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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch (2452 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 05.05.2013 um 17:56 Uhr (Zitieren)
Es blieb kein Verschwörer übrig, der nicht auf den Toten (νεκρὸν) einschlug, um damit auch als Mittäter in Erscheinung zu treten, bis Caesar, von fünfunddreißig Wunden getroffen, sein Leben aushauchte (ἀνέπνευσε).

Nikolaos von Damaskus: Das Leben des Kaisers Augustus XXIV (90) über Caesars Tod.
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
filix schrieb am 05.05.2013 um 18:12 Uhr (Zitieren)
Ein seltener(?) Fall von Reduktion in den Quellen: später waren es nur noch dreiundzwanzig Wunden. Interessant, dass Nikolaos auch hier einen Fall von code-switching überliefert: im Tumult des Gemetzels ruft Servilius Casca seinen Bruder auf Griechisch an, worauf dieser sein Schwert in Caesars Seite rammt.
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
Γραικίσκος schrieb am 05.05.2013 um 18:46 Uhr (Zitieren)
In griechischer Sprache, ja. Auch Caesar soll ja - manchen Historikern zufolge - für seine letzten Worte das Griechische gewählt haben; davon berichtet Nikolaos freilich nichts.
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
filix schrieb am 05.05.2013 um 19:22 Uhr (Zitieren)
Ich frage mich, was dieses code-switching in solchen Situationen regelt. In einer (mögliche historische Differenzen in Verhaltensweisen suspendierenden) psychologischen Betrachtung erwartet man eigentlich nicht, dass jemand der gerade mehr oder minder unerwartet ermordet wird, zu einer Zweitsprache/Fremdsprache greift - wohingegen man sich beim Attentäter dies eher vorzustellen vermag, vorzugsweise in Gestalt des zurechtgelegten Zitats (J.W. Booth: "Sic semper tyrannis!") Nero feuert bei Sueton im Vorfeld seines Untergangs auch ein griechisches Zitat nach dem anderen ab, fällt aber, als es dann tatsächlich soweit ist, ins Lat. zurück: "Sero" et: "Haec est fides. Atque in ea voce defecit." D.h. es riecht sehr nach einem literarischen 'Regime', das diese 'Überlieferungen' formt.
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
Γραικίσκος schrieb am 05.05.2013 um 19:29 Uhr (Zitieren)
So auch Sueton, Augustus 99.

Es erscheint auch mir schwer glaubhaft, daß ich in extremis etwas anderes herausbrächte als meine Muttersprache.
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
Γραικίσκος schrieb am 05.05.2013 um 19:45 Uhr (Zitieren)
Cornelius Hartz in seiner Sammlung letzter Worte ("Sehen Sie, so stirbt man also! 55 beste letzte Worte", Darmstadt/Mainz 2012) jeweils eine Wahrheitswahrscheinlichkeit in Prozent an.

Vermutlich ist es besser, letzte Worte nicht als historische Berichte, sondern als spezielle Literaturform aufzufassen.
Manchmal ist es gute Literatur, manchmal zudem schöne Ironie: "Letzte Worte sind für Narren, die noch nicht genug gesagt haben." (Letztes Wort von Karl Marx; Wahrheitswahrscheinlichkeit: 70 %)
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
Γραικίσκος schrieb am 05.05.2013 um 19:46 Uhr (Zitieren)
C.H. gibt ...
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
filix schrieb am 05.05.2013 um 20:21 Uhr (Zitieren)
Gibt es eigentlich nachantike Beispiele (ob nun erfunden oder nicht), die gegen diese Regel in extremis vox intima verstößt?
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
filix schrieb am 05.05.2013 um 20:28 Uhr (Zitieren)
verstößt verstoßen
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
Γραικίσκος schrieb am 05.05.2013 um 20:34 Uhr (Zitieren)
Da muß ich mal nachschauen. Thomas von Aquin: Latein, klar.
In welcher Sprache mag Marlene Dietrich dies gesagt haben: „Wir wollten alles, und wir haben es bekommen, nicht wahr?“

