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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Die Kreuzigung der Spartakisten (1450 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 02.05.2018 um 20:40 Uhr (Zitieren)
In den Jahren 73 bis 71 v.u.Z. hat in Italien ein berühmter Sklaven- und Gladiatorenaufstand stattgefunden. Er ging von einer Gladiatorenschule im süditalienischen Capua aus und wurde angeführt von einem vermutlich aus Thrakien stammenden Gladiator namens Spartakus. Die Römer hatten große Mühe, mit diesem Aufstand fertigzuwerden, und haben mehrere peinliche Niederlagen gegen ihre Sklaven einstecken müssen, bevor es zwei berühmten Feldherren in mehreren Schlachten gelang, dieses „bellum servile“ zu beenden: zunächst Pompeius und dann Crassus.

Ich lasse die Fragen nach den Zielen dieses Aufstandes und der Person des Spartakus außen vor, um mich auf ein Detail zu konzentrieren: Nach der endgültigen Niederschlagung des Aufstandes habe Crassus nicht weniger als 6000 überlebende Sklaven die Via Appia entlang zur Abschreckung kreuzigen lassen.

Stanley Kubrick stellt es in seinem berühmten Film „Spartacus“ sogar so dar, daß sich Spartakus selbst unter diesen Gekreuzigten befunden habe.

Eine schreckliche Szene. Aber hat sie tatsächlich stattgefunden?

Viele lateinisch und griechisch schreibende Autoren der Antike haben den Spartakus-Aufstand – in kürzerer oder längerer Weise – geschildert, und zwar umso kürzer, je näher sie an den Ereignissen waren; da erinnerten sich die Leute noch daran und brauchten nicht über die Details informiert zu werden. Erst von späteren Autoren sind auch ausführlichere Berichte überliefert.

Überschaut man diese Berichte, dann fällt folgendes auf:
Erhalten sind Berichte über den Aufstand von:
• Cicero (106 bis 43 v.u.Z., also ein Zeitgenosse: „Briefe an Atticus“ VI, 2, 8),
• Sallust (86 bis 47 v.u.Z., ebenfalls ein Zeitgenosse: Fragmente aus den „Historiae“),
• Velleius Paterculus (ca. 30 v.u.Z. bis ca. 30 u.Z.: „Römi-sche Geschichte“ II, 30, 5 f.),
• Frontinus (40 bis 103 u.Z.: „Kriegslisten“ I, 5, 20-22),
• Tacitus (50 bis 120 u.Z.: „Annalen“ XV, 46),
• Appian (geb. ca. 90/100 u.Z.: „Bürgerkriege“ I, 116-120),
• Plutarch (kurz vor 50 bis kurz nach 120 u.Z.: „Leben des Crassus“ 8-11),
• Florus (ca. 120 u.Z.: „Auszug aus Titus Livius“ 2, 8, 1-13),
• Athenaios von Naukratis (ca. 200 u.Z.: „Das Gelehrtenmahl“ XV 272 c),
• Eutropius (4. Jhdt. u.Z.: „Breviarium der Römischen Ge-schichte“ VI, 7),
• Augustinus (354 bis 430 u.Z.: „Vom Gottesstaat“ III, 26) und
• Orosius (5. Jhdt. u.Z.: „Sieben Bücher gegen die Heiden“ V, 24, 1-8).

Das ist viel Stoff, nämlich Berichte von zwölf Autoren. Man merkt daran, wie sehr dieser große, wenn auch nicht einzige Sklavenaufstand die Antike beeindruckt hat. Allerdings stammen nur zwei von Zeitgenossen, während die übrigen zum Teil Jahrhunderte von dem Ereignis entfernt sind.

Es fällt auf, daß von diesen zwölf Autoren nur ein einziger, nämlich Appian (200 Jahre von den Geschehnissen entfernt!), erwähnt, Crassus habe 6000 Überlebende auf der Straße von Capua nach Rom kreuzigen lassen. Daß sich unter ihnen Spartakus selbst befunden habe, behauptet nichtmal er. Er sei in der letzten Schlacht gefallen, schreiben alle Autoren, sofern sie die Umstände seines Todes erwähnen. 5000 Überlebende seien nach der letzten Schlacht zu Pompeius geflohen und von diesem umstandslos niedergemacht worden, berichtet etwa Plutarch.

