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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Die Legende vom Marathonlauf (1934 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 23.04.2018 um 17:39 Uhr (Zitieren)
Im Jahre 490 v.u.Z. haben die vereinigten Athener und Plataier bei dem Ort Marathon das zahlenmäßig weit überlegende Invasionsheer der Perser besiegt. Die Legende besagt, daß ein Schnelläufer der Athener daraufhin die Strecke von 42,195 km nach Athen gelaufen sei, dort auf dem Markt den Sieg verkündet und tot zusammengebrochen sei. Nach diesem Ereignis ist der Marathonlauf, olympische Disziplin seit den ersten Olympischen Spielen der Moderne (Athen 1896), benannt.

Feststeht, daß bei den ersten drei Olympischen Spielen die Distanz 40 km betrug, seit London 1980 aber genau 42,195 km, was nach präziser Vermessung klingt.

Aber hat es diesen historischen Lauf überhaupt gegeben?

Der antike Autor Herodot, der von ca. 484 bis nach 430 v.u.Z. lebte, damit einigermaßen ein Zeitgenosse war und Zeitzeugen befragt haben könnte, berichtet in seinen „Historien“ zwar von der Schlacht (VI 103 ff.), aber nichts von einem Marathonlauf. Vielmehr erwähnt er, noch vor der Schlacht hätten die Athener einen Schnelläufer namens Pheidippides nach Sparta gesandt, um nach Möglichkeit die Spartaner zur militärischen Hilfeleistung für die absehbare Schlacht zu bewegen. Diese Strecke von mehr als 200 km habe Pheidippides „am zweiten Tag“ bewältigt. Eine erstaunliche Leistung, die anscheinend den Läufer nichtmal das Leben gekostet hat – jedenfalls berichtet Herodot nichts davon.

Zum Gedenken an diesen Lauf wird in Griechenland seit 1983 der Spartathlon über eine Strecke von 246 km gelaufen, die in 36 Stunden zurückgelegt werden müssen.
Eine olympische Disziplin ist er bekanntlich nicht und auch für eine Fernsehübertragung wenig geeignet.

Was aber hat es mit dem Marathonlauf auf sich?
Von ihm berichtet Plutarch (geboren kurz vor 50, gestorben kurz nach 120 u.Z.) in seinen „Moralia“ (347 C). Ihm zufolge sei ein gewisser Thersippos oder, nach anderer Überlieferung, Eukles in voller Bewaffnung die Strecke von Marathon nach Athen gelaufen, vor den Türen der ersten Männer der Stadt zusammengebrochen und habe nur noch „χαίρετε, νικῶμεν!“ (Freut euch, wir sind siegreich!) rufen können, bevor er gestorben sei.
Einmal abgesehen von der Frage, warum er mit der Last von Rüstung, Schild und Schwert hätte laufen sollen, ist dieser Bericht mehr als 500 Jahre später geschrieben und damit von dem berichteten Ereignis in etwa so weit entfernt wie wir von der Reformation. Da ist ein Historiker ganz und gar auf seine Quellen angewiesen (von denen Plutarch einen Autor nennt, dessen Werk für uns jedoch verloren ist) ... oder aber auf seine Phantasie. Sollte es diesen Lauf gegeben haben, dann wäre es erstaunlich, daß der so viel nähere Herodot nichts davon berichtet.

Noch ein weiterer Autor der Antike schreibt etwas darüber: Lukianos (ca. 120 bis ca. 180 u.Z.), und zwar in seiner Schrift „Schutzrede für einen im Grüßen begangenen Fehler“ (3). Lukian schildert das Ereignis ganz wie Plutarch, den er gelesen haben könnte, erinnert sich jedoch offenbar daran, daß Herodot von einem Läufer namens Pheidippides geschrieben hatte, und macht diesen kurzerhand zum Läufer von Marathon – ein offensichtlicher Fehler.