Leider ist in den mir vorliegenden Sammelbänden oft nicht angegeben, in welcher Sprache diese letzten Worte geäußert worden sind; so auch nicht bei der Dietrich.
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
Γραικίσκος schrieb am 05.05.2013 um 20:36 Uhr (Zitieren)
Das
„Sagen Sie ihnen, daß ich ein wundervolles Leben hatte.“

wird Wittgenstein wohl auf Englisch gesagt haben.
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
Γραικίσκος schrieb am 05.05.2013 um 20:40 Uhr (Zitieren)
Heinrich Heine könnte dies französisch gesagt haben: „Gott wird mir verzeihen – das ist sein Metier.“

(Ich schließe das aus der Umgebung, in der sie es gesagt haben, Wittgenstein und Heine; man hätte sie andernfalls nicht verstanden.)
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
Γραικίσκος schrieb am 05.05.2013 um 20:42 Uhr (Zitieren)
(und auch im Falle Marlene Dietrichs)
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
Γραικίσκος schrieb am 05.05.2013 um 20:43 Uhr (Zitieren)
Das sind dann eher die Urlaute, die ich von einem Sterbenden erwarte: „Tod! Ick graule mir nich vor dir!“ (Friedrich Wilhelm I.)
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
filix schrieb am 05.05.2013 um 21:15 Uhr (Zitieren)
Oder Adenauers: "Da jitt et nix zo kriesche!" Danke. (Heine soll es allerdings auf Frz. gesagt haben: http://books.google.de/books?id=ECsPAQAAIAAJ&pg=PA453&dq="Dieu+me+pardonnera")

Von S. Beckett ist leider nichts überliefert.
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
Γραικίσκος schrieb am 05.05.2013 um 21:21 Uhr (Zitieren)
Es gibt jedenfalls viele späte Worte Becketts, u.a.:
"Sonst hätte ich es nicht tun können. Weitermachen, meine ich. Ich hätte das scheußliche Chaos des Lebens einfach nicht durchstehen können, ohne ein Mal auf dem Schweigen zu hinterlassen."


Mit diesen Worten schließt auch die Biographie von Deirdre Bair. Lassen wir es so stehen.
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
Φιλομαθής schrieb am 06.05.2013 um 00:13 Uhr (Zitieren)
Zitat von filix am 5.5.13, 18:12Ein seltener(?) Fall von Reduktion in den Quellen: später waren es nur noch dreiundzwanzig Wunden.

Die Schrift ist - wie eine Rezension zur Malitz-Ausgabe angibt ( http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2003-2-155 ) - nur "fragmentarisch in den sogenannten byzantinischen Exzerpten erhalten, die Konstantin VII. Porphyrogennetos 945-959 anfertigen ließ." Man ist also der Gewissenhaftigkeit des Exzerptors ausgeliefert, wenn man die Perforations-Performance bewerten will.

Zitat von filix am 5.5.13, 19:22Ich frage mich, was dieses code-switching in solchen Situationen regelt.

Über psychologische Auslöser zu spekulieren dürfte angesichts der zweifelhaften Objektivität der Quellen schwierig werden. Aber was damit gezeigt werden soll, sowohl, wenn ein Römer ins Griechische, wie, wenn ein neuzeitlicher Mensch ins Lateinische fällt, ist klar: man beruft sich auf eine höhere Humanität, stellt sich in die Tradition einer allgemein bewunderten Kultur, wird selbst gleichsam ihre Verkörperung und ihr Sprachrohr in einem barbarischen Umfeld.

Wenn aber beide Seiten diesen Anspruch erheben, der sterbende Cäsar hier, die Verschwörer, die sich als Harmodioi und Aristogetonen gerieren, dort, muss das ein seltsames Schauspiel geben.
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
filix schrieb am 06.05.2013 um 16:23 Uhr (Zitieren)
Kann sein, dass der Exzerptor das zu verantworten hat, oder aber schon der Autor, der, wie die Rezension auch festhält, "die Diskreditierung der Mitglieder der Verschwörung gegen Caesar und die Entlastung des Diktators" intendierte - wozu auch die drastische Schilderung der Szene, in der auf einen Toten eingestochen wird, passen mag. Sonst ist die 23 konstant in den Quellen vertreten - emsige Philologenarbeit, in diesem Fall die von Henry A. Sanders 1904, fördert u.a. folgende Stellen zutage:

