Γραικίσκος schrieb am 28.11.2015 um 21:27 Uhr (Zitieren)
Unter der Überschrift "Sokrates und Seneca in der Banlieu" bringt die FAZ heute einen Bericht über den Altgriechisch- und Lateinlehrer Augustin d'Humières, der in einer Banlieu-Oberschule, dem Lycée Jean Vilar, mit einem stark fordernden Unterricht in seinen beiden Fächern versucht, seinen aus problematischen Verhältnissen stammenden Schülern eine Grundlage in Humanität, Selbstwertgefühl und eine Perspektive in der französischen Gesellschaft zu verschaffen.
Damit steht er im Gegensatz zum pädagogischen und bildungspolitischen Mainstream (auch) in Frankreich, der Wohlgefühl durch die Herabsetzung von Leistungsansprüchen erreichen will, damit aber keine gute Grundlage für einen beruflichen Erfolg der Schüler schafft.
Anscheinend ist d'Humières mit seiner Methode erfolgreich. Seine Schüler erreichen gute Abschlüsse und beziehen ihre Erfolge explizit auf den genossenen Griechisch- und Lateinunterricht.
Re: Altgriechisch gegen Terrorismus
Hylebates schrieb am 28.11.2015 um 22:10 Uhr (Zitieren)
Ist ja witzig! Gerade wollte ich den Artikel hier erwähnen! Ich lese ja sonst keine FAZ.
Leider kann ich den Linken gerade nicht einfügen, aber der Artikel ist auch online.
Schöne Adventszeit.
Re: Altgriechisch gegen Terrorismus
Hylebates schrieb am 29.11.2015 um 10:03 Uhr (Zitieren)
Hier der Verweis, wenn's jemand online lesen will.
Meinst Du, es gibt einen belastbaren Zusammenhang zwischen dem Unterricht mit seinen Inhalten und den Erfolgen in der Art einer tatsächlichen Folge?
Der Teil mit der Identitätsbildung hat mich an meinen ehemaligen Ausbilder erinnert, der zu einer Art konservativer Schläferzelle gehört. Seine Ausfälle gegen den Islam und außerdeutsche Kulturen wirken wie eine Vorwegnahme der jetzigen Islamophobie und PEgIdA-Positionen. Er wirkt dadurch noch viel unheimlicher und monströser!
Re: Altgriechisch gegen Terrorismus
Γραικίσκος schrieb am 29.11.2015 um 10:39 Uhr (Zitieren)
Daß Lehren auch mit Herausfordern zu tun hat und daß eine erbrachte Leistung selbstbewußt macht, nehme ich stark an. Daß zur Vermittlung abendländischer Kultur auch Kenntnisse der Antike gehören - na, nähme ich das nicht an, wäre ich nicht hier. Zudem ist das eine Tradition, die Christentum und Islam gemeinsam haben; sie kann daher verbinden.
Ob all das wesentlich dazu beiträgt, bei einer Stellenbewerbung in Frankreich den Nachteil eines arabischen Namens auszugleichen, bezweifle ich, denn das hängt ja nicht vom Bewerber, sondern vom Personalchef und seinen Einstellungen ab.
Re: Altgriechisch gegen Terrorismus
Φιλομαθής schrieb am 01.12.2015 um 12:46 Uhr (Zitieren)
Du meinst diese Passage?
Ich glaube, dass hier weniger die Abschottungstendenzen der Verfechter einer Leitkultur aufscheinen als das Bestreben, auch den Schülern aus der Banlieue die Voraussetzungen zur Teilhabe an einer offenen, durch Diskurs geprägten Gesellschaft zur Verfügung zu stellen und sie so gegen den Einfluss von Fundamentalisten zu immunisieren. Deutlicher wird das in einem Interview aus dem März dieses Jahres:
Re: Altgriechisch gegen Terrorismus
Γραικίσκος schrieb am 01.12.2015 um 14:52 Uhr (Zitieren)
Genau so ist es gemeint. Ich habe auch den FAZ-Artikel, in dem aus diesem Interview zitiert wurde, nicht anders verstanden.
Es ist ein interessantes Konzept, dem ich Erfolg und 'Nachahmer' wünsche. Was Besseres kann man ja mit Altgriechisch und Latein gar nicht anfangen.
Re: Altgriechisch gegen Terrorismus
Φιλομαθής schrieb am 02.12.2015 um 12:18 Uhr (Zitieren)
Ohne Frage. Offenbar zieht d'Humières sich die Nachahmer selbst heran. Denn er scheint mit seinem Mêtis-Netzwerk nicht nur für neue Schüler der Alten Sprachen zu sorgen, sondern aus den ehemaligen auch neue Lehrer zu rekrutieren. (Im Hinblick auf die Reformierbarkeit des staatlich gelenkten Bildungssystems zeigt er sich hingegen ziemlich desillusioniert.)
Re: Altgriechisch gegen Terrorismus
Hylebates schrieb am 04.12.2015 um 09:46 Uhr (Zitieren)
Ich habe den Artikel auch nicht anders verstanden. Mein Ausbilder hat es auch nicht anders gemeint. Bei ihm waren "ich gebe Teilhabe" und "der Islam ist nichts wert" Teil desselben Gedankens.
Ein toller Ansatz, das stimmt. Obwohl ich den Gedanken, dass Bildung gegen Manipulatoren und religösen Extremismus hilft, faszinierend und als Lehrer wichtig finde, frage ich mich, ob es nicht mehr Einflüsse gibt, als die Schule und Bildung. Vielleicht habe ich mal erwähnt, dass ich in einer Gegend wohne, in der strenge religiöse Vorstellung nicht selten sind. Auch unter Gymnasiasten und Studierten. Das Rüstzeug gegen Fundamentalismus (in seiner ursprünglichen Form) ist da. Dennoch gibt es die Entscheidung dazu, die Werte der modernen Gesellschaft abzulehnen.
Aber d’Humières geht es sicherlich nicht um einen 100%igen Erfolg, sondern um die bloße Möglichkeit.