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Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Tristram Shandy und die Beschneidung (1086 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 31.01.2019 um 14:40 Uhr (Zitieren)
Nachdem im Hause Shandy der Versuch des Kindermädchens, mangels Nachttopf den jungen Tristram aus dem Fenster pinkeln zu lassen, tragischerweise dazu geführt hat, daß sich das Fallfenster löste, wird über die Vor- und Nachteile der Beschneidung diskutiert.

Tristrams Vater, die Karikatur eines Bildungsbürgers, sieht die Angelegenheit eher von der theoretischen Seite her. In Kap. V 28 zitiert er nicht weniger als vier griechische Autoren, die sich zum Thema geäußert haben; dem Anschein nach handelt es sich dabei um echte Zitate:

1. Χαλεπῆς νόσου καὶ δυσιάτου ἀπαλλαγὴ, ἣυ ἄνδρακα καλοῦσιν.
Hierbei wird Philo als Quelle angegeben, was ja gut sein kann; allerdings fehlt die genaue Stelle.

2. Τὰ τεμνόμενα τῶν ἐθνῶν πολυγονώτατα εἶναι.
Hier fehlen alle Angaben,

3. Καθαριότητος εἵνεκεν.
Bochart wird als Autor angegeben - mir völlig unbekannt. Offenbar neuzeitlich ... und dennoch griechisch?

4. Ὁ Ἷλος τὰ αἰδοῖα περιτέμνεται, ταὐτό ποιῆσαι καὶ τοὺς ἄμ' αυτῷ συμμάχους καταναγκάσας.
Sanchuniatho wird als Autor genannt, mir ebenfalls unbekannt.

Abgesehen davon, daß ich einige Spiritus und Akzente merkwürdig finde, möchte ich fragen, ob es sich tatsächlich um echte Zitate handelt, und, wenn ja, woher sie stammen.
Re: Tristram Shandy und die Beschneidung
Γραικίσκος schrieb am 31.01.2019 um 23:13 Uhr (Zitieren)
Bochart und Sanchuniatho sind inzwischen bestätigt, Fundstellen jedoch noch nicht identifiziert.

Sterne muß ein klassisch gebildeter M ensch gewesen sein.
Re: Tristram Shandy und die Beschneidung
Φιλομαθής schrieb am 01.02.2019 um 13:54 Uhr (Zitieren)
Die Zitate sind sämtlich jener Schwarte entnommen, die Vater Shandy nach dem Unfall des Sohnes konsultiert hat, nämlich John Spencers De legibus Hebræorum ritualibus et earum rationibus. Nachgeschlagen wurde, wie Kapitel XXVII zu entnehmen ist, zunächst die Sectio III: De sede vel subjecto circumcisionis (des vierten Kapitels im ersten Buch), und hier finden wir auch die ersten beiden Zitate, die von Philo Alexandrinus stammen, in der Ausgabe von 1685 (Cantabrigae = Cambridge) auf S. 45 (unten) bzw. S. 46 (oben).* Die Zitate Nr. 3 und 4 stehen im nächsten Abschnitt auf S. 51 (hier die korrekte Stellenangabe: Herodot 2, 37; ein Verweis auf Samuel Bochart findet sich in der Marginalie darüber, daher wohl die Verwechslung) und S. 49.

Die Schreibfehler (ἣυ ἄνδρακα) gehen wohl auf das Konto der Herausgeber (Setzer gibt es ja nicht mehr) deiner Ausgabe.

* https://books.google.de/books?id=bCcZJs-92IoC&pg=PA45#v=onepage&q&f=false
Re: Tristram Shandy und die Beschneidung
Γραικίσκος schrieb am 02.02.2019 um 14:49 Uhr (Zitieren)
Aha, die Zitate stammen aus dem Buch von John Spencer.

Das andere Rätsel - und da steht wirklich ἣυ statt ἣν - ist allerdings noch nicht gelöst, denn die von mir benutzte Ausgabe ist die 1963 im Winkler-Verlag erschienene. Und 1963 gab es noch sowohl Setzer und Lektoren als auch Leute, die Griechisch konnten. So schludrig waren Winkler-Bücher sonst nicht gemacht.
Re: Tristram Shandy und die Beschneidung
Φιλομαθής schrieb am 02.02.2019 um 16:26 Uhr (Zitieren)
Wie ich darauf verfallen bin, dass du eine neue Ausgabe des Tristram Shandy benutzt hast, weiß ich nicht genau. Wahrscheinlich hat es damit zu tun, dass ich kürzlich im Buchladen einen neuen Sterne vom Galiani-Verlag gesehen habe.