Per. Liv. 116: conspiratione in eum facta, cuius capita fuerunt M. Brutus et C. Cassius . . . in Pompei curia occisus est XXIII vulneribus -- De vir. ill. 78, 10: dictator in perpetuum factus a senatu, in curia Cassio et Bruto caedis auctoribus tribus et viginti vulneribus occisus est; -- Cassiodorus, 710: atque idibus Martiis Caesar in Pompeia curia occisus est; -- Obsequens, 67: ipse Caesar viginti tribus vulneribus in curia Pompeiana a coniuratis confossus ; -- Orosius, 6, 17, 1: auctoribus Bruto et Cassio, conscio etiam plurimo senatu in curia viginti et tribus vulneribus confossus interiit; -- Eutropius, 6, 25: Caesar cum senatus die inter ceteros venisset ad curiam tribus et viginti vulneribus confossus est. ...

Wunden zu zählen und Zählungen zu vergleichen, mag lächerlich erscheinen, die Frage, ob ein Autor mit solchen Angaben eine spezielle Intention verfolgt, ist es nicht unbedingt. Da ich wenig Neigung zur Numerologie und Zahlensymbolik besitze und entsprechend schlecht informiert bin, entzieht sich z.B. meiner Kenntnis, ob dieser Aspekt neben literarischen Techniken der
szenischen Gestaltung, der Erzeugung von Glaubwürdigkeit durch scheinbare Präzision in Details usf. eine Rolle spielen könnte. Damit ist selbstverständlich eine Rekonstruktion allfälliger neophytagoreischer, neoplatonischer o.a. Strömungen als Verständnishorizont angesprochen, nicht der Versuch, Caesars Ermordung den Urahnen der "Illuminati" anzurechnen.

Zitat von Φιλομαθής am 6.5.13, 0:13Aber was damit gezeigt werden soll, sowohl, wenn ein Römer ins Griechische, wie, wenn ein neuzeitlicher Mensch ins Lateinische fällt, ist klar: man beruft sich auf eine höhere Humanität, stellt sich in die Tradition einer allgemein bewunderten Kultur, wird selbst gleichsam ihre Verkörperung und ihr Sprachrohr in einem barbarischen Umfeld.


Ist es das wirklich? Die Erklärung wirkt durchaus verführerisch - aber ich denke, dass hier eher Vorstellungen des (dt.) Philhellenismus des 19. Jhdts., der auf die Rezeption der verschiedenen Erscheinungsformen der röm. Bezugnahme auf griechische Kultur und Sprache in einer Art Übertragung bis heute nachwirkt, die Sache vorschnell entscheiden wollen.

In der Epoche Ciceros, der ja nicht nur zweisprachig war, sondern auch Philosophie und Dichtung aus dem Gr. übersetzte und hunderte Male in seinen Briefen zum code-switching greift, es aber in seinen Reden weitgehend vermeidet, herrscht längst nicht mehr eine Wahrnehmung des Verhältnisses der beiden Sprachen, die hier Ausdrucksarmut, Unbildung und Barbarei und dort Hochkultur und Humanität ortet.
Es ging doch vielmehr darum, als (einzig berechtigt) das Erbe griechischer Ideale in der lat. Sprache und ihrer Fortentwicklung anzutreten, nicht aus dieser zu flüchten. So schreibt er über die Höhe, die sprachlicher Ausdruck im Lateinischen zu Beginn des 1. Jhdts v.u.Z. erlangt hat, im Brutus 138 so: "sic nunc ad Antonium Crassumque pervenimus. nam ego sic existimo, hos oratores fuisse maximos et in his primum cum Graecorum gloria Latine dicendi copiam aequatam."
Noch deutlicher wird er in dieser Passage in De finibus 1,9 f.:

Quem quidem locum comit multa venustate et omni sale idem Lucilius, apud quem praeclare Scaevola:
Graecum te, Albuci, quam Romanum atque Sabinum,
municipem Ponti, Tritani, centurionum,
praeclarorum hominum ac primorum signiferumque,
maluisti dici. Graece ergo praetor Athenis,
id quod maluisti, te, cum ad me accedis, saluto:
'chaere,' inquam, 'Tite!' lictores, turma omnis chorusque:
'chaere, Tite!' hinc hostis mi Albucius, hinc inimicus.
[10] Sed iure Mucius. ego autem mirari [satis] non queo unde hoc sit tam insolens domesticarum rerum fastidium. non est omnino hic docendi locus; sed ita sentio et saepe disserui, Latinam linguam non modo non inopem, ut vulgo putarent, sed locupletiorem etiam esse quam Graecam. quando enim nobis, vel dicam aut oratoribus bonis aut poetis, postea quidem quam fuit quem imitarentur, ullus orationis vel copiosae vel elegantis ornatus defuit?


