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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Herrschaftsformen (1046 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 06.08.2009 um 15:55 Uhr (Zitieren)
Der Platon heute morgen hat mich darauf gebracht:
Falls jemand sich für die verschiedenen möglichen Herrschaftsformen & ihre philosophischen Repräsentanten interessiert, gibt Polybios V 3 - VI 10 eine systematische Übersicht.
Das Prinzip der Einteilung ist (ziemlich logisch):
- einer herrscht (Monarchie)
oder
- einige herrschen (die Besten, Aristokratie)
oder
- alle herrschen (die Mehrheit, Demokratie)

Polybios hält, inspiriert durch Sparta und Rom, eine Mischverfassung für die beste, welche nämlich die Vorteile der einzelnen Formen kombiniert und die Nachteile eliminiert.
Er steht damit nicht allein. Aber der entsprechende Abschnitt in Ciceros "De re publica" ist verstümmelt.

Was bei ihm nicht vorkommt:
- keiner herrscht (Anarchie)
oder
- das Gesetz herrscht (Grund- und Menschenrechte als Souverän, Republik)

Philosophische Repräsentanten der einzelnen Formen:
- Anarchie: z.B. Bakunin
- Monarchie: z.B. Thomas Hobbes
- Aristokratie: z.B. Platon
- Demokratie: z.B. John Locke
- Republik: z.B. Jean-Jacques Rousseau

Eventuell käme noch die Theokratie als Option in Frage.
Re: Herrschaftsformen
andreas schrieb am 06.08.2009 um 16:35 Uhr (Zitieren)

Es fehlt wohl noch die Oligarchie (ggf. auch einfach nur Plutokratie ) , die zurzeit in Rußland
gilt.
Re: Herrschaftsformen
Γραικίσκος schrieb am 06.08.2009 um 16:52 Uhr (Zitieren)
Ja. Bei Polybios, der einen Kreislauf der Verfassungsformen konstruiert bzw. behauptet, gehört zu jeder Idealform auch eine Verfallsform, bevor ein Übergang zum nächsten Idealtypus eintritt:
Urgesellschaft --> Monarchie --> Tyrannis --> Aristokratie --> Oligarchie --> Demokratie --> Ochlokratie --> Monarchie usw. usf.

Nur die Mischform kann Stabilität & Dauer schaffen.

Interessant ist, daß der Übergang von der Ideal- zur Verfallsform bei Polybios immer durch einen Generationenwechsel eingeleitet wird. Die erste Generation verwirklicht aus eigener Kraft das Neue, während die Erben es nicht mehr zu schätzen wissen und auch die menschlichen Qualitäten nicht mehr besitzen; dadurch kommt es zum Mißbrauch, also zur Verfallsform.
Re: Herrschaftsformen
Γραικίσκος schrieb am 06.08.2009 um 16:57 Uhr (Zitieren)
Im Falle Rußlands scheint die Phase der Aristokratie (Herrschaft einer echten Elite) zwischen Tyrannis und Oligarchie zu fehlen - es sei denn, man setzt die Ära Boris Jelzins hierfür ein.
Geht man von Polybios' Modell aus, wäre jetzt eine Demokratie zu erwarten.
Re: Herrschaftsformen
Γραικίσκος schrieb am 06.08.2009 um 17:01 Uhr (Zitieren)
Was haben wir eigentlich in der Bundesrepublik?
- eine Mischform (indirekte Demokratie)
oder
- eine Bundesrepublik (mit dem Gesetz, nämlich den Artikeln 1 und 20 des Grundgesetzes, die laut Artikel 79 Abs. 3 unabänderlich sind, als höchster Instanz)?
Re: Herrschaftsformen
ανδρέας schrieb am 06.08.2009 um 18:20 Uhr (Zitieren)
Ich denke , wir haben eine repräsentative Demokratie. D.h. wir wählen auf Zeit unsere "Herrscher", die die verschiedensten Interessen vertreten (Pluralismus). Diese ist eine indirekte Demokratie, obwohl zunehmend die direkte Beteiligung (Volksbegehren) gefordert wird.

