α β γ δ ε ζ η θ ι κ λ μ ν ξ ο π ρ ς σ τ υ φ χ ψ ω Α Β Γ Δ Ε Ζ Η Θ Ι Κ Λ Μ Ν Ξ Ο Π Ρ C Σ Τ Υ Φ Χ Ψ Ω Ἷ Schließen Bewegen ?
Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Sind Tyrannen unglücklich? (833 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 02.09.2009 um 09:09 Uhr (Zitieren)
Platon stellt in seiner Πολιτεία die Behauptung auf, daß sie es sind:
Wird nun nicht, sprach ich, wer sich als der Verdorbenste zeigt, auch als der Unseligste erscheinen? Und wer die längste Zeit und am meisten tyrannisch geherrscht hat, der auch am meisten und die längste Zeit ein solcher wirklich gewesen sein? [...]

Notwendig, sagte er, muß sich das so verhalten. [...]

So wird auch wohl die tyrannisch beherrschte Seele am wenigsten tun, was sie gern wollte, wenn man nämlich von der ganzen Seele redet, sondern wie sie immer vom Stachel mit Gewalt getrieben wird, muß sie auch immer voll Schrecken und Reue sein.

Wie sollte sie nicht!

Aber arm oder reich, welches muß wohl ein tyrannisch beherrschter Staat sein?

Arm.

So muß folglich auch eine tyrannische Seele immer ärmlich und ungesättigt sein.

Allerdings, sprach er.

Und wie? Muß nicht ein solcher Staat und eine solcher Mann immer voller Furcht sein?

Sehr notwendig. [...]

Ist aber nicht in der Tat der Tyrann in einer solchen Gefangenschaft gehalten, der von Natur ein solcher ist, wie wir ihn beschrieben haben, voll der mannigfaltigsten Besorgnisse sowie Begierden? Wie sehr auch seine Seele lecker ist nach neuen Genüssen, so ist er doch der einzige in der Stadt, der nicht einmal wagen kann, irgendwohin auszureisen noch zu schauen, was anderen freien Männern Verlangen erregt, sondern er lebt die meiste Zeit in sein Haus vergraben wie ein Weib und neidet es auch den anderen Bürgern, wenn einer auswärts reisen will und etwas Treffliches sehen.

Auf alle Weise so, sagte er.

[...]

[576b-579c]

In Erinnerung habe ich auch noch die Aussage: "Ließen sich die Herzen der Tyrannen öffnen, man könnte sehen, wie zerfleischt und voller Wunden sie sind."
Allerdings finde ich diese Stelle beim Platon nicht mehr. Wenn jemand sie mir nennen könnte, besäße er in mir einen sehr verbundenen
Γραικίσκος
Re: Sind Tyrannen unglücklich?
Γραικίσκος schrieb am 02.09.2009 um 16:11 Uhr (Zitieren)
Danke! Das ist die Stelle! Kein Wunder, daß ich sie bei Platon nicht finde, wenn sie bei Tacitus steht.
Dein sehr verbundener Γραικίσκος
Re: Sind Tyrannen unglücklich?
Γραικίσκος schrieb am 02.09.2009 um 16:14 Uhr (Zitieren)
Meine Tacitus-Edition gibt Platons Gorgias als Quelle an. Also doch bei Platon.
Re: Sind Tyrannen unglücklich?
ανδρέας schrieb am 02.09.2009 um 20:54 Uhr (Zitieren)

Der Tyrann wird wohl nur dann unglücklich sein, wenn man ihm die Herrschaft entrissen hat ...

Wenn man den Alleinherrscher als Tyrannen bezeichnet zeigt das doch wohl zuerst einmal, dass seine Untertanen unglücklich sind.

Wenn ihm moralisch Bedenken wirklich wichtiger wären als die Macht könnte er doch sicher nicht als Gewaltherrscher andere unterdrücken.

Allerdings dürfte die o.a. Beschreibung in einem Punkt sicher stimmen: er hat ständig Angst, von den Beherrschten oder einem anderen Machtaspiranten verdrängt zu werden.
Re: Sind Tyrannen unglücklich?
Γραικίσκος schrieb am 02.09.2009 um 20:59 Uhr (Zitieren)
Der Tyrann wird wohl nur dann unglücklich sein, wenn man ihm die Herrschaft entrissen hat ...

Nein, das glaube ich auf gar keinen Fall. Allerdings sind seine Probleme wohl nicht moralische Skrupel (nach meinem Eindruck wissen manche Menschen nichtmal, was das ist), sondern: Angst, Mißtrauen, Einsamkeit mitsamt allen Folgen, die diese Einstellungen nach vielen Jahren für eine Psyche haben.