"Wer wollte dagegen nicht Schriften lesen, die über gute Gegenstände in gewählter Sprache (lat. nämlicher) ernst und schön abgefasst sind? Er müsste denn durchaus als Grieche gelten wollen, wie Albucius, der vom Prätor Scävola zu Athen so begrüsst wurde. (§ 9.) Lucilius hat auch dies sehr schön und durchaus witzig dargestellt, indem er den Scävola vortrefflich sagen lässt:
»Lieber ein Grieche willst Du, Albucius, heissen und nicht ein Römer oder Sabiner, oder ein Fahnenträger und Landsmann der Centurionen Pontius und Tritanus, jener wackern und ausgezeichneten Männer? Also begrüsse ich, der Prätor, Dich in Athen bei Deinem Nahen mit griechischen Worten, wie Du es wünschst. chaire! mein Titus! sage ich, und ihr, die Lictoren, die Cohorten und die Menge rufet: chaire Titus! – Seitdem hasst mich Albucius und ist mir feindlich gesinnt.« (§ 10.) Aber Scävola hat Recht; ich kann nicht begreifen, woher diese übermüthige Verachtung des Vaterländischen kommt? Allerdings ist hier nicht der Ort, dies weitläufig auszuführen, aber ich meine und habe es oft dargelegt, dass die lateinische Sprache keineswegs so arm ist, wie man immer sagt, sondern dass sie sogar reicher als die Griechische ist. Denn wann hat wohl je mir oder vielmehr den guten Rednern und Dichtern, wenigstens seit der Zeit, wo gute Muster zur Nachahmung vorhanden waren, irgend ein Schmuck der Rede zu deren Fülle und Zierlichkeit gefehlt?" (Übersetzung: Julius Heinrich von Kirchman)


Es ist auch das erste Jahrhundert, in dem die rhet. Lehrwerke selbst auf Latein zu erscheinen beginnen und so langsam in Rivalität zu metasprachlicher Erörterung darüber, was korrekter, was stilistisch guter Sprachgebrauch ist, auf Gr. treten.