Fazit: eins zu elf, also vermutlich eine Legende, erfunden mit einem Sinn für spektakuläre Szenen.
Re: Die Kreuzigung der Spartakisten
Φιλομαθής schrieb am 04.05.2018 um 21:46 Uhr (Zitieren)
Interessante Materialsammlung. Ich würde die Auswahl der dem Appian entgegenzuhaltenden Quellen allerdings auf jene verengen wollen, die tatsächlich etwas über das Schicksal der Anhänger des Spartakus nach der Schlacht gegen Crassus mitteilen, also Plutarch, Florus und Orosius. (Anzufügen wäre die Epitome des 97. Buches des livianischen Geschichtswerks.) Nur bei diesen Quellen kann man ja davon sprechen, dass sie über die Kreuzigung der Gefangenen schweigen. Ob sie nun allerdings schweigen, weil das Ereignis nicht stattfand, oder aus anderen Gründen, bleibt im Dunkeln. Das ist eben das Problem mit dem argumentum ex silentio.
Re: Die Kreuzigung der Spartakisten
filix schrieb am 05.05.2018 um 11:50 Uhr (Zitieren)
Nach Appian ist es Spartakus, der zuerst die Kreuzigung als Mittel der psychologischen Kriegsführung einsetzt (kommt das sonst noch wo vor?) - er lässt einen gefangenen Römer im Raum zwischen den Armeen aufhängen*, um die eigenen Leute durch Angst und Schrecken zu motivieren (und wohl auch, um die Gegner zu beeindrucken): αἰχμάλωτόν τε Ῥωμαῖον ἐκρέμασεν ἐν τῷ μεταιχμίῳ, δεικνὺς τοῖς ἰδίοις τὴν ὄψιν ὧν πείσονται, μὴ κρατοῦντες (App. BC 1.14.119) Die 6000 Gekreuzigten lesen sich wie eine bekräftigende Antwort der Sieger.


* Die Frage, was darunter genau zu verstehen ist, hatten wir vor einigen Monaten: http://www.albertmartin.de/altgriechisch/forum/?view=4631[/sub]

Re: Die Kreuzigung der Spartakisten
Φιλομαθής schrieb am 05.05.2018 um 23:01 Uhr (Zitieren)
Zitat von filix am 5.5.18, 11:50... die Kreuzigung als Mittel der psychologischen Kriegsführung einsetzt (kommt das sonst noch wo vor?)

Insofern die Kreuzigung die bevorzugte Hinrichtungsart für Sklaven war, wäre dergleichen nur bei Kämpfen zu erwarten, an denen Sklaven beteiligt waren.

Es fällt übrigens auf, dass die Gegner mit denen es die Römer im Verlauf der drei dargestellten Sklavenkriege bei Florus (epit. 2, 7-8) zu tun bekommen¹, eine Art von Entwicklung der Herausforderung vollführen, als sollte gezeigt werden, dass, wenn der princeps gentium populus schon das servilium armorum dedecus wiederholt zu ertragen hatte, dann nicht, weil er nicht aus der Geschichte gelernt hätte. Anschaulich gemacht wird der evolutionäre Dreischritt an der Art, wie die Besiegten in den Tod gehen: die verbliebenen Truppen des Eunus werden gekreuzigt², das Gefolge des Athenio wählt, um der Hinrichtung zu entgehen, den Freitod³, Spartakus und seine Mannen aber sterben geradezu einen Heldentod⁴.

__________
1 Das diesen vorangehende primum bellum unter Herdonius wird, da tumultus magis ... quam bellum, nur skizziert.
2 reliquias latronum compedibus catenis crucibusque punivit.
3 dedidissent se, nisi suppliciorum metu voluntariam mortem praetulissent. [Der Irrealis wirkt schon etwas absurd.]
4 tandem eruptione facta dignam viris obiere mortem et, quod sub gladiatore duce oportuit, sine missione pugnatum est. Spartacus ipse in primo agmine fortissime dimicans quasi imperator occisus est.
Re: Die Kreuzigung der Spartakisten
filix schrieb am 06.05.2018 um 02:23 Uhr (Zitieren)
Ich meinte eigentlich zunächst, ob die Szene, in der der sich Spartakus durch das Kreuz einerseits die Ängste seiner Kämpfer zunutze macht, andererseits den gefangenen Römer wie einen Sklaven hinrichtet, noch in anderen Quellen auftaucht, oder ob Appian beides erfunden hat.