Vielleicht ist die FDGO hilfreich:

Freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Art. 21 II GG ist eine Ordnung, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“

– BVerfGE 2, 1, 12
Re: Herrschaftsformen
Γραικίσκος schrieb am 06.08.2009 um 18:35 Uhr (Zitieren)
vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität

Das dürften die Art. 1 und 20 des GG sein.
Da diese - lt. Art. 79, 3 - unabänderlich (und übrigens auch nie vom Volk selbst, also demokratisch beschlossen worden) sind, habe ich den Eindruck, daß "der Verfassungsgeber" eine höhere Instanz als das Volk annimmt.
Das "Gesetz" - der "allgemeine Wille" Rousseaus?
Alle anderen im GG verankerten und von Dir zitierten Prinzipien kann man mit bestimmten Mehrheiten in Bundestag & Bundesrat ändern und sind deshalb im Sinne einer (indirekten) Demokratie zu interpretieren.
Wie gesagt: Art. 1 und 20 nicht.
Re: Herrschaftsformen
Γραικίσκος schrieb am 06.08.2009 um 18:40 Uhr (Zitieren)
Entschuldigung, das
die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten

ist der Inhalt von Art. 1 GG!
Das Recht auf Leben und auf freie Entfaltung gehören schon zu den Konkretisierungen der Art. 2 ff., die änderbar sind durch qualifizierte Mehrheiten und mithin dem Volkswillen unterliegen.
Re: Herrschaftsformen
ανδρέας schrieb am 06.08.2009 um 19:02 Uhr (Zitieren)

Art. 79,3 GG ist qusi der Angelpunkt zum Einstieg in das GG. (Ewigkeitsklausel)

Wenn dies nicht mehr gilt, ist der Konsens in der Gesellschaft dahin. (Würde, sozialer Rechtsstaat).

Die Briten können sich bis heute nur auf die Magna Charta und die habeas corpus akte berufen. Das "Mutterland" der modernen Demokratie?, naja

Re: Herrschaftsformen
Γραικίσκος schrieb am 06.08.2009 um 19:08 Uhr (Zitieren)
Leider - aber das gehört schon wieder in den Bereich der Paradoxien - ist diese 'Ewigkeitsklausel' des Art. 79 GG selber nicht unabänderlich.
D.h. der Art. 79 schützt Art. 1 und 20, aber nicht sich selbst vor Veränderungen. Und damit auch nicht Art. 1 und 20.

So gesehen sind wir vermutlich wirklich eine Demokratie, keine Republik im Sinne Rousseaus.
Re: Herrschaftsformen
ανδρέας schrieb am 06.08.2009 um 19:17 Uhr (Zitieren)

Art. 79 III GG wirft alte philosophische Fragen auf.
Nach Art. 20 IV GG hat jeder ein Widerstandsrecht t, wenn "andere Abhilfe nicht möglich ist". Tja da sind wir beim Tyrannenmord - ist der erlaubt, vgl. Stauffenberg, Geschwister Scholl usw..
Diese Frage geht viel tiefer, als mancher so oberflächlich glaubt. Wie weit muss es gekommen sein, wenn die Ewigkeitsklausel bzw. der damit verbundene Zweck fällt.
Dann geht`s zur Sache.
Re: Herrschaftsformen
Bibulus schrieb am 06.08.2009 um 23:22 Uhr (Zitieren)
uih...
"ein weites Feld" um mal einen Lit.-Nobelpreisträger zu zitieren...
:o)
Re: Herrschaftsformen
ανδρέας schrieb am 06.08.2009 um 23:26 Uhr (Zitieren)

Die Bezeichnung der Herrschaftsform ist ja nun weniger wichtig als die Realität (Diktaturen nennen sich oft auch "demokratisch".

Ein Ex-Kanzler sagte richtig: entscheidend ist, was hinten rauskommt. Wie wahr
:-)
Re: Herrschaftsformen
Στέφαιστος schrieb am 06.08.2009 um 23:39 Uhr (Zitieren)
Wenn man allerdings bedenkt, dass Deutschland nicht einmal eine Verfassung hat, die vom Volk offiziell bestätigt wurde, darf man unseren Staat an sich nicht als moderne Demokratie bezeichnen. Und selbst die Verfassungen der Bundesländer, die vom Volk bestätigt sind, werden ignoriert:
Bayerische Verfassung, Artikel 2, Abschnitt 2:
"Das Volk tut seinen Willen in Wahlen und Abstimmungen kund. Mehrheit entscheidet."
Von diesen Abstimmungen kriegt man eher wenig mit...
Re: Herrschaftsformen
Bibulus schrieb am 06.08.2009 um 23:45 Uhr (Zitieren)
Ein Ex-Kanzler sagte richtig: entscheidend ist, was hinten rauskommt. Wie wahr
:-)