Kurzum: von so einer grundsätzlich klaren Besetzung des Griechischen, die sie prädestiniert - noch dazu in extremis - den angesprochenen Abstand zum schnöden Latein zu markieren, kann nicht die Rede sein; die Vorstellung einer so motivierten Wahl will übrigens auch nicht zu der oben erwähnten Tendenz des Nikolaos passen, die Verschwörer zu diskreditieren, da er ausgerechnet die Brüder Casca Gr. sprechen lässt, wohingegen Caesar in dieser Hinsicht stumm bleibt.
Dass gerade Brüder untereinander sich so verständigen, ohne dass der Inhalt im Gegensatz zum Akt dem Autor eine (wenn auch nur fingierte) Wiedergabe wert zu sein scheint, bringt die Intimitätsthese wieder ins Spiel und verbindet sie mit der Situation in extremis.
Sie wurde im Übrigen auch auf die Worte Caesars mehrfach angewandt: "The switch from Latin to Greek in Cicero as well as in the writings of other members of the Roman elite has often been interpreted as a form of intimacy, or even a "language of intimacy"[Pabón], the maternal language of Roman so to speak. According to some scholars, the language switch coud be provoked by emotive and psychological contexts. Dubuisson attaches great importance to this aspect and extends it to the general use of Green among the Roman upper class. Caesar's καὶ σὺ τέκνον would be due, according to him, to the fact that at the moment of his death he "refinds his mother tongue or at least his first language." (Rochette, Bruno :Greek and Latin Bilingualism in: A Companion to the Ancient Greek Language, New York, 2010 p. 281-93
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
filix schrieb am 06.05.2013 um 16:25 Uhr (Zitieren)
... die es prädestiniert ...
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
Βοηθὸς Ἕλληνικός schrieb am 06.05.2013 um 17:06 Uhr (Zitieren)
Mit Zahlen, was hier z.B. die Anzahl der Stiche betrifft, wäre ich sowieso extrem vorsichtig, wenn sie im historischen Kontext von Geschichtsschreibern auftreten. Es gab auch noch keine Gerichts-/Rechtsmedizin in dem Sinne mit entsprechenden Aufzeichnungen. Aus dem Medizinstudium und dem Kursus/Praktikum der Rechtsmedizin kann ich mich noch erinnern, wie Zeugenaussagen und Untersuchung der Leiche oft auseinanderwichen.
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
filix schrieb am 06.05.2013 um 17:27 Uhr (Zitieren)
Es geht in der Tat nicht darum CSI zu spielen; dennoch interessant, dass Sueton schon eine Art ärztlicher Expertise anführt: "Nec in tot vulneribus, ut Antistius medicus existimabat, letale ullum repertum est, nisi quod secundo loco in pectore acceperat." (Div.Iul.82)
"Und von so vielen Verletzungen wurde, nach dem Urteil des Arztes Antistius, keine für tödlich befunden mit der Ausnahme derjenigen, die er an zweiter Stelle in der Brust zugefügt bekam."
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
Γραικίσκος schrieb am 06.05.2013 um 18:53 Uhr (Zitieren)
Die Beispiele aus der Neuzeit, die ich für ein Abweichen von der Muttersprache gegeben habe, sind im Grunde keine. In allen Fällen hatten die Sprecher zuvor lange in einer andersprachigen Umgebung gelebt und führten mit dieser ein halbwegs normales Gespräch. Das ist etwas anderes als der Moment, in dem jemandem schlagartig z.B. bewußt wird, daß er ermordet werden soll.
Ein echter Beleg dafür, daß jemand in einer solchen Lage anders als in seiner Muttersprache spricht, existiert daher m.E. für die Neuzeit (bisher) nicht.
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
Βοηθὸς Ἕλληνικός schrieb am 06.05.2013 um 19:04 Uhr (Zitieren)
Zitat von filix am 6.5.13, 17:27Es geht in der Tat nicht darum CSI zu spielen; dennoch interessant, dass Sueton schon eine Art ärztlicher Expertise anführt: "Nec in tot vulneribus, ut Antistius medicus existimabat, letale ullum repertum est, nisi quod secundo loco in pectore acceperat." (Div.Iul.82)
"Und von so vielen Verletzungen wurde, nach dem Urteil des Arztes Antistius, keine für tödlich befunden mit der Ausnahme derjenigen, die er an zweiter Stelle in der Brust zugefügt bekam."


Das Zitat kannte ich, filix. Apropos CSI ;-) Einde Doku, die ich vor einiger Zeit gesehen habe:
http://www.youtube.com/watch?v=MMJ8_0c_v7k
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
Βοηθὸς Ἕλληνικός schrieb am 06.05.2013 um 19:04 Uhr (Zitieren)
Eine Doku..
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
filix schrieb am 06.05.2013 um 21:23 Uhr (Zitieren)
Bombax! Commissario Garofano und die "suicide by senators"-These. Danke. Durchaus lehrreich in der manipulativen Vermengung von Quellen, Bildern und der Autorität von Auskunftspersonen, einigermaßen amüsant durch Laienschauspiel, die - sit venia verbo - abgefuckte Computergraphik und das Pathos der Stimme aus dem Off.

Kleiner Nachtrag: Bei Plutarch steht in Caesar 66, was der eine Casca dem anderen zugerufen haben soll: "ἀδελφέ, βοήθει".
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
Φιλομαθής schrieb am 06.05.2013 um 21:26 Uhr (Zitieren)
Danke, filix, für die ausführliche Erwiderung.