Fazit: Bei dem berühmten Marathonlauf handelt es sich höchstwahrscheinlich nur um eine Legende, schön ausgedacht und folgenreich.
Re: Die Legende vom Marathonlauf
Φιλομαθής schrieb am 23.04.2018 um 22:21 Uhr (Zitieren)
Zitat von Γραικίσκος am 23.4.18, 17:39Einmal abgesehen von der Frage, warum er mit der Last von Rüstung, Schild und Schwert hätte laufen sollen ...

Vernünftig ist das nicht, das ist wahr, aber so kann man sich ein Bild davon machen, wie euphorisiert jener Eukles über den unwahrscheinlichen Sieg war. In welchem Maße παντὸς λόγου μεῖζον ἐκεῖνο ἔργον war, zeigt sich, da er den Mund auftut: bei Plutarch sagt er nicht νικῶμεν (oder gar νενικήκαμεν), sondern zunächst nur χαίρετε, bemerkt aber wohl, dass die anderen daraus nichts als die gebräuchliche Grußformel entnehmen, und korrigiert sich mit seinen letzten Atemzügen zu χαίρομεν. Nun hätten die Athener wohl noch immer nicht verstanden, wäre er nicht dank seiner Rüstung als an der Marathonschlacht Beteiligter erkennbar gewesen, und zwar nicht etwa als einer, der auf der Flucht Schild und Waffen hat fallengelassen, sondern als Bote des Sieges.
Re: Die Legende vom Marathonlauf
filix schrieb am 24.04.2018 um 13:45 Uhr (Zitieren)
Bei Plutarch ist die Episode zudem in eine Erörterung der pittoresken Qualitäten historischer Narration eingebettet - die besten Geschichtsschreiber, heißt es, lassen lebendige Erzählung gleichsam zu Bildern werden (Plut. De Gloria 347a).

Die Rüstung mag also nicht nur der Wiedererkennung und dem Ausweis der Tapferkeit dienen, sie macht, obschon in Wirklichkeit höchst unzweckmäßig für so einen Lauf, als Teil der vor dem inneren Auge des Lesers entstehenden Szene malerisch etwas her.

Die Schlacht von Marathon lieferte überhaupt einige Bilder, die ins kollektive Gedächtnis eingegangen sind, z.B. Kynaigeiros' abgeschlagene Hand, auf die auch Plutarch anspielt, die in späteren Darstellungen weiter ausgeschmückt werden.

Michael Jung hat mit Marathon und Plataiai - Zwei Perserschlachten als ,,lieux de mémoire“ im antiken Griechenland, Göttingen 2006 diesen Aspekten der antiken Erinnerungskultur eine Monographie gewidmet. Zu unserer Episode bemerkt der Autor auf Seite 187:

Zugleich muß der Läufer aber eingeordnet werden in den größeren Zusammenhang solcher Legenden, die überall in der griechischen Welt entstanden, wenn es galt, Ursprung und Entstehung prominenter Agonie zu erklären und zu deuten. In der Kaiserzeit erwähnt Philostrat (gymn. 7) eine ganze Reihe solcher Läufer: Jedes Mal läuft ein Kämpfer in den Heimatort, verkündet dort die Siegesbotschaft und stirbt direkt darauf eines plötzlichen Todes. Eine solche Legende wurde offenbar auch in Olympia erzählt, wo ein solcher Läufer den Waffenlauf bei den Olympischen Spielen begründet haben soll, aber sie entstand fast identisch auch in Delphi, Korinth und Argos. Schon Philostrat äußert vor dem Hintergrund der Gleichförmigkeit dieser Gründungssagen Zweifel an ihrer historischen Glaubwürdigkeit und Verlläßlichkeit.


Re: Die Legende vom Marathonlauf
filix schrieb am 24.04.2018 um 13:50 Uhr (Zitieren)
Agonie Agone
Re: Die Legende vom Marathonlauf
Γραικίσκος schrieb am 24.04.2018 um 14:02 Uhr (Zitieren)
Das einzige, was mir einfällt, daß es den Lauf mit Waffen historisch und nicht nur symbolisch plausibel machen könnte, ist die Überlegung, der Läufer könnte mit der Möglichkeit gerechnet haben, unterwegs verstreuten persischen Soldaten zu begegnen, gegen die er sich hätte zur Wehr setzen müssen.
Daß er zu Beginn seines Laufes schon abgesehen haben könnte, er werde am Ende zusammenbrechen und könne seine Rolle nur noch durch seine Bewaffnung verständlich machen, hat ja wenig für sich.
Aber anscheinend sind wir uns darin einig, daß es sich um Legende handelt, die nicht an rationalen Maßstäben zu messen ist.