Apropos Sinn für Inszenierung bei Florus: Eunus, der als Gotteskrieger ("numinum imperio") auftritt, hält im Wortsinn flammende Reden, um seine göttliche Inspiration zu untermauern. Er steckt sich heimlich eine Nuss (Kapsel) unter die Zunge, die Feuer und Schwefel enthält, und stößt so durch sanftes Hauchen kleine Flammen mit seinen Worten aus ("in ore abdita nuce quam sulphure et igne stipaverat, leniter inspirans flammam inter verba fundebat").
Re: Die Kreuzigung der Spartakisten
Φιλομαθής schrieb am 06.05.2018 um 11:24 Uhr (Zitieren)
Zitat von filix am 6.5.18, 2:23Ich meinte eigentlich zunächst, ob die Szene, in der der sich Spartakus durch das Kreuz einerseits die Ängste seiner Kämpfer zunutze macht, andererseits den gefangenen Römer wie einen Sklaven hinrichtet, noch in anderen Quellen auftaucht, oder ob Appian beides erfunden hat.
Ach so. Ich denke, Frontinus (strat. 1, 5, 22) beschreibt denselben Vorgang, gibt ihm aber eine andere Interpretation:
Idem, cum ab L. Varinio proconsule praeclusus esset, palis per modica intervalla fixis ante portam erecta cadavera, adornata veste atque armis, alligavit, ut procul intuentibus stationis species esset, ignibus per tota castra factis. imagine vana deluso hoste copias silentio noctis eduxit.
Re: Die Kreuzigung der Spartakisten
filix schrieb am 06.05.2018 um 12:33 Uhr (Zitieren)
Danke. Nicht übel diese Szene mit Leichen als Wachsoldatenattrappen - möglich, dass Appian sie umgedeutet hat, aber hier fehlt eindeutig die ostentative Provokation der Römer (indem ein Römer wie ein Sklave stirbt) und die Rückwirkung auf die Ängste der eigenen Anhänger (nämlich wieder nur als Sklaven am Kreuz zu enden). Das Imperium schlägt denn auch nicht mit sechstausendfacher Härte zurück.
Re: Die Kreuzigung der Spartakisten
Φιλομαθής schrieb am 06.05.2018 um 14:45 Uhr (Zitieren)
Was auch immer in der Folge geschah, Frontinus hatte daran im Rahmen seiner Lifehacks für Legionäre sicher kein Interesse. Er berichtet also auch nichts darüber. Aber, wenn wir davon ausgehen, dass wir hier dieselbe Szene vor uns haben wie die, die bei Appian BC 1, 119 dargestellt wird, so erscheint mir die Deutung, die dieser vermittelt doch deutlich plausibler als die des Frontinus. (Ein Häuflein eingekesselter Aufständischer staffiert Leichname mit Waffen und Kleidung aus, stellt diese unter den Augen des Feindes vor dem Lager auf und stiehlt sich dann durch die feindlichen Linien davon? Das soll funktionieren?) Die abweichenden Erklärungsversuche deuten darauf hin, dass die Römer einigermaßen ratlos vor den gekreuzigten (?) Leichnamen gestanden haben müssen.
Re: Die Kreuzigung der Spartakisten
Γραικίσκος schrieb am 06.05.2018 um 17:43 Uhr (Zitieren)
Hat nicht auch einmal Hannibal mit Lagerfeuern die Römer über die Positionierung seiner Truppen getäuscht?
Ob das, was Frontinus berichtet,
Als demselben Spartacus vom Proconsul Lucius Varinius der Weg versperrt war, ließ er vor dem Tor in kurzen Zwischenräumen Pfähle errichten und an ihnen angekleidete und bewaffnete Leichname aufrecht festbinden, damit es von weitem aussähe, als ob Wache gehalten würde. Zudem ließ er überall im Lager Feuer machen. Während so der Feind durch dies Trugbild getäuscht wurde, führte er in der Stille der Nacht seine Truppen hinaus.

überhaupt realistisch ist, hängt wohl davon ab, wie dicht die Truppen bzw. Wachen des Proconsuls nächtens aufgestellt waren.
Allerdings wird man nachts die aufgestellten Leichen nicht gut gesehen haben. Sollte der Proconsul klugerweise Späher ausgesandt haben, wird man diese wohl kaum haben überlisten können.
 
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