Der griechische Hilferuf des Casca an seinen Bruder findet sich auch bei Plutarch, nicht bei Sueton. Vielleicht ist das schon erörtert worden, wer hier von wem abhängig sein könnte (Plutarch von Nikolaos oder der Nikolaos-Exzerptor von Plutarch). Auffällig ist, dass in jeder der drei Darstellungen nur eine Seite ins Griechische wechselt. Aber in der Tat ebenso fällt auf, dass die Worte jeweils an einen nahen Angehörigen gerichtet sind. Folgt aus der Intimitäts-These, dass die Umgangssprache der römischen Oberschicht der späten Republik Griechisch war (und eine ähnliche Rolle einnahm wie das Französische im Russland des 19. Jh.) und das Lateinische die später erlernte Zweitsprache und auf den offiziellen Verkehr beschränkt war?

Von Plutarch (abgesehen von Nikolaos die älteste Quelle zum Cäsarmord?) ist seine Affinität für Zahlenmystik bekannt, und es erscheint nachvollziehbar, wenn man in der Angabe der Einstichzahl eine höhere Absicht als einen bloßen Fun Fact zu finden meint.

(Den Hinweis auf die Illuminaten habe ich erst verstanden, nachdem ich aus der Liste besonderer Zahlen bei Wikipedia erfahren habe, dass 23 die Illuminatenzahl ist. Uiuiui! Also, die Plutarch, Sueton und die anderen haben sie bearbeitet und nur den Nikolaos nicht in die Finger bekommen ...)
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
Φιλομαθής schrieb am 06.05.2013 um 21:29 Uhr (Zitieren)
die den Plutarch
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
Γραικίσκος schrieb am 06.05.2013 um 21:31 Uhr (Zitieren)
Der (zweit)älteste erhaltene Bericht zum Cäsarmord (da der von Livius nicht erhalten ist) dürfte doch der von Velleius Paterculus sein, oder?
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
Γραικίσκος schrieb am 06.05.2013 um 21:31 Uhr (Zitieren)
Historia Romana II 57 f.
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
Φιλομαθής schrieb am 06.05.2013 um 21:41 Uhr (Zitieren)
Ah ja. Aber seltsam, das Attentat selbst ist komplett ausgespart.
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
Φιλομαθής schrieb am 06.05.2013 um 21:47 Uhr (Zitieren)
(abgesehen von einem lakonischen: incautus ab ingratis occupatus est)
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
Φιλομαθής schrieb am 06.05.2013 um 22:27 Uhr (Zitieren)
Als echter Skeptiker (sowohl was Zahlen als auch was letzte Worte angeht) zeigt sich Cassius Dio:
Und nun ging der eine auf ihn zu, als wollte er ihm für etwas danken, zog ihm die Toga von der Schulter, und gab dadurch den Verschworenen das verabredete Zeichen. Nun fiel man von allen Seiten zugleich über ihn her, und verwundete ihn, so daß er vor der Menge seiner Mörder nicht zu einem Worte, noch weniger zur Verteidigung kommen konnte, nur in seine Toge sich hüllte, und so nach vielen Wunden starb. Dies ist die eigentliche Wahrheit [ταῦτα μὲν τἀληθέστατα], obgleich andere noch erzählen, er habe zum Brutus, indem er ihm eine gefährliche Wunde stieß, gesagt: "Auch du, mein Sohn?"

44, 19. Übers. Johann Augustin Wagner.
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
filix schrieb am 07.05.2013 um 12:04 Uhr (Zitieren)
Bitte. Ich denke, die Zweisprachigkeit als Medium der Intimität hatte mehrere Facetten - es ist eines, wenn Cicero in Briefe an Atticus(!) Griechisches einflicht, um eine Vertrautheit des geteilten Codes, nicht unbedingt des Affekts herzustellen, ein anderes, wenn in extremis vox intima spricht - für letzteres könnte Folgendes eine Rolle gespielt haben:

