In den Jahren 73 bis 71
v.u.Z. hat in Italien ein berühmter Sklaven- und Gladiatorenaufstand stattgefunden. Er ging von einer Gladiatorenschule im süditalienischen Capua aus und wurde angeführt von einem vermutlich aus Thrakien stammenden Gladiator namens Spartakus. Die Römer hatten große Mühe, mit diesem Aufstand fertigzuwerden, und haben mehrere peinliche Niederlagen gegen ihre Sklaven einstecken müssen, bevor es zwei berühmten Feldherren in mehreren Schlachten gelang, dieses „bellum servile“ zu beenden: zunächst Pompeius und dann Crassus.
Ich lasse die Fragen nach den Zielen dieses Aufstandes und der Person des Spartakus außen vor, um mich auf ein Detail zu konzentrieren: Nach der endgültigen Niederschlagung des Aufstandes habe Crassus nicht weniger als 6000 überlebende Sklaven die Via Appia entlang zur Abschreckung kreuzigen lassen.
Stanley Kubrick stellt es in seinem berühmten Film „Spartacus“ sogar so dar, daß sich Spartakus selbst unter diesen Gekreuzigten befunden habe.
Eine schreckliche Szene. Aber hat sie tatsächlich stattgefunden?
Viele lateinisch und griechisch schreibende Autoren der Antike haben den Spartakus-Aufstand – in kürzerer oder längerer Weise – geschildert, und zwar umso kürzer, je näher sie an den Ereignissen waren; da erinnerten sich die Leute noch daran und brauchten nicht über die Details informiert zu werden. Erst von späteren Autoren sind auch ausführlichere Berichte überliefert.
Überschaut man diese Berichte, dann fällt folgendes auf:
Erhalten sind Berichte über den Aufstand von:
• Cicero (106 bis 43
v.u.Z., also ein Zeitgenosse: „Briefe an Atticus“ VI, 2, 8),
• Sallust (86 bis 47
v.u.Z., ebenfalls ein Zeitgenosse: Fragmente aus den „Historiae“),
• Velleius Paterculus (ca. 30
v.u.Z. bis ca. 30 u.Z.: „Römi-sche Geschichte“ II, 30, 5 f.),
• Frontinus (40 bis 103 u.Z.: „Kriegslisten“ I, 5, 20-22),
• Tacitus (50 bis 120 u.Z.: „Annalen“ XV, 46),
• Appian (geb. ca. 90/100 u.Z.: „Bürgerkriege“ I, 116-120),
• Plutarch (kurz vor 50 bis kurz nach 120 u.Z.: „Leben des Crassus“ 8-11),
• Florus (ca. 120 u.Z.: „Auszug aus Titus Livius“ 2, 8, 1-13),
• Athenaios von Naukratis (ca. 200 u.Z.: „Das Gelehrtenmahl“ XV 272 c),
• Eutropius (4. Jhdt. u.Z.: „Breviarium der Römischen Ge-schichte“ VI, 7),
• Augustinus (354 bis 430 u.Z.: „Vom Gottesstaat“ III, 26) und
• Orosius (5. Jhdt. u.Z.: „Sieben Bücher gegen die Heiden“ V, 24, 1-8).
Das ist viel Stoff, nämlich Berichte von zwölf Autoren. Man merkt daran, wie sehr dieser große, wenn auch nicht einzige Sklavenaufstand die Antike beeindruckt hat. Allerdings stammen nur zwei von Zeitgenossen, während die übrigen zum Teil Jahrhunderte von dem Ereignis entfernt sind.
Es fällt auf, daß von diesen zwölf Autoren nur ein einziger, nämlich Appian (200 Jahre von den Geschehnissen entfernt!), erwähnt, Crassus habe 6000 Überlebende auf der Straße von Capua nach Rom kreuzigen lassen. Daß sich unter ihnen Spartakus selbst befunden habe, behauptet nichtmal er. Er sei in der letzten Schlacht gefallen, schreiben alle Autoren, sofern sie die Umstände seines Todes erwähnen. 5000 Überlebende seien nach der letzten Schlacht zu Pompeius geflohen und von diesem umstandslos niedergemacht worden, berichtet etwa Plutarch.
Fazit: eins zu elf, also vermutlich eine Legende, erfunden mit einem Sinn für spektakuläre Szenen.