches Beispiel aus der Quintilianstelle (die anderen, raffinierteren Beispiele die über absichtliches Missverstehen laufen, das einen überraschenden Anschluss nach sich zieht, einmal außen vor): "ut illud Afri: 'homo in agendis causis optime - vestitus'" i.e. "Der Mann ist für einen Prozess hervorragend ... angezogen." oder meinethalben das in Wikipedia unter "sustentio" aufgeführte, aus einem Rhetoriklehrbuch 'geborgte': "Selbsterkenntnis ist der beste/erste Weg zur ... Verstellung." D.h. die konventionelle Ersterwartung wird nicht mehr befriedigt, die Pointe geht auf die Brechung aus und verlöre durch die Zurücknahme völlig. Anders bei der Glückwunschkarte - hier wird gerade die Zurücknahme ins Konventionelle zum springenden Punkt, nicht die bloße Enttäuschung der Erwartung weiterer Gehässigkeiten als solche: stünde da z.B. irgendein Nonsens oder eine Werbung für Seife, zwei Zeilen aus einem Gedicht von Ezra Pound, die keinerlei Bezug dazu aufweisen, wäre das auch eine Enttäuschung der Erwartung weiterer Schmähungen, aber es würde nicht denselben Effekt zeitigen, wie das morgen zu pflanzende Eichenbäumchen.

Zur "Hypomone" und Aristoteles:

http://books.google.at/books?id=fm1DbBOt1gwC&pg=PA59#v=onepage&q&f=false
 
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