"Wann sich die Sitte in Rom einbürgerte, das Stillgeschäft Ammen anzuvertrauen, ist nicht sicher auszumachen: am ehesten ist an die letzten beiden Jahrhunderte der Republik zu denken, als neben griechischer Lebensweise auch griechische Sklavinnen, die begehrtesten möglichen Nährammen, in größerer Zahl nach Italien kamen. Griechinnen wählte man nicht zuletzt deshalb aus, weil auf diese Weise gewährleistet schien, dass die Kinder zweisprachig aufwuchsen."
(in: Antike Lebenswelten: Konstanz, Wandel, Wirkungsmacht http://books.google.de/books?id=I4K10CfMtloC&pg=PA509)
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
Γραικίσκος schrieb am 07.05.2013 um 22:14 Uhr (Zitieren)
Das mit den Ammen erscheint mir als eine sehr gescheite Erklärung!
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
Βοηθὸς Ἕλληνικός schrieb am 07.05.2013 um 22:31 Uhr (Zitieren)
Ich möchte nur ins Gedächtnis rufen, dass kurz unter Rom Griechisch schon "die Sprache" war. Sehen wir nur die Gegend um Neapel usw. Griechisch war eine Weltsprache. Ohne diese kam kein gebildeter Römer aus. Cicero war der erste, der dieses Übergewicht aufzulösen versuchte, indem er eigentlich griechische Themen und Quellen in einer enormen Geschwindigkeit ins Latein übersetzte. Wichtige Quellen, auf die sich die Römer stützten waren Griechisch. Das zeigt sich auch in den antiken Bibliotheken.
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
Γραικίσκος schrieb am 07.05.2013 um 22:38 Uhr (Zitieren)
Ja, klar. Aber die Wahrscheinlichkeit, daß man in extremis auf diese Sprache zurückgreift (und darum geht es hier ja), steigt doch dadurch, daß man sie schon als Säugling gewohnt war. Sie ist dann nicht nur ein Teil der Bildung eines gebildeten Römers, sie ist ihm buchstäblich mit der "Mutter"milch eingeflößt worden.
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
Βοηθὸς Ἕλληνικός schrieb am 07.05.2013 um 22:41 Uhr (Zitieren)
Das stimmt. Es gab ja genug griechische Sklaven. Mich erinnert das an Südtirol: Da switchen die Kinder im Grödnertal problemlos zwischen Deutsch, Italienisch und Ladinisch..:-)
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
filix schrieb am 08.05.2013 um 00:00 Uhr (Zitieren)
Nimmt man die psychologische Betrachtung dieser Vorgänge einmal ernst, scheint dennoch der akute Adressat auch in extremis eine erhebliche Rolle zu spielen - Nero, der ja sogar von seinen zwei wohl griechischen Ammen Egloge/Ekloge und Alexandria und der Ex-Geliebten Acte bestattet wurde ("Reliquias Egloge et Alexandria nutrices cum Acte concubina gentili Domitiorum monimento condiderunt" - Sueton: Nero 50), spricht verblutend seine verba ultima "sero" und "haec est fides" zum "irrumpenti centurioni", eher ein Kandidat für eine grundsätzlich distante Autoritätsbeziehung (wenn auch in Auflösung), auf Lat. Anders steht es zwischen den Brüdern Casca und Caesar und Brutus. Dort wo Caesar noch Distanz und Autorität in der Konfusion herstellen will, herrscht er sein ihn attackierendes Gegenüber ebenfalls auf Lat. an: "Ista quidem vis est!" (Sueton: Div. Iul. 82)
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
Βοηθὸς Ἕλληνικός schrieb am 08.05.2013 um 00:18 Uhr (Zitieren)
Vorsicht mit Quellen, gerade auch Sueton, wenn man da Psychologie und Wahrheitsgehalt ableiten will: Wir haben die Person nicht vor uns. Subjektive Meinungen fließen da sehr stark ein, gerade von Geschichtsschreibern.
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
filix schrieb am 08.05.2013 um 00:52 Uhr (Zitieren)