"Meine" Ausgaben des Tristram Shandy, die Übersetzungen von Rudolf Kassner in einer Buchgemeinschaftsausgabe (o. J.) und von Michael Walter bei Zweitausendeins (o. J., Haffmanns-Lizenz; dem Kommentar dieser Ausgabe habe ich die Hinweise auf den Ursprung der Zitate entnommen) sowie der Text in den World's Classics der OUP (1961, kein Hg. angegeben) zeigen sich bei diesen beiden Wörtern ohne Fehler, aber die Walter-Übersetzung verzichtet dann bei πολυγονώτατα und εἴνεκεν auf die Diakritika, bei denen sich World's Classics und Kassner als regelkonform erweisen. Die Koronis bei ταὐτὸ lassen Kassner und Walter vermissen, World's Classics hat sie. Nur bei Kassner findet man für ποιῆσαι die richtige Ακzentstelle, dafür hat er dem η ein Iota subscriptum verpasst, das dort nicht hingehört, und bei ἃμ' setzt er den falschen Spiritus.
Re: Tristram Shandy und die Beschneidung
οὔτις schrieb am 02.02.2019 um 16:43 Uhr (Zitieren)
Siegfried Schmitz hat die Winkler-Übersetzung nach/auf der Grundlage J.J. Bodes Übersetzung von 1774 angefertigt. Das sollte zu denken geben.

Aus Erfahrung: Übersetzer/innen unterhalb der Linie Botond, Reichert, Zimmer, Wollschläger mögen das Korrekturlesen nicht so.
Re: Tristram Shandy und die Beschneidung
Φιλομαθής schrieb am 02.02.2019 um 18:23 Uhr (Zitieren)
Gut, Bodes Tristram Schandi kann man ja einer Autopsie unterziehen. Er hat ἥν ἂνθρακα, also zwar korrekterweise das Ny und das Theta, aber der Akzent neigt sich bei den beiden Wörtern in die jeweils falsche Richtung. Das bleibt auch in der folgenden Auflage von 1776 so.

https://books.google.de/books?id=nHYHAAAAQAAJ&pg=PA114
https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10750322_00099.html?zoom=1

Übrigens habe ich über all der Kringel-Kritelei dem Namen Haffmans ein überzähliges N angedichtet. So kann's gehen ...
Re: Tristram Shandy und die Beschneidung
Φιλομαθής schrieb am 02.02.2019 um 18:27 Uhr (Zitieren)
Statt Kritelei lies: Krittelei

:-)
Re: Tristram Shandy und die Beschneidung
Γραικίσκος schrieb am 03.02.2019 um 14:44 Uhr (Zitieren)
Die Fehler ziehen sich durch das ganze Buch. In VII 13 beispielsweise heißt es gemäß Siegfried Schmitz:
Ich liebe die Pythagoreer (weit mehr als ich meiner teuren Jenny verraten darf) wegen ihres χωρισμὸρ [sic!] ἀπὸ τοῦ Σώματος [sic!] εἰς τὸ καλῶς φιλοσοφεῖν [...].

Ich habe in Erwägung gezogen, daß Sterne selber bewußt Fehler eingebaut hat, und zwar in der Erkenntnis der Eigenschaft menschlicher Leser, durch nichts so aufmerksam und lebendig zu werden wie durch die Entdeckung von Fehlern bei anderen. Seinem Humor traue ich das zu.

Wenn ich Φιλομαθής richtig verstanden habe, dann lassen sich allerdings diese Fehler im englischen Original nicht finden, dafür aber eine willkürliche Zeichensetzung sowie Groß- und Kleinschreibung.
Re: Tristram Shandy und die Beschneidung
Φιλομαθής schrieb am 03.02.2019 um 21:00 Uhr (Zitieren)
Zitat von Γραικίσκος am 3.2.19, 14:44[die] Eigenschaft menschlicher Leser, durch nichts so aufmerksam und lebendig zu werden wie durch die Entdeckung von Fehlern bei anderen

Ich bin ein wenig skeptisch, ob diese These einer Überprüfung an der Wirklichkeit standhielte. Denn jene Leser, die nichts Eiligeres zu tun haben, als ein Buch hinter sich zu bringen, die Lektüresportler und Leistungsleser, werden sich durch fingierte Setzfehler, so sie diese überhaupt bemerken, vermutlich kaum fesseln lassen. Uns Genusslesern hingegen geht es ja mit einer fehlerdurchsetzten Ausgabe wie Konzertbesuchern, denen ein paar falsche Töne die gesamte Aufführung verleiden können.

Welche Textgestalt nun wirklich der Autorintention entsprach, wird man, wenn überhaupt, wohl am ehesten über die Florida Edition ermitteln können.
Re: Tristram Shandy und die Beschneidung
οὔτις schrieb am 03.02.2019 um 21:34 Uhr (Zitieren)
Früher gab mancher Rezensent wissenschaftlicher Werke am Ende seiner ggf. auch durchaus positiver Ausführungen quasi als Dank die vorgefundenen Satzfehler an. Das sollte natürlich genaue Lektüre belegen. Dennoch hatte es auch etwas Höfliches, denke ich.
Re: Tristram Shandy und die Beschneidung
filix schrieb am 03.02.2019 um 21:53 Uhr (Zitieren)
In meiner Ausgabe der Übersetzung von Michael Walter (Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/Main 2010) sind die Zitate offensichtlich eingefügte Scans der First Edition, die man auch online abrufen kann: https://books.google.de/books?id=ty8CAAAAQAAJ&pg=PP7&redir_esc=y#v=onepage&q&f=true
 
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