und ein Fußballtrainer sagte mal im reinsten ruhrpöttlerisch: "Wichtich is auffem Platz."
:o)
Re: Herrschaftsformen
Bibulus schrieb am 06.08.2009 um 23:49 Uhr (Zitieren)
Ergänzung:
Ich halte den Ausspruch dieses Trainers (wer war das ?)
für genial:
Er faßt zusammen, was beim vielen philosophieren immer vergessen wird:
Was passiert "tatsächlich"?
Wie geht es den Menschen in der Praxis?
Was "erleben" sie?
Im wahrsten Sinne des Wortes "erleben"?
Re: Herrschaftsformen
ανδρέας schrieb am 06.08.2009 um 23:51 Uhr (Zitieren)

Es sind auch weniger die Abstimmungen, die wichtig sind, da sind die Messen ja schon gelesen. Das wichtige findet in den Ausschüssen statt.
Je mehr Leute man fragen muss, desto länger dauert das. Eine gewisse Kenntnis braucht man nunmal.
Es würde sicher kein einziges Gestz beschlossen, wenn wir unds auf der Agora treffen und nach langer, langer, langer Diskussion mit allen einigen müssten.
Unsere Demokratie ist indirekt. Wir wählen die, die über uns herrschen. es bleibt immer elitär - selbst die Grünen haben die Turnschuhe abgelegt. Manche tragen sogar Krawatte.
Amateure werden auf Dauer kaum gute Gesetze machen.
Und die meisten wissen sowieso wenig darüber, was eigentlich im GG steht. Reine Vertrauenssache.
Re: Herrschaftsformen
Bibulus schrieb am 06.08.2009 um 23:55 Uhr (Zitieren)
Ich sage es mal so:
Mit einem vollen Bauch läßt es sich vortrefflich predigen..

Mit einem Glas Champagner in der Hand kann ich
wunderbar Verzicht und Zurückhaltung von anderen
fordern...

(Die momentane Krise ist immer noch virulent,
aber die Herren Bankiers schütten schon wieder Millionen-Boni an sich selbst aus...)
Re: Herrschaftsformen
Bibulus schrieb am 06.08.2009 um 23:59 Uhr (Zitieren)
@ανδρέας
Ernsthafte Soziologen haben die These aufgestellt,
daß eine Menge von 3.000 Menschen eigentlich
die ideale "Commune" darstellt, die sich selbst und
demokratisch "verwalten" kann.
3.000 Individuen können sich kennen und wiedererkennen, können sich ihre Namen merken und
aufeinander eingehen...
Re: Herrschaftsformen
Στέφαιστος schrieb am 07.08.2009 um 01:21 Uhr (Zitieren)
Natürlich ist eine direkte Demokratie bei 80000000 Menschen nicht umsetzbar. Ein Instrument für Volksbegehren und eine direkte Wahl bei manchen Gesetzen sollte es dennoch geben.
Re: Herrschaftsformen
Γραικίσκος schrieb am 07.08.2009 um 14:39 Uhr (Zitieren)
Er faßt zusammen, was beim vielen Philosophieren immer vergessen wird:
Was passiert "tatsächlich"?

Das wäre aber eine schlechte Philosophie.

Die Ansicht "Es kommt nicht auf die Theorie an, sondern auf die Praxis" ist übrigens ... eine Theorie.
(Das ist wieder ein Paradox.)

Übrigens ist diese Ansicht nicht neu, und die Philosophie hat sich schon seit langem mit dieser Frage befaßt.
Wer darüber nachlesen mag:
Immanuel Kant: "Über dem Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis"
Re: Herrschaftsformen
andreas schrieb am 07.08.2009 um 14:59 Uhr (Zitieren)
Ich möchte meinen Beitrag mal mit Adenauer würzen, der sagte: "wir leben alle unter dem selben Himmel, aber wir haben nicht alle den selben Horizont". Das hätte Platon sicher unterschrieben.
 
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