Du scheinst nicht zu verstehen, dass die Wahrheit der Überlieferung und die Struktur einer auch nur erfundenen psychologischen Situation zwei verschiedene Dinge sind. Subjektivität ist hier gerade das Thema, aber eben nicht als bloßer Hemmschuh der Erkenntnis, sondern in der Frage, wie sie sich am Beispiel code-switching in extremis entfaltet, gleich ob in einer puren literarischen Erfindung oder einem mit unbedingtem Wahrheitsanspruch in der Wiedergabe der wirklichen Geschehnisse auftretenden historischen Bericht. Kein sterblicher Autor erfindet die Welt und den Menschen, seine Handlungs-, Verhaltens-, Empfindungsweisen, seinen Habitus, seinen Sprachgebrauch usf. in einer Epoche gänzlich neu, er macht vielmehr gerade in der Manipulation von solchen Strukturen geschickt Gebrauch. Ich muss also Sueton u.a. kein Wort unbedingt glauben, um zu sehen, wie er seine Texte aufbaut, ich muss nicht der Überzeugung sein, er habe die Stenogramme unbestechlicher Zeugen studiert, um zu vergleichen wie er Handelnde in vergleichbaren Situationen sprechen lässt, und nach Mustern zu forschen. Das ist Vorsicht genug.
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
Βοηθὸς Ἕλληνικός schrieb am 08.05.2013 um 07:16 Uhr (Zitieren)
Darum geht es mir gar nicht, filix. Auch nicht darum, was du meinst, was ich verstehe oder nicht. Mich interessiert nicht, was der 100.000 Kommentar (meist auch noch abgeschrieben) eines klassischen Philologen z.B. zu Sueton und seine Schreibweise ist. Mich interessiert der mögliche Wahrheitsgehalt von damaliger Geschichtsschreibung und der Vergleich zu anderen Autoren. Ein von mir bewunderter Vertreter dieser Richtung ist der Historiker Prof. Winterling, insbesondere mit seiner Biographie über Caligula, und seine Quellenbearbeitung.
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
Γραικίσκος schrieb am 08.05.2013 um 11:01 Uhr (Zitieren)
Hier treffen erkennbar zwei ganz verschiedene Interessen an Geschichtsschreibung aufeinander: einmal die Frage wie es (nach sorgfältiger Analyse der Quellen) wirklich gewesen ist, auf der anderen Seite die Frage, wie historische Berichte in einem spezifischen sozialen Kontext zustandekommen, da Historiker immer auch Subjekte ihrer Epoche sind.
Ich nehme an, daß die Historiker der zweiten, der filix-Richtung die erste Frage für entweder unbeantwortbar oder, wenn doch, dann erst nach Beantwortung ihrer zweiten Frage für beantwortbar halten.
Ich mache mir bewußt, daß mein eigener Standpunkt ein dritter ist - keiner von diesen beiden.
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
filix schrieb am 08.05.2013 um 12:20 Uhr (Zitieren)
Gemach - der Unterschied der Fragestellungen bildet noch keine unvereinbaren Richtungen aus; Anfangspunkt war eine beiläufig aufgeworfene Frage zur Gestalt eines speziellen sprachlichen Phänomens unter ganz besonderen Verhältnissen, nicht die, ob Caesar wirklich, wortwörtlich (und vor allem nach welchen Ausspracheregeln) genau in dem Augenblick, da ihn die Dolchspitze von wem auch immer wo auch immer durchbohrte, dieses oder jenes sagte.
Ich denke, es gibt keinen relevanten Historiker, der behauptete, er wüsste es besser als die Quellen, nur weil diesen aus mannigfaltigen Gründen zu Recht misstraut werden muss, und auch keinen, der dabei stehenbleibt und solches zur Kardinalfrage historischer Erkenntnis erklärt. Close-reading ist doch meist Inzitament des Zweifels.
Man kann Ergebnisse derartiger Betrachtungsweisen in ganz verschiedene weiterführende Fragestellungen investieren - aber so weit waren wir noch gar nicht. Wenigstens nicht in meiner Wahrnehmung.
Die Diagnose des angesprochene Caligula-Biographen , die Pathologisierung des Tyrannen und sein verdient scheinendes Ende in der Darstellung entwachse u.a der Irritation der gekränkten Senatsaristokratie, die so für sich und die Nachwelt bändige, was ein offener Alleinherrschaftsanspruch an Gräben in der Gesellschaftsordnung aufreiße, enthält auch jede Menge sozialpsychologischer Spekulation in der relecture, desgleichen die Reinterpretation der - jetzt nicht mehr als dem Irrsinn entflossenen und diesen belegenden - Verhaltensweisen des Kaisers als vernünftig im Sinn eines ganz bestimmten Rationalitätstypus des Mächtigen. Man kann also nicht einfach das eine gegen das andere ausspielen und daraus zwei unvereinbare Richtungen destillieren.
Re: Erst ist man tot, und dann stirbt man auch noch
filix schrieb am 08.05.2013 um 12:30 Uhr (Zitieren)
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