Eine Frage habe ich noch, und zwar zu dem, was der Läufer laut Plutarch in Athen gerufen hat.
Mein „χαίρετε, νικῶμεν!“ habe ich dem Text in der Loeb Classical Library entnommen.
Auf den Hinweis von Φιλομαθής hin habe ich mal auf die Anmerkung zu dieser Stelle geachtet. Dort steht: "νικῶμεν Cobet, from Lucian, Pro lapsu inter salutandum, 3: καὶ χαίρομεν."
Daraus macht Φιλομαθής ja eine komplizierte Selbstkorrektur des Läufers, die ich am Text nicht nachvollziehen kann.
Ich bitte um eine Erläuterung.
Re: Die Legende vom Marathonlauf
filix schrieb am 24.04.2018 um 15:11 Uhr (Zitieren)
Ich fasste die Lesart χαίρετε (καὶ) χαίρομεν weniger als Korrektur denn als Polyptoton auf, ob ein solches dem knappen Atem des zu Tode Erschöpften geschuldet ist, sei mal dahingestellt. Erst der zweite Teil macht klar, dass es um ein freudiges Ereignis geht. Die allgemeine Begrüßungsformel allein vermag das nicht. Dieser Übergang lässt sich in der Übersetzung kaum nachahmen, "Freut euch, auch wir freuen uns" oder dgl. trifft es nicht wirklich, denn "Freut euch" ist im Dt. kein Gruß.

Wenn die Beobachtung bei Michael Jung zur Verbreitung dieser Story als Gründungslegende eines Agons stimmt, besteht ein weltgeschichtliche Pointe darin, dass Pheidippides und Co mit 2500 Jahren Verspätung noch einen solchen begründet haben: den Marathonlauf bei den olympischen Spielen der Neuzeit.

Ich habe übrigens irgendwo gelesen, das es bei den Testläufen 1896 auch Tote gegeben haben soll, ehe dann beim richtigen Rennen der Grieche Spyridon Louis siegte.
Re: Die Legende vom Marathonlauf
Γραικίσκος schrieb am 24.04.2018 um 18:13 Uhr (Zitieren)
Korrektur:
Die Festlegung auf die 42,195 km ist bei den Olympischen Spielen in London 1908 erfolgt, nicht 1980.
Re: Die Legende vom Marathonlauf
filix schrieb am 24.04.2018 um 19:45 Uhr (Zitieren)
... eine weltgeschichtliche Pointe .../... gelesen, dass ...

seit London 1908 aber genau 42,195 km, was nach präziser Vermessung klingt.


Nach einer auch in den Wikipedia-Artikel eingegangen Darstellung (Bob Wilcock: The 1908 Olympic Marathon. Journal of Olympic History. 16 (1), http://isoh.org/wp-content/uploads/2015/03/177.pdf), verdankt sich diese Distanz dem Umstand, dass die Läufer 1908 unter den Augen der royal box ins Ziel kommen sollten. Die Länge von 42,195 km wurde aber erst 1921 durch die International Association of Athletics Federations (IAAF) als Standard festgelegt.
Re: Die Legende vom Marathonlauf
Φιλομαθής schrieb am 24.04.2018 um 21:53 Uhr (Zitieren)
Die Plutarch-Handschriften überliefern ausnahmslos "... εἰπεῖν χαίρετε καὶ χαίρομεν ..." Cobet hat für seine Konjektur die angeführte Parallelstelle bei Lukian herangezogen. (Möglich, dass er den überlieferten Wortlaut für eine Dittographie gehalten hat.) Die Teubnerianae von Nachstädt (²1971) und Bernardakis (1889) sind ihm nicht gefolgt.

