Φιλομαθής schrieb am 10.09.2013 um 15:56 Uhr (Zitieren)
Unser Plato (Auf welche Gemeinschaft ist das "unser" gemünzt? Auf "uns Abendländler", "uns Philhellenen" oder ...?) äußert vergleichbares in Diotimas bekannter Rede zur Schau des Schönen, die Sokrates im Symposion vorträgt: Der Eros eröffne über die Zuneigung zu einem konkreten Leib den Zugang zum Schönen, das, wenn der Liebende es stufenweise aus allen Bedingtheiten herauslöse und als Idee erkenne, in ihm wahre Tugend (ἀρετὴς ἀληθής) hervorbringe.
[Platon, Gastmahl 211c-212a. Übers. Susemihl]
Re: Kannagara
Γραικίσκος schrieb am 14.09.2013 um 21:45 Uhr (Zitieren)
Die Einheit von Gutem, Schönem und Wahrem ist das Thema des Dialogs Philebos.
Re: Kannagara
Φιλομαθής schrieb am 28.09.2013 um 10:10 Uhr (Zitieren)
Worauf beziehst du dich dabei? Im Philebos-Dialog selbst wird ja als Thema die Frage an den Anfang gestellt, ob eher die ἡδονή oder eher die φρόνησις den Menschen zu einem glücklichen Leben verhelfen.
(Nicht ohne Witz ist es, wenn Plato dem Titelhelden des Dialogs eine - fast - stumme Rolle zuteilt und ihn gleich zu Beginn eindösen lässt, als sollte so illustriert werden, was Sokrates über die hedonistische Lebensweise äußert, dass sie der von Quallen und Muscheln gleiche.)
Re: Kannagara
Γραικίσκος schrieb am 28.09.2013 um 12:18 Uhr (Zitieren)
Ich meine den Abschnitt, der 64e beginnt, wo Sokrates feststellt, daß er auf der Suche nach dem Guten die Natur des Schönen gefunden hat und daß die Wahrheit Teil dieser κράσις ist. So sind alle drei beisammen.
Re: Kannagara
Φιλομαθής schrieb am 28.09.2013 um 15:10 Uhr (Zitieren)
Hm ... Meinst du, dass das κάλλος hier tatsächlich im ästhetischen Sinn gebraucht ist oder doch eher in dem ethischen einer καλοκἀγαθία? Μετριότης und συμμετρία, aus denen das κάλλος (und die ἀρετή) hervorgehen soll, sind ja in dieser Beziehung ebenfalls ambivalente Begriffe. Für möglich halte ich, dass die Vieldeutigkeit erwünscht ist und Sokrates den Protarchos in seiner Argumentation überrumpeln will.
Schon in seiner Beweisführung gegen die reinen Lebensweisen (21a-e) scheint mir Sokrates unzulässig getrickst zu haben. Gegen ein Leben ohne φρονεῖν, νοεῖν und λογίζεσθαι wird angeführt, dass ohne Gedächtnis von den empfundenen Freuden nichts bestehen bliebe. Nun ist aber zuvor keineswegs bewiesen worden, dass das Gedächtnis überhaupt der φρόνησις zugehörig ist und einem Leben der reinen Lust fehlen würde.
Und wir wären gegen den Einwand, ein Leben ohne Verstand gleiche dem von Quallen oder Muscheln nicht sprachlos wie Protarchos, sondern würden Sokrates mit dem, was er in der Apologie über das Totsein gesagt hat (bzw. sagen wird), konfrontieren:
Re: Kannagara
Γραικίσκος schrieb am 28.09.2013 um 15:49 Uhr (Zitieren)
Μετριότης und συμμετρία habe ich in der Tat als übergeordnete Prinzipien für Güte, Schönheit und Wahrheit (die Angemessenheit von Aussage und Sachverhalt) verstanden.
Dein Einwand gegen 21a-e ist interessant. Erinnerung und Wahrnehmung (Wahrnehmung) hatte ich umstandslos der φρόνησις zugeordnet und zugleich als konstitutiv für die Lustempfindung angesehen. Lust erfordert einen Vergleich mit anderen Zuständen, oder?
Zur Verteidigung der Apologie 40c-e fällt mir nichts ein. Denn auch etwas Gutes erlebt man ja nur im Vergleich, also nicht bewußtlos.
Re: Kannagara
Φιλομαθής schrieb am 29.09.2013 um 01:11 Uhr (Zitieren)
Da bin ich mir überhaupt nicht sicher. Taucht nicht im Nahpunkt der Ekstase, an der Pforte zum reinen Wohlbefinden stets die Reflexion als Störenfried auf, der Zweifel, der fragt, ob man nun wirklich glücklich sei?
Ohne Frage: gefühlsmäßig sträubt sich alles in mir, ein Leben, das in einem bewusstlosen Delirium hingebracht wird, für erstrebenswert zu halten. Aber die Beweisführung im Philebos halte ich dennoch nicht für stichhaltig.
Und gegen ein Leben der reinen Vernunft wird überhaupt nicht erst argumentiert. Es wird als evident angesehen, dass ein Leben ohne Lust und Leid [!] nicht erstrebenswert sein könne.
Der Sokrates des vorliegenden Dialogs betreibt großen Aufwand, den Begriff der ἡδονή in seiner Mehrdeutigkeit zu entwickeln. Er führt hierzu das Konzept vom Einen (τὸ ἕν), Vielen (τὰ πολλά) und Unbegrenzten (τὸ ἄπειρον) ein (14c ff., v. a. 16c-e). Wenn ich es recht verstehe, kann man das Eine als "Begriff", das Viele als "Unterbegriffe" und das Unbegrenzte als "Nicht begrifflich gegeneinander definierte Ausprägungen (oder kürzer: die Variationsbreite) der unter einem Begriff erfassten Gegenstände" übersetzen.
Ein Bewusstsein für das Problem, dass unter einem Lexem mehrere Begriffe verschiedener Bedeutung versammelt sein können, ist offenbar durchaus vorhanden.
Ist es also zu weit hergeholt, wenn man annimmt, dass Platon seinen Lesern abverlangen könnte, mit diesem Bewusstsein dem unvermittelt in die Argumentation eingeführten κάλλος gegenüberzutreten und es nicht zusammenfallen zu lassen mit der ästhetischen Schönheit, die er 51b ff. als Ursache reiner Lust bestimmt? Diese reinen Lüste erhalten ja in der abschließenden Rangfolge der κτήματα (66a-d) den fünften Platz, τὸ σύμμετρον καὶ καλὸν καὶ τὸ τέλεον καὶ ἱκανόν dagegen den zweiten.