Chruschtschow hat eine Äußerung des späten Stalin überliefert: "Ich bin am Ende. Ich traue neimandem mehr, nichteinmal mir selbst."
Re: Sind Tyrannen unglücklich?
Γραικίσκος schrieb am 02.09.2009 um 21:11 Uhr (Zitieren)
Das war ein erschreckendes Eingeständnis. Wir hatten dieses Mißtrauen gegenüber anderen Menschen schon eine Zeitlag beobachtet. Jetzt aber gab er es selber zu und auf eine so entschiedene Weise. Kann man sich eine solche Feststellung aus dem Munde eines Mannes vorstellen, der das Schicksal seines Landes bestimmte und das Schicksal der Welt mitbestimmte? Den Menschen nicht zu trauen, ist eine Sache. Das war sein gutes Recht, auch wenn sein extremes Mißtrauen darauf hindeutete, daß er ernsthafte seelische Probleme hatte. etwas anderes aber ist es, wenn ein Mann unter der Zwangsvorstellung leidet, er müsse jeden beseitigen, dem er nicht traut.

[i]N. S. Chruschtschow: Chruschtschow erinnert sich. Die authentischen Memoiren. Reinbek 1971, S. 284

Ich empfinde Stalin als das beste Studienobjekt zu diesem Thema gerade deshalb, weil er - im Gegensatz zu seinem deutschen Pendant - erfolgreich war.
Re: Sind Tyrannen unglücklich?
ανδρέας schrieb am 02.09.2009 um 21:14 Uhr (Zitieren)

Ja, Stalin hatte wohl stets Angst und war von Misstrauen beherrscht. Seine Willkür war enorm.
Er starb durch einen Schlaganfall und wurde erst nach Stunden gefunden, weil die Diener es nicht gewagt hatten ohne seine Zustimmung - die er ja nicht äußern konnte - das Zimmer zu betreten.
Macht macht einsam, nunja
Re: Sind Tyrannen unglücklich?
Γραικίσκος schrieb am 02.09.2009 um 21:14 Uhr (Zitieren)
Diese Äußerung hat Stalin lt. Chruschtschow übrigens unter Umständen geäußert, in denen er die Anwesenheit von Chruschtschow und Mikojan nicht bemerkte oder nicht zu bemerken schien.
Re: Sind Tyrannen unglücklich?
Γραικίσκος schrieb am 02.09.2009 um 21:16 Uhr (Zitieren)
Macht macht einsam, nunja

Macht --> Konkurrenz --> Mißtrauen --> Einsamkeit

So stelle ich mir diese psychische Kausalkette vor.
Re: Sind Tyrannen unglücklich?
ανδρέας schrieb am 02.09.2009 um 21:26 Uhr (Zitieren)
Macchiavelli beschreibt den Typus sehr treffend (leider):

" ein Mensch, der immer nur das Gute tun wollte , muss zugrunde gehen unter so vielen, die nicht gut sind.Daher muss ein Fürst, der sich behaupten will, auch imstande sein, nicht gut zu handeln und das Gute zu tun und zu lassen, wie es die Umstände erfordern.Ich lasse also die Phantasien über den Fürsten beiseite und rede von dem Tatsächlichen."
Der Fürst, Reclam, Kap. XV, S. 95

>>> "Realpolitik"
Diese simple Darstellung haben sich einige zu Eigen gemacht, die man in den Geschichtsbüchern findet. Die meisten scheinen mir nicht wirklich unglücklich gewesen zu sein.
Re: Sind Tyrannen unglücklich?
ανδρέας schrieb am 02.09.2009 um 21:40 Uhr (Zitieren)
Re: Sind Tyrannen unglücklich?
Γραικίσκος schrieb am 03.09.2009 um 08:06 Uhr (Zitieren)
Im Grunde sind wir aber dann der Ansicht, daß Platon recht hat, oder? Zumindest haben Tyrannen viele Gründe, unglücklich zu sein.
Selbst der Genuß von Macht über andere hat m.E. die Angst vor den anderen als Hintergrund.
Re: Sind Tyrannen unglücklich?
andreas schrieb am 03.09.2009 um 15:49 Uhr (Zitieren)

Im Grunde hat Platon sicher Recht. Fragt sich, auf welcher Stufe der Bedürfnispyramide (Maslow) der Tyrann sich auslebt (Harem?> Stufe 1; Selbstverwirklichung?> Stufe 5)

Nero war sicher glücklich, als er die Senatoren dazu zwingen konnte, seinen künstlerischen Darbietungen von zweifelhaftem Wert beizuwohnen (manche sollen sich tot gestellt haben, damit man sie aus dem Theater trägt).
ER war glücklich, das Auditorium weniger ...
Re: Sind Tyrannen unglücklich?
Γραικίσκος schrieb am 03.09.2009 um 16:29 Uhr (Zitieren)
Der war so glücklich wie Dagobert Duck, wenn er in seinem Geld badet. Aber mit einem Ohr lauscht er dabei angstvoll, ob die Panzerknacker kommen ...
Sicher gibt es auch ein Glück des Tyrannen (der Genuß von Macht über Menschen, vermute ich), und niemand ist nur unglücklich.
 
Antwort
Titel:
Name:
E-Mail:
Eintrag:
Spamschutz - klicken Sie auf folgendes Bild: Wasserfall

Aktivieren Sie JavaScript, falls Sie kein Bild auswählen können.