Zitat von filix am 24.4.18, 15:11Ich fasste die Lesart χαίρετε (καὶ) χαίρομεν weniger als Korrektur denn als Polyptoton auf, ...

Freilich lässt das wortkarge Ende des ersten Marathonläufers genug Raum für Interpretationen. Schon über die Frage, ob das καί Teil der wörtlichen Rede ist (so in der Bernardakis-Edition) oder nicht (so in der Ausgabe von Nachstädt), lässt sich streiten. In Verbindung damit steht die Frage, ob χαίρομεν die Angeredeten einschließt ("wir Athener" bzw. "wir Hellenen") oder ausschließt ("wir Krieger"). Ich habe mich für ersteres entschieden, da man bei einer Entgegensetzung ("Freut euch, auch wir freuen uns") die Setzung des Personalpronomens erwarten kann (χαίρετε· χαίρομεν καὶ ἡμεῖς). Etwas freier könnte man das Wortspiel vielleicht so nachbilden: "... dass er ins Haus der Ersten stürzte und bloß rief: 'Guten Tag! das heißt: Wir haben einen guten Tag!'"

Zitat von Γραικίσκος am 24.4.18, 14:02Das einzige, was mir einfällt, daß es den Lauf mit Waffen historisch und nicht nur symbolisch plausibel machen könnte, ...

Inwiefern es sich damals mit der Ehre des Kriegers in Einklang bringen ließ, dass dieser seine Waffen ablegte, bevor er in die Vaterstadt (oder ins Lager) zurückgekehrt war, weil alles andere als Flucht angesehen worden wäre, müsste man untersuchen. Bekannt sind ja die Verse des Archilochos (frg. 5 West/6 Diehl), in denen das lyrische Subjekt versucht, sich selbst zu versichern, dass die Schmach des Schildverlusts keine sei. Und die Worte der Spartiatin an ihren Sohn - "Kehre entweder mit Schild oder auf einem Schild (sprich: als Leichnam) zurück!" - werden, wenn auch nicht in der Härte, so doch in der Sache auch in Athen verständlich gewesen sein.
Re: Die Legende vom Marathonlauf
filix schrieb am 25.04.2018 um 13:15 Uhr (Zitieren)
'Guten Tag! das heißt: Wir haben einen guten Tag!'"

Keine schlechte Lösung (um die Erläuterung einzusparen, vielleicht "Einen guten Tag! Wir haben einen guten Tag!") In einer lat. Übersetzung las ich "Salvete! Salvi sumus!". Der antike Läufer muss also noch mit Stilmitteln bei der Siegesverkündigung glänzen, ehe er stirbt, dem modernen Marathoniken genügt es, wenn er völlig erschöpft durch das Erreichen des Ziels vom Sieg über sich selbst Zeugnis ablegt.

Die Funktion der Parallelstelle bei Lukian - https://tinyurl.com/y7fzvgln - verstehe ich noch nicht ganz. In dieser merkwürdigen Auflistung der Grußformen, die er erstellt, um seinen lapsus inter salutandum (er hat zur Unzeit bei der Begrüßung ὑγιαίνε gebraucht) zu relativieren, behauptet er ja, dass in dieser Szene der Läufer quasi das erste Mal χαίρετε im eigentlichen Sinne gebraucht habe. Mir ist nicht klar, ob er damit die wörtliche Aufforderung, sich zu freuen, meint, oder die Beschränkung auf (einen morgendlichen?) Gruß beim Eintritt. Davor bringt er nämlich Beispiele für eine nicht so streng reglementierte Verwendung.
Re: Die Legende vom Marathonlauf
Γραικίσκος schrieb am 25.04.2018 um 13:31 Uhr (Zitieren)
dem modernen Marathoniken genügt es, wenn er völlig erschöpft durch das Erreichen des Ziels vom Sieg über sich selbst Zeugnis ablegt.

Ich erinnere mich:
Dietrich Thurau war einmal eine große Hoffnung des deutschen Radsports und führte bei einer Tour de France die Gesamtwertung an ... bis er am Ende der Etappe nach Alpe d'Huez hoffnungslos zurücklag und in der Zielkurve vom Fahrrad stürzte, ohne noch die Kraft zu besitzen, sich wieder aufzurappeln.
Seine Worte: "Dieser scheiß Berg! Dieser scheiß Berg!"
Re: Die Legende vom Marathonlauf
filix schrieb am 25.04.2018 um 13:43 Uhr (Zitieren)
Dazu Sloterdijk (ein passionierter Radfahrer, der u.a. den Mont Ventoux - seit April 1336 Urgipfel moderner Alpinistik - auf Rädern erklommen hat):

"Gebirge kritisiert man nicht, man besteigt sie oder läßt es bleiben."
Re: Die Legende vom Marathonlauf
Φιλομαθής schrieb am 26.04.2018 um 22:41 Uhr (Zitieren)
Noch ein Nachtrag zum Läufer in Rüstung: Der Rede gegen Timarchos (Κατὰ Τιμάρχου 29, 54) des Aischines können wir entnehmen, dass ein Athener Bürger, der seinen Schild weggeworfen hatte (τὴν ἀσπίδα ἀποβεβληκώς), der Atimie verfiel und das Recht verlor, vor der Volksversammlung zu reden. Platon, der sich im zwölften Buch seiner Nomoi ausführlich mit den "Schildwegwerfern" (ῥιψάσπιδες) und den in Bezug auf sie zu errichtenden Gesetzen befasst (943e-945b), merkt an, dass der unfreiwillige Verlust der Waffen, etwa bei Gebirgs- oder Flussquerungen, leicht zum Anlass für Verleumdungen werden konnte. Vor diesem Hintergrund dürfte es für einen Krieger kaum denkbar gewesen sein, aus Bequemlichkeitsgründen ohne Rüstung in der Heimatstadt zu erscheinen, selbst wenn er es eilig hatte.

(Womit ich freilich nicht behauptet haben möchte, dass der Marathonlauf, so wie Plutarch ihn darstellt, mehr als eine Legende war.)
Re: Die Legende vom Marathonlauf
Γραικίσκος schrieb am 26.04.2018 um 23:13 Uhr (Zitieren)
Ein Krieger nicht, das glaube ich gerne. Und natürlich wird irgendeine Botschaft nach dem Sieg von Marathon nach Athen gesandt worden sein.
Aber dafür gabe es doch professionelle Schnelläufer, für die das Tragen von Waffen weder praktisch noch eine Sache der Ehre war.
Das halte ich jedenfalls für das Wahrscheinlichste.
Die militärischen Befehlshaber, welche die Botschaft losschickten, müssen ja auch gewußt haben, daß ein Mann mit Waffen unweigerlich langsamer sein würde.
Oder denke ich zu rational?
Re: Die Legende vom Marathonlauf
filix schrieb am 26.04.2018 um 23:44 Uhr (Zitieren)
Nach Plutarch war Demosthenes (Dem. 20.2) so ein Feigling, der den Posten verließ, sich aus dem Staub machte und die Waffen wegwarf, ohne sich der in goldenen Lettern gehaltenen Aufschrift seines Schildes ἀγαθῇ τύχῃ zu schämen. Er durfte allerdings am Ende doch die Leichenrede auf die in der Schlacht von Chaironeia Gefallenen halten.

Oder denke ich zu rational?


Ich würde sagen, deine Skepsis verträgt sich nicht wirklich mit dem gestaIterischen Ideal dieser Schlachtenmalerei.
Bei Lukian, der diese Geschichte ganz anders nutzt in seinem Text, ist es ja ein professioneller Tagesläufer, bei Plutarch hingegen spielt, denke ich, neben dem bisher Gesagten, eine wesentliche Rolle, dass er im Text, in den die Episode als Beispiel eingebettet ist, sich vorwiegend mit der Inszenierung historischer Ereignisse durch die Geschichtsschreiber beschäftigt. Er führt im Weiteren recht klar aus, wie man seiner Ansicht nach dabei auf dem schmalen Grat zwischen Dichtung und Wahrheit Lesenswertes, das im Gedächtnis der Nachwelt haften bleibt, produziert:

Yet this man came as a self-sent messenger regarding a battle in which he himself had fought; but suppose that some goatherd or shepherd upon a hill or a height had been a distant spectator of the contest and had looked down upon that great event, too great for any tongue to tell, and had come to the city as a messenger, a man who had not felt a wound nor shed a drop of blood, and yet had insisted that he have such honours as Cynegeirus received, or Callimachus, or Polyzelus, because, forsooth, he had reported their deeds of valour, their wounds and death; would he not have been thought of surpassing impudence? [...] We may be sure that such writers are lauded also merely through being remembered and read because of the men who won success; for the words do not create the deeds, but because of the deeds they are also deemed worthy of being read.
Poetry also has won favour and esteem because it utters words which match the deeds, as Homer says,

Many the lies that he spoke, but he made them all to seem truthful.


Re: Die Legende vom Marathonlauf
filix schrieb am 27.04.2018 um 01:10 Uhr (Zitieren)
Man könnte auch die vernünftige Erklärung des Todes durch Erschöpfung einmal einklammern und fragen, welche Funktion der Tod des Boten noch haben könnte. Fügt er der Nachricht etwas hinzu? Warum mischt sich dieses negative Ereignis in die frohe Botschaft vom Sieg? Macht der Tod dieses exemplarischen Teilnehmers den Sieg größer, weil mit letzter Anstrengung erkämpft? Usf.
Re: Die Legende vom Marathonlauf
Φιλομαθής schrieb am 27.04.2018 um 07:14 Uhr (Zitieren)
In der Darstellung des Plutarch wirkt dieser Tod wie die gerechte Strafe für die Vermessenheit, die Feldherren um die süßesten Früchte ihres Sieges betrogen zu haben. (Denn jener Eukles war ja eben kein von oberster Stelle entsandter Bote wie der Philippides des Lukian.) Die so hervorgerufene Störung des gehörigen Ablaufs wird durch das Opfer gemildert und erhält schließlich noch ihre Rechtfertigung in der Bemerkung, es sei durch jenen Vorlauten immerhin verhindert worden, dass irgendein Ziegenhirt zum Werkzeug der Fama wurde.

In Lukians Schilderung der Begebenheit ergibt der Tod des Schnellläufers, der die Ankunft zu einem Abschied macht, einen weiteren Anlass zu fragen, inwiefern sich sein "χαίρετε" von den vorher angeführten unterscheidet.

Noch eine Abschweifung: Der Name des Läufers bei Herodot, Pheidippides — "Pferdeschoner", ist ein Witz, oder?
Re: Die Legende vom Marathonlauf
filix schrieb am 27.04.2018 um 12:51 Uhr (Zitieren)
Noch eine Abschweifung: Der Name des Läufers bei Herodot, Pheidippides — "Pferdeschoner", ist ein Witz, oder?


Vermutlich, vielleicht eine Spitze gegen Sparta, für das man nicht einmal ein Pferd einsetzt.
In den Wolken heißt der Sohn, dessen kostspielige Vorliebe für Pferderennen Unglück über die Familie gebracht hat - noch im Traum beschäftigt ihn diese Leidenschaft, übrigens auch so.

Bei Lukian, dem Spötter par excellence, dachte ich ebenfalls an einen unterschwelligen Witz. Die ganze Schrift dient ja der Entschuldigung des lapsus, nicht mit χαίρε sondern mit ὑγιαίνε gegrüßt zu haben. Nun führt er die Marathonepisode als Beispiel für den ersten Fall in der Geschichte an, wo χαίρετε so verwendet wird, wie man es offensichtlich auch von ihm erwartet hatte. Das bezahlt der, der so grüßt, aber gleich mit seinem Leben, dass χαίρειν, das hier, denke ich, den Akt des Freudengrußes meint, mit dem Aushauchen des Lebensatems in eins fällt, sagt er ausdrücklich:

πρῶτος δ᾽ αὐτὸ Φιλιππίδης ὁ ἡμεροδρομήσας λέγεται ἀπὸ Μαραθῶνος ἀγγέλλων τὴν νίκην εἰπεῖν πρὸς τοὺς ἄρχοντας καθημένους καὶ πεφροντικότας ὑπὲρ τοῦ τέλους τῆς μάχης, Χαίρετε, νικῶμεν, καὶ τοῦτο εἰπὼν συναποθανεῖν τῇ ἀγγελίᾳ καὶ τῷ χαίρειν συνεκπνεῦσαι


Es ist also, so der mögliche Subtext, von Anfang an ziemlich riskant, so zu grüßen. Wer will einem da die Wahl einer anderen Formel verübeln?
Re: Die Legende vom Marathonlauf
filix schrieb am 27.04.2018 um 13:18 Uhr (Zitieren)
Lukian gibt keine rationale (ob überzeugend oder nicht) Erklärung für den Tod - der Mann ist professioneller Tagesläufer, sollte also wissen, wie man sich die Kräfte einteilt, er ist nicht von der Schlacht erhitzt, er trägt keine Rüstung, er stirbt, pointiert gesagt, einfach am Gruß. Zudem ist er genau der Typus, den Plutarch später aus solchen Szenen verbannt wissen wollte, der am heroischen Geschehen Unbeteiligte, ja womöglich wirklich ein Ziegenhirte, denn diese Läufer rekrutierten sich wohl aus dieser Schicht (Bei Herodot begegnet Pheidippides unterwegs nach Sparta Pan, dem Hirtengott, der ihm aufträgt zu fragen, warum die Athener ihn vernachlässigten).
Re: Die Legende vom Marathonlauf
filix schrieb am 27.04.2018 um 13:19 Uhr (Zitieren)
Plutarch später früher natürlich ...
Re: Die Legende vom Marathonlauf
Φιλομαθής schrieb am 27.04.2018 um 22:05 Uhr (Zitieren)
Nun verstehe ich die Stelle.

Zitat von filix am 27.4.18, 12:51In den Wolken heißt der Sohn, dessen kostspielige Vorliebe für Pferderennen Unglück über die Familie gebracht hat - noch im Traum beschäftigt ihn diese Leidenschaft, übrigens auch so.

Jacob Burckhardt erwähnt den aristophanischen Pheidippides ebenfalls:
http://www.albertmartin.de/altgriechisch/forum/?view=4636#3
Re: Die Legende vom Marathonlauf
filix schrieb am 28.04.2018 um 12:58 Uhr (Zitieren)
Noch ein Identitätswechsel. In der Suda, einem byzantinisches Lexikon aus dem 10. Jahrhundert mit über 30000 Einträgen, dessen Digitalisierung und Übersetzung mittlerweile abgeschlossen und via http://www.stoa.org/sol/ unentgeltlich genutzt werden kann, heißt es Adler alpha iota 205:

Αἱμόνιος, Ῥωμαῖος, κατὰ τὸν Περσῶν πρὸς Ἀθηναίους πόλεμον τραυματίας δραμὼν εἰς Ἀθήνας καὶ εἰς τοὺς πρυτάνεις εἰσελθὼν εἶπεν αὐτοῖς: χαίρετε καὶ χαίρομεν. καὶ πεσὼν ἀπέθανεν.

Haimonios, a Roman; wounded during the war of the Persians against the Athenians he [nevertheless] ran to Athens, went in to [see] the prytaneis,[1] and said to them 'Rejoice, we are rejoicing';[2] he then fell dead.

Notes:
A ludicrous re-hashing of part of the story of Pheidippides/Philippides (phi 347). The present version follows the phraseology of Plutarch, Moralia 347C, where the name is either Thersippos or Eukles; Lucian, Pro lapsu inter salutandum 3 has Philippides; the basis for 'Haimonios' (a Roman!) is unclear.
[1] See generally pi 3000 (Πρυτάνεις).
[2] So the transmitted text; but in the light of Lucian loc.cit. one should accept here, as in Plutarch loc.cit., Cobet's emendation to 'we are victorious' (νικῶμεν ).
 
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